Im Zeitalter der Ängste und Populisten

Im Zeitalter der Ängste und Populisten

von Joachim Jahnke

(hier zur pdf.Fassung zum Ausdrucken)

1. Angst vor Wirtschaftskrisen, Altersarmut, etc.
2. Umwelt als Angst-Faktor
3. Immigration als Angst-Faktor
4. Das gefährliche internationale Umfeld
5. Das Zeitalter der gebrochenen Versprechen
6. Wo bleibt die Hoffnung? Nationalistischer Populismus?

Eigentlich sollten die meisten von uns mit ihrem Leben in Mitteleuropa und besonders Österreich, Deutschland und der Schweiz sehr zufrieden sein können. Es herrscht tiefer Frieden. Die Lebenserwartung bei Geburt ist in Deutschland über die letzten 10 Jahre noch einmal um etwa ein Jahr gestiegen. Die letzte Wirtschaftskrise liegt mehr als 10 Jahre zurück. Über den gleichen Zeitraum ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf nach Kaufkrafteinheiten um mehr als ein Viertel gestiegen. Wir können mit unserer Stimme Einfluß auf die Zukunft des Landes nehmen. Aber die meisten Menschen werden dennoch von den verschiedensten Ängsten geplagt, sehr persönlichen, wie um die Gesundheit, die Entwicklung der Kinder oder Einsamkeit im Alter, und viele, die die allgemeinen Lebensumstände betreffen. Daß Menschen mit Ängsten leben, ist normal. Viele der allgemeinen Ängste übersteigen indessen derzeit das normale Maß ganz erheblich.

Angst ist angeblich ein schlechter Ratgeber. Doch sie ist nicht der schlechteste, besonders, wenn man in einem Zeitalter der berechtigten Ängste lebt. Im Februar 2016 schrieb ich mein Buch „Zeitalter der Angst“. Der Titel griff eine Aussage des berühmten Historikers Fritz Stern auf:

„Ich glaube, wir stehen vor einem Zeitalter der Angst, der weit verbreiteten Angst. Ich glaube, wir stehen vor einem neuen illiberalen Zeitalter. Ich habe mich manchmal beschwert, daß ich aufgewachsen bin mit dem Ende einer Demokratie und jetzt, am Ende des Lebens, die Kämpfe um die Demokratie noch einmal erleben muß. Eigentlich eine traurige Bilanz.“

Für mich war und ist Angst – soweit nicht hysterisch oder pathologisch – eine völlig berechtigte Reaktion informierter Zeitgenossen. Manchmal möchte man seine Ängste herausschreien, weshalb ich für den Einband meines Buches einen Ausschnitt aus „Der Schrei“ von Edvard Munch nutzte – ein Bild, das für Angst und Apokalypse steht wie kaum ein anderes.

Über die letzten Jahre hat sich das Panorama der Ängste noch erheblich weiter aufgebaut. Ängste lassen sich nicht einfach in Telefon-Umfragen abfragen, weil die meisten Menschen sich gerne unbesorgt zeigen. Auf einige Ängste werde ich hier eingehen. Die meisten davon fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis unserer neoliberalen Gesellschaftsform, wie auf den wirtschafts- und sozialpolitischen Feldern, oder werden durch Regierungsentscheidungen noch verschärft, wie bei der lange Zeit völlig unregulierten Massen-Migration. Einige der Ängste werden von populistischen Führern, wie Trump in USA und Johnson in Großbritannien, bewußt hochgefahren, um sich dann als Retter aus der Not anzubieten.





1. Angst vor Wirtschaftskrisen, Altersarmut, etc.

Unterschwellig fürchten sich die meisten Menschen vor neuen Wirtschafts- und Finanzkrisen, zumal nach den Erfahrungen mit der Weltfinanzkrise ab 2007 und der folgenden Eurokrise und angesichts des hohen Anteils an befristeten Arbeitsverträgen und solchen in Leiharbeit und anderer Unsicherheiten am Arbeitsmarkt. Über die letzten Jahre war diese Angst etwas in den Hintergrund getreten. Nun meldet sie sich zurück. Erstmals seit 6 Jahren steigt wieder die saisonal bereinigte Zahl der Arbeitslosen, wenn auch noch wenig (saisonbereinigt im August +4.000, Abb. 20401) und der Unterbeschäftigten. Nach Ansicht der Bundesagentur für Arbeit wird die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern merklich schwächer. In der konjunkturnäheren Arbeitslosenversicherung seien deutliche Anstiege zu verzeichnen. Das Barometer der verfügbaren Stellen geht bereits seit Jahresbeginn ständig zurück (Abb. 14616). Anders als im Vorjahr hat die Industrie seit März begonnen, Stellen abzubauen, bis Juni fast 10 Tsd. (Abb. 20412).

