Informationsmuster bei der ARD-Tagesschau

Was sich hinter dem Schein obektiv, ja seriös daherkommender Nachrichten erkennen lässt.


Aber merken das die ARD-Redakteure überhaupt noch, oder bekommen sie die Informations-Häppchen bereits vorgefertigt und werfen diese dann einfach nur noch mehr oder weniger unreflektiert in ihre Berichterstattung? Auf welche Art und Weise entstehen eigentlich Nachrichten, wie die im Folgenden exemplarisch Besprochenen?


von Peter Frey (peds-ansichten)

Diese und weitere Fragen seien auch und vor allem an das verantwortliche Personal der ARD-Tagesschau gerichtet — in einem weiteren offenen Brief. Aber möglicherweise finden sich ja auch „Aussteiger“ oder mutige „Eingeweihte“, welche (gern auch anonymisiert) das Publikum erhellen können.


An die Redaktion der ARD-Tagesschau

An: info@ndr.de, publikumsservice@tagesschau.de, gremienbuero-beschwerden@ndr.de

Sehr geehrte Damen und Herren,

bitte beachten Sie vorab, dass es sich im Folgenden um einen offenen Brief handelt und auch Ihre Reaktion (oder Nichtreaktion) transparent gehandhabt wird. Halten wir uns ansonsten nicht unnötig auf und kommen gleich zur Sache, Ihrer alltäglichen Berichterstattung. Diesmal geht es um die Ihre zum Ukraine-Konflikt.

Das hier ist manipulativ — auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht danach ausschaut:

„17.8.2022 • 13:23 Uhr

Russisches Militär nimmt Gemeinden in der Ostukraine unter Beschuss

Das russische Militär hat erneut Ziele im Osten und Süden der Ukraine beschossen. In der Region Donezk im Osten waren mehrere Städte und Dörfer Ziel der Angriffe, die nach Angaben der Behörden zwei Zivilisten das Leben kosteten. Sieben weitere wurden verletzt.

Russische Langstreckenbomber vom Typ Tu-22M3 feuerten in der Nacht Raketen auf die Region Odessa im Süden des Landes ab, wobei vier Menschen verletzt wurden, wie der Sprecher der Regionalverwaltung von Odessa, Oleh Bratschuk, mitteilte. In Mykolajiw ebenfalls im Süden beschädigten zwei russische Raketen ein Universitätsgebäude. Verletzt wurde niemand.

Die russischen Streitkräfte beschossen in der Nacht auch die Millionenstadt Charkiw und Teile der umliegenden Region. Wohnhäuser und Infrastruktur wurden beschädigt, aber es wurde niemand verletzt.“ (1)


Warum ist das manipulativ, also Propaganda?

Wir erkennen an diesem Beispiel sehr schön, dass Desinformation nicht unbedingt durch dreiste Lügen glänzen muss. Alle obigen Informationen scheinen — ohne dass der Autor dies jetzt ausgiebig geprüft hat — der Wahrheit zu entsprechen. Auch werden die Informationen nicht mit emotionalen Bekundungen von Experten, Politikern oder auch Journalisten „veredelt“. Sachlich und nüchtern wirkt das Ganze — und ungeachtet dessen ist es manipulativ. Warum gelingt es den Journalisten und/oder Redakteuren der ARD-Tagesschau nicht, eine solche Nachricht wie die Zitierte als manipulierende Konstrukte zu erkennen. Warum reichen Sie so etwas einfach an ihre Konsumenten weiter?

Nachrichten haben in Rahmen massenmedialer Berichterstattung offenbar (nicht erst) in diesen Zeiten ganz andere Aufgaben. Gustave Le Bon, Edward Bernays und Walter Lippman lassen grüßen. Und diese Aufgaben liegen nicht im Transport von Informationen auf der Sachebene. Solche wie die obige transportieren vor allem unterschwellige Botschaften, Botschaften auf der Gefühlsebene. Im speziellen Falle lautet die Botschaft: „Russland bombardiert, mehr oder weniger wahllos, Tag für Tag zivile Ziele“.

Das ist überhaupt nicht trivial. Weil es in den Menschen Angst- und daraus resultierend Hassgefühle hervorruft. Man ist sich bei der ARD augenscheinlich nicht im Klaren darüber, wieviel Verantwortung mit dem Senden jedweder Nachricht, auch mit einer solchen „Allerweltsnachricht“ verbunden ist. Aber die gerade zitierte, so nüchtern die Meldung auch wirken mag, pflegt Feindbilder.

Ist dieses Tendenziöse in der Nachricht möglicherweise ein Versehen? Oder ist Ihnen völlig die Sensibilisierung dafür abgegangen? Ist Ihnen überhaupt bewusst, dass die Nachricht manipuliert? Inwieweit sind Sie selbst in das vermittelte Thema, den Ukraine-Konflikt verstrickt, was dann in Ihre Arbeit enfließt? Oder bekommen Sie das Ganze bereits fix und fertig, zum Beispiel von der dpa ins Haus geliefert und leiten es ohne eigenen Aufwand weiter?

