Ein Mann – Ein Wort! (V)

Fünfter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über schädliche Sozialpolitik

von Susanne Kablitz

Mein Vater hatte mich am Dienstagabend mit der Frage zurückgelassen, was meiner Meinung nach “sozial” bedeute. Er bat mich, weder im Duden nachzusehen und schon gar nicht bei “Wikipedia” nach einer Antwort zu suchen, sondern diese Frage mit “gesundem Menschenverstand” zu beantworten. Zunächst empfand ich seine Bitte als höchst merkwürdig, so simpel und selbstverständlich erschien sie mir! Als ich mich jedoch mit ihr zu beschäftigen begann, kam ich ganz schön in Bedrängnis.

Da mein Vater mich zwar gebeten hatte, nicht im Duden oder bei Wiki nachzulesen, er mir aber das Studieren der verschiedenen Autoren im “Raum der großen Geister” nicht ausdrücklich verboten hatte, empfand ich es als Meisterleistung meiner Cleverness, seinem Wunsch nach Einsatz meines gesunden Menschenverstandes mehr als gerecht zu werden. Der von meinem Vater hochgeschätzte Raum war seltsam unaufgeräumt, so als hätte er letzte Nacht nach etwas bestimmtem gesucht, war über dessen Entdeckung erschöpft eingeschlafen und dann heute Morgen überstürzt aufgebrochen.

Meine Mutter bestätigte meinen Eindruck. “In dieser Familie besteht akute Lebensgefahr durch das Lesen zu vieler Bücher und deren Erkenntnisse daraus – halten sie besonders Deinen Vater allzu häufig vom Schlaf ab!”

Ich begann mich mit meiner Aufgabe zu beschäftigen und fragte mich: Was bedeutet “sozial”?

Nun, zunächst einmal verstand ich darunter, dass man andere Menschen nicht bestiehlt, sie nicht betrügt und hintergeht, dass man, wenn jemand in welcher Not auch immer ist, ihm aus dieser verzweifelten Lage – wenn möglich – heraushilft und ihn darin unterstützt, wieder ohne fremde Hilfe klar zu kommen. Für mich bedeutete “sozial”, dass ein Mensch seine Würde in erster Linie aus seiner eigenen Kraft schöpfen sollte, jedoch sicher sein konnte, nicht allein zu sein, wenn gar nichts mehr ging. Allerdings hieß für mich “sozial” auch, Hilfe nicht über dasnotwendige Maß hinaus in Anspruch zu nehmen und andere nicht für die eigene Nachlässigkeit und Bequemlichkeit in jeder Beziehung zahlen zu lassen.

Hatte ich etwas Wichtiges vergessen? Die großen Geister würden mir helfen und so griff ich nach dem ersten Buch, das obenauf lag. “Die verhängnisvolle Anmaßung” Friedrich von Hayeks enthielt einen Zettel mit einer Botschaft meines Vaters. “Kleines, ich war mir sicher, Du würdest hier fündig werden wollen. Ich weiß, dass Du meine Frage so gut wie möglich beantwortet hast und so bitte ich Dich herauszufinden, was Deine Interpretation mit der in diesem Land praktizierten Sozialpolitik zu tun hat und ob dies mit Deinem Sinn für Gerechtigkeit zusammenpasst. Versuche zu ergründen, was mit “sozialer Gerechtigkeit” gemeint sein könnte. Ich Drücke Dich – Dein Paps”.

Ich schmunzelte – noch nie hatte ich etwas vor ihm verbergen können, die “Unordnung” war sein Plan gewesen! Ich legte den Zettel beiseite und las die folgenden Zeilen: “So irreführend das Hauptwort Gesellschaft ist, es ist immer noch harmlos verglichen mit dem Adjektiv sozial, das wahrscheinlich das verwirrendste Wort in unserem gesamten moralischen und politischen Wortschatz ist.”

Es war sehr beruhigend, dass Herr Hayek auch nicht schlauer war als ich und so schaute ich bei Herrn Baader vorbei: “Das Wort sozial als die heiligste Vokabel der Kollektivmoralpharisäer hat im sozialdemokratischen Jahrhundert den zehn Geboten der Bibel den Rang abgelaufen.” Ja, so kannte ich ihn inzwischen – klare, unmissverständliche Worte. Ein bisschen grob vielleicht, deshalb sagte man ihm nach, er sei “unsozial und menschenverachtend” gewesen.

