Ein Mann – Ein Wort! (II)

Zweiter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Österreichische Schule der Nationalökonomie

von Susanne Kablitz

Seit heute Morgen wühlte ich mich durch den Teil der Bibliothek meines Vaters, der mit der Überschrift „Die Österreicher“ versehen war. Ich hatte dies bis jetzt noch nie getan. Nie war ich für längere Zeit ohne meinen Vater hier oben auf dem Dachboden. Dies lag vor allem daran, dass ich immer ein wenig Sorge hatte, etwas durcheinanderzubringen oder gar kaputt zu machen. Als „die Große“ von drei Kindern durfte ich zwar auch ohne vorher zu fragen in das „Zimmer der großen Geister“; der Respekt jedoch, den mein Vater diesem Raum zollte, hielt mich zumeist davon ab. Außerdem machte es mir in seiner Gegenwart sehr viel mehr Freude, wurden meine Fragen entweder sofort beantwortet oder ich konnte mich auf unser nächstes Gespräch freuen.

Es ist eine der ganz besonderen Erinnerungen an jene Zeit vor vielen Jahren, die mir heute noch die Tränen in die Augen treibt. War ich für meinen Vater außerhalb dieser Wände meist „sein kleines Mädchen“, das es zu beschützen galt (was meist ziemlich nervig war), fühlte ich mich hier oben wie sein gleichberechtigter Gesprächspartner. Es war eine wunderbare Zeit.

Die Tatsache, dass ich mit der Gewohnheit, diesen Raum nicht alleine für längere Zeit zu besuchen, heute brach, lag an den Gesprächsfetzten, die ich gestern Nacht mitangehört hatte, als ich nicht schlafen konnte und mir etwas zu trinken holen wollten. Meine Eltern saßen gerne nach dem Abendessen noch lange in der Küche beieinander und redeten dort stundenlang. Sie genossen diese Abende, wenn wir Kinder im Bett waren und sie sich bei einem guten Glas Rotwein in aller Ruhe unterhielten. Normalerweise huschte ich schnell, fast unsichtbar, in die Küche, nahm mir ein Glas Wasser und setzte meinen Schlaf zufrieden fort.

Gestern Nacht war es anders gewesen. Es war lauter, aufgebrachter! Die Unruhe ließ mich vor der Küchentür abbremsen und ich ertappte mich beim Lauschen. Ich kannte diesen Tonfall so nicht, er passte allerdings gut mit dem Eindruck zusammen, den ich in den letzten Tagen vom Gemütszustand meines Vaters gewonnen hatte. „Wir steuern auf eine unvorstellbare Katastrophe hin!“ und „Alles wiederholt sich, nur diesmal wird es noch viel schlimmer werden!“ war zu hören. Mein Vater lief nervös hin und her und sagte: „Warum erkennen die Menschen einfach nicht, dass wir die gleichen Fehler immer wieder machen, warum lernen wir nichts daraus?“

Meine Mutter wirkte ebenso besorgt und bestätigte ihn in seinen Befürchtungen, was mich gänzlich aus dem Konzept brachte. Ich kannte meine Mutter fast nur fröhlich, außer, wir hatten etwas ausgefressen oder sie sich über meinen Vater ärgerte. Dann aber war sie sauer, manchmal auch wütend, aber sie war lebendig. Die Stimmung jetzt war gänzlich anders – eine abgrundtiefe Verachtung für das derzeitige Geschehen, verbunden  mit einer lähmenden Hilflosigkeit.

In ihrem Gespräch fielen Namen wie Ludwig von Mises, derjenige aus dessen Buch „Liberalismus“ mein Vater mir vor drei Tagen vorgelesen hatte, aber auch Friedrich von Hayek, Roland Baader, Ayn Rand, Henry Hazlitt, Murray Rothbard, Frédéric Bastiat, Gary North, Ron Paul. Es waren noch ein paar mehr, aber alle konnte ich mir nicht merken. Ich hörte, dass mein Vater sagte, dass diese Menschen vor den herannahenden Wirbelstürmen mehr als eindringlich warnten, diese Warnungen jedoch, die zum Teil bereits vor einhundert Jahren formuliert und mehr denn je aktuell waren, einfach ignoriert werden.

