Ein Schock kommt selten allein

Von Manfred Gburek, 13. April 2012

Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer benötigte nie viele Worte, um die Dinge auf den Punkt zu bringen. Er sagte zum Beispiel: „Die Lage war noch nie so ernst“ – und schon konnte er seinen Dickschädel durchsetzen. Heute ist alles viel komplizierter, etwa wenn es um den Euro und die untereinander zerstrittenen Euro-Länder geht. Man könnte auch sagen: Die Lage ist noch ernster geworden. Das hat George Soros, der große Spekulant und – wegen seiner Spendierhosen – vermeintliche Retter der Welt, neulich mit dem folgenden Satz auf den Punkt gebracht: „Die Euro-Zone steuert meiner Ansicht nach auf eine Tragödie historischen Ausmaßes zu.“

So eine Aussage macht neugierig. Also hurtig den gerade veröffentlichten April-Monatsbericht der Europäischen Zentralbank gesichtet und der Tragödie auf den Grund gegangen. In dem Bericht ist nämlich auf 17 Seiten ein Beitrag mit dem Titel zu finden: „Analyse der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung im Euro-Währungsgebiet“. Schwerer Stoff, deshalb hier nur zwei Zitate. Das erste: „Künftige Schocks werden sich von den bisher beobachteten unterscheiden, sodass die politischen Akteure nicht genug Zeit haben dürften, ihren Kurs entsprechend anzupassen.“ Im Klartext: Soros könnte recht behalten.

Nun das zweite Zitat aus dem Bericht, das Ihnen zwar ein wenig mehr Geduld abverlangt, aber einen besonders wunden Punkt der Euro-Zone berührt: „Was die nähere Zukunft betrifft, so müssen die Vereinbarungen, die im Zuge der Tagungen des Europäischen Rates vom 8./9. Dezember 2011 und 30. Januar 2012 getroffen – und am 2. März unterzeichnet – wurden und zu denen auch die Verpflichtung zählt, im Rahmen des neuen Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion einen neuen Fiskalpakt zu schließen, der auch eine ‚Schuldenbremse‘ vorsieht, strikt eingehalten werden.“

Danke für Ihre Geduld, jetzt kommt die Auflösung des Bandwurmsatzes mit einem kurzen Soros-Zitat: „Der von Deutschland vorangetriebene Fiskalpakt treibt Europa in eine deflationäre Schuldenfalle.“ Was hat es mit dem ominösen Fiskalpakt auf sich? Er enthält vor allem „die im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrags auf europäischer Ebene festgeschriebene Regel eines strukturell ausgeglichenen Haushalts. Diese soll in nationales Recht umgesetzt und mit einem im Fall von Abweichungen automatisch greifenden Korrekturmechanismus (der sogenannten Schuldenbremse) kombiniert werden.“

So weit der O-Ton der Europäischen Zentralbank. Nun ist Schluss mit den Zitaten. Immerhin kann man ihnen entnehmen, dass es sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein wird, den Fiskalpakt durchzusetzen. Denn wer kann schon daran interessiert sein, die Haushaltsdisziplin zu wahren, wenn eine „deflationäre Schuldenfalle“ droht? Im Zweifel niemand.

Was hat das alles – letzten Endes auch für Ihre Geldanlage – zu bedeuten? In Bezug auf Soros erst einmal, dass er im Wesentlichen das deutlich ausspricht, was der EZB-Monatsbericht verklausuliert zum Besten gibt: Politiker sind nur unzureichend auf künftige Schocks vorbereitet, das heißt, sie werden den Euro nicht retten können. Dass der deshalb gleich auf „eine Tragödie historischen Ausmaßes“ zusteuert, muss man Soros aber nicht unbedingt abnehmen. Denn dafür ist der potenzielle Weltretter viel zu sehr Spekulant, wobei dahingestellt sein mag, ob er nicht schon längst gegen den Euro spekuliert wie weiland 1992 – damals mit großem Erfolg – gegen das Britische Pfund.