 

 

 

Mit minus 0,1 % im 2. Quartal 2019 steuert die deutsche Wirtschaft auf eine Rezession zu (Abb. 20411). Der Geschäftsklimaindikator des ifo-Instituts befindet sich im freien Fall. Ein stärkerer Rückgang wurde zuletzt im Februar 2009 zu Zeiten der Weltfinanzkrise beobachtet (Abb. 20399).

 

 

Die Industrieproduktion ist seit Mai letzten Jahres kalender- und saisonbereinigt bereits um 6 % gefallen (Abb. 20407). Der Umsatz fällt sowohl im In-, wie im Ausland (Abb. 20413).

 

 

Auch für die Zukunft sieht es hier nicht gut aus: Die für die Beschäftigung wichtigen Auslandsaufträge sind über die letzten Monate erheblich geschrumpft (Abb. 20386). Deutschland wird für seine gefährlich starke Abhängigkeit von ausländischen Märkten (51 % des Industrieumsatzes) einen hohen Preis zahlen müssen, und das weil Regierung und Wirtschaft jahrelang die Löhne und Sozialleistungen gedrückt sowie öffentliche Investitionen wegen der heiligen Null gebremst haben und damit die Binnenkonjunktur verkümmern ließen. Auch die wichtigen Inlandsaufträge für Investitionsgüter liegen mit fallender Tendenz um fast 6 % unter dem Monatsdurchschnitt des Vorjahres (Abb. 20404).

 

 

Von der Weltwirtschaft kommen weitere Ängste wegen des drohenden harten Brexits, der für den Euro gefährlichen Dauer-Krise Italiens und wegen des sich immer weiter verschärfenden Handelskrieges zwischen den USA und China. Sollte sich der noch in einen Währungskrieg verwandeln, nachdem China den Renminbi im August erstmals über die magische Grenze von 7 Yuan/$ abwerten ließ, so könnte die Eurozone hineingezogen werden, weil China damit auch seine Exporte in die Eurozone erleichtert und umgekehrt die Exporte aus der Eurozone nach China erschwert. Schon jetzt setzt auch Draghi, wie er selbst zum 20. Jahrestag der Euroeinführung im Juni ganz offen erklärte, den negativen Strafzins für bei der EZB geparkte Bankeinlagen bewußt wegen seiner den Euro abwertenden Wirkung ein, was ebenfalls ein Schritt in den Währungskrieg ist.

Mehr als jede/r zweite Rentner/in (51,4 %) in Deutschland muß nach Auskunft der Bundesregierung von weniger als 900 Euro/Monat Rente leben. Das sind weniger als 30 % der durchschnittlichen Bruttolöhne und -gehälter. 58,6 % leben von weniger als 1000 Euro. Bei ständig steigenden Mieten bleibt von 900 Euro nicht viel zum Leben übrig*.

*) Altbau-Mieten 2011/18 + 35 %, beispielsweise kostet eine 60 qm große Altbau-Wohnung mittlerer Qualität in Berlin etwa 410 Euro und mehr Kaltmiete (Abb. 20350).

 

In den neuen, wohl dauerhaft zinslosen Zeiten fürchten sich sehr viele Menschen in Deutschland vor Altersarmut, nicht zuletzt weil die staatliche Rente nicht ausreicht und weil ihr mühsam zusätzlich Gespartes durch Geldentwertung abschmilzt, ohne daß sie sich dagegen wehren können (siehe letzter Rundbrief).

 

2. Umwelt als Angst-Faktor

Die immer weiter steigenden Sorgen um unsere Umwelt treiben nun schon Kinder massenhaft auf die Straße, die um ihre Zukunft fürchten und in dieser Hinsicht der Gefahrenabwehr durch die Generation ihrer Eltern nicht mehr trauen, was vor drei Jahren noch undenkbar war. Plötzlich wird in Deutschland über höhere Steuern auf Fleisch und Flugreisen als Klimaschutz diskutiert. Jeder ungewöhnlich heiße Sommer beunruhigt die Menschen mehr. Erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen war es in Deutschland im Juli an drei Tagen hintereinander mindestens 40 Grad heiß. Weltweit war der Juli 2019 der heißeste Monat der gesamten Messgeschichte.

