Im Namen des Volkes!

Wer immer noch meint, unbedingt eine politische Partei wählen zu müssen, sollte, bevor er seine Stimme abgibt, den 599. Pranger von Michael Winkler durchlesen. Es könnte ja sein, dass der eine oder andere anschließend doch noch seine Meinung ändert.

Wir kennen das, zumindest aus dem Fernsehen: Die Richtertruppe marschiert ein, der ganze Saal erhebt sich, oft setzt der Richter noch sein Hütchen auf. Dann folgt die magische Formel: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil…“ Unter Juristen gilt das Sprichwort: Vor Gericht erhält man immer ein Urteil, aber nicht immer Gerechtigkeit. Der Richter – bleiben wir bei der männlichen Form, auch wenn es immer mehr Richterinnen gibt – ernennt das Volk also zum Komplizen seiner Rechtsprechung, die wiederum nichts mit Recht und Gerechtigkeit zu tun haben muß.

Oh, der Richter kennt das Recht und die Gesetze, dafür hat er ja studiert. Das Studium der Rechte vermittelt die Befähigung zum Richteramt, heißt es in der Selbstdarstellung des Studienganges. Der erfolgreiche Absolvent hat damit seine Befähigung zum Richteramt nachgewiesen. Nun, ich selbst war, wenn auch vor vierzig Jahren, bei der Bundeswehr. Damals habe ich meine Befähigung zum Umgang mit Waffen nachgewiesen. Nach den heutigen Waffengesetzen muß ich jedoch auch noch meinen Bedarf und meine Eignung zum Umgang mit Waffen nachweisen, um die Berechtigung zu bekommen, eine Waffe zu erwerben und zu führen.

Ich möchte noch ein anderes, alltäglicheres Beispiel anfügen: Mit dem Bestehen der Fahrprüfung habe ich die Befähigung zur Führung eines Kraftfahrzeugs nachgewiesen. Trotzdem wird den Befähigten hin und wieder die Eignung abgesprochen, also der Führerschein entzogen. Ein Richter hingegen kann sich als noch so ungeeignet erweisen, Recht zu sprechen, er wird in aller Regel nicht aus seinem Amt entfernt. Dabei spricht allein die Statistik dafür, daß es ungeeignete Richter geben muß.

Wie wird man in Merkeldeutschland Richter? Als erstes muß man „Jurisprudenz“ studieren, in der Kurzform „Jura“ genannt. Wörtlich übersetzt, heißt Jurisprudenz in etwa „rechtliche Klugheit“, gerne auch „richterliche Klugheit“, etwas freier und den Sinn leicht verfälschend als „Rechtskunde“ oder „Rechtswissenschaft“ übersetzt. Prudentia, die Klugheit, ist allerdings nur bedingt gefordert, der Student lernt, die Gesetze auf das Leben anzuwenden, und das nach formalen Gesichtspunkten. Es geht darum, anhand des Vorfalls die „Rechtslage“ zu ermitteln, also die Gesetze herauszusuchen, die auf den Fall zutreffen. Die Frage nach der Klugheit, ob es sinnvoll ist, die Gesetze auch einzuhalten, bzw. deren Einhaltung zu erzwingen, ist im Studium nicht gefragt. Der Richter hat also gerade das, was der Sinn seines Amtes ist, die Klugheit, nie erlernt.

Die meisten studierten Juristen ziehen ein Anstellungsverhältnis dem unsicheren Leben als selbständiger Anwalt vor. Der beliebteste Arbeitgeber ist der Staat, weshalb sich der Staat die „besten“ Juristen aussuchen kann. Diese „Besten“ sind natürlich die Leute mit den besten Noten. Die besten Noten gibt es wiederum dafür, die Meinung des Professors am besten widerzuspiegeln. Gefragt ist also weniger das Denken, sondern das Auswendiglernen. Mit der „Staatsnote“ darf man beim Staat anfangen, in der Verwaltung (Regierungsrat) oder eben in der Rechtsprechung. Dabei gibt es in den einzelnen Bundesländern Unterschiede, zumeist beginnt der zukünftige Richter als Staatsanwalt. Er wird also zunächst Vertreter der Anklage, weshalb der Richter ein gewisses Verständnis für seine Kollegen aufbringt – mehr Verständnis als für den Angeklagten und dessen Verteidiger.

