«Es ist Zeit, dass Europa sich wieder auf seine eigene Kultur besinnt»

EFTA-Freihandel versus Globalisierung made in USA

von Dieter Sprock (zeit-fragen)

Der real existierende Globalismus hat Europa und weite Teile der Welt in eine tiefe Krise geführt: Die Kriegsherde im Nahen Osten und der Ukraine haben Potential für einen globalen Krieg. Wieder gegen Russ­land? Und die ungleiche Verteilung der materiellen Güter birgt reichlich sozialen Sprengstoff.

Der Graben zwischen armen und reichen Ländern wird immer grösser. So verdienen zum Beispiel viele in den ehemaligen Ostblockländern bei voller Arbeit weniger als Sozialhilfeempfänger ohne Arbeit in einigen der reichen Länder. Aber auch innerhalb sowohl der armen als auch der reichen Länder sind die Einkommensunterschiede stossend. Neben einem noch nie dagewesenen Reichtum und Luxus finden sich in beiden Armut und bittere Armut. Im Euro-Raum betrug laut Eurostat die Arbeitslosigkeit im Oktober 2015 10,7 Prozent, das heisst, 22,5 Millionen Menschen waren ohne Arbeit; die Ausgesteuerten nicht mitgezählt. In einigen Ländern Europas, etwa in Griechenland, Spanien und Kroatien, beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 40 Prozent und mehr. Hinzu kommen mehr als eine Million junge Menschen, die im letzten Jahr unkontrolliert nach Eu­ropa eingewandert sind und vor diesem Hintergrund kaum Aussicht haben, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Sie bleiben während Jahren, manchmal ein Leben lang, auf Sozialhilfe angewiesen und drohen, die Sozialsysteme selbst der reichsten Länder zu sprengen.

«Blühende Landschaften»?

Nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus Anfang der 90er Jahre liess der Westen jede Zurückhaltung fallen und drängte die Länder des ehemaligen Ostblocks, ihre Märkte für die global operierende Finanzwelt zu öffnen und den Schutz der eigenen Wirtschaft aufzugeben.
Die Öffnung der DDR wurde zu einer Art Testlauf. Es gelang dem Westen in kurzer Zeit, den Markt von 16 Millionen Konsumenten zu übernehmen und die einheimische Wirtschaft und Industrie auszuschalten. Quasi über Nacht wurden die ostdeutschen Waren in den Regalen der Supermärkte durch Westwaren ersetzt. Die Lebensleistung der Menschen, die in einer Mangelwirtschaft ihr Leben verdient und aufgebaut hatten, ihr Wissen und Können, ihre hervorragenden Schulen und Ausbildungsstätten, wurden vom arroganten Westen vollkommen ignoriert. Der Westen hatte keine Fragen.
Einen ähnlichen Prozess durchliefen die anderen Länder, die sich später der EU anschlossen. Für die Teilnahme am EU-Binnenmarkt mussten sie ihre politische und wirtschaftliche Souveränität weitgehend aufgeben. Sie wurden zu einer Art verlängerter Werkbank der westlichen Hochfinanz, die dort ihre teuren Waren billig produziert und die Wertschöpfung in die eigenen Kassen fliessen lässt. Fünfundzwanzig Jahre Globalisierung nach marktradikalen Rezepten haben nicht die versprochenen blühenden Landschaften gebracht!

«Neoliberale Freiheit»

Die Alleinherrschaft der neoliberalen Ideologie hat nicht nur die Wirtschaft geprägt und jeden sozialen und ethischen Gedanken daraus verbannt, sondern auch tief in das gesellschaftliche und private Leben der Menschen eingegriffen und viele Lebensbereiche nach neoliberalen Vorstellungen umgestaltet:
Die massivsten Eingriffe gab es im Bereich Erziehung und Bildung. Nach neoliberaler Vorstellung sollen Kinder sich möglichst frei von störenden Einflüssen der Eltern entfalten können. Erziehung wurde zum Unwort, und den Eltern wurde empfohlen, sich ganz auf die Bedürfnisse des Kindes auszurichten.
In die gleiche Richtung weisen die Eingriffe in die Schule. Die Lehrer wurden angehalten, sich beim Vermitteln von Inhalten und als Erzieher möglichst zurückzuhalten; die Kinder sollen alles selbst entdecken. Zugleich wurde aus den Lehrplänen alles gestrichen, was zur Identifikation mit der Heimat und der Geschichte des eigenen Landes notwendig ist. Die globalisierte Wirtschaft braucht Menschen, die möglichst wenig gebunden und überall einsetzbar sind, und ihre Ideologie zielt auf die Zerstörung gewachsener Werte und Institutionen.
So wurde aus der traditionellen Familie mit Vater und Mutter eine einschränkende Zwangsgemeinschaft, aus der eine absurde Genderphantasie befreien soll. Nach dieser muss jedes Kind, unabhängig von seinem natürlichen Geschlecht, frei wählen, ob es als Bub oder Mädchen leben will.
Und auch über das Ende des Lebens soll der Mensch frei bestimmen können …
Die Durchsetzung des neoliberalen Wirtschaftskonzepts geht einher mit der Umwertung aller Werte. So wurde zum Beispiel der Begriff Toleranz dazu missbraucht, verbindliche Werte für das Zusammenleben zu zerstören, und seine ursprüngliche Bedeutung, nämlich Duldsamkeit, ins Gegenteil verkehrt. Die neuen Meinungsdiktatoren verlangen mit kaum zu überbietender Intoleranz, dass die von ihnen kreierten Meinungen nicht nur toleriert, sondern widerspruchslos übernommen werden.

