… hat Euro-Staaten an den Abgrund getrieben …

Christian Müller (infosperber.ch)

Wolfgang Schäuble von der CDU war acht Jahre lang deutscher Finanzminister. Jetzt gibt’s viel Lob – aber auch begründete Schelte.

«Er hat Eurostaaten gerettet und den Haushalt konsolidiert.» So stand es am letzten Montag im deutschen Handelsblatt. «Seine Markenzeichen, die schwarze Null und ’strukturelle Reformen für Europa‘, waren die grössten Fehlentscheidungen, die ein deutscher Finanzminister je getroffen hat.» So schrieb es Heiner Flassbeck auf Makroskop.

Wolfgang Schäuble, der deutsche Finanzminister seit 2009, ist in dieser Funktion weg. Grund genug, seine wirtschaftspolitische Leistung zu analysieren. Die Würdigungen könnten unterschiedlicher nicht sein.

«Der Satz, der sinngemäss sicher am häufigsten in den deutschen Gazetten über die achtjährige Amtszeit von Wolfgang Schäuble geschrieben wird, stand am Montag morgen schon im ‚Handelsblatt‘: ‚Er hat Eurostaaten gerettet und den Haushalt konsolidiert‘. Soll wohl heissen: Er war ein deutscher Herkules, der komplette Staaten rettete und finanzpolitisch etwas schaffte, was vor ihm noch keiner geschafft hat.

Unangemessener kann eine Würdigung nicht mehr sein. Viel näher an dem, was wirklich passiert ist, wäre der Satz: Er hat Eurostaaten an den Abgrund getrieben und exakt zum falschen Zeitpunkt zugelassen, dass der deutsche Staatshaushalt einen Überschuss ausweist.» Dies schreibt Heiner Flassbeck, ehemaliger Chef-Ökonom bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf.

Lobeshymnen auf Wolfgang Schäuble gibt es viele

Viele Deutsche sind Wolfgang Schäuble dankbar. Sie sind überzeugt, dass er es war, der verhindert hat, dass die deutschen Steuerzahler den «faulen Griechen» die Staatspleite refinanzieren mussten. Diese Version hat man immer wieder lesen können, nicht zuletzt in der deutschen Boulevard-Presse. Die negativen Auswirkungen von Schäubles Politik auf die Wirtschaft Griechenlands wurden dabei diskret unter den Teppich gekehrt.

Es gibt auch die andere Stimme

«Eine ehrliche Diagnose hätte schon im Jahr 2009, dem ersten Jahr des Ministers [Wolfgang Schäuble], zu Tage gefördert, dass die klaffende Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Euroländern zu einem erheblichen Teil dem deutschen Lohndumping unter Rot-Grün zuzuschreiben ist. Genau zu dem Zeitpunkt hätte man den anschwellenden deutschen Leistungsbilanzüberschuss in den Fokus nehmen und erkennen müssen, dass es für die anderen Länder bei Leistungsbilanzdefiziten und einem gleichzeitig zu beobachtenden Nettosparen der Unternehmen unmöglich war, die öffentlichen Haushalte konsolidieren zu können, ohne noch tiefer in die Rezession zu geraten.

Austeritätspolitik, wie sie unmittelbar nach Beginn der Krise verordnet wurde, war schlicht absurd. Folglich hätte man die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes niemals so restriktiv ausgestalten und niemals versuchen dürfen, diese Vorgaben einzuhalten. Man hätte zumindest lange vor 2015 erkennen müssen, dass sich kein Staat an diese Vorgaben halten kann, ohne gewaltigen Schaden anzurichten und tiefer in die Krise zu rutschen.

Zudem, und das ist sogar noch wichtiger, hat die Eurogruppe die Krisenländer dazu getrieben, die Arbeitsmärkte zu ‚flexibilisieren‘, was nichts anderes hiess, als ‚zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit‘ die Löhne zu senken. Das aber hatte unmittelbar einen starken Rückgang der Binnennachfrage zur Folge und führte deswegen zu weiter steigender Arbeitslosigkeit, statt – wie von der Eurogruppe und Schäuble erwartet – die Arbeitslosigkeit zu senken.

Zum Bild: Sozialer Abstieg. Viele ehemalige Arbeitnehmer müssen heute im Müll nach Kleidung und Essen suchen. Das Stadtbild in Athen ist gezeichnet von Obdachlosen (Bild T-online)

In Deutschland hätte Schäuble – in Kenntnis dieser Zusammenhänge – für einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik werben und der deutschen Bevölkerung erklären müssen, dass für ein Land mit einem hohen Leistungsbilanzüberschuss, sparenden Unternehmen und einer Krise in der Europäischen Währungsunion der Versuch, die staatlichen Haushalte zu konsolidieren, eine Absurdität ist. Die Verankerung einer Schuldenbremse in der Verfassung hätte es mit einem verantwortungsbewussten und kenntnisreichen Finanzminister nicht gegeben.» So schreibt Heiner Flassbeck auf Makroskop, einer deutschen Online-Plattform für Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Merke: Ein Staat, der einen deutlichen Handelsbilanzüberschuss ausweist – also deutlich mehr Exporte als Importe verzeichnet – produziert seine Produkte zu billig; er zahlt im eigenen Land zu niedrige Löhne. Das ist in Deutschland der Fall, zuungunsten der anderen Euro-Länder, die wegen der gemeinsamen Währung ihre Produkte nicht mehr durch Abwertung der eigenen Währung verbilligen können. Die Profiteure des Ungleichgewichts sind die deutschen Unternehmen, ihre Manager und ihre Grossaktionäre.

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