Der Richter ist letztlich ein Beamter, ein Angestellter des Staates mit einigen besonderen Privilegien in der Besoldung und der Versorgung, gegenüber dem nichtbeamteten Angestellten des Staates.

Wenn jemand im Namen eines Dritten spricht, benötigt er einen Auftrag und eine Vertretungsvollmacht. Den Auftrag und die Vollmacht muß er direkt von diesem Dritten bekommen, es sei denn, der Dritte ist nicht geschäftsfähig, kann also diese Vollmacht nicht mehr ausstellen. Da der Richter Vertreter einer „Staatsgewalt“ ist, zu denen die Regierungsgewalt (Exekutive), die Gesetzgebende Gewalt (Legislative) und eben die Richterliche Gewalt (Judikative) gehören, müssen wir zunächst nachschauen, von wem diese „Staatsgewalt(en)“ ausgehen. Dies ist im Grundgesetz Artikel 20, Absatz 2, erster Satz festgelegt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Anschließend wird ausgeführt: „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Das Volk, von dem hier die Rede ist, wird nicht näher spezifiziert. Als das Grundgesetz formuliert wurde, gab es einen allgemeinen Konsens darüber, wer dieses Volk ist: die Deutschen, zumindest jene Deutschen, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes leben. Dieser Geltungsbereich wurde 1949 im Artikel 23 aufgeführt: „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“ Beigetreten ist zunächst das Saarland (1957), später das „Neufünfland“, die ehemalige DDR (1990). Allerdings wurde dieser Artikel 23 pünktlich zum Beitritt der DDR aufgehoben.

Anstatt einer klaren Ansage des Geltungsbereichs gibt es in der Präambel des Grundgesetzes eine Aufzählung der Bundesländer, allerdings ohne den Zusatz: „Das Grundgesetz gilt in…“ Der Geltungsbereich des Grundgesetzes ist damit zumindest fraglich. Warum diesen Mangel niemand abgestellt hat, obwohl er seit 26 Jahren besteht, gehört zu den Seltsamkeiten des Staatswesens der BRD. An Stelle des alten Artikels 23 steht nunmehr ein umfangreiches Bekenntnis zu Europa, also dem Brüsseler Beamtenmoloch.

Angesichts eines Ausländeranteils von mindestens 25 Prozent – „mit Migrationshintergrund“, unabhängig von einer eventuellen deutschen Staatsangehörigkeit – ist der Begriff „Volk“ nicht mehr eindeutig. Aus einer vagen Gemeinschaft von Paßberechtigten entsteht kein Volk, denn sonst könnte jeder Karnevalsverein behaupten, ein eigenes Volk zu sein. Der Versuch der Patrioten, sich mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“ als solches zu bestimmen, wird von den Wahrheitsmedien als Ausgrenzung dargestellt, als der Versuch, die „Einwanderer“ zu diskriminieren. 1989, als dieser Ruf durch die DDR hallte, war das noch anders gewesen, da war es die Mahnung der Demokratie an die Obrigkeit, daß sie nicht im Namen des Volkes handelt.

Noch steht auf dem Gebäude des Reichstags in Berlin „Dem deutschen Volke“, doch schon seit Jahren gibt es Stimmen, die diesen Satz in „Der deutschen Bevölkerung“ abändern wollen. Der wichtigste Unterschied zwischen Volk und Bevölkerung besteht darin, daß nur das Volk staatstragend sein kann, nur die Zugehörigkeit zum Volk Identität und Gemeinschaft entstehen läßt. „Bevölkerung“ ist all das, was sich in einem bestimmten Gebiet herumtreibt. Das Volk trägt die Verantwortung für den Staat, die Bevölkerung ist jederzeit austauschbar.

Von einer Bevölkerung kann keine Staatsgewalt ausgehen, da sie nicht staatstragend ist. In das Volk wird man hineingeboren, oder bei besonderer Eignung auch aufgenommen, in die Bevölkerung kann man jederzeit hinein- und hinauswandern. Beim derzeitigen „Flüchtlings“-Problem ist es das Volk, das diese Eindringlinge ernähren und unterhalten darf, denn diese „Zuwanderer“ haben nichts für das Land getan. Es steht sogar zu erwarten, daß sie auf ewig Kostgänger des Volkes sein werden, also Parasiten gleich nichts für den eigenen Unterhalt beitragen.