 

Tatsächlich scheint das Klima den sogenannten „Kipppunkten“, von denen an die Erderwärmung durch menschliche Vorkehrungen nicht mehr zu beherrschen sein würde, immer näherzukommen. Um nur einige der Meldungen aus wissenschaftlichen Arbeiten der jüngsten Zeit aufzugreifen, die mich als Laien beeindruckt haben: Der Auftauprozeß der seit Jahrmillionen gefrorenen Arktis-Böden in Kanada und Sibirien schreitet viel schneller voran, als selbst die pessimistischsten wissenschaftlichen Studien annahmen. Das Auftauen des Permafrosts in Kanada soll inzwischen so weit vorangeschritten sein, wie es in den aktuellen Szenarien des Weltklimarates (IPCC) erst für das Jahr 2090 prognostiziert wurde. Damit steigt die Gefahr der Bildung großer zusätzlicher Mengen des besonders schädlichen Klimagases Methan sowie von CO2. Auch das Eis am Südpol schmilzt immer schneller. Das Meereis der Antarktis erreichte 2017 die geringste Ausdehnung seit 40 Jahren. Die dortigen Gletscher verlieren heute fünfmal so schnell Eis wie noch im Jahr 1990. Setze sich der Trend fort, würden die Gletscher nach Befürchtungen der Forscher einen Kipppunkt erreichen, an dem sie nicht mehr zu retten seien, selbst wenn der globale Temperaturanstieg gebremst werde. So könne der gewaltige Thwaites-Gletscher (Abb. unten), der ungefähr so groß ist wie der US-Bundesstaat Florida, innerhalb von 150 Jahren all sein Eis verlieren. Der Meeresspiegel würde dann allein deshalb weltweit um einen halben Meter ansteigen.

 

Anders als in früheren Perioden der Erderwärmung geht es diesmal unvergleichlich schneller, und diesmal geschieht die Erwärmung so ziemlich gleichzeitig überall in der Welt und nicht nur in einigen ihrer Teile (Abb. 20400). Nach neuen Forschungen hat es in den vergangenen 2.000 Jahren keine Wärme- oder Kälteepoche gegeben, die so umfassend den gesamten Globus beeinflußt hat wie der Anstieg der Temperaturen ab Ende des 20. Jahrhunderts. Nach dem neuesten Bericht des Weltklimarats vom August 2019 ist die globale Temperatur über Land seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und der Industrialisierung um 1880 bereits um 1,4 Grad gestiegen.

 

Während die Klima-Entwicklungen selbst angesichts der wissenschaftlichen Belege kaum zu bestreiten sind, streitet die Menschheit über den Einfluß des Menschen auf das Klima und damit über Rezepte zur Gefahrenabwehr. Die, die den Preis für eine Gefahrenabwehr nicht zahlen wollen, bestreiten umso mehr ihren eigenen Einfluß und den der Menschheit insgesamt. Selbst der den brasilianischen Regenwald brandschatzende Bolsonaro (Abb. unten) sieht sich unschuldig, wie die mit ihm unter dem Druck ihrer Exportlobby blauäugig das Handelsabkommen abschließende EU-Kommission (schon deswegen sollten ihre Spitzenverhandler gefeuert werden). Der unumstößlich letzte Beweis für die Rolle der Menschen wird erst erbracht sein, wenn es für jede Gefahrenabwehr zu spät sein wird. Daher wird auch das nackte Bestreiten menschlichen Einflußes und der damit verbundene Zeitverlust für viele Menschen zu einem eigenen Angstfaktor. Derart große Gefahren für die Menschheit müssen bekämpft werden, auch wenn die Zusammenhänge noch nicht zu 100 % bewiesen sein sollten.

 

3. Immigration als Angst-Faktor

Merkel hat mit ihrem viel zu langen Offenhalten der deutschen Grenzen, ihrer Befeuerung der „Willkommenskultur“ und ihren Selfie-gestützten Einladungsgesten die Massenmigration nach Deutschland zusätzlich angeheizt. Das hat noch viel mehr Menschen mit meist keiner oder wenig Bildung aus völlig fremden, meist muslimischen Kulturen nach Deutschland gebracht, die überwiegend kaum oder nur schwer integrierbar sind. Ohnehin empfinden nach einer neuen Bertelsmann-Studie 52 % der Befragten den Islam als Bedrohung und nur 36 % als Bereicherung, obwohl bisher nur etwa 5 Mio. Anhänger des Islam in Deutschland leben. Auf die Massen-Immigration als einer der wichtigsten Angstfaktoren in Deutschland geht der nächste Rundbrief ausführlich ein.

