Erneut wird an der Konfrontationsschraube gedreht

Deutsch-französische Vermittlungsangebote nicht glaubwürdig

von Karl Müller (zeit-fragen)

«Der Schutz der russischen Grenze ist nun einmal die Aufgabe der Küstenwache»

km. Anlässlich des aktuellen Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine hat das deutsche Magazin Cicero am 29. November Frank Elbe, den ehemaligen deutschen Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im deutschen Auswärtigen Amt unter Aussenminister Hans-Dietrich Genscher, um seine Einschätzung gebeten.
So fragte Cicero: «Aber ist nicht die russische Vorgehensweise völlig unverhältnismässig aggressiv? Ein Schiff zu rammen und auf Leute zu schiessen, so kann man doch nicht zur Deeskalation der Lage beitragen.»
Frank Elbe antwortete: «Der Schutz der russischen Grenze ist nun einmal die Aufgabe der Küstenwache. Ausserdem hatten die Russen angekündigt, sich genauso zu verhalten. Wenn ukrainische Schiffe unter Inkaufnahme [mit Zustimmung] des Präsidenten sich nicht an die Regeln halten, lösen sie doch die aktuelle Situation aus.»
Kurz vorher im Interview hatte Frank Elbe dargelegt: «Sie müssen sich auch einmal die Lage von Russland anschauen: Das amerikanische Bemühen, die Ukraine und Georgien in die Nato zu holen, der Aufbau eines Raketenabwehrsystems, das Heranrücken der Nato an die russische Grenze.
Das ist doch logisch, dass das in Russland Ängste auslöst. Und dass Putin diese Entwicklungen nicht einfach geschehen lassen kann.»

Am 25. November hat die russische Küstenwache drei Schiffe der ukrainischen Marine aufgebracht und hält sie nun in einem Hafen auf der Halbinsel Krim fest. Es gab verletzte ukrainische Marinesoldaten, und die festgenommenen ukrainischen Schiffsbesatzungen sollen in Russland wegen der Verletzung der russischen Grenze vor ein Gericht gestellt werden.
Schon am Tag nach dem 25. November wurde Russland nicht nur von der ukrainischen Regierung, sondern auch von den Regierungen verschiedener EU-Staaten, von der EU, von der Nato und von der US-Regierung auf die Anklagebank gesetzt. Russ­land werden rechtswidrige Gewaltakte und Pläne für eine Machtausdehnung auf das ganze Gebiet des Asowschen Meeres vorgeworfen. Gedroht wird mit erneuten Sanktionen und Boykottmassnahmen. Die ukrainische Regierung forderte erneut militärischen Beistand der Nato und speziell Deutschlands.
Dass die russische Darstellung, wonach die ukrainischen Schiffe die russische Grenze in provokativer Absicht verletzt haben und nicht bereit waren, russisches Hoheitsgebiet zu verlassen, richtig sein könnte, wird von den Regierungen der Nato-Staaten gar nicht erst in Erwägung gezogen.
Als Historiker habe ich gelernt, dass es nicht möglich ist, Ereignisse schon einen Tag später beurteilen zu können. Erst nach gründlicher Prüfung und Sichtung vieler Quellen kristallisiert sich so etwas wie Wissen über das wirkliche Geschehen heraus. Diese Vorsicht und Sorgfalt gibt es im Umgang des Westens mit Russland schon lange nicht mehr. Sie würde auch nicht ins politische Konzept passen; denn offensichtlich geht es nicht um Wahrheitsfindung, sondern das Ziel war und bleibt die Schwächung Russlands.

