Finanzmärkte fern jeder Realwirtschaft

Schlechte Wirtschaftsdaten versetzen globale Märkte in Feierlaune

Von Andre Damon (wsws)

Die Börsen starteten in Europa und in Nord- und Südamerika mit einer Kursrally in den November. Schon im Oktober verzeichneten sie die größten monatlichen Kursgewinne der letzten vier Jahre. Der amerikanische Nasdaq 100 schloss am Montag auf dem höchsten Niveau seit fünfzehn Jahren.

Der Dow Jones stieg im Oktober um mehr als acht Prozent, der Euro Stoxx 50 kletterte um mehr als elf Prozent, der japanische Nikkei lag um fünf Prozent höher und der chinesische Schanghai Composite Index zog um fast neun Prozent an.

Allerdings feiern die Märkte im Moment nicht etwa eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Es sind im Gegenteil mehrere negative Wirtschaftsdaten, die sie in Feierlaune versetzen. Diese Daten zeigen, dass die Weltwirtschaft immer noch in einer Krise steckt und sich weiter verschlechtert. Die Finanzmärkte und die Realwirtschaft driften stark auseinander, was bedeutet, dass Finanzspekulation und Parasitismus anwachsen und sich seit dem Wall Street Kollaps von 2008 stark beschleunigt haben.

Die Finanzaristokratie versteht wirtschaftliche Stagnation als Anreiz für die Zentralbanken, weiter unbegrenzt billigste Kredite in die Finanzmärkte zu pumpen. Damit befördern die Notenbanken die Inflation in Aktien und Anleihepreisen und subventionieren eine Profit-Bonanza und Vermehrung der Milliardärsvermögen. Die andere Seite der Medaille ist eine gnadenlose Austeritätspolitik und Lohnsenkung gegen die Arbeiterklasse und eine beispiellose Zunahme sozialer Ungleichheit.

Dieses Muster war auch am Montag erkennbar, als die Aktienpreise anzogen, obwohl negative Wirtschaftsdaten vorlagen. Das Institut für Supply Management sagte, sein amerikanischer Index der Verarbeitenden Industrie sei im Oktober den vierten Monat hintereinander gefallen und habe den niedrigsten Stand seit zweieinhalb Jahren erreicht. Zahlen aus China zufolge ist der verarbeitende Sektor des Landes unerwartet den dritten Monat in Folge gesunken. Gleichzeitig ist das Wirtschaftswachstum in Europa so schwach, dass die Gefahr einer Deflation nicht auszuschließen ist.

Das sind nur die jüngsten von zahlreichen Wirtschaftsdaten, die auf einen allgemeinen Rückgang des Wirtschaftswachstums hinweisen. Andere Zahlen betreffen die rückläufigen Aufträge für Ausrüstungsinvestitionen von US-Unternehmen. Wieder andere betreffen den Rückgang von privaten Hauskäufen. Die Regierung berichtete letzten Monat, dass das Bruttoinlandsprodukt der USA im dritten Quartal nur um 1,5 Prozent gewachsen sei, gegenüber 3,9 Prozent im zweiten Quartal.

Weltweit reagieren Regierungen und Zentralbanken auf die anhaltend schwache Performance der Realwirtschaft mit weiteren Senkungen der Basiszinsen und der Ausweitung der quantitativen Lockerung (das Aufkaufen von Staatsanleihen durch Zentralbanken). Die amerikanische Federal Reserve hat ihre Pläne, zum ersten Mal seit neun Jahren mit dem langsamen Anheben der Zinsen zu beginnen, erneut hinausgeschoben.

Vor einem halben Jahr hatte die Europäische Zentralbank (EZB) die Druckerpresse angeworfen und quantitative Lockerung im Umfang von sechzig Milliarden Euro im Monat in Gang gesetzt. Sechs Monate danach sind die Verbraucherpreise unverändert, was belegt, dass die Europäische Zentralbank mit ihrem Plan gescheitert ist, die Inflation in Richtung eines Zwei-Prozent-Ziels anzuschieben. Von Reuters befragte Ökonomen waren „fast sicher“, dass die EZB entweder die quantitative Lockerung weiter ausdehnen oder den Zinssatz noch dieses Jahr weiter absenken werde.

Obwohl die chinesische Zentralbank den Zinssatz im vergangenen Jahr schon sechs Mal gesenkt hat, wird sie voraussichtlich in den kommenden Monaten weitere stützende Maßnahmen ergreifen.

Die Federal Rerserve hat ihre Pläne, den Zinssatz langsam anzuheben, auf ihren Treffen im September und Oktober weiter verschoben. Viele Ökonomen erwarten, dass sie jegliche Schritte zur Normalisierung der Geldpolitik sogar auf nächstes Jahr verschieben wird.