 

4. Das gefährliche internationale Umfeld

Im internationalen Umfeld haben wir es ebenfalls mit zusätzlichen großen Gefahren zu tun. Einen Trump mit seiner enormen Konfliktbereitschaft, seinem Rassismus und seiner Verachtung der internationalen, streitschlichtenden Organisationen bis zur Europäischen Union, gab es vor drei Jahren noch nicht. Erdogan hatte noch nicht seine Diktator-Allüren entwickelt. Mit dem Iran galt noch das nun von Trump aufgekündigte Atom-Abkommen von 2015, dessen Verlust eine unberechenbare Gefahr atomarer Aufrüstung in der gesamten Region schaffen wird. Die Straße von Hormus mit ihrem besonderen Konfliktpotential war den meisten Deutschen bisher unbekannt. Mit den Kämpfen in der Ukraine ist der Krieg offenbar dauerhaft nach Europa zurückgekehrt. Ebenfalls erst in den letzten drei Jahren ist die chinesische Führung unter Xi Jinping nach dramatischer Aufrüstung in einen aggressiven Stil der Durchsetzung ihrer Interessen verfallen; alle früheren Hoffnungen des damaligen „Westens“ auf eine demokratischere Entwicklung des Landes sind gestorben. Mit dem Start ballistischer Raketen durch Nord-Korea hat sich ein weiteres internationales Konfliktfeld mit großen Gefahren aufgetan. Selbst der Weltraum wird für die Supermächte immer mehr zu einer Spielwiese für gefährliche militärische Ambitionen.

Auch das Brexit-Referendum, das zu einem erstmaligen Ausscheiden eines Mitglieds der EU und dabei noch dazu eines besonders wichtigen führen wird, gab es vor drei Jahren noch nicht. Mit einem neuen, nationalistischen britischen Regierungschef Boris Johnson dürfte ein weiterer Dauerkonflikt nach Europa hineingetragen werden. Johnson teilt schon mit, daß er bei hartem Brexit den größten Teil der britischen Schulden bei der EU nicht bezahlen werde. Großbritannien wird versuchen, mit Niedriglöhnen und abgewertetem Pfund gegen Unternehmen in der EU unfair zu konkurrieren und mit den Trump-USA einen ziemlich feindlichen Block gegen die EU zu bilden. Wenn es wieder zu blutigen Kämpfen in Nordirland kommen sollte, wird Johnson der EU die Schuld geben. Wenn eine neue globale Krise kommen sollte, wird alles noch schlimmer werden.

Trotz Wahlen zum Europäischen Parlament wurde die neue Kommissionsspitze wieder in Hinterzimmern ausgekungelt und hatte sich zuvor den Wählern nicht gestellt, obwohl von der Leyen den meisten Menschen in Europa total unbekannt war und weitgehend immer noch ist. Praktisch hat sie sich als Macrons Kandidatin und mit der Unterstützung demokratieabgeneigter Kräfte im Osten und Süden der EU am aufrechten Frans Timmermans vorbei in das Amt geschlichen. Das bedeutet einen erheblichen Demokratieverlust für die ohnehin nicht besonders demokratie-starke EU. Gleichzeitig fault die EU von Innen mit wachsenden Demokratiedefiziten in einigen östliche Mitgliedsländern und mit nationalistischen Kräften, die ebenfalls vor drei Jahren noch unbekannt waren.

 

5. Das Zeitalter der gebrochenen Versprechen

Die neoliberalen Globalisierer hatten uns allen goldene Zeiten versprochen. Jeder zusätzliche Globalisierungsschritt, jedes neue Freihandelsabkommen, jede Zollsenkungsrunde in der Welthandelsorganisation, jede Erweiterung der EU um Niedriglohnländer sollte für alle Seiten, für jeden von uns gewaltige wirtschaftliche und soziale Vorteile bringen. Auf der Basis solcher Versprechen wurden die Grenzen immer weiter aufgerissen. Doch die Folge war ein gnadenloser Wettbewerb mit Niedrigstlohnländern, die – wie vor allem China – meist keine unabhängigen Gewerkschaften haben und oft ein Streikverbot.

Die meisten dieser Versprechungen waren schlicht verlogen und gingen von denselben, immer einflußreichen Kreisen aus, die einseitig den Vorteil verbuchen konnten, in erster Linie die international tätigen Konzerne. Fast überall fiel die Wirtschaftsleistung der entwickelten Industrieländer, den gigantischen Geldfluten aus den Notenpressen der Zentralbanken in den vergangenen Jahren zum Trotz, immer weiter (Abb. 18752, 20394). Gleichzeitig breiteten sich große Niedriglohnsektoren (in Deutschland jeder fünfte Arbeitsplatz) und unsichere Leiharbeit sowie befristete Arbeitsverträge aus. Sehr viel der Industrieproduktion wurde auf Billigstandorte ausgelagert. Die Faktorproduktivität hat in den alten Industrieländern gegenüber früheren Jahrzehnten erheblich abgenommen (Abb. 20396). Nach einer Ausarbeitung des McKinsey Global Institute haben die Einkommen von zwei Dritteln der Bevölkerungen in 25 Industrieländern über einen Zehnjahreszeitraum real nicht mehr zugelegt.