Was hat es mit der Furcht um eine durch den Fiskalpakt ausgelöste deflationäre Schuldenfalle auf sich? Sie ist insofern unbegründet, als es erst gar nicht zum Fiskalpakt in der von Deutschland gewollten strengen Form kommen wird. Vielmehr werden Politiker, Zentralbanker, EU-Bürokraten, der Internationale Währungsfonds und jene, die gern von den Medien zitiert werden wollen, das Thema lediglich mit allen erdenklichen Meinungsäußerungen zur eigenen Profilierung nutzen. Auf den Punkt gebracht: kein Fiskalpakt, keine Schuldenfalle.

Wovor wir uns allerdings bis auf Weiteres wirklich fürchten müssen, ist die schleichende Deflation. Warum, lässt sich am besten durch den Vergleich mit der Inflation erklären: Während es bei Inflation einen Gewinner (den Schuldner) und einen Verlierer (den Gläubiger) gibt, ist der Gläubiger im Fall der Deflation nur so lange der Gewinner, wie der Schuldner zahlen kann. Doch sobald dieser zahlungsunfähig ist, was bei Deflation ja schnell passieren kann, wird der Gläubiger zum Verlierer.

Derzeit bekämpfen die Zentralbanker die Deflation mit einer äußerst expansiven Geldpolitik. Deren Ende ist längst noch nicht abzusehen. Allein schon die kleinste Andeutung von Seiten der EZB oder der Fed in den USA, die Expansion der Geldmenge zu drosseln, würde unvorhersehbare Folgen für die Wertpapier-, Devisen-, Edelmetall-, Rohstoff- und Immobilienmärkte haben. Also wird – im übertragenen Sinn – weiter Geld gedruckt.

Die Märkte spiegeln diese Entwicklung wider, was sich in der Vorliebe der Anleger mal für die eine, mal für die andere Anlageklasse äußert. Zuletzt waren in erster Linie Aktien an der Reihe, speziell in Deutschland auch Wohnimmobilien, demnächst werden es nach mehrmonatiger Unterbrechung wieder Edelmetalle sein. Diese Entwicklung mit wechselnden Favoriten wird so lange anhalten, wie die Zentralbanken bei ihrer aktuellen Geldpolitik bleiben.

Besondere Beachtung sollten Sie einem Phänomen schenken, das die EZB „künftige Schocks“ nennt: Ereignisse, von denen man nur ahnen kann, dass sie an den Märkten erhebliche Unruhen auslösen werden, ohne deren Ausmaß und den Zeitpunkt ihres Eintritts zu kennen. Erinnert sei hier nur an den Börsenkrach vom 19. Oktober 1987, an die Terroranschläge vom 11. September 2001 und an die Pleite der Bank Lehman Brothers vom 15. September 2008.

Schocks bieten Kaufgelegenheiten, aber größtenteils mit Verzögerung: Während sich beispielsweise amerikanische Aktien unmittelbar nach dem 1987er Börsenkrach erholten, brauchten deutsche Aktien dafür einen monatelangen Anlauf. Viel ausgeprägter war der Time lag nach den Anschlägen von 2001: Eineinhalb Jahre, bis die Aktienkurse wieder stiegen, während die Edelmetallpreise eine Sonderentwicklung durchmachten. Nach der Lehman-Pleite waren es immerhin drei bis vier Monate, bevor Aktienkurse und Edelmetallpreise sich erholten.

Die Lehre aus vergangenen und die Vorbereitung auf kommende Schocks bedeutet: Halten Sie neben Ihren Edelmetallbeständen und Aktien einen Teil des Pulvers trocken, also genug Tagesgeld vor, um später günstige Einstiegspreise bzw. -kurse für Käufe oder Nachkäufe zu nutzen. Wobei es durchaus möglich ist, dass speziell Gold auch mal zum Schock-Gewinner werden kann – nicht zuletzt, falls Soros recht behalten sollte.

Quelle: Manfred Gburek

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