Einer Nachricht wie der obigen allein gelingt es freilich nicht, uns ausreichend zu emotionalisieren. So funktioniert unsere Psyche nicht. Es ist die ständige Wiederholung, die uns in unseren Gefühlen konditioniert, uns an Dinge glauben lässt. Und das, dieses Wiederholen, praktizieren Sie. Sie senden im Prinzip diesen Typ von Nachricht, der die Kriterien einer objektiven, unvoreingenommenen Berichterstattung eben nicht erfüllt, regelmäßig, ja täglich. Eine schnelle Suche in Ihrem Ukraine-Liveblog hat genügt, um das zu belegen.

Hier das zweite Beispiel: „Offenbar erneut russischer Angriff auf Charkow“ (2).

(2) 17.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-mittwoch-151.html#Charkiw

Eines möchte ich Ihnen wohlwollend zugute halten. Die unerträgliche emotionale Aufwertung von Kriegsereignissen durch „Experten“ sowie kriegsgeile Politiiker und Medienleute ist in den vergangenen Wochen bei der Tagesschau-Berichterstattung zurückgegangen. Das ist schließlich auch eine Grundvoraussetzung zur Erfüllung journalistischer Standards. Trotzdem: Verfolgen Sie den Telegram-Kanal des Bürgermeisters von Charkow und senden das dann eins zu eins, also nachrichtentauglich und ohne zu prüfen? Wer liefert Ihnen überhaupt diese Informationen?

Das nächste Beispiel: „Ukraine: Tote und Verletzte im Osten des Landes“ (3).

(3) 16.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-dienstag-157.html#Ukraine-Tote-und-Verletzte-im-Osten-des-Landes

Erneut schauen wir auf das gleiche Muster. Der Konsument bekommt ein Gefühl, beziehungsweise wird es in ihm erhalten und gestärkt, dass „die Russen“ Terrorangriffe auf die Bevölkerung einer Großstadt ausführen würden. Weil wichtige Kontexte im Inhalt fehlen — und diese Kontexte könnten Sie herausfinden!

Es genügt eben nicht, sich mit diesem ihren hinzugefügten Hinweis reinzuwaschen:

„Konfliktparteien als Quelle: Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.“ (3i)

Das nächste Beispiel: „Raketenangriff auf südukrainische Stadt Saporischschja“ (4).

(4) 12.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-freitag-165.html#Saporischschja

Das gleiche Bild: Die Nachricht wird sachlich formuliert, doch fehlen wichtige Kontexte. Kontexte die Sie, bei der ARD-Tagesschau bis zu einem gewissen Grad sehr wohl beibringen können. Sie tun es aber nicht. So jedoch wird auf der Gefühlsebene (!) vermittelt, dass russische Militärs systematisch zivile Objekte angreifen würde, rein um zu terrorisieren. Leider liegen viele militärische Ziele der ukrainischen Streitkräfte in zivilen, urbanen Zentren, eine inzwischen auch  gelegentlich in westlichen Medien anerkannte Tatsache (5).

Sie müssen das nicht werten, ja das sollten Sie sogar unbedingt unterlassen. Aber der Empfänger der Nachricht benötigt den Kontext, um sich ein eigenes, ein vielschichtiges, differenziertes Bild machen zu können.

Das gilt auch für dieses Beispiel: „Wiederaufbau in Tschernihiw“ (6).

(6) 12.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-freitag-165.html#Wiederaufbau-in-Tschernihiw

Es ist ja nicht nur so, dass Sie systematisch kontextfreie Nachrichten senden, welche ein auch von der ARD-Tagesschau kräftig mitgezimmertes Narrativ angeblich wahlloser, mörderischer russischer Angriffe auf friedliche Bürger des Nachbarlandes untersetzen. Sie lassen im Gegenzug die Hunderten Angriffe auf zivile Objekte im Donbass, also bei „den Separatisten“ gleich mal ganz weg. Wie gesagt, ist es nicht Ihre Aufgabe, Partei zu ergreifen, weder für die eine noch die andere Seite. Berichten sollen Sie, wirklich informieren. Das Ganze mit dem Anspruch auf Vollständigkeit, differenzierend und damit auch deeskalierend.

Auch der passt ins Muster: „Offenbar sieben Tote bei russischem Beschuss auf Bachmut“ (7).

(7) 11.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-donnerstag-149.html#Bachmut

Dieser noch mehr: „Ziel in der Nähe des AKW Saporischschja angegriffen“ (8).

(8) 09.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-dienstag-155.html#Ziel-in-der-Naehe-des-AKW-Saporischschja-angegriffen

Und dieser erst recht: „Enerhoatom: AKW-Arbeiter verletzt“ (9).