 

 

 

Lange zurück liegen schon die Zeiten, da wir angesichts des weltpolitischen Umfelds nach dem Fall der Berliner Mauer glaubten, einmal wirklich optimistisch sein zu dürfen. Man erwartete so etwas wie eine ewige liberale Demokratie, quasi ein Himmelreich auf Erden. So beschrieb Fukuyama 1992 in seinem berühmt gewordenen Buch „Das Ende der Geschichte“ den Verlauf der geschichtlichen Evolution als gesetzmäßige und zielgerichtete Verkettung von Ereignissen. Die Geschichte sollte demnach keine zufällige Anhäufung von Umständen sein. Das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Fall der Berliner Mauer sollten zu einer Schlußphase der politischen Systementwicklung geführt haben, totalitäre Systeme, wie z. B. der Kommunismus und der Faschismus, keine politischen Alternativen mehr darstellen. Vielmehr sei der Weg frei für eine liberale Demokratie. Totalitäre Systeme seien zum Scheitern verurteilt, weil sie dem Grundgedanken des Liberalismus widersprächen. Es brauchte nicht lange, um einen so naiven Zukunftsoptimismus zu widerlegen. Mit 9/11 von 2001, der Weltfinanzkrise von 2007/08 und dann in 2015/16, als ich mein Buch über das Zeitalter der Angst schrieb, den Terroranschlägen in Paris, Brüssel, Nizza und Berlin verbreiteten sich wieder gewaltige Ängste in Deutschland und weiten Teilen der Welt.





6. Wo bleibt die Hoffnung? Nationalistischer Populismus?

Populismus hat viele Gesichter. Nur dem Volk (populus) eine Stimme geben zu wollen, ist gelebte Demokratie. Doch auf den überall hochkommenden nationalistischen bis extremen Populismus wird sich keine realistische Hoffnung für die Zukunft der Menschheit und die Befreiung von den hier beschriebenen Ängsten bauen lassen. Dessen Führer, wie besonders Trump in USA und jetzt Johnson in Großbritannien, arbeiten mit einem Übermaß an Volksverdummung und Propaganda. Auch einige populistische Ableger in der EU bedienen sich solchen Handwerkszeugs, von Osteuropa bis Italien und weniger prominent auch einige in Westeuropa.

Man konnte lange der Ansicht sein, allein die falschen und spaltenden Rezepte der Neoliberalen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik seien für den Aufstieg dieser Form von Populismus verantwortlich, und mit Korrekturen daran würde auch die populistisch-nationalistischen Führungsfiguren zahnlos werden. Das war wohl schon deshalb falsch, weil bei solchen Ursachen die Parteien mit linken Sozial- und Wirtschaftspolitiken hätten gewinnen müssen statt ihres über viele Jahre nun zu beobachtenden Niedergangs.

Sicher hat der Neoliberalismus mit seinen falschen und einseitigen Rezepten die populistische Bewegung geschürt. Doch gerade die Beobachtung des Aufstiegs des Boris Johnson zeigt andere und viel wichtigere Ursachen, die mehr im gesellschaftlich-kulturellen Bereich liegen und daher längerfristiger Natur sind. So haben sehr viele Menschen keinen Klassenkontakt mehr, weder zu einer nicht mehr bestehenden Arbeiterklasse, noch zu einer sich auflösenden Mittelklasse. Sie fühlen sich damit heimatlos und ohne einen festen Platz in der Gesellschaft. Sie leben überwiegend nicht in den glitzernden urbanen Zentren mit ihrer in großen Teilen global und multikulturell orientierten Bevölkerung, sondern eher in den peripheren und oft benachteiligten Regionen. Dort bilden sie eine Gesellschaft „von unten“ gegenüber der Gesellschaft „von oben“, die an den Schaltheben der Macht sitzt. Ihnen versprechen die populistischen Führer ein neues, machtschaffendes „Wir-Gefühl“.

