European Council on Foreign Relations erklärt „Vasallen der USA“, was ihr Lehnsherr von ihnen erwartet

von Norbert Häring

Der European Council on Foreign Relations (ECFR) ist ein einflussreiches, maßgeblich vom Multimilliardär George Soros finanziertes, geo- und militärpolitisches Institut. In einem „Policy Brief“ erklärt das Institut den Europäern, dass sie unzureichend motivierte Vasallen der USA sind, die ihr Lehnsherr ausplündern und wegwerfen wird, wenn sie sich nicht bald nützlicher machen.

Der ECFR wurde 2007 gegründet. Er hat rund 80 Mitarbeiter und Büros in Berlin, London, Madrid, Paris, Rom, Sofia und Warschau. Es gibt keine formelle institutionelle Beziehung zum viel älteren amerikanischen Pendant, Council on Foreign Relations.

Der Titel des vom Forschungsdirektor des ECFR und der Chefin des Berliner Büros geschriebenen Policy Brief lautet: „The art of vassalisation: How Russia’s war on Ukraine has transformed transatlantic relations“, zu übersetzen etwa mit: „Die Kunst, Vasallen zu produzieren: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die transatlantischen Beziehungen verändert hat“.

Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert Vasall so:

„Wenn sich im Mittelalter ein Mann in den Dienst bei einem Herrn, einem Herzog oder Fürsten begab, und diesem Herrn, wie das hieß, Gefolgschaft leistete, wurde er ein sogenannter Vasall. Der Vasall verpflichtete sich zu bestimmten, oft militärischen Diensten. Der Begriff kommt vom lateinischen Wort „vassus“, das heißt „Knecht“.“

Forschungsdirektor Jeremy Shapiro, der den am 4. April veröffentlichten Text mitverfasst hat, war früher Beamter im US-Außenministerium. Ich interpretiere den Text als Drohbrief des US-Außenministeriums an die Europäer. Bevor ich meine Einschätzung mit Zitaten belege, will ich kurz die Botschaft dechiffrieren, die ich dem Text entnehme. Diese lautet:

Die Europäer können sich nicht selbst verteidigen und verlassen sich auf die USA. Dafür geben sie Vasallengehorsam. Die USA werten die passive Haltung der Europäer zunehmend als Dienst nach Vorschrift. Die US-Regierung findet es zu anstrengend und zu wenig ertragreich, Dutzenden europäischer Staaten, die mehr oder weniger widerwillig gehorchen, zu sagen, wo es langgeht.

Deshalb die Drohung: Anders als im kalten Krieg ist ein prosperierendes Europa als Puffer gegen Russland für die USA nicht mehr wichtig. Um so wichtiger, und durch China in Frage gestellt, ist die ökonomische Vormachtstellung der USA in der Welt. Wenn die Europäer ihre wirtschaftliche Macht nicht einsetzen, um die US-Regierung aktiv in der Konkurrenz mit China zu unterstützten und ihr dafür durch größeres militärisches Engagement gegenüber Russland den Rücken freizuhalten, dann wird die US-Regierung zum eigenen Vorteil Europa die Basis seiner wirtschaftliche Stärke wegnehmen.

Bei größerem Wohlverhalten wird Europa in Aussicht gestellt, dass es für die USA wichtig bleibt und nicht weiter ausgeplündert wird. Die Forderungen sind (übersetztes Zitat):

  • „Aufbau einer unabhängigen Kapazität zur Unterstützung der Ukraine in einem langen Krieg.
  • Verstärkte Entsendung westeuropäischer Streitkräfte in den Osten, die in einigen Fällen die US-Streitkräfte ersetzen könnten.
  • Stärkung der europäischen militärischen Fähigkeiten und der Fähigkeit, sowohl innerhalb als auch außerhalb der NATO eigenständig zu handeln.
  • Die Bereitschaft signalisieren, dass die USA, die EU und das Vereinigte Königreich eine geoökonomische NATO bilden. Ziel eines solchen Forums wäre es, eine gemeinsame strategische Wirtschaftspolitik der USA und Europas gegenüber China zu entwickeln, die sowohl effektiver wäre als auch die Vasallisierung verringern würde.
  • Schaffung einer besonderen Verteidigungspartnerschaft zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich.
  • Erwägung einer europäischen nuklearen Abschreckung.“

Hier nun die weiteren (übersetzten) Textzitate, auf die ich meine Lesart stütze.

