Hat der Euro noch Zukunft ?

Kern-EU gegen Peripherie-EU
Hat der Euro noch Zukunft?

Von Philipp Bagus, Professor für Volkswirtschaftslehre, Madrid

Die Probleme der Eurozone sind im Grunde genommen die Fehlinvestitionen. In den ersten Jahren des vergangenen Jahrzehnts wurden die Zinsen mittels einer expansiven Geldpolitik künstlich gesenkt.

Unternehmer finanzierten Investmentprojekte, die allein aufgrund der niedrigen Zinssätze Gewinne abzuwerfen versprachen, die jedoch nicht von echten Ersparnissen getragen wurden. Nebenbei entstanden Immobilienblasen und vom Konsum angetriebene Aufschwünge.

Verschuldung schnellt in die Höhe

2007 begannen die Blasen zu platzen. Die Immobilienpreise fingen an zu stagnieren und sogar zu fallen. Bauunternehmer und Immobilienbesitzer begannen, ihre Schuldentilgung einzustellen. Da die Banken diese Fehlinvestitionen finanziert hatten, mussten sie Verluste einstecken.

Nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers brach das Interbank-Kreditgeschäft zusammen, woraufhin die Regierungen eingriffen. Sie retteten die Banken und übernahmen somit die aus den Fehlinvestitionen resultierenden Verluste des Bankensystems. Als die Fehlinvestitionen vergesellschaftet wurden, schnellte die öffentliche Verschuldung innerhalb der Eurozone in die Höhe. Ausserdem brachen aufgrund der Krise die Steuereinnahmen ein. Gleichzeitig begannen die Regierungen, Industriebranchen und die Arbeitslosigkeit zu subventionieren.

Ursachen

Darüber hinaus hatten die Staaten sogar vor Beginn der Krise Fehlinvestitionen angehäuft, und zwar aufgrund übermässiger Wohlfahrtsausgaben. Zwei Ursachen hatten den Anreiz für Sozialausgaben in der Peripherie gegeben.

Erstens: Niedrige Zinssätze. Diese wurden aufgrund einer expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der einheitlichen Währung an sich ermöglicht. Im Euro ist eine stillschweigende Rettungsgarantie enthalten. Marktteilnehmer erwarteten, dass stärkere Regierungen die schwächeren stützen würden, um das politische Projekt des Euro zu retten, wenn der schlimmste Fall eintreten würde. Als man Italien, Spanien, Portugal und Griechenland zum Euroraum zuliess, wurden die von ihren Regierungen zu zahlenden Zinssätze drastisch gesenkt. Die niedrigen Zinsen erlaubten es diesen Ländern, sich weiter zu verschulden.

Die zweite Ursache ist darin zu finden, dass der Euro von der «Tragödie der Allmende» betroffen ist, wie ich in meinem Buch «Die Tragödie des Euro» erkläre. In der Eurozone können mehrere voneinander unabhängige Regierungen ein einziges Zentralbankensystem nutzen, um ihre Defizite zu finanzieren. Die Kosten dieser Defizite können in Form von höheren Preisen für Ausländer zum Teil ausgelagert werden.

Ein Beispiel

Man nehme das folgende Beispiel: Die griechische Regierung gibt mehr Geld aus, als sie an Steuern erhält. Um den Unterschied auszugleichen, druckt die griechische Regierung Schuldverschreibungen. Das Bankensystem kauft diese Schuldverschreibungen, weil sie diese als Sicherheit für neue Darlehen von der EZB hinterlegen kann.

Wenn die Banken griechische Schuldverschreibungen als Sicherheit hinterlegen, erhalten sie neues Zentralbankgeld. Die Banken können dann diese neuen Reserven verwenden, um ihre Kreditvergabe auszuweiten. Die Geldmenge erhöht sich und die Preise steigen. Auf diese Weise wird das Defizit indirekt monetarisiert, und die Benutzer der Währung zahlen.

Gefährliche Geldumverteilung

Preise steigen dann nicht nur in Griechenland, sondern in der gesamten Eurozone. Auf diese Weise wird ein Teil der Kosten eines Defizits an Ausländer übertragen. Nicht nur die griechische Regierung, sondern alle Regierungen können auf diese Weise die Kosten ihrer Defizite externalisieren, was im Ergebnis zu einem perversen Anreiz führt. Wer ein höheres Defizit hat als andere Länder in der Eurozone, kann die Kosten des Defizits auf andere Länder übertragen. Je höher das Defizit im Vergleich zu den Defiziten anderer Eurozonen-Mitglieder ist, desto besser.

