von Pepe Escobar (theblogcat)
https://asiatimes.com/2020/12/no-escape-from-our-techno-feudal-world/
Die politische Ökonomie des Digitalen Zeitalters bleibt praktisch eine Terra incognita. In seinem Buch „Techno-Feudalismus“, das vor drei Monaten in Frankreich erschien (und von dem es noch keine englische Übersetzung gibt), liefert Cedric Durand, ein Wirtschaftswissenschaftler an der Sorbonne, einen wichtigen, globalen Dienst, indem er sich durch die neue Matrix arbeitet, die all unser Leben kontrolliert.Durand stellt das Digitale Zeitalter in den größeren Zusammenhang einer historischen Evolution des Kapitalismus, um zu zeigen, wie sich der Washingtoner Konsens in den Silicon Valley Konsens metastasiert hat. In einer schönen Wendung bezeichnet er die neue Druidenloge als „Kalifornische Ideologie“.
Jefferson Airplane und die Beach Boys sind weit entfernt. Es ist mehr wie Schumpeters „kreative Zerstörung“ auf Steroiden, zusammen mit „Strukturreformen“ á la IWF, mit einer Betonung der „Flexibilisierung“ der Arbeit und einer kompletten Vermarktung/Finanzialisierung des Alltags.
Das Digitale Zeitalter war von Anfang an eng mit einer rechtslastigen Ideologie verknüpft. Ausgebrütet wurde das von der Progress and Freedom Foundation (PFF), die von 1993 bis 2010 aktiv war und unter anderem von Microsoft, AT&T, Disney, Sony, Oracle, Google und Yahoo finanziert wurde.
1994 hielt PFF eine wegweisende Konferenz in Atlanta ab, die am Ende zu einer bahnbrechenden Magna Carta führte: buchstäblich: „Cyberspace und der Amerikanische Traum: eine Magna Carta für das Zeitalter des Wissens“, veröffentlicht 1996, während der ersten Amtszeit von Clinton.
Es war kein Zufall, dass, genauso wie die PFF, ein Magazin namens „Wired“ auf den Markt kam. Und wurde sofort zur Haus-Stimme der „Kalifornischen Ideologie“.
Zu den Autoren der Magna Carta gehörten der Futurist Alvin „Future Shock“ Toffler und Reagans ehemaliger wissenschaftlicher Berater George Keyworth. Vor allen anderen hatten sie bereits ein Konzept entwickelt: „Der Cyberraum ist eine bioelektrische Umgebung, die praktisch universell ist“. Ihre Magna Carta war die privilegierte Landkarte zur Erforschung neuer Grenzen.
Diese Ayn Rand-Helden
Es ist auch kein Zufall, dass Ayn Rand der intellektuelle Guru der neuen Grenze war, und ihre ziemlich primitive Dichotomie zwischen „Pionieren“ und dem Pöbel. Rand verkündete, dass Egoismus gut sei, Altruismus schlecht, und Empathie ist irrational.
Wenn es um die Eigentumsrechte des neuen Eldorados geht, so sollte alle Macht von den Pionieren aus dem Silicon Valley ausgehen, ein Haufen Narzissi, die in ihr eigenes Spiegelbild als Ayn Rand-Helden verliebt sind. Im Namen der Innovation sollte ihnen die Zerstörung jedweder etablierter Regeln genehmigt werden – quasi die „kreative Zerstörung“ eines wildgewordenen Schumpeters.
Das Ganze hat zum derzeitigen Umfeld geführt, in dem Google, Facebook, Uber und Konsorten jeden gesetzlichen Rahmen überschreiten und ihre Innovationen als vollendete Tatsachen umsetzen können.
Durand schreitet zu Zentrum der Angelegenheit vor, wenn es um die wahre Natur der „digitalen Herrschaft“ geht: Ihre Führungsrolle haben die USA noch nie wegen spontaner Marktkräfte erreicht.
