Focus und der ignorante Wahlberechtigte

von Gert Flegelskamp

Längst ist Wahlzeit, das drückt sich nicht nur in den Aussagen der Politiker aus, sondern auch und vor allem in den Aussagen der Presse aus.

Eine Zeitung, die aus meiner Sicht sehr parteiisch ist, ist der Focus und dort konnte ich heute einen Artikel von der Chef-Korrespondentin Martina Fietz lesen, die sich dahingehend äußert, dass Nichtwähler ignorant sind und kein Pardon verdienen.

Sehen wir mal davon ab, dass die Kommentarspalten bei Focus oft zensiert werden, wenn der Kommentar den diensthabenden Redakteuren nicht gefällt (praktische Erfahrung, weil bereits verschiedentlich Kommentare von mir mit pauschalm Verweis auf die Netiquette abgeschmettert wurden, ohne Verweis auf die Art des Verstoßes), ist der Raum für einen Kommentar auch sehr begrenzt und lässt eigentlich nur sehr kurz gefasste Meinungsäußerungen zu, die nicht reichen, den Kern eines Artikels auch wirklich anzusprechen.

Aber unwidersprochen wollte ich den Artikel auch nicht hinnehmen und habe deshalb über das Impressum eine Mail an Frau Fietz geschrieben, von der ich allerdings auch nicht weiß, ob sie wirklich auf deren Schreibtisch landet.

Sehr geehrte Frau Fietz,

Ihren Artikel zu den Nichtwählern habe ich gelesen und nehme das zum Anlass, auch Ihnen einige Merkmale aufzuzeigen, die bei mir die Frage aufwerfen, wo denn nun die Ignoranz wirklich zu suchen ist, bei den Nichtwählern oder bei der parteiischen Presse (und der Focus ist seit jeher sehr parteiisch):

Ich schlage Ihnen vor, sich für 2 kleine Änderungen im Wahlrecht einzusetzen.

Erstens: die Sitzverteilung im Bundestag und in den Landtagen erfolgt grundsätzlich auf Basis der Wahlberechtigten, statt wie bisher auf Basis der gültig abgegebenen Stimmen.

Zweitens: Die Möglichkeit, auf dem Wahlzettel anzukreuzen, dass ich keine der aufgeführten Parteien für wählbar halte und diese Wahlentscheidung auch als gültig abgegebene Stimme zu führen und zu berücksichtigen.

Erst dann dürften Sie Nichtwähler als ignorant bezeichnen, weil die heutigen Nichtwähler keine Möglichkeit haben, ihr nicht- oder ungültig wählen als Protest gegen die herrschende Politik anders als durch Fernbleiben oder ungültig machen der Wahlzettel zum Ausdruck zu bringen.

Wenn Sie von Bildung sprechen, welche meinen Sie? Die niedersächsische, die bayrische, die hessische oder welche sonst. Wenn Sie von den Straßen sprechen, zählen Sie mal die mitunter lebensbedrohlichen Schlaglöcher auf unseren Straßen. Kein Geld, so das politische Argument, aber die Teilnehmer am Straßenverkehr werden steuerlich ziemlich stark beansprucht, nur fließen diese Gelder in andere Kanäle. Auch die Zielsetzung dieser Vernachlässigung ist klar und wird im bereits von Rot-Grün verabschiedeten ÖPP-Beschleunigungsgesetz klar definiert. Sie reden über Kitas? Was sollen die anderes werden, als Verwahranstalten für Karrierefrauen, damit sie möglichst schnell wieder der industriellen Nutzung zur Verfügung stehen?

Sie erwähnen das EEG? Werden mit diesem Gesetz nicht die Kosten für die Energiewende in vollem Umfang auf die privaten Verbraucher abgewälzt, während das Industriekartell der Energiewirtschaft weiterhin Milliarden an Gewinnen einstreicht.

Mit der Erwähnung der Wahlprogramme wollten Sie sicherlich Ihren Beitrag ein wenig scherzhaft auflockern. Müntefering: „Es ist unfair, Politiker nach der Wahl an ihre Versprechungen von vor der Wahl zu messen“ (so oder so ähnlich hat er sich doch ausgedrückt). Haben Sie nicht den Ausspruch von Frau Merkel auf dem 60-jährigen Jubiläum der CDU mitbekommen? „…denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“

Nun, ob Lissabonvertrag oder ESM, sie hat schon mehrfach bewiesen, dass es ihr mit diesem Ausspruch ernst ist.

