Von Theresia Theurl
Genossenschaften werden bekanntlich häufig missverstanden. So werden sie nicht selten fälschlicherweise als gemeinnützige Einrichtungen, als Non Profit-Organisationen oder gar als Instrumente der Wirtschaftspolitik verkannt. Obwohl diese Kategorisierungen falsch sind, übernehmen Genossenschaften gesellschaftliche Verantwortung, wenn auch auf andere Weise wie hier aufgezeigt werden soll.
Gegen isolierten Investoreninteressen
Das Besondere von genossenschaftlichen Strategien ist, dass die Nachteile einer kurzfristig ausgerichteten ShareholderValue-Orientierung vermieden werden, obwohl alle Aktivitäten an den Interessen der Eigentümer ausgerichtet sind. Doch Kunden und Eigentümer sind eine genossenschaftsspezifische Personalunion, die es ermöglicht, Entscheidungen simultan zu optimieren. Sie erfolgen daher nicht zulasten einzelner Stakeholder-Gruppen. Da Genossenschaftsanteile nicht auf dem Finanzmarkt gehandelt werden unterbleibt die Bewertung unternehmerischer Entscheidungen durch kooperationsexterne Akteure, die ausschließlich an der Rendite interessiert sind. Die Unvollkommenheiten und die Eigendynamik von Finanzmärkten finden daher keinen direkten Weg in die genossenschaftlichen Entscheidungsgremien. Für Genossenschaften sind Investoren aus einem solchen Umfeld als Kapitalgeber nicht verfügbar. Dies ist die Kehrseite, es ist für sie aber auch nicht notwendig, isolierte Investoreninteressen zu bedienen.
Nicht finanzmarktgetrieben
Überwiegend auf die kurze Frist der Finanzmärkte ausgerichtete Entscheidungen und Transaktionen werden daher nicht in Genossenschaften übertragen, wodurch die in diesem Geschäftsmodell angelegte langfristige Wertorientierung auch nicht ausgehöhlt werden kann. Genossenschaften können nicht finanzmarktgetrieben werden. Die Disziplinierung des Managements erfolgt ausschließlich durch Eigentümer, die an realwirtschaftlichen Transaktionen interessiert sind sowie durch den Wettbewerb auf den relevanten Güter- und Faktormärkten. Somit folgen aus der genossenschaftlichen Governance eine strikt realwirtschaftliche Verankerung und ein klares ordnungspolitisches Profil, das einer marktwirtschaftlichen Wirtschafts- und einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung entspricht.
Stabilisierung von Erwartungen
Es gilt als nächstes zu fragen, ob aus dieser Konstellation zusätzlich positive Effekte entstehen, die über Genossenschaften hinauswirken. Dies ist tatsächlich der Fall. So kann das aufgezeigte Profil Informationsasymmetrien abbauen, Erwartungen von Menschen stabilisieren und Unsicherheit reduzieren, womit informations- und transaktionskostensenkende Effekte verbunden sind. Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter von genossenschaftlichen Kooperationen sowie eine breitere Öffentlichkeit können sich auf das Verhalten von Genossenschaften und ihren Mitgliedern einstellen, das durch die MemberValue-Orientierung geprägt ist und Verhaltensspielräume einschränkt. Dies geschieht durch den Verzicht auf eine isolierte und kurzfristig orientierte Gewinnmaximierung sowie durch die Unterlassung des kurzfristig motivierten Wechsels von Transaktionspartnern. Daneben gelingt es Genossenschaften nicht nur, sich von destabilisierenden finanzmarktbedingten Fehlentwicklung abzuschotten, sondern sie sogar in ihren Auswirkungen auf die Realwirtschaft abzufedern. Daraus folgende Wirkungen zeigen sich besonders ausgeprägt in Finanzmarktkrisen.
Nachhaltige Strategien
Die inhärent langfristige Orientierung ermöglicht nachhaltige Unternehmens- und Kooperationsstrategien und dies in einem umfassenden Sinne: ökonomisch, ökologisch und sozial. Genossenschaften haben einen natürlichen Wettbewerbsvorteil in der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien, die zunehmend eingefordert werden und zwar um Unternehmen zu wertvollen Gesellschaftsmitgliedern zu machen. Sie verfolgen sie nämlich bereits seit dem vorletzten Jahrhundert. Zusammengenommen können daraus positive Wirkungen genossenschaftlicher Aktivitäten abgeleitet werden, die über die Grenzen von Genossenschaften hinausreichen. Sie sind gesellschaftlich wertvoll und wohlfahrtserhöhend. Sie sind jedoch nicht die Gründungsursache von Genossenschaften. Dennoch bedeuten sie gesellschaftliche Verantwortung.
