Echter Konsens mit Methode

von Alexander Scheibe (cafeliberte)

Dem geneigten Leser dieser Seite dürfte mittlerweile bekannt sein, dass unsere bundesrepublikanische Art der demokratischen Abstimmung diverse Makel aufweist.

Betrachten wir das Ergebnis der letzten Bundestagswahl, so lässt sich konstatieren, dass nur zwei (im Grunde ja doch nur eine) große Interessenvertretungsgruppen „gewonnen“ haben, wohingegen die Vertreter (und damit auch die Wähler – immerhin knapp 7 Millionen!) kleinerer Gruppierungen u.a. durch die 5%-Hürde, aber eben auch durch die Anwendung des üblichen Mehrheitsentscheids, in die Röhre schauen – sie haben die Wahl „verloren“. Die Linksgrünen und Grünlinken zähle ich mal nicht zu den Verlierern, da sie ja trotz allem an den Fleischtöpfen sitzen und nunmehr für oppositionelle Reden ohne eigene Umsetzungsverantwortung von den Steuergeldern zehren dürfen.

Dass die 5%-Hürde ein heißes Thema ist, über dessen Änderung man zumindest ernsthaft diskutieren müsste, sollte fast jedem klar sein.

Weniger klar ist den meisten Menschen jedoch, dass schon allein die Art der Abstimmung die Abstimmenden einer Wahl in Gewinner und Verlierer teilt und somit systembedingt für eigentlich abwendbare Spannungen sorgt. Der somit erzeugte Dissens blockiert das volle Potenzial einer Gesellschaft, die dadurch von einem echten Konsens und kreativer Blüte meilenweit entfernt ist.

Wäre es nicht schön, wenn es eine Abstimmungsmethode gäbe, die die Wähler eben nicht in Gewinner und Verlierer teilt und obendrein auch noch kritischen Stimmen zu Gehör verhilft? Nun, die gibt es und ich werde sie Ihnen vorstellen – das sogenannte Systemische Konsensieren (ab jetzt SK genannt).

SK macht die Widerstände gegenüber den Wahlmöglichkeiten messbar und fördert somit die Konsensfindung. Wie Sie gleich sehen werden, führt SK auf diese Art und Weise sogar zu einer Verhaltensumkehr seitens der Wahlvorschlaggeber. Nehmen wir als Beispiel eine Gruppe dreier uns wohl bekannter Protagonisten eines beliebten Demokratiestichworts – Wolf 1, Wolf 2 & Schaf 1 – und lassen diese darüber abstimmen, was es zum Essen geben soll. Mit dem üblichen Mehrheitsentscheid ist das Ergebnis schnell klar, da die Wölfe eine Koalition bilden und das heftig protestierende Schaf trotz all seiner Einwände überstimmen und verspeisen.

Eine bunt gemischte Tiergruppe mit völlig unterschiedlichen Nahrungspräferenzen (Wolf, Schaf, Ameise, Eule) hätte recht sicher so abgestimmt, dass jedes Tier nur für seinen eigenen Vorschlag stimmt (kein Konsens) oder sie hätte sich über Koalitionen und Machtkämpfe (z.B. wenn der Wolf die Ameise unterdrückt oder wenn Eule und Schaf eine Union bilden) auf eine knappe Mehrheit geeinigt (wieder kein Konsens, da 50% Verlierer).

Abstimmungsverhalten bei normalem Mehrheitsentscheid:

Tier/Essen                          Schafkeule                         Salat                      Weichkäse                         Toastbrot

Wolf                                      X

Schaf                                                                                   X

Ameise                                                                                                                              X

Eule                                                                                                                                                                    X

Die Eule, seit alters her bekannt für ihre Weisheit, hatte eine Idee. „Lasst uns doch diese neue Methode aus Österreich probieren, dieses Systemische Konsensieren. Da gibt man keine Stimme FÜR etwas ab, sondern gibt seinen Widerstandswert auf einer Skala von 0-10 (0 = keinerlei Einwand, 10 = völlig inakzeptabel) GEGEN etwas an. Der Vorschlag mit dem geringsten Gruppenwiderstand soll dann unser Ergebnis sein.“

Und schon machten sich die Tiere auf und erstellten eine neue Tabelle. Wie zu erwarten, stimmten Wolf und Schaf, die beiden alten Kontrahenten, bei dieser neuen Methode „taktisch“ ab, was zu folgendem Ergebnis führte:

Abgegebene Widerstandswerte und ermittelter Gruppenwiderstand – 1. Versuch

Tier/Essen                          Schafkeule                         Salat                      Weichkäse                         Toastbrot

Wolf                                      0                                             10                           10                                          10

Schaf                                    10                                          0                             10                                          10

Ameise                                               2                                             4                             0                                             3

Eule                                      5                                             6                             7                                             0            

Gruppenwiderstand      17                                          20                           27                                          23           

Der Wolf leckte sich schon die Zähne, die Ameise tat recht gleichgültig, denn ihr war jedes Essen recht, aber das Schaf schrie Zeter und Mordio und wollte schon die Presse ob einer unglaublichen Verschwörung gegen sich unterrichten und so sprach die Eule (der Schafkeule zwar nicht abgeneigt, wohl aber in einer Moderatorenausbildung befindlich) schließlich:

„Liebe Leute, auch das ist kein echter Konsens. Euer Eifer hat euch in die alte Taktikfalle laufen lassen, mit dem Ergebnis, dass wieder mal nicht alle mit dem Endergebnis leben können und verfeindete Lager entstehen. Stimmt doch bitte so ab, wie es euren echten individuellen Bedürfnissen entspricht.“

Unter Blöken und Knurren machten sich die Tiere also erneut an eine Abstimmung.