Der Segen der Kindheit ist, dass man irgendwann so müde wird, dass einen auch die schlimmsten Vorahnungen nicht vom Schlaf abhalten und so verließ ich meinen Ort des Lauschens. Als ich jedoch heute Morgen wach wurde, war alles wieder da. Ich konnte nicht mehr bis zum Abend warten und stieg die Treppen hinauf.

Ein Buch fiel mir auf, eben weil ich mit einigen Zeilen aus einem anderen vor drei Tagen schon vertraut war und so las ich in der zweiten Auflage des 1924 erschienenen „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel“  folgende Sätze: „Böse Erfahrungen mit Banknoten, die wertlos geworden waren, weil sie nicht eingelöst wurden, haben zur Beschränkung des Notenausgaberechts auf einige wenige privilegierte Anstalten geführt. Doch die Erfahrungen, die man mit der staatlichen Reglementierung des Notenbankwesens gemacht hat, sind unvergleichlich ungünstiger als es die waren, die man mit der Bankfreiheit gemacht hat.

Was bedeuten alle Zusammenbrüche von Noten- und Girobanken, die die Geschichte kennt, wenn man sie dem Ausgang des deutschen Notenbankwesens gegenüberhält? Alles, was gegen das System der Bankfreiheit vorgebracht wurde, verblasst gegenüber dem, was heute gegen das System der staatlichen Regelung des Notenbankwesens  einzuwenden ist. Die etatistischen Argumente, die seinerzeit gegen die Freiheit der Notenausgabe vorgebracht wurden, haben für uns alles Gewicht verloren; wie überall, so hat auch auf dem Gebiete des Bankwesens der Etatismus versagt.“

Das verstand ich nun überhaupt nicht! Ich hatte in der Schule gelernt, dass wir gar kein staatliches Geldsystem haben, sondern die Banken – vor allem die Zentralbanken – in privater Hand liegen und deshalb die Finanzprobleme existieren. Ich habe auch gelernt, dass es gut ist, wenn wir immer weiter Schulden machen, um alle Rechnungen bezahlen zu können. Kann man nämlich seine Rechnungen nicht bezahlen, dann ist man eigentlich pleite. Deshalb ist es angeblich sinnvoller, ständig den Dispokredit zu erhöhen, damit die anderen nicht merken, dass man pleite ist. Merken das nämlich die anderen, geben die einem kein Geld mehr. Meine Mitschüler sagten, dass das inzwischen auch egal sei, weil alle Staaten gleich bankrott seien und schließlich würde die Welt zusammenbrechen, wenn die normalen Menschen davon Wind bekämen. Also sei es doch wohl nur richtig, den Menschen zu sagen, alles sei in Ordnung.

Ich habe im Unterricht eingewendet, dass das ja doch eine Vorspiegelung falscher Tatsachen ist und im Prinzip Betrug. Aber man hat mir erklärt, dass das nur bei den normalen Menschen so ist, bei Staaten ist das etwas ganz anderes. Hier soll es gut sein, wenn der Staat ständig mehr Geld ausgibt als er einnimmt. Hier soll es hingegen doof sein, wenn Staaten, die jahrelang über ihre Verhältnisse gelegt haben, viel mehr versprochen haben als sie einhalten konnten und sich vollkommen überschuldet haben, nun in Bescheidenheit und Sparsamkeit üben (was sie übrigens nie tun, aber immer so tun als ob!)

Nun bekam ich den Eindruck, dass ich entgegen der landläufigen Meinung, doch gar nicht so falsch lag. Es gab wohl doch eine Staatsfinanzierung über die Notenpresse. Das leuchtete mir auch ein, denn wer sollte diese ganzen Schulden, denen kein Wert gegenüberstand,  denn auch sonst kaufen wollen als die Banken, die staatsseitig gegen die Zahlung eines hübschen Zins dazu „animiert“ wurden.