Gelebte Subsidiarität
Eine weitere Quelle gesellschaftlicher Verantwortung von Genossenschaften beruht darauf, dass die interne Zusammenarbeit als kollektive Selbsthilfe entsteht und nicht auf externe Unterstützung und paternalistische Akte rückführbar ist. Dies entspricht dem Subsidiaritätsprinzip und korrespondiert mit dem ordnungspolitischen Profil von Genossenschaften. Die genossenschaftliche Kooperationsrente soll die Performance der Kooperationspartner verbessern, deren einzelwirtschaftliche Zielfunktionen besser erreichen lassen. Genossenschaften werden jedoch auch gegründet, um überhaupt wirtschaftliche Aktivität, einen Markteintritt oder die Verwirklichung konkreter wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Projekte zu ermöglichen.
Wirtschaftliche Teilhabe
Die Referenzsituation bildet dann das vollständige Fehlen solcher wirtschaftlicher oder anderer Aktivitäten mit den entsprechenden einzel-, aber auch gesamtwirtschaftlichen Folgen. Die genossenschaftliche Organisation neuer Märkte und Wertschöpfungsketten sowie die Entwicklung neuer Problemlösungen, das Schließen von Versorgungslücken in Bereichen, aus denen der Staat sich zurückzieht sowie die Kompensation eines fehlenden lokalen Angebots sind Beispiele für solche Konstellationen. Genossenschaften bilden dann einen Nukleus für die Entstehung einer wirtschaftlichen Basis für einen Standort und von Wirtschaftskreisläufen in Regionen. Es ist leicht zu erkennen, dass deren Wirkung weit über die einzelwirtschaftlichen hinaus gehen. Dies gilt dann noch verstärkt, wenn Gesellschaftsgruppen initiativ werden, denen andere Optionen fehlen, also auf diese Weise wirtschaftliche Teilhabe möglich wird.
Aufwertung von Lebens- und Wirtschaftsräumen
Sind Genossenschaften in ihrem MemberValue-Bestreben erfolgreich, entstehen quasi als Nebenprodukte gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Effekte. Mit der zusätzlichen Wertschöpfung entstehen Arbeits- und Ausbildungsplätze mit den entsprechenden Einkommenserzielungsmöglichkeiten. Genossenschaften vergeben Aufträge, sie tragen zum Steueraufkommen bei, sie investieren in Infrastrukturen. Den genossenschaftlichen Aktivitätsfeldern entsprechend erfolgt dies vorwiegend auf der lokalen und regionalen Ebene. Auf diese Weise können Lebens- und Wirtschaftsräume aufgewertet, das Umfeld stabilisiert und die Lebensqualität erhöht sowie die Zukunft eines wirtschaftlichen Standortes sicher gestellt werden. Dies sind sekundäre Effekte der Selbsthilfe von Unternehmen und Menschen.
Korrektur von Funktions- und Ergebnismängeln
Genossenschaften sind in der Lage zur Lösung kollektiver Herausforderungen in Marktwirtschaften beizutragen und damit die staatliche Wirtschaftspolitik zu ergänzen, zu entlasten oder gar zu ersetzen, indem sie Funktions- und Ergebnismängel verringern. Die Abwägung zwischen der Nachfrage nach staatlichen oder privaten Transferleistungen und einer kollektiven Selbsthilfe setzt direkt an der Korrektur marktwirtschaftlicher Ergebnismängel an. Ein aktuelles Beispiel ist unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Engpässe bei staatlich organisierten und finanzierten Maßnahmen der Vorsorge für Alter, Pflege und Gesundheit die genossenschaftliche Organisation dieser persönlichen Dienstleistungen.
Kollektive Risikobewältigung
Die genossenschaftlichen Informationsbeschaffungs- und Monitoringkostenvorteile durch die dezentrale Verankerung ermöglichen eine überlegene Bewältigung von Informationsasymmetrien, die zu Marktversagen führen. In frischer Erinnerung ist die überlegene Performance der genossenschaftlichen FinanzGruppe im Zuge der globalen Finanzmarktkrise, mit der diese Effekte überzeugend demonstriert werden konnten. Genossenschaften sind nicht nur Informationspools, sondern auch solche, die eine kollektive Risikobewältigung ermöglichen, was Staat und Wirtschaftspolitik entlasten kann.
Internalisierung externer Effekte
Genossenschaften sind in der Lage externe Effekte zu internalisieren. Mit Verursachern und Betroffenen als Mitgliedern können private Lösungen dieser Form des Marktversagens gefunden werden und können öffentliche Güter genossenschaftlich organisiert werden. Dezentrale genossenschaftliche Kooperationen werden heute selbst zur Organisation globaler öffentlicher Güter in Erwägung gezogen (vgl. dazu auch http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=10945). Die Substitution oder Ergänzung staatlicher Lösungen ist dann naheliegend, wenn diese nicht in ausreichendem Masse zustande kommen und wenn die einzelwirtschaftlichen Zielfunktionen entsprechende Präferenzen enthalten.