Wenig glaubwürdig

Dass die deutsche und die französische Regierung wie auch die EU, der Nato-Generalsekretär, der US-Aussenminister, die US-Uno-Botschafterin und viele weitere westliche Politiker und Medien Russland nach den Ereignissen an der Meerenge von Kertsch auf die Anklagebank setzen wollen und der ukrainischen Regierung ihre Unterstützung zugesagt haben, ist insofern nicht erstaunlich – sondern nur ein weiterer Mosaikstein in der nun schon Jahre währenden Kampagne gegen Russland. Leider muss man hinzufügen: Die vorgebliche «Angst» vor einer Zuspitzung des Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine und der Ruf nach «Deeskalation» sind nicht glaubwürdig. Sonst würde man anders an die Sache herangehen und die russischen Darstellungen der Vorgänge zumindest ernst nehmen und mit einbeziehen. Das deutsch-französische Angebot, im aktuellen Konflikt zwischen Russ­land und der Ukraine zu vermitteln, ist deshalb bislang wenig überzeugend. «Neutral» ist an der deutschen und französischen Regierungspolitik kaum etwas.

Wer gibt in der Ukraine den Ton an?

Der Abgeordnete der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag Alexander Neu sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 26. November: «Die Souveränität der Ukraine entspricht etwa der Souveränität eines dreijährigen Kindes, in Abhängigkeit von seiner Mama. Glauben Sie mir das. Die Ukraine selber hat nicht viel zu sagen.» Auf diese Aussage reagierte der deutsche Rundfunkjournalist zwar ausgesprochen allergisch, doch sie bietet eine Gelegenheit, genauer nachzudenken. Sollten die Aktionen der ukrainischen Schiffe in der Meerenge von Kertsch tatsächlich eine gezielte Provokation gewesen sein, wie es die russische Seite behauptet, dann stellt sich auch die Frage: Wer hat ausserhalb der Ukraine ein Interesse an einer solchen Provokation mit all den möglichen Folgen – auch wenn offiziell so getan wird, als wolle man eine Zuspitzung des Konfliktes unbedingt verhindern?





So sprach der deutsche Regierungssprecher

Wie wenig «neutral» die Position der deutschen Regierung im aktuellen Geschehen ist, zeigte die Stellungnahme des Regierungssprechers Stefan Seibert am Morgen des 26. November in der Regierungspressekonferenz. Seibert verneinte russische Rechte auf der Krim, sprach erneut von der «völkerrechtswidrigen Annexion der Krim» und davon, dass die deutsche Regierung auch den Bau der Brücke zum russischen Festland für völkerrechtswidrig hält, um so zu schliessen: «Aus der Sicht der Bundesregierung stellen sich gravierende Fragen vor allem im Hinblick auf den Einsatz militärischer Gewalt durch russische Kräfte, für die auf der Basis der uns bislang bekanntgewordenen Fakten keine Rechtfertigung ersichtlich ist.» Damit wischte er die russische Argumentation en passant vom Tisch. Dass die russische Regierung bislang keinen Anlass sieht, die deutsche Regierung «vermitteln» zu lassen, ist nachvollziehbar.

Die Stellung der Krim

Apropos «völkerrechtswidrige Annexion»: Auch durch die permanente Wiederholung dieser Behauptung wird sie nicht richtig. Ein endgültiges völkerrechtliches Urteil über den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im Jahr 2014 liegt bislang nicht vor. Staats- und Völkerrechtler beurteilen die Rechtslage unterschiedlich. Man muss aber auch daran erinnern, dass eine überwältigende Mehrheit der Krim-Bewohner im März 2014 – knapp einen Monat nach einem verfassungswidrigen Putsch in Kiew, der sich auch gegen die Russ­land zuneigenden Bevölkerungsteile in der Ukraine richtete – in einer geheimen Volksabstimmung für einen Beitritt der Krim zur Russischen Föderation gestimmt hat. Bei einer Wahlbeteiligung von rund 83 Prozent sprachen sich fast 97 Prozent der Abstimmenden für diesen Beitritt aus, das Parlament der Krim hat diesen Antrag dann auch gestellt, und die zuständigen russischen Staatsorgane haben dem entsprochen. Alle Regierungen wissen, dass die Krim für Russland russisches Staatsgebiet ist und es deshalb nur konsequent ist, die mit diesem Anspruch verbundenen Rechte und Pflichten auch wahrzunehmen. Das betrifft auch den Schutz der Grenzen.