Es sind in der Unterscheidung des englischen Publizisten David Goodhart die Menschen von „Somewhere“, die „Dagebliebenen“, gegenüber den mobilen von „Anywhere“, den „Nirgendwos“. Auch zwischen den „Gelbwesten“ von „Somewhere“ in Frankreich außerhalb der Glitzer-Metropolen und den Pegida-Demonstranten von „Somewhere“ in Ostdeutschland oder den dortigen sehr unzufriedenen AfD-Wählern in Brandenburg undf Sachsen gibt es in dieser Hinsicht Ähnlichkeiten. Mit der zunehmenden Bedeutung von künstlicher Intelligenz im Berufs- und Gesellschaftsleben, wird der Anteil der „Dagebliebenen“ oder Zurückgelassenen noch weiter steigen.

Besonders deutlich zeigen sich die beiden Lager in der Deutschland tief spaltenden Migrationsdebatte, auch wenn die Medien der Willkommenskultur die Spaltung gerne bestreiten (wie der SPIEGEL: „Dahinter steht eine bizarr unterkomplexe Vorstellung von Gesellschaft, deren Ziel sei ein ständiger Dauerkonsens in ungefähr allen Fragen“). Der Soziologe Prof. Armin Nassehi spricht dagegen zurecht von einem „Kulturkampf“. Eine sehr kosmopolitische, moralisch allzu selbstbewusste und selbstgerechte, auch oft mit ökonomischer Potenz gedeckte Gruppe von Modernisierungsgewinnern, die quasi mit links Begriffe wie Kultur, Volk, Nation dekonstruiere, bediene mit einer exzessiven Willkommenskultur ihr eigenes Abgrenzungsbedürfnis gegen kleinbürgerliche Ängste und Enge. Die Flüchtlinge sind also ein Trigger, um mit der Willkommenskultur die Abgrenzung gegen die Globalisierungsverlierer und deren Ausgrenzung zu betreiben.

Hinzu kommen auch Bildungsunterschiede. So haben Studien der Anhänger von Trump und des Brexits in Großbritannien gezeigt, daß es oft Menschen mit relativ weniger Bildung sind, die sich zudem aus ziemlich einseitigen Medien informieren, um sich ihre Meinungen bestätigen zu lassen. Gerade sie scheinen immer anfälliger für den Personenkult der populistischen Führerfiguren mit deren – oberflächlich betrachtet – einfachen Lösungen geworden zu sein und legen ihr Schicksal mit immer weniger Vorbehalten in deren Hände. Die irrsinnigen Sprüche und Versprechungen von Trump, Johnson u. Co. zeigen, mit welcher Dummheit sie bei ihren Anhängern rechnen. Außerdem sind natürlich die sozialen Medien zu einer hervorragenden Plattform für solchen Populismus geworden. Erst die Kombination von gesellschaftlicher Heimatlosigkeit, Informationsdefiziten und sozialen Medien und das in einer Welt mit immer mehr Ängsten hat Figuren wie Trump und Johnson an die Macht gebracht. Die wird sie auch an der Macht halten und weitere Figuren dieser Art schaffen.

Diese oft sehr autoritären Führernaturen reiten auf der Welle der ohnehin vorhandenen Ängste und verstärken sie noch dramatisch für den eigenen Machtgewinn. Dort wo sie keine populistisch-einfachen Lösungen anbieten können, bestreiten sie schlicht die Grundlage für Ängste, wie beim Klima, wo sie die Menschheit von jeder Verantwortung freisprechen. Sie stellen sich gegen die angeblich dekadente und korrupte Elite, wie es beispielsweise Trump in seinem Wahlkampf getan hat, als er der Elite vorwarf, die USA ausgeraubt zu haben. Das erinnert an Adolf Hitler, der in „Mein Kampf“ von der „heutigen Dekadenz unserer oberen Zehntausend“ sprach.

Typisch war Trumps Antrittsrede im US Kongreß, in der er die Lage der USA auf ein angsteinflößendes „Gemetzel“ reduzierte, das nur er aufhalten könne:

„Für zu viele unserer Bürger existiert eine andere Realität: Mütter und Kinder gefangen in der Armut unserer Innenstädte, verrostete Fabriken verstreut wie Grabsteine über die Landschaft unserer Nation, ein im Geld schwimmendes Bildungssystem, das unsere jungen und prächtigen Studenten des Wissens beraubt läßt, die Verbrechen und die Gangs und Drogen, die zu viele Leben gestohlen und unser Land von so viel nicht realisiertem Potenzial beraubt haben. Dieses Gemetzel stoppt genau hier und genau jetzt!

Ähnlich hat Johnson sein Land als von der EU entrechtet und mit hohen Beiträgen ausgebeutet („We send the EU £350 million a week“) dargestellt und sich so als Retter der Nation angeboten.

