Globalisierung, Coronavirus und unsere prekäre medizinische Versorgungskette

F. William Engdahl (antikrieg)

Die gravierenden Risiken und Gefahren im Prozess des weltweiten Out-Sourcings und der so genannten Globalisierung der letzten etwa 30 Jahre werden deutlich, da der anhaltende Gesundheitsnotstand in ganz China lebenswichtige Weltlieferketten von China bis zum Rest der Welt bedroht. Während den Risiken für Smartphone-Komponenten oder die Autoherstellung durch Lieferungen von Schlüsselteilen aus China oder dem Ausfall von Öllieferungen in den letzten Wochen viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, besteht eine Gefahr, die im Hinblick auf das globale Gesundheitssystem bald alarmierend deutlich werden wird.

Wenn die erzwungene Schließung der chinesischen Produktion noch viele Wochen länger andauert, könnte die Welt einen Mangel an lebensnotwendigen Medikamenten und medizinischer Versorgung erfahren. Der Grund dafür ist, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Großteil der Produktion von Medikamenten und medizinischem Zubehör wie z.B. Operationsmasken nach China ausgelagert oder einfach in China von chinesischen Unternehmen zu weitaus günstigeren Preisen hergestellt wurde, was westliche Unternehmen aus dem Geschäft verdrängt hat.

Alleinige Quelle China

Nach Untersuchungen und Anhörungen im US-Kongress werden etwa 80% der derzeit in den USA konsumierten Medikamente in China hergestellt. Dazu gehören chinesische Unternehmen und ausländische Arzneimittelhersteller, die ihre Arzneimittelherstellung in Joint Ventures mit chinesischen Partnern ausgelagert haben. Laut Rosemary Gibson vom Bioethik-Forschungsinstitut Hastings Center, die 2018 ein Buch zu diesem Thema verfasst hat, ist die Abhängigkeit mehr als alarmierend.

Gibson zitiert medizinische Newsletter mit der Schätzung, dass heute rund 80% aller pharmazeutischen Wirkstoffe in den USA in China hergestellt werden. „Es sind nicht nur die Inhaltsstoffe. Es sind auch die chemischen Vorläufer, die chemischen Bausteine, aus denen die Wirkstoffe hergestellt werden. Wir sind von China abhängig, was die chemischen Bausteine zur Herstellung einer ganzen Kategorie von Antibiotika angeht … die als Cephalosporine bekannt sind. Sie werden in den Vereinigten Staaten jeden Tag Tausende von Malen für Menschen mit sehr schweren Infektionen verwendet“.

Zu den in China hergestellten Medikamenten gehören heute die meisten Antibiotika, Antibabypillen, Blutdruckmedikamente wie Valsartan, Blutverdünner wie Heparin und verschiedene Krebsmedikamente. Dazu gehören so gängige Medikamente wie Penicillin, Ascorbinsäure (Vitamin C) und Aspirin. Die Liste umfasst auch Medikamente zur Behandlung von HIV, Alzheimer, bipolaren Störungen, Schizophrenie, Krebs, Depressionen, Epilepsie und anderen. Eine kürzlich vom Handelsministerium durchgeführte Studie ergab, dass 97 Prozent aller Antibiotika in den Vereinigten Staaten aus China stammten.





Nur wenige dieser Medikamente werden als „made in China“ bezeichnet, da die Arzneimittelhersteller in den USA nicht verpflichtet sind, ihre Bezugsquellen anzugeben. Rosemary Gibson stellt fest, dass die Abhängigkeit von China bei Medikamenten und anderen Gesundheitsprodukten so groß ist, dass „… wenn China morgen die Tür schließen würde, würden die Krankenhäuser in den Vereinigten Staaten innerhalb weniger Monate nicht mehr funktionieren“. Das ist vielleicht gar nicht so weit weg.