Bis jetzt hatte ich noch nichts gefunden, was meinen Ansichten widersprach und so ging ich davon aus, dass ich so falsch nicht lag. Was mir allerdings Kopfschmerzen bereitete, war die Frage, was “soziale Gerechtigkeit” sein sollte. Mir kam das eher wie eine bedeutungslose Floskel vor, denn war Gerechtigkeit nicht per se sozial? Was sollte Gerechtigkeit denn sonst sein?Oder war damit die soziale Gerechtigkeit gemeint, die in der Gleichmacherei aller Menschen ihr Heil zu finden glaubte und die meiner Meinung nach überhaupt keinen sozialen Charakter hatte?

Im Moment flog einem diese merkwürdige Zusammensetzung ständig um die Ohren und ich wunderte mich, dass diesen “weißen Schimmel” kaum jemand in Frage stellte, wahrscheinlich deshalb, weil unter dem Begriff jeder etwas anderes verstand. Nun, mal sehen, was ich hierzu ausfindig machen konnte und ich stieß nach sorgfältiger Suche auf die Worte Alexander Rüstows, der von 1885 bis 1963 gelebt hatte.

„Hinter der Forderung nach Gleichheit können zwei völlig verschiedenartige und verschiedenwertige Triebkräfte stehen: die Gerechtigkeit und der Neid. Um welche es der beiden es sich handelt, ist nicht immer leicht zu entscheiden, um so weniger, als sie oft gemeinsam am Werke sind, und der Neid es liebt, sich hinter der Gerechtigkeit zu verstecken.“

Uiuiui, wie gut, dass der Mann schon lange tot war, sonst hätte man ihn wohl heutzutage zumindest gesellschaftlich gelyncht. Auch der forsche Herr Mises hatte so einiges zu sagen, was den Verfechtern der vermeintlich sozialen Gerechtigkeit eher nicht in den Kram passen würde.

…Im Leben des Neurotikers kommt der Lebenslüge eine doppelte Aufgabe zu. Sie tröstet über den Mißerfolg und stellt kommende Erfolge in Aussicht. Der Neurotiker klammert sich an seine Lebenslüge, und wenn er vor die Wahl gestellt wird, entweder ihr oder dem logischen Denken zu entsagen, zieht er es vor, die Logik zu opfern. denn das Leben wäre ihm unerträglich ohne den Trost, den er in der sozialistischen Idee findet. Sie zeigt ihm, daß die Fehler, die seinen Mißerfolg verschuldet haben, nicht in seiner Person, sondern in dem Gang der Welt liegen, hebt damit sein gesunkenes Selbstbewusstsein und befreit ihn vom quälenden Minderwertigkeitsgefühl.” Autsch! – dachte ich bei mir.

Und bei Herrn Hayek: “Ständig an unsere soziale Verantwortung gegenüber all den Bedürftigen und Unglücklichen unserer Gemeinde, in unserem Land oder in der Welt erinnert zu werden, kann nur die Wirkung haben, unsere Gefühle abzustumpfen, bis der Unterschied zwischen Fällen, in denen wir die Pflicht haben zu handeln, und jenen, für die wir nicht verantwortlich sind, nicht mehr gesehen wird.”

All das würde man sich heute im Leben nicht mehr trauen auszusprechen. “Die Gesellschaft” wäre entsetzt. Die Meinung “der Gesellschaft” war vielen enorm wichtig, wer abwich, galt als unsozial und moralisch entwertet. Das schien schlimmer zu sein als sich die Krätze einzuhandeln.

Aber was wäre, wenn wir uns eigentlich ins eigene Bein schossen? Wenn wir die Definition der sozialen Gerechtigkeit, die es in der proklamierten Allgemeingültigkeit anscheinend so nicht gab, sie jedoch widerstandslos als moralisch einwandfrei übernahmen? Und vor allem – was hatte der Staat damit zu tun, der es sich zur obersten Aufgabe gemacht hatte, genau für diese sogenannte soziale Gerechtigkeit zu sorgen und die für richtig befundene Definition politisch mit aller Staatsgewalt umzusetzen?

War die Sozialpolitik wirklich sozial oder war sie ein trojanisches Pferd, dessen Bauch randvoll mit überbordender Bürokratie, überflüssigen Kosten, unendlichen Vorschriften und der letztendlich vollkommenen Abhängigkeit von der Staatsmacht zugestopft war und somit nur den Profiteuren aus Politik und eng verbundener Wirtschaft dienlich war?

War die Forderung nach umfassender, monopolisierter Sozialpolitik nicht genau das, was unseren Wohlfahrtsstaat in den sicheren Staatsbankrott führte? War es wirklich sozial, wenn Menschen aus nachvollziehbaren Gründen nach einer Krankenversicherung für alle riefen, diese sich aber nur über zusätzliche Schulden finanzieren ließ? War es sozial, wenn Menschen, die in die staatliche Rentenversicherung zwangsweise einzahlten, ihnen daher kaum genügend Geld übrig blieb, selbstständige und eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen im Rentenalter feststellten, dass sie mehr denn je von der Gnade des Staates abhängig waren?