Es findet also eine Geldumverteilung von den fiskalisch solideren zu den unsolideren Staaten statt. Diese Anreize waren bekannt, seitdem es den Euro gibt. Die Idee war, über den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) diese Anreize auf Defizite von unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu beschränken. Doch der SWP war ein totaler Fehlschlag. Trotz zahlreicher Übertretungen wurde nie eine einzige Sanktion verhängt.

Das Hauptproblem liegt darin, dass die Regierungen ihre eigenen Richter sind. Bis jetzt haben sie immer entschieden, dass eine Strafe nicht nötig ist. Heute ist die Staatsverschuldung in mehreren Ländern der Eurozone so hoch, dass sie niemals zurückgezahlt wird. Die Regierungen sind entweder nicht in der Lage oder nicht willens dazu. Wenn sie ihre Steuerquote erhöhen, wird ihre Volkswirtschaft zusammenbrechen und die Defizite könnten noch steigen. Wenn sie die Ausgaben kürzen, könnte es soziale Unruhen geben. In beiden Fällen würden sie Einfluss und Stimmen verlieren. Da diese Schulden nicht zurückgezahlt werden, stellen sie Fehlinvestitionen dar.

Fehlinvestitionen

Fehlinvestitionen bedeuten, dass knappe Ressourcen bereits verschwendet worden sind und echtes Vermögen bereits vernichtet worden ist. Aber es ist noch immer nicht klar, wer die Hauptlast der Verluste tragen wird, die von untragbaren Wohlfahrtsstaaten und Rettungsaktionen für Wirtschaftssektoren verursacht wurden.

Bis zum Beginn der Staatsschuldenkrise wurde die Rechnung über die interne Geldumverteilung beglichen, die Bestandteil des Eurosystems ist. Hauptnetto-Beitragszahler waren die Bürger fiskalisch soliderer Länder wie Deutschland, die stillschweigend für den Kaufrausch an der Peripherie bürgten. Die Rettungspakete für Griechenland, Irland und Portugal haben diese Vermögenstransfers sichtbarer gemacht. Die Anreize für die Rettung verantwortungsloser Regierungen sind jetzt für jeden offensichtlich. Die Deutschen wollen die Rechnungen der Peripherieländer nicht mehr bezahlen. Aufgrund der Staatsschuldenkrise ist die Frage, wer für diese Fehlinvestitionen zahlen wird, neu aufgeworfen worden. Die Antwort auf diese Frage ist die entscheidende für die Zukunft des Euro. Theoretisch gibt es mehrere Möglichkeiten.

Sechs Rettungsmöglichkeiten

Die erste Möglichkeit besteht darin, dass die Peripherie- Regierungen selbst für ihr verantwortungsloses Handeln zahlen. Sie senken die Ausgaben und privatisieren öffentliches Eigentum. Dabei werden sie Einfluss und wahrscheinlich Stimmen verlieren.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass Regierungen im Kern – Deutschland, Finnland, die Niederlande, Österreich, vielleicht Frankreich – zahlen und Staatseigentum verkaufen.

Die dritte Möglichkeit ist, dass Steuerzahler in der Peripherie über eine höhere Steuerlast zahlen.

Die vierte Möglichkeit, dass die Steuerzahler im Kern zahlen. Dies könnte durch eine Fiskalunion bewerkstelligt werden. In einer Transferunion werden ständig Gelder von reicheren und solideren Ländern an ärmere Länder überwiesen. Andererseits können die Transfers auch über Eurobonds vollzogen werden. In dieser Variante geben Peripherieländer Eurobonds aus, die von allen Eurozonen-Staaten garantiert werden. Steuerzahler in den Kernländern zahlen indirekt, indem sie höhere Zinsen auf ihre öffentlichen Schulden akzeptieren. Die EFSF, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, ist eine weitere Variante dieser Option. Der Unterschied ist, dass in der EFSF die Kernländer mehr Kontrolle über die Emission von Anleihen haben, die der Rettung der Peripheriestaaten dienen.