Dieses immer mehr in der „Bevölkerung“ verschwindende Volk soll die Staatsgewalt durch Wahlen und Abstimmungen ausüben, zudem gäbe es Organe der Legislative, Exekutive und Judikative. Tatsächlich kann das Volk nur über eines abstimmen: Über die Parteien, die ihrerseits die Volksvertreter stellen, also allein die Legislative. Die Exekutive und die Judikative sind der Macht des Volkes vollständig entzogen.

Um das Prinzip der Wahlen zu verstehen, hexe ich Ihnen nun ein geliebtes Haustier an, einen Wellensittich, eine Katze oder einen Hund. Ihre ganze Familie hänge an diesem Tierchen, allerdings kann es nicht mit in den Urlaub. Sie bekommen eine Liste, in der sich einige Leute mit Namen und Paßbild vorstellen. Sie erfahren, in welchem Verein diese Leute sind, eventuell den Familienstand, die Anzahl der Kinder und vielleicht noch die Konfessionszugehörigkeit. Mehr nicht. Sie lesen nichts darüber, ob das ein Hundeliebhaber oder ein Katzenhasser ist, oder ob er Vögel vor allem im gebratenen Zustand schätzt. Sie können sich informieren, was die Vereine so anstellen, denen die betreffende Person angehört. Nun suchen Sie sich die Person mit dem sympathischsten Lächeln aus, übergeben Ihre Katze auf dem Weg zum Flughafen und genießen entspannt Ihren wohlverdienten Urlaub. Der Tiermetzger gibt Ihnen die Katze ausgenommen und fachgerecht zerlegt zurück, fertig für die Bratröhre…

Finden Sie das ein krasses Beispiel? Sie wollten Ihre Katze doch in Pflege geben und wohlbehalten zurückbekommen… Bedauere, Sie haben dem netten Herrn mit dem sympathischen Lächeln vom Obst- und Gartenbauverein die uneingeschränkte Verfügungsvollmacht über Ihr Haustier überlassen. Bei Wahlen ist das noch schlimmer. Sie übertragen dem zukünftigen Abgeordneten die Verfügungsvollmacht über Ihr Einkommen, über Ihre Gesundheit, Ihren Arbeitsplatz, ja Ihr gesamtes Leben. Ein paar Gesetze, schon leben wir im Orwell-Staat. Ihr Volksvertreter handelt nicht in Ihrem Interesse, sondern im Interesse seiner Parteiführung. Er behauptet nur, im Namen des Volkes zu handeln, doch das, was er Ihnen in seiner Selbstdarstellung versprochen hat, braucht er nicht einmal zum geringsten Teil einzuhalten.

Sie übertragen der Legislative die uneingeschränkte Generalvollmacht, in Ihrem Namen zu handeln. Ihr Generalbevollmächtigter hält keine Rücksprache mit Ihnen, er ist Ihnen keinerlei Rechenschaft schuldig. Sie haben nur die Möglichkeit, nach vier, fünf oder sechs Jahren den Angehörigen eines anderen Vereins zu wählen. Die Vereine sind Ihnen ebenfalls keinerlei Rechenschaft schuldig. Sie stellen die Kandidaten für die Abstimmung nach eigenem Ermessen und hinter Türen fest, die für Nichtmitglieder geschlossen bleiben.

Wir leben in Deutschland, und hier braucht man für jede Tätigkeit einen Befähigungsnachweis. Wenn ich Ihnen den Bauch aufschneiden und den Blinddarm entfernen will, ist es ganz nützlich, wenn ich ein medizinisches Studium und eine gewisse Erfahrung als Chirurg nachweisen kann. Wenn Sie eine Künstlerin im Haareschneiden sind – ohne Gesellenbrief müssen Sie das als Nachbarschaftshilfe im Bekanntenkreis tun, und ohne Meisterbrief dürfen Sie keinen Salon eröffnen. Nur Volksvertreter dürfen Sie ohne jegliche Qualifikation werden. Weder Schulabschluß noch Berufsausbildung ist nötig, um über das Schicksal des ganzen Landes mitzuentscheiden. Wundern Sie sich also nicht, wenn die Entscheidungen entsprechend ausfallen.