Im Gegenteil. Die Historie von Silicon Valley ist absolut von staatlicher Intervention abhängig. Das Ames Research Center, eines der Top-Lobore der NASA, liegt in Mountain View. Die Uni Stanford wurde stets mit saftigen Forschungsaufträgen des Militärs versorgt. Während des 2. Weltkriegs blühte zum Beispiel Hewlett Packard auf, weil deren Elektronik zum Bau von Rardaranlagen benötigt wurde. Während der 1960er kaufte das US Militär den Großteil der noch in den Kinderschuhen steckenden Halbleiter-Industrie.
Ein in Partnerschaft mit Oracle wurde 2016 von der MIT Technological Reviewein Bericht erstellt, der zeigt, wie digitale Netzwerke Zugang zu einem neuen, jungfräulichen Untergrund mit Rohstoffen eröffnen. „Wer zuerst kommt und die Kontrolle übernimmt, der erhält die gesuchten Rohstoffe“ – in Form von Daten.
Somit bedeutet jede Art von Video-Überwachungsbildern und elektronischem Banking bis zu DNA-Proben und Supermarkt-Rechnungen irgendeine Form von territorialer Aneignung. Hier sehen wir in all ihrer Pracht die ausbeuterische Logik, die hinter dem Ausbau von Big Data steckt.
Durand schildert uns am Beispiel „Android“ die ausbeuterische Logik in Aktion. Google verteilte Android kostenlos an alle Smartphones, was zu einer strategischen Marktposition führt, das Ökosystem von Apple zu besiegen und so zum Standard Internet Eintrittstor für praktisch den ganzen Planeten zu werden. So baut man im Grunde ein enorm wertvolles Online-Immobilien-Imperium.
Der zentrale Punkt ist dieser: Was auch immer ihr – Google, Amazon, Uber – ursprüngliches Geschäft ist, die Strategien zur Eroberung des Cyberspace deuten alle in die selbe Richtung: In den „Räumen der Überwachung und Erlangung“ von Daten die Kontrolle zu übernehmen.
Über das chinesische Kreditsystem…
Durand bietet eine fein ausbalancierte Analyse des chinesischen Kreditsystems an – ein öffentlich/privates Hybridsystem, das 2013 auf dem Plenum des 18. Kongresses der CCP gestartet wurde, unter dem Motto „schätzt die Ehrlichkeit und bestraft die Unaufrichtigkeit“.
Für den Staatsrat, die oberste Regierungsbehörde Chinas, zählte nur, verantwortliches Verhalten zu ermutigen, im Bereich des Finanziellen, der Wirtschaft und des Sozialpolitischen. Und das zu sanktionieren, was unverantwortlich ist. Es geht nur ums Vertrauen. Peking definiert das als „eine Methode, das sozialistische Marktwirtschaftssytem zu perfektionieren, was das soziale Regierungswesen verbessert.“
Der chinesische Ausdruck „shehui xinyong“ ist im Westen unübersetzbar. Wesentlich komplexer als der Ausdruck „social credit“, es geht mehr um „Vertrauenswürdigkeit“, im Sinne von „Integrität“. Anstatt der langweiligen westlichen Anschuldigungen über ein Orwellsches System, liegen die Prioritäten beim Kampf gegen Betrug und Korruption, auf nationaler, regionaler und örtlicher Ebene, Verstöße gegen Umweltgesetze und der Missachtung von Sicherheitsstandards bei Lebensmitteln.
In China wird das kybernetische Management des Soziallebens seit den 198ern diskutiert. Eigentlich schon seit den 1940ern, wie wir in Maos Kleinem Roten Buch sehen. Das kann man als Inspiration durch Maos Prinzip der „Massenlinien“ ansehen, wie in „Beginne bei den Massen um zu den Massen zurückzukehren: Die Ideen der Massen (die unsystematisch verteilt sind) anzuhäufen, sie (auf generelle Gedanken und Systeme) zu konzentrieren, dann zu den Massen zurückzukommen, um die Ideen zu verteilen und zu erklären, sicherzustellen, dass die Massen sie aufnehmen und in Taten umsetzen, und in den Taten der Massen die Dauerhaftigkeit dieser Ideen zu überprüfen“.