Abgegebene Widerstandswerte und ermittelter Gruppenwiderstand – 2. Versuch

Tier/Essen                          Schafkeule                         Salat                      Weichkäse                         Toastbrot

Wolf                                      0                                             9                             8                                             7

Schaf                                    10                                          0                             7                                             3

Ameise                                               2                                             4                             0                                             3

Eule                                      5                                             6                             7                                             0            

Gruppenwiderstand      17                                          19                           22                                          13           

Da waren die Tiere aber plötzlich erstaunt, denn es gab eine Lösung, mit der sich jeder irgendwie arrangieren konnte. Sie war zwar nicht für jeden die perfekte Lösung, sorgte aber zumindest für ein gemeinsam getragenes Ergebnis ohne Zwang und man kam voran.

Der Wolf entgegnete kurz darauf jedoch: „Jeden Tag Toastbrot mag ich aber nicht essen. Morgen will ich was mit Fleisch!“ und das Schaf sagte meckernd: „Nääää, ich will kein Fleisch!“ Die Eule, jetzt erneut die Chance für einen schlauen Satz witternd, erwiderte: „Freunde, das scheint mir doch die Stärke beim SK zu sein: Macht doch als Option morgen z.B. den Vorschlag, dass wir Schinkenbrote essen und das Schaf dem Wolf den Schinken gibt und der Wolf dem Schaf das Brot. Redet miteinander und gebt Vorschläge ab, die bereits von vornherein den größtmöglichen Interessenausgleich zum Ziel haben, denn dann ist die Gewinnwahrscheinlichkeit für euren Vorschlag extrem hoch.“

Da machte es plötzlich klick in den Hirnen und Ganglien der Tiere, denn sie erkannten, dass sie nun eine Methode gefunden hatten, um leidige Machtkämpfe zu verhindern. Und nicht nur das, nein, sie hatten sich auch ein Kommunikationswerkzeug erschlossen, welches langjährige Streitereien zur Lösungssuche auflöste! Mit dieser Erkenntnis und der daraus folgenden Verhaltensumkehr lebten sie nun glücklich bis ans Ende ihrer Tage… und wenn sie nicht gestorben sind, konsensieren sie noch heute.

Ich denke, die Moral der Geschichte dürfte Ihnen trotz biologischer Inkorrektheit und dem Fakt, dass in einem freien Markt kaum etwas leichter zu klären wäre als die Essensauswahl, klar geworden sein.

Mit dem Systemischen Konsensieren verschiebt sich der Denkrahmen bei Abstimmungen schon im Vorfeld hin zur Konfliktlösung. SK ist daher für viele Arten der Entscheidungsfindung und Abstimmung nützlich. Natürlich habe ich in diesem kurzen Text nicht alle Finessen und Einsatzmöglichkeiten des SK (Filtern über die Nulllösung, Schnellkonsensieren, Personenwahlen, Parlamentsabstimmungen mit und ohne Fraktionszwang, usw.) beleuchten können, aber vielleicht ist Ihnen nun bewusst geworden, dass man auch anders und einfach BESSER abstimmen kann.

Und wenn schon ein paar Tiere zu einer Anwendung in der Lage waren, sind wir Menschen das sicherlich auch…

Eine kleine Denkanregung zum Schluss: Stellen Sie sich nun eine Gesellschaft vor, die mit SK in Gruppen zu Lösungen findet und abstimmt. Man könnte über völlig neue Arten der Zusammensetzung bei Entscheidungsträgern in Parlamenten sinnieren (weil nicht das Parteibuch entscheidet, sondern die beste Lösung), über eine stärkere Partizipation bei Abstimmungen in Unternehmen und Kommunen und letztlich sogar über Gesellschaftssysteme, die ohne zentralistische Herrschaft auskommen (in der Tat wirkt SK sehr gut in kleineren, regionaleren Organisationseinheiten, da hier die Kommunikation im Vorfeld wesentlich leichter ist).

Nichtsdestotrotz bleibt SK allerdings immer noch eine demokratische Abstimmungsmethode (was viele Libertäre per se schon mal negativ beurteilen werden) und somit in meinen Augen gerade für viele Befürworter des üblichen Mehrheitsentscheids als Hinführung zum Denken in dezentraleren Bahnen geeignet.

Ich selbst bin überzeugt, dass SK für viele Liberale und Libertäre den Horizont stark erweitern kann – im Grunde sogar für alle Menschen. Selbst in der anarchokapitalistischsten Einsiedler- und Aussteigerkommune wird irgendwann mal eine Entscheidung als Gruppe getroffen werden müssen.

Daher mein Aufruf: Probieren Sie es einfach mal aus!

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