Mit freundlichen Grüßen
Gert Flegelskamp

Ich weiß natürlich nicht, ob Frau Fietz diese Mail jemals lesen wird, es sei denn, sie antwortet.

Natürlich hat sie ein wenig recht, wenn sie zum Ausdruck bringt, man könne seine Stimme ja einer der übrigen Kleinparteien geben. Doch wer sich mit diesen Kleinparteien ein wenig näher befasst, stellt bei den meisten von ihnen fest, dass sie ziemlich einseitige Interessen vertreten. Bei der NPD oder der REP wissen das fast alle Wähler und auch Nichtwähler und diesen beiden Parteien ihre Stimme zu verweigern, wird (offiziell) sogar von CDU/CSU und FDP gelobt. Allerdings bin ich nicht so ganz sicher, wie ernst diese genannten Parteien ihre Kritik nehmen, schließlich sind sie ja mehrheitlich die Erben der Partei, die Deutschland und viele andere Länder bis 45 ins Unglück gestürzt hat. Und so sehr sie von der Linken die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit fordern, so wenig haben sie ihre eigene Vergangenheit aufgearbeitet.

Aber ein Lichtstreif zeichnet sich ja für die nächste Bundestagswahl ab. Die Alternative für Deutschland, kurz AfD genannt, wurde gegründet. Ich versteige mich nun in die Behauptung, dass diejenigen, die diese Partei wählen werden, die echten Ignoranten sind und sich wie schon vor 80 Jahren von reiner Propaganda täuschen lassen. Die Macher dieser Partei sind Sympathisanten der INSM, sind aus meiner Sicht rechts von der FDP angesiedelt und machen im Prinzip auch kein Hehl von ihrer Einstellung, die man heute als neoliberal bezeichnet (obwohl das nicht wirklich neoliberal ist) und deren Interessen ausschließlich auf die Interessen der Großindustrie ausgerichtet sind. Lucke, dem in den Medien eine breite Präsenz geboten wird, ist einer der Initiatoren des Hamburger Appels und dieser Appell war nun wirklich nicht auf die Interessen der so genannten kleinen Leute ausgerichtet.

Schaue ich mir also die Wahlprogramme der Kleinstparteien an, lesen sich die eigentlich oft sehr gut. Sie wollen alles besser machen. Aber was sind Wahlprogrammen überhaupt? Lohnt es, sie zu lesen? Ich denke, eher nicht, denn es sind Versprechungen, die keine Partei wirklich erfüllen kann, auch dann nicht, wenn sie in den Bundestag gewählt wird. Seit 1949 hat es nur eine Wahlperiode gegeben, in welcher die CDU/CSU alleine regieren konnte, also ohne Koalitionspartner und genereller Koalitionspartner war bis zum Auftauchen der Grünen die FDP. Welchen Einfluss die auf die Regierungsaktivitäten nehmen konnte, hat sie mehrfach bewiesen. Nicht die CDU/CSU oder die SPD war richtungsweisend für die Politik, sondern die FDP und wollte man nicht wie sie, hat sie mit einer Vertrauensfrage für einen Politikwechsel gesorgt (1966 Kabinett Erhard), 1982 Kabinett Schmidt.

Die scheinbaren Mehrheiten zerbröseln, wenn der Koalitionspartner nicht mitspielt und egal, ob FDP oder Grüne, beide kochen ihr eigenes Süppchen und lassen sich die großen Parteien darauf nicht ein, bekommen sie auch keine Mehrheit und besonders heute sind diese Mehrheiten äußerst fragil.

Das ist der Grund, warum man in Wahlprogrammen so schöne klingende und hehre Vorstellungen festschreiben kann. Wenn man sie nicht verwirklicht, ist eben der Koalitionspartner Schuld. Und dass man auch Politik unterlassen kann, indem man den Ball der Verhinderung zwischen den hin und her schiebt, beweist die Regierungskoalition seit 2009.

Was Frau Fietz in ihrem Artikel auch betont, ist die Demokratie, deren Aufrechterhaltung ja nach dem Votum des Wählers in Form einer Stimmabgabe regelrecht schreit. Eine solche Aussage kann eigentlich nur amüsieren. Von welcher Demokratie spricht die Dame da eigentlich? Was ich von unserer Demokratie halte, habe ich schon öfter, u. a. im Beitrag Faschismus geäußert. Aus Sichte der Wähler hat man eigentlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera (sinnbildlich gesprochen) oder der Wähler wählt aus Resignation das „kleiners Übel“. Aber das kleinere Übel vermag ich nicht zu finden, denn das in der Opposition befindliche „kleinere Übel“ hat nur momentan nicht die Macht, dem Bürger in gleicher Weise übel mitzuspielen, wie die Regierungsparteien.

