Europa, wohin gehst du?

von Michael Obergfell (fortunanetz)

Oft stellt sich die Frage, wer oder was Europa sei. Europa ist ganz sicher ein Kontinent, der von der nördlichsten Spitze Norwegens bis nach Malta und von Island bis zum Ural reicht. Alle weiteren Definitionen sind mehr oder weniger fraglich. Auf dem europäischen Kontinent gibt es 47 Staaten. Davon sind gerade einmal 28 Staaten in der EU und von diesen 28 sind nur 18 Länder in der Eurozone. Innerhalb der EU gibt es genau 5 sogenannte Nettozahler. Und von diesen 5 Nettozahlern haben 4 den Euro als Währung. So viel dazu, dass „Europa“ untergeht, wenn es den Euro nicht mehr gibt….

Das Projekt der Europäischen Union nimmt für sich in Anspruch, „Europa“ zu sein, obgleich es gar nicht die Mehrheit der Völker Europas vertritt. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier weit auseinander. Weiterhin trägt die EU in ihrem Namen stolz den Begriff der Union, bzw. erhebt den Anspruch darauf, eine Union zu sein. Doch auch diesen Anspruch kann sie derzeit nicht einlösen.

Das Unionsprojekt wurde lange vollmundig propagiert mit einem Parlament, das von der Bevölkerung der Unionsstaaten gewählt wird, um dem Ganzen einen demokratischen Anstrich zu geben. Wie wir wissen, ist der Versuch, dieser „Union“ eine gemeinsame Verfassung zu geben, im Jahr 2005 durch Referenden in Frankreich und den Niederlanden kläglich gescheitert. Und seitdem ist aufgrund der fehlenden Verfassung letztlich auch das Unionsprojekt gescheitert. Denn es fehlt der Union ein Präsident, ein Parlament das Gesetze beschließen kann (das Europaparlament kann selbst keine Gesetze beschließen, ihm fehlt das Initiativrecht), eine Verfassung, ein Staatsvolk, eine funktionierende Regierung, sämtliche Ministerien, eine gemeinsame Exekutive und Verwaltung und damit jegliche staatliche Einheit. Die EU ist kein Staat, sie ist auch keine Union, sie ist und bleibt eine Gemeinschaft von Staaten. Der Name „Union“ ist lediglich ein politisches Programm das gescheitert ist.

Gescheitert ist auch der Versuch, durch die Einführung einer einheitlichen Währung namens Euro und einer gemeinsamen Zentralbank durch die Hintertür eine Zentralgewalt einzuführen, bzw. die Staaten schrittweise zum Souveränitätsverzicht zu bewegen. Dass dieser Plan gestoppt ist, sieht man einerseits daran, dass zuerst der Euro eingeführt wurde mit der Zuversicht, dass danach die „Union“ kommen würde und danach ist die Verfassung nicht angenommen worden. Der Plan hat also nicht funktioniert. Dennoch versucht die Brüsseler Bürokratie noch zu retten was zu retten ist. Staaten halten sich zwar nicht an die Stabilitätskriterien und auch nicht an die sonstigen Verträge, wenn es darum geht, dass diese gesetzeswidrig Rettungsgelder im Rahmen einer Transferunion einfordern. Mittlerweile ist die finanzielle Erpressung das alltägliche politische Geschäft in der EU. Schließlich bekommen Staaten wir Griechenland, Italien oder Spanien nur dann Geld, wenn sie bestimmte, von der Kommission aufgestellt Forderungen erfüllen. Umgekehrt drohen diese Staaten verdeckt mit der Insolvenz und damit verbunden mit dem Zusammenbruch des europäischen und weltweiten Bankensystems, wenn sie Gelder nicht erhalten. Alles in allem verhalten sich die EU-Organe und die Mitgliedsstaaten wie in einer außerordentlich schlechten Ehe. Aber den Ehevertrag, nämlich den Euro sozusagen als Prokrustesbett, den möchte keiner auflösen. Und so torkelt das Schiff der EU eben über das Meer der Zeit.

Das insgesamt traurige Bild, das die EU bietet wird nun noch erweitert und vertieft. Mittlerweile gibt es viele Regionen innerhalb der Nationalstaaten, die sich gerne unabhängig machen möchten. Hierzu gehört die mögliche Trennung Schottlands von Großbritannien, über die im Herbst abgestimmt werden soll. Das Baskenland wiederum möchte sich gerne von Spanien trennen. Wer mit Menschen aus Südtirol spricht, stellt erstaunt fest, dass diese zwar italienische Staatsangehörige sind, sich aber als Deutsche, bzw. als Österreicher verstehen und dort auch wieder hin möchten. Das ehemalige Jugoslawien ist schon zerfallen in so kleine Länder wie Slowenien, Montenegro oder Kosovo. Flamen und Wallonen in Belgien würden sich ebenfalls am liebsten trennen. Unter diesen kleinen staatlichen Einheiten sind Länder, die vermutlich ohne fremde Hilfe gar nicht lebensfähig sind.

Und nun kommt noch die Region Venedig dazu, die sich ebenfalls gerne aus Italien verabschieden möchte. Erst kürzlich hat auf privater Basis eine Art „Volksabstimmung“ in Venedig stattgefunden, die natürlich weder in der deutschen Hauptpresse gebührend erwähnt, noch vom italienischen Staat anerkannt wurde… Angeblich haben sich dort 63,2 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligt und davon haben 89,1 Prozent der Wähler für eine unabhängige Republik Venedig gestimmt! Zwar wird von offizieller Seite immer wieder darauf hin gewiesen, dass diese „Volksabstimmung“ keine Bedeutung für den italienischen Staat habe, aber angesichts der Wahlbeteiligung und dem Wahlergebnis sollte man schon darüber nachdenken, ob der italienische Staat nicht doch ein Problem mit seiner Einheit hat…

Betrachtet man das Gesamtbild „Europas“, so kann man nicht behaupten, dass eine Europäische Union faktisch überhaupt existiert. Vielmehr haben wir einen Staatenbund, der sich nicht wirklich einig ist. Dieser „Bund“ umfasst zudem gerade einmal die Hälfte der Staaten des Kontinents und kann auch nicht beanspruchen, „Europa“ politisch in seiner Gesamtheit zu repräsentieren. Nach Innen hat dieser „Bund“ zudem zahlreiche Konflikte in Bezug auf die politische Einheit und auf der Ebene der Nationalstaaten gibt es in vielen Ländern Europas die Tendenz, dass sich Regionen von diesen aus unterschiedlichsten Gründen abzuspalten versuchen. Es steht also zu befürchten, dass einerseits eine Bundesstaatliche Lösung nicht vorankommen wird, zugleich aber eine immer stärkere Regionalisierung stattfindet, die das Projekt einer Union in noch weitere Ferne rücken lässt,

meint
Michael Obergfell

 

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