War es so, wie Frédéric Bastiat es niedergeschrieben hatte: „Im Bereich der Ökonomie ruft eine Handlung, eine Gewohnheit, eine Einrichtung, ein Gesetz nicht nur eine einzige Wirkung hervor sondern eine Reihe von Wirkungen. Von diesen Wirkungen ist nur die erste direkt, sie zeigt sich gleichzeitig mit ihrer Ursache, man sieht sie. Die anderen entwickeln sich erst nach und nach, man sieht sie nicht; glücklich wenn man sie vorhersieht. 

Oft ist die erste Frucht einer Gewohnheit umso süßer, je bitterer die späteren sind. …Wenn also ein Mensch, von der Wirkung, die man sieht, überwältigt, noch nicht gelernt hat, diejenigen Wirkungen wahrzunehmen, die man nicht sieht, so wird er nicht nur aus Neigung sondern aus Kalkül unheilvollen Gewohnheiten verfallen.

Zwei sehr verschiedene Meister lehren diese Lektion: Die Erfahrung und die Voraussicht. Die Erfahrung herrscht effizient aber brutal. Sie lehrt uns alle Wirkungen einer Handlung, indem sie sie uns fühlen lässt: wir können der Erkenntnis, dass Feuer brennt, nicht entgehen, wenn wir uns verbrennen. Diesen derben Arzt würde ich gerne soweit wie möglich durch einen sanfteren ersetzen: die Voraussicht. Deshalb erforsche ich die Folgen gewisser ökonomischer Phänomene und setze denen, die man sieht, diejenigen entgegen, die man nicht sieht.“?

Wie oft hatte ich gehört, dass soziale Absicherungen ein Menschenrecht seien und dass für alles Geld da sei, nur für das Notwendigste nicht. Nun, zunächst einmal, es war nicht für alles „Geld genug da“! Die Regierungen taten nur gerne so, wenn es Dinge zu bezahlen galt, die sie für „sinnvoll“ erachteten. Dazu gehörte vor allem jede Menge „Tinnef“, der ihnen das Gefühl gab, wertvoller und achtungswürdiger zu sein als der normale Mensch, durch den sie sich finanzierten. In Wirklichkeit machten sie für „notwendige Dinge“ Schulden (das ließ sich dem Wahlvolk gut verkaufen) und bezahlten die Dinge, für die kein Steuerzahler Verständnis aufbrachte, aus dem erbeuteten Steuergeld, denn diese Ausgaben mussten sie nicht noch einmal begründen, nachdem der erhobene Steuersatz akzeptiert worden war.

Ich teilte die Meinung, dass soziale Sicherungen ein Menschenrecht waren, aber warum genau gaben wir dann ausgerechnet dem größten Verschwender und  Interessenbückling unterschiedlichster Lobbygruppen unser Geld dazu in die Hand? Warum vertrauten wir den Ertrag unserer Intelligenz, unserer Ideen, unserer Lebenszeit, unserer Arbeitskraft und unserer Kreativität ausgerechnet demjenigen an, der uns mit der staatlichen Enteignungswaffe namens Inflation zu Bittstellern machte? Warum verteidigten wir einen Staat, der uns im Ernstfall auch ins Gefängnis stecken ließ, wenn wir dem staatlichen legitimierten Diebstahl namens Besteuerung und Abgabenverordnung  nicht Folge leisteten?

Warum glaubten wir, dass die gesetzlichen Renten- und Krankenversicherungssysteme zu unserem Vorteil waren? War es nicht eher so, dass diese beiden Umverteilungsparadiese uns massiv schadeten? Warum hieß es gesetzliche Rentenversicherung, obwohl dieses System nichts mit einer Versicherung zu tun hatte? Warum durfte ich meine Arztrechnungen nicht sehen, wenn ich behandelt worden war? Warum durfte ich nicht für mich und mein Wohl alleine entscheiden? Warum nicht?

Dies ist der fünfte Teil einer Serie, die in respektvoller Erinnerung an den herausragenden österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises (1881 – 1973) in sieben Gesprächsintervallen erscheint.

Erster Teil: Ein Mann – ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über den Liberalismus

Zweiter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Österreichische Schule der Nationalökonomie

Dritter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Freiheit und den Frieden

Vierter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über billiges Geld

Sechster Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Gleichheit vor dem Recht

Siebter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Feinde der Freiheit

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