Digitale Ausweise – ein Traum für den Überwachungsstaat

Rafael Lutz (infosperber)

Tech-Giganten arbeiten an digitalen Identitäten und Pässen – damit schaffen sie neue Kontrollmöglichkeiten.

Analoge Impf- und Reisepässe gehören der Vergangenheit an: Diese Meinung vertritt die Organisation ID2020 aus New York. Sie arbeitet an einer transnationalen digitalen Identität, bei der alle Informationen über jeden Einzelnen zusammenfliessen sollen: Ausbildungs- und Impfnachweise, Finanzstatus, Konten von Netzwerken wie Twitter oder Facebook bis zu den vom Smartphone produzierten Daten.

Zu den Unterstützern von ID2020 zählen Microsoft, die GAVI-Impfstoff-Allianz, die Rockefeller Foundation sowie das International Rescue Committee (IRC). Zu den Kooperationspartnern gehören die US-Regierung, die EU-Kommission und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.

Selbstverwaltete Identität

Anstatt mit Papieren soll sich jeder künftig mit Gesicht, Iris und Fingerabdruck ausweisen, dies zumindest sind die Pläne der Hightech-Konzerne und der ID2020 Allianz. «Über die Daten soll jeder selbst verfügen», sagt Dakota Gruener, Leiterin von ID2020. Die Rede ist auch von der «Self-sovereign identity», der sogenannten selbstverwalteten Identität.

Die Daten sollen auf einer Blockchain gespeichert werden. Einer Art digitalem Kontobuch, das Daten auf zahllosen Servern weltweit verschlüsselt abspeichert. ID2020 selbst bewirbt ihre Zukunftsszenarien gegenüber der Öffentlichkeit als fortschrittliches Projekt. Sie teilt die «Überzeugung, dass Identität ein Menschenrecht ist und dass der Einzelne ‹Eigentum› an seiner eigenen Identität haben muss».

«Jeder siebte Mensch weltweit kann nicht nachweisen, wer er ist; und ist deshalb weitgehend ausgeschlossen vom Gesundheits-, Schul- und Bankenwesen», sagt Gruener. Verlange künftig eine Bank, ein Vermieter oder ein Grenzbeamter Details über eine bestimmte Person, so könne diese mittels einer Smartphone-App die entsprechenden Informationen freigeben.

Reisen ohne Pass

Wer in Zukunft reisen will, soll dies mit einem digitalen Reisepass machen können. Unter der ID2020 läuft ebenso das «Projekt Known Traveller Digital Identity» (KTDI), das erstmals im Rahmen des Weltwirtschaftsforums (WEF) 2018 in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten vorgestellt wurde.

KTDI soll künftig Reisen ohne Papiere ermöglichen. Dafür stellen die Reisenden ihre biometrischen Daten und persönlichen Informationen wie bereits getätigte Auslandsreisen, die Kreditkartennutzung oder den Wohnort zur Verfügung. «Wenn dieses System eine gewisse Zeit benutzt wird, sind auch vergangene Grenzübertritte gespeichert. Und damit steigt natürlich die Glaubwürdigkeit, weil man mehr validierte Daten zur Verfügung stellen kann», sagt Christoph Wolff, Leiter des KTDI-Projekts.

«Wenn der Reisende ankommt und er sich durch seine Biometrie ausweisen kann, dann fliessen im Hintergrund diese Informationen zusammen, und der Reisende wird in 99 Prozent der Fälle als vertrauenswürdig eingestuft», sagt Wolff weiter. Er könne dadurch, ohne in der Schlange zu stehen oder kontrolliert zu werden, den entsprechenden Checkpoint überschreiten. Ein erstes Pilotprojekt, das passfreies Reisen zwischen Kanada und den Niederlanden ermöglichen soll, startet Anfang 2021.

Projekte laufen bereits

Erste Pilotprojekte zur Etablierung digitaler Identitäten laufen bereits. In Bangladesch ging ID2020 im September 2019 gemeinsam mit der Impfallianz GAVI eine Kooperation mit der Regierung ein. Diese sieht vor, Impfungen als Gelegenheit zu nutzen, um digitale Identitäten zu etablieren. «In Bangladesch erhalten bis heute nur 20 Prozent aller Kinder eine Geburtsurkunde; zugleich aber werden fast alle Kinder gegen Krankheiten geimpft», sagt Gruener. Dies habe ID2020 auf die Idee gebracht, die beiden Dinge miteinander zu verknüpfen.