Infrastrukturclubs
Durch subadditive Kostenstrukturen entstehende natürliche Monopole bilden einen weiteren Marktversagenstatbestand, der genossenschaftlich angegangen werden kann und auch wird. Genossenschaften können auch als Clubs verstanden werden. Als solche beinhalten sie eine Alternative zu staatlicher Organisation und Regulierung. So können genossenschaftliche Infrastrukturclubs z. B. für regionale Autobahnnetze, Schienennetze oder die Energieversorgung gegründet werden, dies sowohl von privaten Nutzern als auch von Anbietern von Vorleistungen. Auch für diese Leistungen können die Informations- und Anreizvorteile genutzt werden, die die genossenschaftliche im Vergleich zur staatlichen Governance aufweist. Entsprechende Organisationsfragen stellen sich im Zuge von Privatisierungs- und Deregulierungsprojekten.
Stark im Wandel
Entwicklungen, die von Menschen und Unternehmen Anpassungen und Weichenstellungen verlangen, haben seit jeher auch genossenschaftliche Antworten gefunden, um Anpassungsmängel zu bewältigen. Fehlen Alternativen oder passen diese nicht zu den Präferenzen der Menschen, etwa weil Abhängigkeit von Staat und Privaten vermieden werden soll, macht es Sinn zu prüfen, ob man sich zusammen selbst helfen kann. Als Konsequenz wird staatliche Wirtschaftspolitik durch private Aktivitäten substituiert. Es hat sich auch gezeigt, dass sich Genossenschaften dafür eignen, wirtschaftspolitische Vorgaben dezentral umzusetzen und zwar nicht als Auftragnehmer des Staates, sondern einzelwirtschaftlich motiviert. Das markanteste Beispiel sind die im Zuge der Energiewende (vgl. dazu auch http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=10370).
Wertvolle Kollateraleffekte
MemberValue-orientierte Kooperationen, die von den Partnern im einzelwirtschaftlichen Interesse eingegangen werden, sind also unter Berücksichtigung der jeweiligen Voraussetzungen in der Lage, marktwirtschaftliche Funktions- und Ergebnismängel zu korrigieren oder abzumildern und somit staatliche Wirtschaftspolitik zu ergänzen oder partiell zu substituieren. Auch dieser Blickwinkel offenbart gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Zusatzeffekte einer einzelwirtschaftlichen Orientierung durch genossenschaftliche Zusammenarbeit. Er demonstriert damit die inhärente gesellschaftliche Verantwortung von Genossenschaften und zeigt sehr deutlich, dass diese nicht im Widerspruch zu ihrem effizienz- und präferenzorientiertem Wirtschaften steht. Ausschlaggebend ist, dass die skizzierten gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wirkungen nicht den Zweck einer Genossenschaft ausmachen. Es handelt sich vielmehr um Kollateraleffekte, die als solche nicht intendiert sind. Doch auch sie verkörpern gesellschaftliche Verantwortung.
Quelle: wirtschaftlichefreiheit
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Nach einem Finanzcrash, der früher oder später mit fatalen Folgen auf uns zu kommen wird, wären genossenschaftliche Einrichtungen bei einem Neustart nicht nur förderlich, sondern auch unabdingbar für ein gemeinschaftliches, menschliches Miteinander. Profit dient nicht der Gemeinschaft, sondern spaltet sie.
Wir müssen endlich weg vom Profitdenken und hin zur Solidarität und Vergemeinschaftung menschlichen Handelns. Die Zeit dafür ist reif. Packen wir’s endlich an. Es geht auch anders und zwar mit kommunaler Selbstverwaltung. Ein kleines Dorf in Andalusien hat es bewiesen.
Marinaleda: Es geht auch anders !
Dazu noch folgendes.
Food-Genossenschaft in Zürich will alternatives Vertriebssystem
Von: Ivan Hochstrasser
Wie schon oft steckt die globalisierte Konsumgesellschaft wieder mal in einem Nahrungsmitteldebakel. Dass die Grossverteiler von Migros über Coop bis Aldi & Co wacker mit profitieren ist nicht neu.
Dass es Alternativen dazu gibt und wir uns in diese integrieren können, kann die Swiss Foodcoop Genossenschaft (in Gründung) aufzeigen. Siehe –> Swiss Foodcoop www.sfcoop.ch
Wenn wir in (Zürich) genügend InteressentInnen finden, können wir hier lokale Vertriebsstellen aufbauen. Kurz zusammengefasst die Vorteile: Produkte aus lokaler Produktion direkt von den Produzenten (nicht nur Nahrungsmittel); Ausschalten des Zwischenhandels und daher markant günstigere Preise; Selbstbestimmung der Produkteauswahl.Die Aufbauarbeit von der Swiss Foodcoop wurde von einem eigens dazu gebildeten Verein, der als Einkaufsgemeinschaft in Zürich Wiedikon aktiv ist, geleistet. Daraus soll jetzt eine Genossenschaft entstehen. Die Gründungsversammlung ist am Montag, 11. März um 19 Uhr im Quartiertreff Enge!
Quelle: zeitpunkt
Es geht doch. Nicht Reden, sondern Handeln.
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