(9) 07.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-sonntag-177.html#AKW-Arbeiter

Können Sie jetzt die Kritik an Ihrer journalistisch-redaktionellen Arbeit nachvollziehen?

Wie prüfen Sie diese Nachrichten? Prüfen Sie die überhaupt? Wenn Sie die nicht prüfen können: Warum werden sie dann trotzdem von Ihnen weitergegeben?

Das sind keine neuen Techniken in Ihrer Berichterstattung. Zum Beispiel waren die von Ihnen aus Libyen (im Jahre 2011) oder aus Syrien (seit 2011)  gesendeten Nachrichten zum großen Teil in ähnlicher Art und Weise verfasst.

Propaganda ist ein hartes Wort und die Mehrheit der Mitarbeiter in den Häusern der ARD wird ihre Arbeit selbstredend nicht im Selbstverständnis eines Propagandisten verrichten. Wie könnten die Macher der ARD-Tagesschau diesem, nennen wir es einmal milde, Fehler in ihrer Berichterstattung aus dem Wege gehen? Um konkret auf das von Ihnen in den Nachrichten vermittelte Thema einzugehen, fallen mir die folgenden Aspekte ein:

Keine Propaganda wäre es, wenn die ARD-Tagesschau täglich ebenso und in der gleichen Ausführlichkeit über den täglichen Beschuss ziviler Objekte durch ukrainisches Militärs berichten würde.

Keine Propaganda wäre es, wenn man prüfen würde, auf welche Ziele es das russische Militär tatsächlich abgesehen und welche es — und das natürlich vollständig statt selektiv aufgeführt — getroffen hat.

Keine Propaganda wäre es, wenn in der Nachricht neben den zivilen Opfern auch die militärischen Opfer ermittelt und angegeben würden. Oder zwei entsprechende Nachrichten in Bezug gesetzt würden.

Keine Propaganda wäre es, wenn man zu jedem solcher Vorfälle auch offizielle russische Seiten einbeziehen würde, zum Beispiel das russische Kriegsministerium, kommunale Vertreter oder vor Ort weilende Journalisten in den Regionen Donezk und Lugansk.

Keine Propaganda wäre es, wenn man Nachrichten, welche weder vom Inhalt noch Quellennachweis her journalistischen Standards genügen, einfach nicht senden würde.

Keine Propaganda wäre es, wenn man distanziert berichten würde. Keine Propaganda ist der Verzicht auf Haltungsjournalismus.

Zum Abschluss:

Mir ist bekannt, dass es auch ziemlich triviale Gründe für die Mängel in der journalistischen Arbeit der ARD-Tagesschau gibt. So sollen viele Mitarbeiter in Angst um den Arbeitsplatz in ihrem Opportunismus weit, zu weit gehen, oft überlastet sein und es wird „von oben“ restriktiv in die Arbeit der Redaktionen eingegriffen und die Themen wie auch die Art und Weise der Befassung mit denselben vorgegeben. Das sind systemisch natürlich ideale Voraussetzungen für Auftragsschreiberei, das schlichte Übernehmen von Textbausteinen, oder Meldungen der Nachrichtenagenturen, einschließlich der dpa, deren Mitbesitzer die ARD ja ist.

Daher mache ich einen Unterschied bei der Einschätzung von Nachrichten wie den obigen, bei denen ich den Redakteuren nicht von vornherein ideologische Überzeugungsarbeit unterstelle und Beiträgen, wie denen von Florian Flade, der sich im „Kampf gegen Moskaus Lügen“ strapaziert und Feindbilder strapazierend nach mehr Maßnahmen gegen Desinformation ruft. Meint er die von ihm selbst Verbreiteten? Wobei er wie ein Propagandasprecher der Bundesregierung auftritt — und deren Lügen wiederholt (10)! Sollte Florian Flade dafür Belege suchen, kann ich ihn gern unterstützen.

Freundliche Grüße,

Peter Frey

Bitte bleiben Sie schön achtsam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen – insbesondere der deutlich sichtbaren Verlinkung zum Blog des Autors – kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei internen Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden.

(1) 17.08.2022; ARD-Tagesschau; Ukraine-Liveblog; https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-mittwoch-151.html#Russisches-Militaer-nimmt-Gemeinden-in-der-Ostukraine-unter-Beschuss

(5) 17.08.2022; ARD-Tagesschau, Faktenfinder; Pascal Siggelkow; Zivile Opfer bewusst in Kauf genommen?;  https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ukraine-amnesty-105.html

(10) 16.08.2022; ARD-Tagesschau; Florian Flade; Kampf gegen die Lüge; https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/russland-propaganda-bundesregierung-101.html

(Titelbild) Mikrofon, Tonstudio; Autor: Joe007 (Pixabay); 1.6.2014; https://pixabay.com/de/photos/radio-studio-ton-rundfunk-aufnahme-1603230/; Lizenz: Pixabay License

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