Gruppensolidarität (I)

Tageskommentar 03. November 2012: fortunato,
Teil I/III Gruppensolidarität

von fortunato (fortunanetz)

Betrachtet man die Weltgeschichte, so finden sich immer wieder Staaten, die sehr viel erfolgreicher sind als andere Staaten. Was macht manche Staaten so viel erfolgreicher als andere?

Das lässt sich am Besten erkennen, wenn man sich Beispiele nimmt, bei denen die Staaten sich vor allem durch anfängliche Armut auszeichnen. Interessant sind Erfolgsmodelle, bei denen keine natürlichen Reichtümer wie Edelmetalle oder fruchtbare Böden, oder auch strategisch günstige Handelsplätze vorlagen und dennoch ein ungeheurer Erfolg zu verzeichnen war.

Hierzu ein Beispiel: Brandenburg-Preußen galt im Mittelalter als „Streusandbüchse des Reiches“. Keine der damals bedeutenden Adelsfamilien wollte das Territorium vom Kaiser zugesprochen bekommen. Es gab dort nur sandige Böden mit schlechten Erträgen. Doch wie wir alle wissen, hat sich Preußen zu einer Macht entwickelt, die sich gegen jede Erwartung gegen alle deutschen Staaten und auch gegen die Mehrzahl der europäischen Großmächte wie Russland, Österreich-Ungarn und Frankreich als bedeutende und gleichberechtigte Großmacht durchsetzen konnte.

Wie haben sie das geschafft?

Ursprünglich steckte der preußische Staat seine Steuererträge vor allem in den Aufbau einer stehenden Armee, die überall im Land präsent war. Diese Armee diente sowohl der Landesverteidigung, als auch der Disziplinierung und Schulung der Bevölkerung. Zwar wird immer wieder der „preußische Militarismus“ hervorgehoben, doch wird dabei vergessen, dass dieser Militarismus nicht der einzige Punkt war, der Preußens Erfolg begründete.

Der preußische Staat setzte zu Anfang darauf, möglichst viele ausländische Wissensträger ins Land zu holen. Da Preußen aber ein armes und rückständiges Land war, mussten diese Wissensträger auch ein wichtiges Motiv haben, ins Land zu kommen. Preußen bot seinen Immigranten religiöse Toleranz, ein damals seltenes Gut, das sich nicht häufig fand. Vor allem gebildete Hugenotten, die in Frankreich wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, aber auch Niederländer und Gebildete aus deutschen Nachbarstaaten zog es nach Preußen, denn dieser Staat bot ihnen die nötige Freiheit für ihr Leben. Man importierte also Humankapital, indem man religiöse Toleranz sowie echte Entfaltungsmöglichkeiten für Existenzgründungen anbot.

In kürzester Zeit entwickelten sich in Preußen das Handwerk und das Manufakturwesen in schnellem Tempo. Müßig zu erwähnen, dass dies zu erhöhter Produktion, höheren Steuereinnahmen und zu einer allgemeinen Verbesserung des Lebensstandards im Land führte, da plötzlich Luxusgüter und Waren vorhanden waren, welche die Lebensqualität erheblich verbesserten.


Für die preußischen Beamten setzte der Staat einen hohen Maßstab an Pflichterfüllung durch, der das Land geradezu berühmt dafür machte. Der preußische Beamte hatte Vorbildfunktion für alle Bereiche des öffentlichen Lebens.

Vor allem unter Friedrich dem Großen ging der Staat systematisch dazu über, das Land zu erschließen, sei dies durch große Urbarmachungsprojekte, durch den systematischen Ausbau des Straßennetzes oder durch die Einführung der Kartoffel. Dies alles waren Aktivitäten des Staates, die Einkommens- und Ernährungssituation sowie die Lebensqualität der Bevölkerung allgemein und erheblich zu verbessern.

Die Krönung dieser Entwicklung war es, dass der König von Preußen, Friedrich der Große per Dekret verlangte, dass die Schriften der Aufklärung von Immanuel Kant von jedem Beamten gelesen werden sollte. Damit machte sich der preußische Staat zu einem weithin sichtbaren Leuchtfeuer der Aufklärung in Europa und der Welt.

Alle diese Elemente, gute Ausbildung der Beamten und des Militärs, systematische Anwerbung ausländischer Wissensträger, schnelle Entwicklung von Handwerk und Wissenschaft, Entwicklung der Wirtschaft und allgemeine Verbesserungen der Lebensqualität, sowie der aufklärerische Auftrag des preußischen Staates stifteten im Land eine enorme Gruppensolidarität. Diese katapultierte das kleine Land mit den schlechten Böden innerhalb weniger Generationen in den Kreis jener Länder Europas, die tonangebend waren..

Wie stark diese Gruppensolidarität war, sieht man daran, was in Preußen während der napoleonischen Besetzung geschah: Bürger und Wohlhabende spendeten ihrem Staat freiwillig zum Wiederaufbau der Armee ihren wertvollen Schmuck, um dafür Blechkreuze zu erhalten, die sie stolz trugen!