Globalisierung made in USA

Der heute von den USA dominierte markt­radikale Globalismus hat so wertvolle Ideale wie Demokratie und Freiheit in weiten Teilen der Welt diskreditiert. Die supranationalen Organisationen wie IWF, Weltbank, OECD, die Nato und auch die EU sind ausnahmslos unter amerikanischer Kontrolle. Kein geringerer als Zbigniew Brzezinski, der heute in der Obama-Administration immer noch aktive ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Carter, prahlt in seinem Buch «Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft» aufreizend offen mit der amerikanischen Dominanz in diesen internationalen Einrichtungen. Er schreibt: «Die nordatlantische Allianz, die unter dem Kürzel Nato firmiert, bindet die produktivsten und einflussreichsten Staaten Europas an Amerika und verleiht den Vereinigten Staaten selbst in innereuropäischen Angelegenheiten eine wichtige Stimme. […] Sogar der frühere sowjetische Raum ist mit verschiedenen von Amerika finanziell geförderten Abkommen zur engeren Zusammenarbeit mit der Nato, wie zum Beispiel der Partnerschaft für den Frieden, verknüpft.
Als Teil des amerikanischen Systems muss ausserdem das weltweite Netz von Sonderorganisationen, allen voran die internationalen Finanzinstitutionen, betrachtet werden. Offiziell vertreten der Internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit werden sie jedoch von den USA dominiert, die sie mit der Konferenz von Bretton Woods im Jahre 1944 aus der Taufe hoben.» (Aus dem Kapitel «Das globale Ordnungssystem der USA», in dem Brzezinski Amerikas «Hegemonie neuen Typs» darlegt. S. 48f.)
Besondere Aufmerksamkeit schenkt Brzezinski der geopolitischen Bedeutung der Ukraine. Dazu schreibt er: «Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre blosse Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.» (S. 74) Und genau das ist Amerikas erklärtes strategisches Ziel. Um dieses zu erreichen, ist Amerika bereit, «die deutsche Führungsrolle in Europa» zu akzeptieren, «solange sie der Vormachtstellung der USA untergeordnet ist». (S. 120) Zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung liest sich Brzezinskis Buch wie ein Drehbuch für die von Amerika bereits geführten und offenbar noch geplanten Kriege.
Dass auch die EU ein amerikanisches Projekt ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Für Brzezinski ist Europa «Amerikas unverzichtbarer geopolitischer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent», der «mit jeder Ausdehnung des europäischen Geltungsbereichs, automatisch auch die direkte Einflusssphäre der Vereinigten Staaten erweitert.» (S. 91)
Werner Wüthrich zeigt in seinem gut lesbaren Bändchen «Das Europäische Orchester wieder zum Klingen bringen» auf, wie die USA in den 60er Jahren aktiv einen Zusammenschluss der damals sechs EWG- mit den sieben EFTA-Staaten verhindert und ihr Veto gegen eine europäische Freihandelszone eingelegt haben. Die USA schickten eigens ihren Unterstaatssekretär Georg Ball zur Unterredung mit Bundespräsident Traugott Wahlen und Bundesrat Hans Schaffner, der als Vater der EFTA bezeichnet wird, nach Bern, um über die Frage der EFTA zu verhandeln. Ball liess durchblicken, dass eine Freihandelszone für ganz Westeuropa – ohne politische Ausrichtung – von den USA nicht geduldet würde. Und Bundespräsident Traugott Wahlen kommentierte den Besuch aus Washington wie folgt: «Die USA unterstützen die Zielsetzungen der EWG und erstreben die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa. Wer sich dieser Zielsetzung verschliesst, kann nicht mit der Sympathie Washingtons rechnen.» (Aus dem Bundesarchiv unter www.dodis.ch/30116, zitiert nach Werner Wüthrich, S. 34f.)

Die EFTA als möglicher Weg aus der Krise

Amerika ist heute nicht mehr die einzige Weltmacht. Der einstige Glanz des American way of life ist verblasst. Auch in den Ländern der EU macht sich Unmut breit. Sie wollen sich aus der Bevormundung durch die EU, dem Statthalter der USA auf dem «eurasischen Kontinent», lösen, denn es liegt nicht in ihrem Interesse, der Brückenkopf für die amerikanische Kriegspolitik gegen den Osten zu sein. Die Menschen wollen keinen Krieg.
Es mangelt nicht an Analysen der gefährlichen Situation, und die ständig neuen Enthüllungen lenken mehr vom eigentlichen Problem ab, als dass sie zur weiteren Aufklärung beitragen würden. Es ist Zeit, dass Europa sich wieder auf seine eigene Kultur besinnt. Europa kann auf eine lange Tradition in Fragen der Erziehung und Bildung, der Ökonomie, der Demokratie, der Psychologie sowie der Kunst und Philosophie zurückblicken, und es gilt diesen reichen Strauss an Ideen wieder zum Blühen zu bringen, bevor die auseinanderbröckelnde EU in Chaos versinkt und daraus neue Herrschaftsstrukturen wachsen, die wieder gegen die Interessen der Menschen gerichtet sind.
Das Rad muss nicht neu erfunden werden. Den Rahmen für ein freiheitliches Zusammenwirken der Länder Europas könnten die Strukturen der EFTA bilden. Die EFTA achtet im Gegensatz zur EU die Souveränität der Staaten. Ihre Mitglieder arbeiten nur in den Bereichen zusammen, die sie selbst bestimmen, und sie verhandeln ihre Abkommen selbst. Europa braucht definitiv keine amerikanische Bevormundung und erst recht keinen Krieg!

(Visited 19 times, 1 visits today)
«Es ist Zeit, dass Europa sich wieder auf seine eigene Kultur besinnt»
3 Stimmen, 5.00 durchschnittliche Bewertung (99% Ergebnis)

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*