Als die Auslagerung der amerikanischen und europäischen Arzneimittelherstellung nach China begann, konnte sich niemand vorstellen, dass die gegenwärtige Gesundheitskatastrophe innerhalb weniger Tage aus Wuhan herauswachsen würde. Die massive chinesische Quarantäne seit Ende Januar hat etwa 75-80% aller chinesischen Fabriken geschlossen und eine beispiellose Binnennachfrage Chinas nach jeder Art von Medizinprodukten geschaffen, seit die WHO Ende Januar den medizinischen Notstand um das Coronavirus oder die COVID-19-Ereignisse ausgerufen hat. Es ist unklar, wie stark die Lieferungen lebenswichtiger Arzneimittel, einschließlich lebenswichtiger Antibiotika aus China in die USA oder nach Europa oder in andere Länder betroffen sein werden, obwohl es immer wieder vereinzelte Berichte von Krankenhäusern gibt, die allmählich Lieferschwierigkeiten haben. Selbst der Gedanke, sich an Indien, einen anderen großen globalen Arzneimittelzulieferer, zu wenden, ergibt nur, dass die meisten indischen Hersteller in Bezug auf ihre Wirkstoffe von China abhängig sind.

 

Clinton und Outsourcing

Die Entwicklung Chinas in den letzten Jahren zum globalen Giganten in Bezug auf pharmazeutische Medikamente und Produkte ist in den nationalen Plan ‚Made in China-2025‘ als einer der zehn vorrangigen Bereiche eingebettet, in denen China die weltweite Führung übernehmen soll. Es ist keine zufällige Entwicklung gewesen. Dies wiederum, wie die gegenwärtige COVID-19-Krise sehr deutlich macht, bringt eine enorme Verwundbarkeit für den Rest der Welt mit sich.

Wie hat sich eine solch einseitige Situation entwickelt? Wir müssen zurückgehen auf die Rolle der Clinton-Präsidentschaft in dem, was damals als Globalisierung bezeichnet wurde, das Davoser Modell der Auslagerung von allem und jedem aus den fortgeschrittenen Industrieländern wie den USA oder Deutschland nach dem Jahr 2000 vor allem nach China.

Im Mai 2000 gelang es Bill Clinton in einer der weitreichendsten Aktionen seiner Präsidentschaft mit der starken Unterstützung der multinationalen US-Konzerne, gegen die starken Einwände und Warnungen vieler Gewerkschaften die Verabschiedung eines dauerhaften Handelsstatus als „meistbegünstigte Nation“ für China und die Unterstützung der USA für den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation durch den Kongress zu erreichen. Das gab den amerikanischen Unternehmen grünes Licht für eine Flut von Übersee-Investitionen in die billigere chinesische Produktion, die als „Auslagerung“ bekannt ist. Große Arzneimittelhersteller waren unter ihnen. Innerhalb von zwei Jahren nach der Verabschiedung des Freihandelsabkommens der USA mit China schlossen die USA ihre letzte Penicillin-Fermentationsanlage im Bundesstaat New York aufgrund der starken chinesischen Billigkonkurrenz.

Im Jahr 2008 bezeichnete die chinesische Regierung die pharmazeutische Produktion als „Industrie mit hoher Wertschöpfung“ und stärkte die Branche durch Subventionen und Steuererleichterungen für den Export, um die Pharmaunternehmen zum Export ihrer Produkte zu ermutigen. Bis 2019 war China bei weitem die weltweit größte Quelle für aktive pharmazeutische Wirkstoffe (APIs) geworden.

Die Achillesferse dieser Globalisierung und die alleinige Abhängigkeit für lebenswichtige Medikamente von einem Land wird nun alarmierend deutlich, da die Zukunft Chinas als zuverlässiger Lieferant der benötigten Medikamente und anderer medizinischer Güter plötzlich zu einer ernsten Sorge für die ganze Welt geworden ist.

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1 Kommentar

  1. Das ist mir seit Jahren als große Gefahr bewußt und es ist mir komplett unverständlich, wie man seine eigene Bevölkerung derart an die Wand fahren kann. Ein Teil der allseits verteilten Milliardensubstitutionen in wenigstens eine deutsche Pharmafirma, am besten eine staatliche, zu stecken, um ein Minimalprogramm im eigenen Land aufrecht zu erhalten, wäre kein großer Akt gewesen. Für diese Erkenntnis muß man nicht überdurchschnittlich begabt und auch nicht hellseherisch veranlagt sein.  

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