Die fünfte Möglichkeit ist, dass aufgrund einer Preisinflation alle Geldnutzer in den Eurozonen-Ländern zahlen. Die EZB monetarisiert die Staatsschulden. Sie hat dabei mehrere Möglichkeiten. Sie könnte mehr Peripherie-Staatsanleihen kaufen. Sie könnte fortfahren, Peripherie-Staatsanleihen als Sicherheit zu akzeptieren. Sie könnte auch durch Monetarisierung mehr öffentlicher Schulden der Kernländer die Finanzierung der EFSF oder Eurobonds indirekt unterstützen.

Die sechste Möglichkeit ist, dass das Finanzsystem zahlt. Überverschuldete Staaten könnten ihrer Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen. Da das Finanzsystem die ausufernden Staatsausgaben finanziert hat und vernetzt ist, würde das Ergebnis eine Bankenkrise sein.

Wer setzt sich durch?

Die Peripherieländer und Frankreich bevorzugen eine Kombination aus Option vier und fünf, eine Fiskalunion und Monetarisierung. Die EZB bevorzugt eine Fiskalunion. Deutschland hingegen will einen reformierten SWP mit automatischen Strafen und stärkerer Einschränkung ausufernder Staatsausgaben. Deutschland hat ausserdem darauf bestanden, dass private Investoren, also Banken, wenigstens einen Teil der Verluste übernehmen. Mit anderen Worten: Deutschland will eine Kombination aus Option eins, drei und sechs: Sowohl Regierungen und Steuerzahler in den Peripherieländern als auch Banken müssen ihre Verluste tragen.

Die Zukunft des Euro und der EU hängt davon ab, wer schliesslich gewinnt. Wenn sich Frankreich und die Peripherieländer durchsetzen, wird es eine Fiskalunion und noch mehr Zentralisierung geben. Der Euro wird eine politische und schwache Währung sein. Wenn Deutschland sich durchsetzt, wird es einen reformierten SWP geben und der Euro wird langfristig eine starke Währung sein.

Mögliche Kettenreaktion

Es ist jedoch auch möglich, dass die Verliererseite so unzufrieden sein wird, dass die Eurozone auseinanderfällt. Im Fall eines deutschen Sieges können eine Ausweitung der Sparmassnahmen und eine Senkung des Lebensstandards in Griechenland zu unkontrollierbaren sozialen Unruhen führen. Griechenland könnte dann die Eurozone verlassen und seine neue Währung entwerten, um seinen Kaufrausch fortzusetzen. Dies könnte eine Kettenreaktion auslösen, bei der andere Länder die Eurozone verlassen und eine Bankenkrise verursachen.

Im Fall einer Niederlage Deutschlands wird in Europa eine stärkere Zentralisierung stattfinden und es wird in wenigen Jahren möglicherweise eine zweistellige Inflationsrate geben. Dann könnte eine deutsche Tea-Party-Bewegung entstehen, die sich gegen den Vermögenstransfer an die Peripheriestaaten wehrt. Und dann könnte Deutschland den Euro verlassen, was ebenfalls einen Zerfall der Eurozone und eine Bankenkrise auslösen würde.

Aber wessen Sieg ist wahrscheinlicher? Im Prinzip hat Deutschland die besseren Karten, da es zahlt und lediglich zu drohen braucht, die Bürgschaft der Peripheriestaaten einzustellen.

Für den Sieg der anderen Seite sprechen jedoch noch bessere Argumente. Frankreich war im Zweiten Weltkrieg auf der Siegerseite und hat mehr geopolitische Macht als Deutschland. Frankreich ist es bereits gelungen, die verhasste D-Mark abzuschaffen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland, aufgrund einer Kombination von Schuldkomplexen und angedeuteten Ausgrenzungsdrohungen, anderen Ländern Geld überwiesen. Da sich die geopolitischen Bedingungen nicht radikal geändert haben, kann es sehr gut sein, dass Deutschland auch in Zukunft zahlen wird, und dass der Euro eine schwache Währung sein wird.

Philipp Bagus

Erstabdruck: Magazin «eigentümlich frei», Ausgabe 121. Wir danken für die Abdrucks-Genehmigung.

Quelle: schweizerzeit

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