 

Und jetzt als Premierminister klopft er noch irrsinnigere Sprüche und verspricht verlogen das Blaue vom Himmel. So sagte er in seiner Antrittsrede:

„Wir starten mit einer phantastischen Agenda für unser Land. Unsere Mission ist, Brexit zum 31. Oktober zu liefern, um unserem großen Vereinigten Königreich frische Kraft zu geben und dieses Land zum großartigsten Platz der Welt zu machen. Wenn ich das sage, bin ich mir bewußt, daß mich einige der Übertreibung beschuldigen werden. Doch es ist nützlich, sich den Weg vorzustellen, auf den wir uns nun machen können. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß das Vereinigte Königreich um 2050 die größte und reichste Volkswirtschaft Europas ist – im Mittelpunkt eines neuen Netzes von Handelsabkommen. Wir werden zurückblicken auf die Periode bis dahin als eine außergewöhnliche Periode, als den Anfang eines goldenen Zeitalters für unser Vereinigtes Königsreich.“

Mit Demokratie hat die Amtsführung der populistischen Spitzenleute Trump und Johnson nicht mehr viel zu tun. So hat jetzt Johnson – obwohl bisher nicht vom Volk gewählt – das britische Parlament in einen ungewöhnlich langen Zwangsurlaub geschickt, damit es sich einem harten Brexit nicht mehr in den Weg stellen kann und er nach vollzogenem Brexit bei Wahlen den Dank der irregeführten Wähler ernten kann. Parlamentspräsident Bercow nennt das ein „verfassungsmäßiges Verbrechen“. Man fühlt sich schon an die letzten Tage des Weimarer Parlaments erinnert. In jedem anderen demokratischen Land würde ein solches Verhalten als „Staatsstreich“ gewertet, und in Großbritannien hatte man das am allerwenigsten erwartet. Deutlicher als hier (und in USA) kann man die Gefahren eines extremen, nationalistischen Populismus nicht beobachten.

Auch die AfD bedient sich in Deutschland der Trumpschen Methode, die ohnehin vorhandenen Ängste weiter zu schüren und die regierenden Eliten pauschal als unfähig darzustellen, um sich dann als Bewahrerin unserer Zukunft darzustellen. So erklärte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel im Februar 2919: „Deutschlands politische Elite übt sich in Dekadenz“. Die Stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende von Storch läßt in ihrer regelmäßigen Video-Schau unter dem Titel „Die Herrschaft der Unfähigen: Ein Parteiensystem am Ende?“ einen angeblichen Experten zu Worte kommen, der ihr Deutschlands Untergang bestätigt, falls die bisherigen Kräfte weiter regieren. Dann würden sich Deutschland und Europa im Jahre 2050 in einer Phase der Verelendung befinden und am Endpunkt der europäischen Zivilisation.

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6 Kommentare

  1. Hab auch durchgelesen…aber hmm.
    Hat nicht Herr Jahnke selbst hier Angst erzeugt?

    Daß der Mensch vorrausdenken und seine Zukunft planen kann hat ihm stets sein Überleben gesichert. Können nicht viele Tiere, aber sie können es.

    Daher würde ich eher sagen, eine gewisse Art "Unsicherheit bei der Planung" tut sich auf.
    Aber auch das können wir kognitiv lösen, indem wir Alternativ-Lösungen entwickeln.

    Angst verspürt man, wenn man in einem brennenden Haus festsitzt oder sich anderweitig in Lebensgefahr befindet. Adrenalin wird freigesetzt und wir bekommen übermenschliche Kräfte. Aber nur kurzzeitig.
    Alles Andere würde man sonst "depressiv" nennen, wenn einen Ängste oder Phobien zermürben.
    Das gibt es auch, ist aber etwas Anderes. Keine echte Angst.

  2. Weder herrscht hier tiefer Frieden,
    – noch steigt die Lebenserwartung – sie geht zurück,
    – der Mittelstand ist gebeutelt von einer Wirtschaftskrise,
    – die Wirtschaftsleistung wird zwar pro-Kopf umgerechnet, doch das Viertel ehr haben nur einige wenige
    – die Stimmen der Menschn werden nicht mehr gehört, bzw. mehr und mehr diffamiert
     

    DAS Alles als UNgereimtheiten nur allein im ersten Abschnitt Herr Jahnke, weiterlesen macht also keinen Sinn – ich tue es trotzdem

    1. Bereinigte Arbeitslose, genau bereinigt oder schöngeschrieben, in Mapnahmen verschoben, meist unsinnige, …

    Wirtschaftsleistung, Produktion, .. Alles im Sinkflug – STIMMT!!!

    2. Alles geht schneller, das ist am Ende immer so, bevor Systeme kippen und eben auch beim sogenannten Klimawandel, der nicht nur auf der Erde gerade stattfindet.