Während die Abgeordneten noch auf die Wahlen verweisen können, also eine Vertretungsvollmacht besitzen, unter welch seltsamen Umständen die auch zustande gekommen sein mag, wird die Regierung gar nicht vom Volk gewählt, sondern nur von dessen Vertretern. Die Exekutive ist also nur mittelbar vom Volk gewählt, sie haben die Vollmacht von Bevollmächtigten erhalten, sind also schon zweitrangig. Und wieder ist keinerlei Qualifikation nötig, um zu regieren. Kein Schulabschluß, keine Berufsausbildung, rein gar nichts, vom Wohlwollen der jeweiligen Partei einmal abgesehen.

Es geht noch weiter: Über die Einstellung als Richter bestimmen letztendlich die Justizminister. Nicht unbedingt persönlich, aber sie bestimmen die Einstellungsrichtlinien. Die Abgeordneten (erstrangige Bevollmächtigte) wählen einen Kanzler oder Ministerpräsidenten (zweitrangiger Bevollmächtigter), der wiederum die Minister ernennt (drittrangige Bevollmächtigte). Der Minister gibt die Einstellungskriterien vor, nach denen Beamte (viertrangige Bevollmächtigte) schließlich Richter einstellen, die als fünftrangige Bevollmächtigte vorgeben, im Namen des Volkes Recht zu sprechen. Nach derart vielen Händen ist ein Auftrag des Volkes allerdings nicht mehr zu erkennen.

Schaut man den Vorgang von einer anderen Warte aus an, dann wählt das Volk eine Partei, die Partei den Regierungschef, der aus den Reihen der Partei den Ressortminister bestimmt. Glauben Sie wirklich, daß nach all diesem Parteiengeklüngel ein unparteiischer Richter ins Amt gelangt? Auf dem Richterstuhl sitzt demnach jemand, der von der jeweils regierenden Partei als für das Richteramt geeignet gehalten wird. Da Richter auf Lebenszeit ernannt werden, muß sich nach einem Regierungswechsel die neue Parteienkonstellation mit dem schon vorhandenen Personal abfinden, kann aber dafür sorgen, daß verstärkt eigene Parteigänger nachrücken. Und ja, der drittrangige Bevollmächtigte (Justizminister, keine Qualifikation erforderlich) unterschreibt die Beförderungsurkunde, wenn ein Richter Karriere machen will.

Wem also wird ein Richter dienen? Er muß die Kriterien eines Parteifunktionärs erfüllen, um überhaupt eingestellt zu werden. Er braucht das Wohlwollen desselben Parteifunktionärs, um beruflich voranzukommen. Das Volk braucht der Richter nicht, das Volk bezahlt zwar sein Gehalt, aber dazu ist es gezwungen, das ist keine Ermessensentscheidung. Die Richter werden vereidigt, z.B. mit dieser Formel: „Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Freistaates Bayern und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.“ Kommt in diesem Eid irgendwo das Wort „Volk“ vor? Ich habe es nicht gefunden! Über das Grundgesetz hat das Volk nie abgestimmt, bei der Bayerischen Landesverfassung hat die amerikanische Besatzungsmacht kräftig mitgemischt, das Volk durfte am Ende wenigstens noch zustimmen – nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, also letztlich „Ja“ sagen.

Die Formel „Im Namen des Volkes“ wird ohne Nachdenken benutzt, von Personen, deren Vollmacht dazu über so viele Hände gegangen ist, daß sie weder Beauftragte noch Vertreter des Volkes sein können. „Im Namen der Bundesrepublik Deutschland“ wäre angemessener, „Im Namen des Freistaates Bayern“ wohl noch zulässig, aber ein wenig holpriger, weil nach Bundesgesetzen ge- und verurteilt wird.

Die Judikative ist keine demokratische Staatsgewalt, da das Volk keinerlei Einfluß auf diese Staatsgewalt hat. Das ist in anderen Ländern besser geregelt, da werden Staatsanwälte und Richter vom Volk für begrenzte Zeit gewählt. Damit haben sie einen Auftrag vom Volk, damit müssen sie dem Volk gegenüber Rechenschaft ablegen. Das deutsche Beamtenrecht verhindert beides, läßt die Justiz zur Judstiz verkommen, zum Recht, das in den Händen der Richter (lat. iudex) gebogen, gebeugt und verbogen wird. es wäre demnach nur konsequent, auf die Formel „Im Namen des Volkes“ zu verzichten. Dann sind wenigstens wir, das Volk, nicht mehr für die Unrechtsprechung mitverantwortlich.

© Michael Winkler

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