«Einerseits stärken wir so das Impfsystem, in dem wir einen digitalen Impfnachweis einführen; andererseits nutzen wir die Digitalisierung des Impfsystems, um eine digitale Identität für die Kinder aufzubauen», sagt Gruener weiter. Das Pilotprojekt in Bangladesch ist erst der Anfang. Die Pläne der ID2020 gehen deutlich weiter. Digitale Ausweise will die Allianz weltweit einführen. Als Beschleuniger könnte dabei möglicherweise die Corona-Impfung dienen. Dazu der deutsche Journalist Thomas Kruchem auf SRF-News: «Kein Papier, das man verlieren oder fälschen könne. Nein, ein digitaler Impfnachweis auf biometrischer Basis: Die Kamera der Grenzbehörde oder am Eingang des Fussballstadions erkennt an meinem Gesicht, ob ich geimpft bin.»

Diese Szenarien stimmen mit dem überein, was ID2020-Partner Bill Gates diesen Frühling verkündete. Gates hat sich dafür ausgesprochen, dass der Nachweis einer Corona-Impfung die Voraussetzung für grenzüberschreitendes Reisen werden müsse. Er fordert einen digitalen Impfausweis auf biometrischer Basis. So, dass Kameras von Grenzbehörden am Gesicht erkennen können, ob die Person geimpft sei. Die «Bill und Melinda Gates Stiftung» finanzierten auch die Impfallianz GAVI mit insgesamt 4,1 Milliarden Dollar, welche zu den grössten Unterstützern von ID2020 zählen.





US-Regierung hat Zugriff auf die Daten

Was diese Visionen der Tech-Giganten und der Allianz ID2020 konkret bedeuten könnten, dürfte bei vielen Horrorszenarien hervorrufen. Die Bürger können sich mit digitalen Pässen zwar teilweise von ihren Regierungen emanzipieren. Was insbesondere für diejenigen Bürger, die aus ihrem Land flüchten, entscheidend sein kann.

Dafür machen sie sich aber umso mehr von der US-Regierung abhängig. Denn die US-Sicherheitsbehörden haben mittels des sogenannten Cloud-Gesetzes (Cloud Act) Zugriff auf die Daten auf Servern von US-Unternehmen, die bei der Schaffung der digitalen Pässe federführend sind. Sie sind es, welche die zentral verwalteten Zugänge zu den Identitätsdaten kontrollieren. Dazu schreibt der deutsche Wirtschaftsjournalist Norbert Häring:

«Nichts wird die US-Regierung davon abhalten können, Microsoft oder Amazon oder einem der US-Unternehmen, die die Blockchain-Architektur des Programms bestimmen, den Befehl zu geben, die Daten von Individuen oder Unternehmen auszulesen oder zu blockieren oder so zu manipulieren, dass die Betroffenen handlungsunfähig werden.»

Datenschutz in Gefahr

Bedenken äussern auch Datenschutzexperten angesichts der Pläne von ID2020. Tom Fisher, Datenschutzaktivist der Organisation Privacy International, sieht in den digitalen Pässen eine grosse Gefahr. «Völlig ausgeblendet wird … das Machtgefälle bei fast jeder Identitätsprüfung», sagt Fisher. Dass Nutzer nur Informationen freigeben, die sie auch freigeben wollen, hält er für unrealistisch. «Will mein Arbeitgeber ein Dokument von mir, ein Grenzbeamter oder mein Vermieter – dann kann ich wohl kaum ‹Nein› sagen.»

Hinzu kommt: Die Pläne der ID2020 sind nicht mit der geltenden EU-Datenschutz-Grundverordnung zu vereinbaren. Gemäss dieser dürfen nämlich Daten nur für spezifische Zwecke verarbeitet werden. Die Verordnung sieht vor, dass persönliche Daten gelöscht werden, sobald der Zweck ihrer Erhebung entfällt oder Betroffene ihre Zustimmung widerrufen. Auf einer Blockchain ist das Löschen aber unmöglich, weil dort alle Einträge aufeinander aufbauen.

Begriffe

• Digitale Identität: Online gespeicherte Sammlung persönlicher Daten, anhand derer der oder die Einzelne zweifelsfrei identifizierbar sein soll.

• ID2020: Allianz von Konzernen, Stiftungen und NGOs, die mit Behörden weltweit an einer transnationalen digitalen Identität arbeitet.

• KTDI (Digitale Identität bekannter Reisender): Pionierprojekt transnationaler digitaler Identität mehrerer Regierungen, Konzerne und Luftlinien.

• E-ID (Elektronische Identität): Die Schweizer E-ID ist Pass und Unterschrift auf digitaler Basis in einem. Sie soll vom Bund zertifiziert sein und NutzerInnen bei E-Government-Angeboten und für das Online-Shopping identifizieren. Bundesrat und Parlament wollen die Ausstellung dieser Identität im Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) regeln. Eine breite Allianz bekämpft die Vorlage und hat erfolgreich das Referendum ergriffen. (Quelle: SRF)

Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors

Keine. Rafael Lutz arbeitet als Redaktor bei der Regionalzeitung «Der Tössthaler» und hat gerade ein Studium der Soziologie an der Universität Freiburg mit dem Master abgeschlossen.

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