Was uns das Beispiel Preußen zeigt ist dies: Es ist möglich, aus einer „Streusandbüchse“ eine Großmacht zu machen, aber eben nur dann wenn die Gesellschaft als Ganzes von einer gelebten Gruppensolidarität getragen und zusammen gehalten wird.

Dieser Mechanismus der Gruppensolidarität wiederholte sich in Deutschland noch einmal und zwar nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Situation, in der das Land eine zerstörte Infrastruktur hatte und die Industrie ebenfalls am Boden lag. Durch die Besatzungszonen hatte die Territoriale Integrität des Landes aufgehört zu existieren. Es gab keine Regierung mehr, die das gesamte Volk vertrat. Wirtschaftlich und politisch lag das Land am Boden.

Die ganz große Leistung der Nachkriegsgeneration liegt in meinen Augen darin, dass sie nicht im Blick zurück zur Salzsäule erstarrten, sondern dass sie anpackten und die Trümmer der Katastrophe beseitigten. Dies gilt nicht nur im materiellen Bereich, indem sie die zerbombten Häuser neu errichteten, sondern auch im ideellen Bereich, indem sie einen echten Neuanfang wagten.

Zwar gelangte Deutschland auch bis heute nur zu einer Teilsouveränität (man denke nur an Schäubles Äußerung, dass Deutschland seit 1945 nie mehr souverän gewesen sei), dennoch schaffte es das Land, innerhalb weniger Jahre im wirtschaftlichen Bereich zu neuer Größe aufzusteigen und seinen internationalen Platz zurückzugewinnen. Gerade in Nachkriegs-Deutschland spielte die Gruppensolidarität eine entscheidende Rolle.

Mit der Währungsreform stiftete die Währung nämlich eine erste Gruppensolidarität – die D-Mark. Sie entpuppte sich nämlich als eine sehr harte und solide Währung, die weltweit hohes Ansehen genoss und die vor allem aufgrund ihrer Stabilität den Deutschen die Früchte ihrer Arbeit auch weitestgehend sicherte. Denn nur die Kaufkraft einer Währung entscheidet darüber, ob sie längerfristig die Erträge ihrer Arbeit genießen können.

Die repräsentative Demokratie hob sich wohltuend ab von den extremen Verhältnissen vor dem Zweiten Weltkrieg. Damit verbunden war die Existenz eines Rechtsstaates. Konkret bedeutete dies für den Einzelnen eine weitgehende, wenn auch nicht vollständige Rechtssicherheit im Zusammenhang mit seinen geschäftlichen und privaten Aktivitäten. Der Rechtsstaat tat den Menschen gut. Er verschaffte ihnen ein sicheres und planbares Leben. Dieses ist nämlich die Voraussetzung dafür, die Früchte ihrer Arbeit nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch aus gesellschaftlicher Sicht genießen zu können. Der Rechtsstaat trug ebenfalls wesentlich zur Gruppensolidarität bei. Die Deutschen arbeiteten gerne und viel, weil sie sich in einer Solidargemeinschaft zugehörig fühlten. Der Staat garantierte durch eine verlässliche und transparente Gesetzgebung Rechtssicherheit und damit auch Sicherheit für Wirtschaft und private Vermögen. Weder die Nachbarn noch der Staat tasteten in diesem Rechtsstaat das verdiente Eigentum in der Regel ohne Not an.

Da sich Deutschland um Rechtssicherheit und Währungsstabilität bemühte, konnte dies nur dann wirklich glaubwürdig sein, wenn man auch für jene sorgte, die es nicht schafften und die am Rande der Gesellschaft blieben. Daher propagierte und praktizierte man in der BRD lange Zeit die „Soziale Marktwirtschaft“, einer Wirtschaftspolitik, die auf Vollbeschäftigung zielte, sodass auch schwächere eine gute Möglichkeit hatten, ein auskömmliches Erwerbseinkommen zu erzielen. Diese Politik wurde flankiert durch ein Sozialsystem zum Schutz von unverschuldet in Not geratenen Bürgern. Wer arbeitslos oder sogar krank wurde, musste weder seine finanziellen Reserven aufbrauchen, noch sein Haus verkaufen Das Sozialsystem konnte alle absichern. Da die Beschäftigung so hoch war, blieben die Soziallasten beschränkt. Jeder konnte für sich selbst sorgen und sich in Zeiten der Not auf den Staat verlassen.

Die BRD ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie ein Land hauptsächlich durch Gruppensolidarität ein enormes Potential entfalten kann und sich selbst damit in hervorragender Weise einen Platz in der Geschichte sichern kann,… immer vorausgesetzt, die Gruppensolidarität wird auch gepflegt und fortentwickelt…. sie fällt nämlich nicht vom Himmel. Der Aufbau der Infrastruktur wurde aus Steuern finanziert, Staatsschulden wurden nur sehr zögerlich gemacht.

Quelle: fortunanetz

 

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