Ein «Klotz am Bein» – im Wettbewerb der USA mit China steht die EU vor einer existenziellen Herausforderung. Von Giuseppe Masala, «l’AntiDiplomatico»
Quelle: transition-news
Seit mehr als einem Jahr warnen wir davor, dass die NATO eine Institution ist, die von der Schließung bedroht oder möglicherweise dazu bestimmt ist, ungenutzt zu bleiben, weil sie in eine Sackgasse der Geschichte geraten ist.
Die Gründe dafür lassen sich in der immer geringer werdenden geostrategischen und geoökonomischen Relevanz des europäischen Kontinents auf dem Weltschachbrett zusammenfassen: Wir sind aufgrund der enormen Verzögerungen in der Forschung und der technologischen Innovation ein nicht wettbewerbsfähiger Kontinent. Wir sind auch ein Kontinent, der aufgrund des wesentlichen Abbruchs der Beziehungen zu Russland nicht mehr über billige Energie verfügt. Und als Ergebnis all dessen werden wir wahrscheinlich bald ein Kontinent sein, der im globalen Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht mehr konkurrenzfähig ist, insbesondere im Segment der hohen Wertschöpfung.
Wenn dies das Gesamtbild ist, das den europäischen Horizont verdeutlicht, wird klar, dass die Verteidigung Europas für Washington nur ein Klotz am Bein ist, der die Vereinigten Staaten im laufenden Wettlauf um die Weltherrschaft mit dem Reich der Mitte lähmen könnte. Die Quadranten des Globus mit der größten Entwicklung – und folglich der größten strategischen Bedeutung – sind inzwischen andere und lassen sich mit dem einzigen Namen zusammenfassen, den die US-Amerikaner selbst vergeben haben: der Indopazifik. So heißt jenes riesige Gebiet, das von Mumbai bis Perth, von Perth bis Melbourne, von Melbourne bis Wladiwostok und von letzterem zurück nach Mumbai reicht. Ein Gebiet, in dessen Zentrum sich auch das pulsierende Herz der technologischen Entwicklung befindet: Taiwan, Volksrepublik China, Japan und Südkorea.
Um auf unser armes Europa zurückzukommen, das nun die prometheische Flamme verloren hat, mit der es jahrhundertelang ausgestattet war, fällt auch die nicht mehr verborgene Verachtung auf, die ihm von denen entgegengebracht wird, die es von außen betrachten. Nicht nur Donald Trump, der aus seiner Enttäuschung über die Europäer nie einen Hehl gemacht hat, auch der russische Außenminister Sergei Lawrow bringt seinen Unmut über die europäischen Länder deutlich zum Ausdruck:
«In den letzten 500 Jahren, als sich der Westen mehr oder weniger in der Form gestaltete, die er heute hat, natürlich mit einigen Veränderungen, hatten alle Tragödien der Welt ihren Ursprung in Europa oder sind wegen der europäischen Politik geschehen.»
Dies ist ein Unmut, der, wie man sieht, an offenen Rassismus grenzt. Auffällig sind aber auch Stimmen wie die von Scott Ritter, ehemaliger US-Geheimdienstler und Trumps Top-Berater, der in Bezug auf Europa twitterte:
«Es ist an der Zeit, dass sich Amerika von diesem kranken Kontinent trennt.»
Mittlerweile wird Europa außerhalb unseres Kontinents immer mehr als historisches Problem betrachtet, das im Wesentlichen durch die weltweite Isolation und eine langsame Euthanasie durch Verhungern zu heilen ist. Was ist mit den Russen, die uns Rohstoffe zu Schnäppchenpreisen liefern, um – eines Tages – den Beitritt zu unserer erstickten Europäischen Union anstreben zu können? Oder mit den US-Amerikanern, die uns weiterhin Verteidigungsgüter liefern, während wir mit dem eingesparten Geld die Sozialleistungen (die sie sich in den USA nicht leisten können) und die Beiträge für Unternehmen bezahlen, die den US-amerikanischen Markt angreifen und einheimische Unternehmen ruinieren.
Die Höllenmaschine, die die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgeheckt hat, konnte nicht ewig weiterlaufen, und der Weckruf war sicherlich die zunehmend unhaltbare finanzielle Situation der USA, sowohl was die öffentliche Verschuldung als auch insbesondere die Auslandsverschuldung angeht.
Es ist nicht falsch, anzunehmen, dass auf der Ebene der Beziehungen zwischen internationalen Investoren und den Vereinigten Staaten etwas sehr Ernstes passiert ist. Denn nur mit einem Nettoabfluss von Investoren lässt sich die von Trump – über Elon Musks DOGE – eingeleitete gewaltige Beschleunigung der Umstrukturierung des Bundeshaushalts erklären, die inzwischen nicht nur offensichtliche Verschwendungen wie die DEI-Programme (Diversity, Equity, Inclusion) betrifft, sondern auch grundlegende Instrumente der kulturellen Hegemonie wie die USAID-Programme oder den Verkauf von 443 Bundesimmobilien, darunter die Hauptsitze des Justizministeriums und des FBI. Ganz zu schweigen von Trumps unglaublichem Angebot, im Gegenzug für eine Spende von 5 Millionen Dollar eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.
In diesem Zusammenhang ist auch die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der Verteidigungsausgaben der USA zu sehen. Eine Umstrukturierung, die bereits von Verteidigungsminister Hegseth angekündigt wurde und die äußerst heftig zu sein scheint, da sie auf linearen Kürzungen von 8 Prozent pro Jahr für die nächsten fünf Jahre beruht, um den Haushalt von etwa 900 Milliarden Dollar auf etwa 500 Milliarden zu reduzieren. Kürzungen, die natürlich auch die NATO betreffen werden, wodurch Europa seines wichtigsten Partners beraubt wird.
Bislang gibt es keine konkreten Ankündigungen, wie sich Trumps Kürzungen im Verteidigungshaushalt auf Europa und die NATO auswirken werden. Allerdings wurde bereits über den Abzug von US-Truppen aus bestimmten Ländern wie den baltischen Staaten oder über den Abzug der von Biden wegen der Ukraine-Krise entsandten Truppen spekuliert. Eines ist jedoch sicher: Die USA werden eine Entscheidung dieser Größenordnung niemals einseitig treffen, sondern versuchen, in den laufenden Verhandlungen mit Russland eine gewisse Gegenleistung zu erhalten. Es ist kein Zufall, dass von einer russischen Vermittlung die Rede ist, um den Iran am Erwerb von Atomwaffen zu hindern.
Eines scheint jedoch sicher: In diesem gewaltigen geopolitischen Erdbeben, das sich abzeichnet, spielt Europa (und mit ihm die NATO) nicht einmal die Rolle des Nebendarstellers, sondern lediglich die des Verhandlungspartners am Tisch der Großen, das heißt der USA, Russlands und Chinas.
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Giuseppe Masala, geboren in Sardinien, hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und spezialisierte sich auf «ethische Finanzen». Er hat unter anderem den preisgekrönten Roman «Una semplice formalità» («Eine reine Formalität») veröffentlicht, der auch in Frankreich unter dem Titel «Une simple formalité» erschienen ist.
Quelle:
l’AntiDiplomatico: Europa (e NATO) all’anno zero – 6. März 2025
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