Der Wähler kommt mir dabei ein wenig wie ein Gefängnispsychiater vor, der einem Kinderschänder bescheinigt, dass er sich gebessert habe und deshalb keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstelle. Aber Pädophile sind krank und bleiben in den meisten Fällen auch krank. Im Gefängnis haben sie aber keine Gelegenheit, ihre Triebe auszuleben und können deshalb sogar selbst glauben, ihre Triebe nun unter Kontrolle zu haben. Lässt man sie aber wieder auf die Allgemeinheit los, sind die Verlockungen wieder da, die im Gefängnis fehlten und die Triebe übernehmen dann oft wieder die Führung. Sie haben wieder die Gelegenheit und die Zahl derer, die sich nach ihrer Freilassung dann wirklich unter Kontrolle haben, ist eher gering.

Leider habe ich versäumt. Frau Fietz zu fragen, was sie mit „verdienen kein Pardon“ gemeint hat. Irgendwie scheint Frau Fietz auch nicht begriffen zu haben, dass es den etablierten Parteien nur recht ist, wenn die Leute, die durch Wahlverweigerung ihren Protest zum Ausdruck bringen, damit nicht nur erfolglos sind, denn man kann sie nicht als Protestierende ausmachen, sondern den etablierten Parteien sogar noch einen Gefallen tun, weil sie mit ihrer Nichtwahl das offizielle Prozentergebnis der Parteien erhöhen, das ja nur aus den gültig abgegebenen Stimmen errechnet wird. Und es gibt etliche Wahlen, in denen die FDP oder die Grünen an der 5%-Hürde gescheitert wären, würde man das Wahlergebnis von der Zahl der Wahlberechtigten statt von den gültig abgegebenen Stimmen berechnen.

Geht man heute einkaufen und achtet dabei auf die Angabe im Kleingedruckten, wo das Produkt hergestellt wurde, dann liest man heute vor allem bei billigen Produkten „Made in China“ oder „Made in Taiwan“ und weiteren Produktionsstandorten aus dem asiatischen Raum. Bei deutschen Politikern müsste, so denke ich, zumindest auf den Fußsohlen ein „Made in USA“ eintätowiert sein.

Eingangs habe ich erwähnt, dass ich den Focus für sehr parteiisch halte. Aus meiner Sicht ist diese parteiische Haltung in der Mitte angesiedelt, wobei ich die Mitte zwischen CDU/CSU und FDP meine und nicht die Mitte der Bevölkerung. Dort würde ich den Focus eher rechts verorten. Aber alle unsere „großen“ Zeitungen sind vor allem politischen Parteien „zugeneigt“, um es vorsichtig auszudrücken Die WELT, die Sueddeutsche und die FAZ sehe ich ebenfalls eher rechts angesiedelt, den Spiegel ein wenig links bei der SPD und von der ZEIT sollte man glauben, auch sie sei links der SPD zugetan, weil ja der Herausgeber Helmut Schmidt früher mal Kanzler der SPD gewesen ist. Doch ich sehe das anders. Für mich ist die ZEIT das Sprachrohr der Bilderberger, zu denen ich Helmut Schmidt ebenfalls zähle. Einmal mehr hat sie das mit der US-Kolumne Überwachungsstaat? Find ich gut! unter Beweis gestellt und sich von den Aussagen des Autors nicht einmal distanziert. Und dass die ZEIT kein demokratisches Presseorgan ist, erkennt man an der Zensur von Leserkommentaren. Früher habe ich die ZEIT mal für ein seriöses Blatt gehalten, heute muss ich eingestehen, dass ich mich geirrt habe.

Bliebe noch die BILD, denn die darf man ja im deutschen Blätterwald nicht vergessen. Ist die BILD nun eher rechts, mehr der Mitte oder gar links einzuordnen? Nun, ich denke, nichts von alledem. Ich halte die BILD für ein Hetzblatt. Teile und herrsche (divide et impera) heißt es ja schon seit tausenden von Jahren und dieses teilen, das übernimmt die BILD. Sie sorgt dafür, dass die Gesellschaft geteilt wird, indem sie mit ihren Artikeln Gesellschaftsschichten gegeneinander ausspielt. Da ist verständlich, dass die, die gestern die Bösen waren, morgen als Opfer dargestellt werden. Das ist die Aufgabe der BILD und diese Aufgabe erfüllt sie meisterhaft.

Quelle: flegel

 

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