An den Märkten werden außerdem rekordverdächtige Firmenzusammenschlüsse und -aufkäufe und andere parasitäre Operationen wie Aktienrückkäufe gefeiert. Die außerordentlich lockere Geldpolitik und die gewaltigen Mengen an Bargeld in den Unternehmen haben zu einer ganze Welle von Zusammenschlüssen geführt, deren größte den amerikanischen Gesundheitssektor betreffen.

Gesundheitskonzerne, die vor Zusammenschlüssen und Übernahmen stehen, gehörten zu den größten Nutznießern der Kursrally vom Montag. Der Kurs der Dyax Corporation sprang um dreißig Prozent hoch, als Shire seine Absicht erklärte, diesen Arzneimittelhersteller für fast sechs Milliarden Dollar zu kaufen. Pfizer stieg um 3,5 Prozent infolge der Erwartung, der Konzern werde die Übernahme von Allergan bekannt geben.

Die Aktien des Ölkonzerns Chevron stiegen am Montag stark an, nachdem der Konzern die Streichung von 7000 Arbeitsplätzen bekannt gegeben hatte. Damit vernichteten große Aktiengesellschaften in der Energiebrache seit Juni 2014 113 000 Arbeitsplätze.

Weltweit feierten die Märkte den Wahlsieg der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) in der Türkei nach einem Wahlkampf, der von zahlreichen Angriffen auf Oppositionsparteien und die Presse geprägt war. Die Banken begrüßten Erklärungen des AKP-Präsidenten Erdogan, die verstärkte autoritäre Herrschaftsformen andeuteten. Die türkische Lira legte vier Prozent gegenüber dem Dollar zu, und die zentrale Börse des Landes stieg um 5,5 Prozent.

Diese Entwicklung zeigt, dass die besonders parasitären, räuberischen und reaktionären Teile der Kapitalistenklasse ihren Griff um die Weltwirtschaft festigen. Sie plündern die Mittel, die die Gesellschaft eigentlich für produktive Investitionen braucht, und lenken sie in Finanzmanipulationen um, die den Reichen und Superreichen zugutekommen.

Im April gestand der Internationale Währungsfond ein, dass in absehbarer Zeit keine Aussichten auf eine Rückkehr zu normalen Wachstumsraten bestünden. Er wies auf einen Rückgang produktiver Investitionen in den etablierten Industrieländern um 25 Prozent hin und erklärte, dies sei ein Hauptfaktor für die andauernde Rezession. Allerdings erwähnte der IWF nicht die Rolle, die die neue Finanzaristokratie und der Finanzparasitismus dabei spielen.

Eine Bloomberg-Forschungsgruppe brachte diese Realität am Montag in einer Nachrichtennotitz für Kunden der Bank of Amerika auf den Punkt. Die Forscher hatten versucht, die Auswirkungen der Politik der Zentralbank seit 2008 auf die soziale Ungleichheit zu quantifizieren. Der Bericht führte zuerst auf, dass verschiedene Zentralbanken seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 606 Zinssenkungen vorgenommen hatten. Sie hatten Staatsanleihen im Wert von 12,4 Billionen Dollar aufgekauft.

Bloomberg zitierte aus dem noch unveröffentlichten Bericht: „Eine Investition von hundert Dollar in Aktien oder Anleihen zum Zeitpunkt des Beginns der quantitativen Lockerung der Fed wäre heute 205 Dollar wert. Ein Lohn von hundert Dollar hätte sich in der gleichen Zeit nur auf 114 Dollar erhöht.“

Weiter heißt es: „Für hundert US-Dollar Venture Kapital und Anlagefonds, die Anfang 2010 angelegt wurden, bekommt man heute 275 Dollar. Aber für hundert Dollar eines Hypothekenkredits von vor fünf Jahren bekam man im Juni nur noch 61 Dollar.“

Und weiter: „Pro Arbeitsplatz, der in den USA in diesem Jahrzehnt geschaffen wurde, haben die Konzerne nach Angaben der New Yorker Bank of Amerika 296.000 Dollar für Aktienrückkäufe ausgegeben.“

Das sind Kennziffern eines Wirtschaftssystems in der Todeskrise. Die Erzeugung von Reichtum für die herrschende Elite ist vollkommen getrennt von der materiellen Produktion und der Schaffung von wirklichen Werten. Das widerspiegelt den Verfall und Zusammenbruch des kapitalistischen Systems. Die Finanzblasen, die die Regierungen und Zentralbanken erzeugen, sind nicht nachhaltig. Sie bereiten eine noch größere Finanzkrise als den Kollaps der Wall Street 2008 vor.

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