Die deutsche Politik und das Völkerrecht

Bedenkt man zudem den Umgang der deutschen Politik der vergangenen 20 Jahre mit dem Völkerrecht, dann liegt der Verdacht nahe, dass die Rede von der «völkerrechtswidrigen Annexion» nicht dem Wunsch nach Rechtlichkeit, sondern politischen Interessen geschuldet ist.
Mich als deutschen Staatsbürger beschäftigt die Frage, wie es gelingen kann, dass sich noch mehr Deutsche für eine ehrliche Aufarbeitung der deutsch-russischen Geschichte der vergangenen 27 Jahre und für bessere deutsch-russische Beziehungen einsetzen. Möglichkeiten gibt es viele. Angefangen beim Gespräch und beim öffentlichen Wort bis hin zu konkreten Schritten der Verständigung, zum Beispiel im Rahmen von deutsch-russischen Städtepartnerschaften (vgl. das Interview auf Seite 6 dieser Zeitung).
Die vergangenen Tage haben gezeigt, dass die Kampagne gegen Russland nicht beendet ist. Im Gegenteil, mal leiser, mal lauter wird gezündelt. Es alleine Russland zu überlassen, auf die ständigen Provokationen ruhig und besonnen zu reagieren, ist zu wenig.    •

Eskalationspläne eines US-amerikanischen Think tanks

Unter www.atlanticcouncil.org/blogs/ukrainealert/russia-s-provocations-in-the-sea-of-azov-what-should-be-done hat der US-amerikanische Think tank Atlantic Council im November 2018 folgende Empfehlungen ausgesprochen:
«Die Ukraine sollte erwägen, die Brücke, die Moskau über die Strasse von Kertsch gebaut hat, um die Krim mit Russ­land zu verbinden, durch eine Spezialoperation zu unterbrechen. Das ist aber nicht alles. Die Ukraine sollte die USA und die Nato bitten, eine Flotte bewaffneter Schiffe zur Abstattung eines Besuches in die Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer zu entsenden, um Russland herauszufordern, damit es die Nato-Schiffe durch eine Blockade oder durch Beschuss daran hindert, einen ukrainischen Hafen anzulaufen und sich damit ins Unrecht setzt. Diese Schiffe sollten bewaffnet sein, Begleitschutz durch Kampfjets bekommen und den Auftrag haben, nur dann zurückzuschiessen, wenn sie selbst beschossen werden.»

Quelle: http://www.luftpost-kl.de/luftpost-archiv/LP_16/LP15318_031218.pdf vom 3.12.2018

Gabriel kritisiert «Neuauflage der Kanonenboot-Politik»

«Für Entspannung im Ukraine-Konflikt machte sich der frühere Aussenminister Sigmar Gabriel stark. Deutschland dürfe sich ‹nicht in einen Krieg gegen Russland hineinziehen lassen›, sagte er dem ‹Tagesspiegel›. Gabriel kritisierte Forderungen der Ukraine nach deutschen Kriegsschiffen gegen Russland sowie den Vorschlag nach einer Schliessung von internationalen Häfen für russische Schiffe aus der Krim-Region. Gabriel nannte dies ‹eine Neuauflage der Kanonenboot-Politik›.»

Quelle: https://www.tagesspiegel.de/politik/g20-gipfel-streit-um-deutsche-reaktion-auf-ukraine-konflikt/23706972.html  vom 1.12.2018

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1 Kommentar

  1. Die amerikanischen Eliten mit ihrer NATO sind Verbrecher, die Millionen von Toten in ihrer Geschichte auf dem Gewissen haben.

    Gott schütze uns vor den Amis ihrer NATO, der EU und unserer eigenen Regierung.

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