Die Ausgangslage

„Die Nationen Europas sind derzeit nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Deshalb haben sie keine Wahl, als sich in Krisen auf die USA zu verlassen. (..) Die amerikanische Führung war fast zu erfolgreich [bei der Durchsetzung ihres Willens; N.H.], so dass die Europäer keinen Anreiz hatten, eine eigene Führung zu entwickeln. (..) Die Biden-Administration hat viele Stunden und noch mehr Flugmeilen darauf verwendet, die Europäer einzubinden und die westlichen Reaktionen auf den Ausbruch des Krieges zu koordinieren. Das hat zum Teil dazu geführt, dass die Europäer es sehr bequem finden, aus der zweiten Reihe zu unterstützen, auch wenn der Krieg auf ihrem eigenen Kontinent stattfindet.“

Als besonders willfährig wird die deutsche Regierung unter Kanzler Scholz herausgestellt:

„Die deutsche Regierung scheint sich mit der aktuellen transatlantischen Arbeitsteilung gut arrangiert zu haben. (…) Die Sozialdemokraten, die früher eher kritisch gegenüber den USA eingestellt waren, fühlen sich unter Washingtons Fittichen offenbar wohl genug.“

Über diese extreme Willfährigkeit der Bundesregierung, die der ehemalige Außenminister Heiko Maas „balancierte Partnerschaft“ nannte, habe ich aus Anlass dieses schönen Namens für eine Unterwerfungserklärung bereits geschrieben, siehe nachfolgenden, gerahmten Textverweis. Daraus wird deutlich, dass sie durchaus nicht erst seit dem Ukraine-Krieg besteht, sondern dadurch nur noch deutlicher zutage getreten ist.

Washingtons bester Mann im Auswärtigen Amt: Zwei Jahre „balancierte Partnerschaft“
13. 08. 2020 | Am 22. August jährt sich zum zweiten Mal die Ausrufung einer „Strategie zum Umgang mit den USA“ durch Heiko Maas, genannt „balancierte Partnerschaft“. Von „roten Linien“ war darin die Rede. Die andauernden Drohungen und Sanktionen der USA gegen deutsche Personen und Unternehmen laden zur Frage ein: Wie hat der SPD-Politiker und Außenminister diese Strategie mit Leben gefüllt? Auf Basis meiner Textexegese und den Erfahrungen der ersten sechs Monate hatte ich Maas‘ „Strategie“ eine Unterwerfungserklärung genannt, die durch Gerede von roten Linien geschickt getarnt wurde. Zwei Jahre später möchte ich dieses strenge Urteil im Lichte der seitherigen Entwicklungen überprüfen.

Die Drohung

Dann wird klargestellt, dass die Wirtschaftskraft Europas keinen Wert mehr für die USA hat, wenn sie nicht mit Wucht für US-Interessen eingesetzt wird:

„Die derzeitige geopolitische Lage unterscheidet sich erheblich von der während des Kalten Krieges. (…) Die Strategie der USA war darauf ausgerichtet, Westeuropa wirtschaftlich und militärisch wieder aufzubauen (…). Daher nutzten die USA ihre dominante sicherheitspolitische Rolle nie (oder zumindest nur selten) für innenpolitische wirtschaftliche Vorteile. Im Gegenteil, (…). Die westeuropäischen Staaten gediehen unter dem Sicherheitsschirm der USA.

Der Kampf mit China im 21. Jahrhundert sieht ganz anders aus. Europa ist nicht die zentrale Front, und sein Wohlstand und seine militärische Stärke stehen nicht im Mittelpunkt der US-Strategie. Die USA haben sich unter Biden bewusst für eine strategische Industriepolitik entschieden, die auf die Reindustrialisierung Amerikas und die technologische Dominanz gegenüber China abzielt.

Konzeptionell haben die europäischen Verbündeten in diesem geoökonomischen Kampf mit China eine Rolle zu spielen, aber nicht, wie während des Kalten Krieges, um sich zu bereichern und zur militärischen Verteidigung der zentralen Front beizutragen. Vielmehr besteht ihre Hauptaufgabe aus Sicht der USA darin, die strategische Industriepolitik der USA zu unterstützen und dazu beizutragen, die technologische Vorherrschaft der USA gegenüber China zu sichern. Sie können dies tun, indem sie sich der US-Industriepolitik beugen und ihre Wirtschaftsbeziehungen zu China nach den amerikanischen Konzepten der strategischen Technologien gestalten. Wichtig ist, dass es in diesem neuen geoökonomischen Kampf mit China keine rein wirtschaftlichen Fragen geben wird. Der technologische und wirtschaftliche Charakter des Konflikts mit China bedeutet, dass die USA fast jeden internationalen Streit für sicherheitsrelevant erklären können und werden.“

Ganz offen wird beschrieben, wie die USA sich reindustrialisieren, indem sie Europa deindustrialisieren:

„Da diese Maßnahmen das Potenzial haben, das Wirtschaftswachstum in Europa zu verringern, eine (weitere) Deindustrialisierung zu bewirken oder sogar den Europäern eine beherrschende Stellung in den Schlüsselindustrien der Zukunft zu verwehren, könnte man erwarten, dass sie in der gesamten EU auf ernsthaften Widerstand stoßen. Und bis zu einem gewissen Grad haben sie das auch. (…) Die Verabschiedung neuer industriepolitischer Maßnahmen in den USA, wie der Inflation Reduction Act [IRA; N.H.] und der CHIPS and Science Act, haben in Brüssel und anderswo ein heftiges Zähneknirschen darüber ausgelöst, wie die Europäer ihre eigenen strategischen Industrien erhalten können. (…)“

Dann verhöhnen die Autoren die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen dafür, dass sie die ökonomische Ausplünderung und Deindustrialisierung Europas durch die USA so willfährig hinnimmt, zu lesen im Originaltext. Hier die Kurzfassung:

„Es ist jedoch alles andere als klar, dass sich diese Debatte in politischen Maßnahmen niederschlagen wird, die sich auf die US-Außenwirtschaftspolitik auswirken werden. Viele Regierungsbeamte haben (…) geäußert, dass die Europäer zwar jammern und sich beschweren mögen, dass aber ihre zunehmende sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA bedeutet, dass sie eine Wirtschaftspolitik akzeptieren werden, die als Teil von Amerikas globaler Sicherheitsrolle verstanden wird. Dies ist das Wesen der Vasallisierung. Um diesen Prozess der Selbstunterwerfung in Aktion zu sehen, sollte man sich die europäische Haltung gegenüber dem IRA, dem bedeutendsten klima- und industriepolitischen Gesetz in der amerikanischen Geschichte, genauer ansehen.(…)

Diesem Muster folgten die USA beim Abzug aus Afghanistan und in der „AUKUS“-Debatte im Jahr 2021, als die USA hinter dem Rücken Frankreichs einen neuen Verteidigungspakt mit Australien und dem Vereinigten Königreich schlossen und ihrem ältesten Verbündeten einen lukrativen U-Boot-Vertrag entrissen. Und dies scheint auch die neue Vorlage für die Reaktion auf die IRA und das CHIPS- und Wissenschaftsgesetz zu sein.“

Das Zuckerbrot

Doch es gibt Hoffnung für Europa. Wenn der Vasall sich mit vollem Einsatz der Förderung der Machtinteressen des Lehnsherrn verschreibt, wird dieser größere Milde walten lassen:

„Eine Vasallisierung ist keine kluge Politik für die kommende Ära eines intensiven geopolitischen Wettbewerbs – weder für die USA noch für Europa. (…) Die Europäer müssen ein ausgewogeneres transatlantisches Verhältnis aufbauen. (…) Letztlich wird das amerikanische Engagement in Europa nur fortbestehen, wenn die USA glauben, dass sie von ihren Partnern etwas zu gewinnen haben. Dieses Gefühl erfordert eine ausgewogenere Partnerschaft, nicht eine stärkere Vasallisierung.

In einer ausgewogeneren transatlantischen Partnerschaft hätten die USA Initiativen wie die IRA niemals ohne Konsultation in Erwägung gezogen, weil ihre Entscheidungsträger von vornherein wüssten, dass die Sicherung der europäischen Partnerschaft bei geoökonomischen Initiativen sowohl notwendig als auch nicht trivial ist. (…). Im Falle der IRA hätte dies zum Beispiel bedeutet, dass die EU von Anfang an an der Ausarbeitung beteiligt gewesen wäre und europäische Unternehmen Zugang zu den Subventionen und Ausnahmen von den „Buy American“-Bestimmungen gehabt hätten.“

Was dafür zu tun wäre, um in diesen Status zu kommen, habe ich oben bereits zitiert. Was das bewirken würde, wird so beschrieben:

„Diese Ideen (…) zielen darauf ab, die fähigeren und verantwortungsvolleren europäischen Partner zu schaffen, die die USA in ihren kommenden Kämpfen wollen und brauchen werden.“

Und nochmal eine harte Drohung

Aber weil man offenbar nicht so Recht daran glaubt, dass das Zuckerbrot verlockend genug ist, kommt noch einmal eine besonders eindringliche Drohung:

„Die meisten europäischen Politiker fühlen sich kollektiv unfähig zu größerer Autonomie und sind nicht bereit, dafür politische oder finanzielle Opfer zu bringen. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint klar zu sein, dass sich diese Ansicht nur dann ändern kann, wenn die USA den ziemlich eindeutigen Beweis erbringen, dass ihnen die europäischen Interessen nicht am Herzen liegen.“

Nachtrag (26.5.): Ehemalige Bürochefin des ECFR teilt Analyse

Per Twitter hat Ulrike Guérot, ehemalige Bürochefin des European Council on Foreigen Relations in Berlin, mitgeteilt, dass sie die hier vorgestellte Analyse teilt.

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