    Bekämpft werden sollten DIE Unternehmen, die sich unwissend und profitorientiert in das natürliche Leben einmischen, es gezielt vernichten, sei es Glyphosat, Salzausbringung in Flüsse, Fracking, Pestizide, Chemtrails, HAARP, 5G, …

    Sofortiger STOPP bei Allem, das das natürliche Leben bedroht, verdreckt, vergiftet, …

     

    4. Mal vor der eigenen Regierungs-Haustüre anfangen zu recherchieren und zu kehren, die Stichworte nannten sie: Konfliktbereitschaft, Rassismus, Verachtung, Hass, Atomwaffen, Waffen, Diktatorallüren, Dauerkonflikt, Demokratiedefizit, … – ich bin gepannt auf Ihren Artikel.

     

    5. und hier höre ich jetzt doch auf diese Hetze gegen Andere (Trump, Johnson) und Selbstpropaganda (BrD) zu lesen, weil mir was im Halse hochsteigt und ich raus an die frische Luft muss

     

    Herr Jahnke, gönnen Sie sich den Ruhestand und finden Sie IHREN inneren wahren Frieden mit sich Selbst – zum Wohle des Ganzen Gute Reise

     

     

     

  3. Und? Sollen wir jetzt all unsere Ängste und Zweifel über Bord werfen und einem Trump, Johnson und Weidel nicht mehr zuhören? Sollen wir gar niemanden mehr zuhören und einfach unser Ding machen? Dann können wir ja auch einfach aufhören zu denken, oder? Machen wir doch einfach was wir wollen und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Was kümmert uns das Geschwätz der Politiker, oder? Sie schüren ja doch alle nur Ängste. So verstehe ich den obigen Aufsatz.

    Wir sollten aber nicht vergessen, dass diese "Angstschürer", wie Trump, Johnson oder Weidel, nicht nur schwätzen. Sie sagen teilweise auch die Wahrheit, die viele nicht hören wollen, oder es nicht verstehen.

    Herr Jahnke, Sie bringen mich mit ihrem Aufsatz und Ihren Ausführungen keinen Millimeter weiter. Analysieren und erkennen können wir selbst. Aber wo bleiben die Lösungen?

     

     

  4. Das alles scheint mir sehr durch "die linke Brille" angeschaut!
    Freilich brauchen Menschen Zugehörigkeiten; aber Klassen?
    Und malt der Autor hier nicht ein neues Schreckgespenst an die Wand, indem er vor "Populismus" warnt? Was tun sie denn, die bösen nationalistischen Populisten? Ist es nicht vielmehr so, daß sie das, was im Volk gedacht wird, aufnehmen und artikulieren, die ganzen berechtigten oder unberechtigten Ängste?
    Was hat denn "Demokratie", die angebliche Volksherrschaft, dazu geleistet, daß es weltweit angstfreies Leben geben könnte???

  5. Ich gebe zu, ich habe den Artikel gelesen und auf einen Aha-Effekt gewartet. Erst die schön aufbearbeiteten Angstszenarien und dann der Knaller.

    Aber der Knaller fehlt.

    Und den Klimaunsinn von Kipppunkten halte ich für gefährliche Panikmache. In der Erdgeschichte hat sich das Klima immer wieder von Heiss zu Kalt und umgekehrt bewegt, egal wieviele angebliche Kipppunkte man da heute erfindet.

    Warum wird es keine Befreiung von den Ängsten geben? Die Ängste werden gebraucht, um die Menschen zu manipulieren. Mit keinem anderen Gefühl kann man so gut auf Menschen einwirken und sie besser versklaven.

    Daher werden global ständig Konflikte benötigt. Wie man heute weiss, haben die Geheimdienste während des kalten Krieges Hand in Hand gearbeitet, während die Propagandaabteilungen die Angst vor dem "Gegner" zur vollständigen Kontrolle der Bevölkerung genutzt haben.

    Fürchtet Euch nicht, das war eine Botschaft des neuen Testamentes. Und auch das Morgen wird sich um Morgen sorgen…

    Man kann einpaar Vorkehrungen treffen, um Widrigkeiten des Lebens zu überstehen. Aber man muss sich die Angstkampagnen nicht zu eigen machen. Und man kann sich selbst von der Angstmanipulation befreien.

    Oder man wird zum Zombie, der sich je nach Bedarf steuern, ausbeuten und für die Interessen der Mächtigen opfern lässt.

    Wird die Welt ohne diese Ängste besser? Ich weiss es nicht… Aber sie wird ganz sicher freier!

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