Ich griff nach einem weiteren Buch und hielt „Nationalökonomie“ aus dem Jahr 1940 in den Händen, dort hieß es: „Das eine steht fest: keine wie auch immer geartete Maßnahme der Kredittechnik kann der Wirtschaft das geben, was ihr fehlt. Um die Pläne der Unternehmer durchzuführen, bedarf es eines Bestandes an Produktionsmitteln, der den verfügbaren Bestand übersteigt. Es fehlt an Produktionsmitteln, nicht an Geld und Kredit. Dieser Sachverhalt tritt in dem Augenblick zutage, in dem die Banken, durch die immer rascheren Fortgang der Hausse ängstlich geworden, die weitere Kreditausweitung einstellen. Sobald der Zustrom zusätzlichen Geldes versiegt, muß das ganze Gebäude der Konjunktur einstürzen.“

Nanu, was bedeutete das denn? Wurden etwa permanent Ursache und Wirkung verwechselt? Ich las weiter: „Als Abstieg der Konjunktur bezeichnet man die Wiederanpassung der Produktion an die durch den Stand der verfügbaren Produktionsmittel und die Wertungen der Verbraucher gegebene Marktlage. Diese Ausdrucksweise und die lauten Klagen, die diesen Prozeß zu begleiten pflegen, geben ein falsches Bild. Der Abstieg der Konjunktur ist fortschreitende Annäherung der Produktion an einen Zustand, in dem sie den Bedürfnissen der Verbraucher so gut, als es die Verhältnisse  gestatten, und jedenfalls besser entspricht als auf dem Scheitelpunkt der Konjunktur, an dem der Abstieg beginnt.

Der Aufstieg war Kapitalfehlleitung und daher Kapitalverminderung und wirtschaftlicher Rückschritt, der Abstieg ist wirtschaftlicher Fortschritt, der Abstieg ist wirtschaftlicher Fortschritt in dem Sinne, daß er die vorhandenen Produktionsmittel den Verwendungen zuführt, in denen sie dem Verbrauch der Dienste zu leisten vermögen. Wer über die Vorgänge auf dem Markte und die Produktionsverschiebungen, die der Abstieg bringt, klagt, klagt darüber, daß ihm Illusionen genommen werden und daß er nun die Dinge so sehen muß, wie sie sind. Der Abstieg vernichtet nicht Werte, er wertet nur illusionsfrei und nüchtern. Was man als die Übel des Konjunkturniedergangs ansieht, ist das Gewahrwerden der Folgen des durch die Kreditausweitung vorgetäuschten Aufstiegs.“

Als mein Vater mich inmitten der ausgebreiteten Bücher auf dem Boden sitzend vorfand und er wieder einmal meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, lächelte er mich liebevoll an. „Na Kleines, wie geht es Dir?“ Ich konnte meinem Vater im Augenblick überhaupt keine Antwort darauf geben und zuckte mit den Schultern. Ich wusste es wirklich nicht. Mir schwirrte der Kopf, immer weniger passte zu dem was ich bisher gehört und gelesen hatte.

Als mein Vater sich zu mir auf den Boden setzte, wusste er, dass er mein bisheriges Weltbild komplett auf den Kopf stellte. „Kleines, die Welt wird sich gewaltig verändern, von vielen liebgewonnen Dingen werden wir uns verabschieden müssen, die Menschen müssen sich auf härtere Zeiten einstellen. Ein Wohlstand auf Pump und er Glaube an die damit verbundenen Lügen führt eben zu dem, was wir jetzt erleben. Sie werden lernen müssen, dass nur wenig so ist, wie es scheint und wie es ihnen über viele Jahre eingeredet wurde. Das wird Wut, Ärger und Verleugnung auslösen, aber es wird an den Tatsachen nichts ändern. Und Du, mein Kind, bist mitten drin!“

Dies ist der zweite Teil einer Serie, die in respektvoller Erinnerung an den herausragenden österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises (1881 – 1973) in den nächsten sieben Vater-Tochter-Gesprächsintervallen erscheint.

Erster Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über den Liberalismus

Dritter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Freiheit und den Frieden

Vierter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Gleichheit vor dem Recht

Fünfter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Sozialpolitik

Sechster Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über billiges Geld

Siebter Teil: Ein Mann – Ein Wort! – Ein Gespräch zwischen Vater und Tochter über die Feinde der Freiheit

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