Durands Analyse geht einen Schritt über Soshanna Zuboffs Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ hinaus, wenn er endlich zum Kern seiner These kommt und zeigt, wie digitale Plattformen zu Lehensgütern werden: Sie leben und profitieren von ihren riesigen „digitalen Territorien“, die mit Daten bevölkert sind, und sich die Macht über ihre Dienste sichern, die als unersetzlich betrachtet werden.
Und so wie im Feudalismus beherrschen die Lehensgüter ihr Territorium mit der Aneignung von Sklaven. Die Herren verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie von ihrer sozialen Macht profitierten, entstanden durch die Ausbeutung ihrer Gebiete, und das beinhaltete die grenzenlose Macht über die Sklaven.
Das schreit nach totaler Konzentration. Der Silicon Valley-Fan Peter Thiel hat immer betont, dass das Ziel digitaler Unternehmer ist, genau diese Konkurrenz zu umgehen. In „Crashed: How a Decade of Financial Crises Changed the World“ wird Thiel zitiert, als er erklärt:
„Kapitalismus und Konkurrenz sind Gegensätze.
Konkurrenz ist etwas für Loser.“
Wir stehen also jetzt nicht nur vor einer Auseinandersetzung zwischen Silicon Valley-Kapitalismus und dem Finanzkapital, sondern vor einer neuen Produktionsweise: Das turbo-kapitalistische Überleben als Rentier-Kapitalismus, in dem Silicon-Giganten den Platz des Grundbesitzes einnehmen, und auch des Staates. Das ist die „techno-feudale“ Option, wie es Durand definiert.
Blake trifft Burroughs
Durands Buch ist extrem relevant um zu zeigen, wie rar es um die theoretische und politische Kritik des Digitalen Zeitalters bestellt ist. Es gibt keine genaue Kartografie all der zwielichtigen Kreise der Einkommensgewinnung. Keine Analyse darüber, wie sie vom finanziellen Casino profitieren – insbesondere die Mega-Investmentfonds, die eine Hyper-Konzentration ermöglichen, oder wie sie von der beinharten Ausbeutung der Arbeiter in ihrer Giga-Wirtschaft profitieren.
Die totale Konzentration des digitalen Globus führt zu einem Szenario, so erinnert Durand, das bereits von Stuart Mill geträumt wurde, wo alles Land in einem Staat einem einzigen Meister gehört. Unsere allgemeine Abhängigkeit von digitalen Meistern scheint die „kannibalistische Zukunft des Liberalismus im Zeitalter der Algorithmen“ zu sein.
Gibt es womöglich einen Ausweg? Die Versuchung ist, radikal zu werden – eine Mischung aus Blake und Burroughs. Wir müssen unser Verständnis erweitern – und aufhören, die Karte (wie in der Magna Carta dargestellt) mit dem Territorium (unsere Wahrnehmung) zu verwechseln.
William Blake ging es in seinen proto-psychedelischen Visionen um Befreiung und Unterordnung – er stellte eine autoritäre Gottheit dar, die Konformität über eine Art Quellcode des Masseneinflusses durchsetzt. Sieht aus wie eine Proto-Analyse des digitalen Zeitalters.
William Burroughs gedanklicher Entwurf der Kontrolle – eine Reihe von Manipulationen, inklusive durch Massenmedien (er wäre entsetzt über die sozialen Medien). Um die Kontrolle zu zerstören, müssen wir in der Lage sein, uns in ihre Kernprogramme zu hacken und sie zu stören. Burroughs zeigte, wie alle Formen der Kontrolle abgelehnt – und besiegt – werden müssen: „Autoritätspersonen werden als das gesehen, was sie sind: tote leere Masken, die von Computern manipuliert werden“.
Hier ist unsere Zukunft: Hacker oder Sklaven.
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