Die Zukunft der FDP

Von Dominik Hennig

Die Zukunft der FDP wird am Sonntag in NRW sicher nicht entschieden, auch wenn die Mittelstrommedienmeute das Publikum noch eine ganze Weile mit dem Runter-und-wieder-raufschreiben zu fesseln vermag. Die parteipolitische Landschaft der Bundesrepublik verdankt ihre Ödnis auch der Tatsache, daß der Liberalismus hierzulande ein kümmerliches, verdörrtes Pflänzchen ist, das zudem hartnäckigem Lausbefall ausgesetzt ist. Dennoch werden ganz natürliche Gesundungsprozesse umsichgreifen, weil die Verhältnisse ein institutionell abgesichertes „Weiter so!“ in the long run gar nicht erlauben werden. Mit der dramatischen Zuspitzung der ökonomischen und damit auch gesellschaftlichen Verwerfungen in Europa, die Deutschland zwar verzögert aber mit härterer Wucht erreichen werden, steht auch die alte Funktionspartei FDP zur Disposition. Im Grunde tut sie das seit den 90er Jahren und der anhaltende und vor allem hinhaltende Widerstand ihres Funktionärskörpers – des ancien régimes – gegen die radikalen Schlußfolgerungen aus unentrinnbarer Faktizität wird von mal zu mal schwächer. Nicht den Lordsiegelbewahrern des altgedienten Genscherismus, sondern den als „Grundachsenverschiebern“ geschmähten Erneuerern arbeitet die Zeit letztlich in die Hände.

Darum spielt es am Sonntag auch weder eine Rolle wie glanzvoll Christian Lindner kurzlebige Wiederauferstehungsmythen des eigentlich abgestorbenen Wischi-Waschi (in neuer Kostümierung auch als Waschi-Wischi kredenzt) zu beflügeln vermag, noch ob die „Partei der Vernunft“ den Sprung in die Sphäre statistischer Meßbarkeit schafft. Was hingegen eine Rolle spielt ist die Frage, inwieweit sich jene, die mit Fug und Recht einer liberale(re)n FDP von morgen heute schon die Weichen stellen in der Lage sind, sich ein Reifezeugnis auszustellen.
Als 1994 eine Gruppe entschiedener Vordenker der Partei ein Manifest mit dem programmatischen Titel „Bürger zur Freiheit“ vorlegte, nahm davon auch parteiöffentlich kaum jemand Notiz. Als 1997 eine Gruppe euroskeptischer FDP-Landespolitiker aus Berlin, Hessen und NRW eine Unterschriftensammlung initiierte, um den Zug in den Abgrund in letzter Minute aufzuhalten, war deren Scheitern zwar auch, aber eben nicht nur Folge der eigenen Ungeschicklichkeit und der liberale Geschmacksnerven irritierenden deutschnationalen Rhetorik eines ihrer Mitstreiter, sondern unbestreitbar auch Konsequenz einer alle Register ziehenden, über den Vorwurf politkrimogener Energie nicht erhabenen Funktionärsnomenklatura. Daß die damaligen EURO-Gegner, aus denen später der Stresemann-Club hervorging, von den Ereignissen, die sie nicht aufhalten konnten, nicht überrollt, sondern vielmehr bestätigt wurden, bestreitet heute niemand mehr. Und auch der Stresemann-Club selbst vertritt ja, mag er sich auch paradoxerweise „rechtsliberal“ bezeichnen, eine altliberale Staatsskepsis, wie sie eher an den „entschiedenen“ Linksliberalismus aus der Kaiserzeit erinnert.

Im Jahre 2003 war es schon deutlich schwieriger das Feuer auszutreten, als ein stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP erkannte, daß der Liberalismus gleichermaßen radikalisiert und gnadenlos popularisiert werden müßte, um zukunftsfähig zu sein. Die Unruhe, die damals die ganze Partei erfaßte, und die auch Schönredner sich nicht erkühnen „produktiv“ zu nennen, hat den Laden bis heute traumatisiert. Hätte sich der infolge tragisch zu nennender Ereignisse in jeder Hinsicht abgestürzte Vizeparteichef nicht mit seinem Hang zu aberwitzigem außenpolitischen Abenteuerertum selbst abgeschossen, wer weiß, wie die Sache schon damals ausgegangen wäre.
Im Vorjahr kam es aller Ermahnungen zu „taktischer Nichtbeachtung“ zum Trotz zu einem Mitgliederentscheid auf Betreiben des braven Finanzpolitikers Frank Schäffler (MdB), der einem sicher nicht böse ist, wenn man ihm gerade nicht das Testat „geborener Volkstribun“ ausstellt. Kurz zuvor schon beflügelte er die innerparteiliche Grundsatzdebatte mit einem ausbuchstabierten programmatischen Gegenentwurf seines „Liberalen Aufbruchs“. Erstmals zeigten sich tiefe Risse in der Phalanx der Gegenseite (die einzelne Exponenten des staatsfrommen Oligarchismus wie Christoph Giesa mit hysterischen Kassandrarufen zu kompensieren suchten). Anders als in den 90ern und auch anders als noch vor 10 Jahren ist die Fundamentalkritik am mentalen Streichelzoo-Liberalismus, der sich mutlos und saturiert damit zufrieden gibt, wenn er den status quo halbwegs erhalten kann und sich mit den Brosamen fruchtloser Regierungsbeteiligungen abspeisen und expandierenden Etatismus und Eurozentralismus in aller Seelenruhe gewähren läßt, in der Mitte angekommen.

Die ihrer unvermeidlichen Katastrophe zueilende EURO-Tragödie wirkt hier wie ein Katalysator. Als 1992 der FDP-Bundesvorständler Manfred Brunner laut sagte „Das wird so nix!“ stand er auf weiter Flur allein und verlor auch noch seinen Posten als Kabinettschef von EG-Kommissar Bangemann (FDP). Als 2011 Frank Schäffler zu den nicht mehr bezifferbaren ewigen Rettungsschirmen und -paketen sagte „Das wird so nix!“ standen hinter ihm schon gut 40 Prozent der FDP-Mitglieder, darunter auch jede Menge Funktions- und Mandatsträger.
Als Brunner 1994 die FDP bei den Europawahlen herausforderte, erlebte er zwar mit seinem „Bund freier Bürger“ ein Fiasko von 1,1 Prozent. Bedenkt man jedoch, daß die FDP seinerzeit mit 3,9 Prozent den Parlamentseinzug verpaßte, war die Liebesmüh vielleicht doch nicht in Gänze vergebens.
Und damit kommen wir zur heilsamen pädagogischen Funktion der „Partei der Vernunft“. Genauso wie die „Tea Party“ in den USA nicht dazu da ist, die Republikaner zu ersetzen sondern auf Trab zu halten, kommt es der PDV zu, der FDP Beine zu machen. Die PDV ist die Zuchtrute in der Hand klassisch liberaler (Nicht-) Wähler, die der FDP dabei behilflich ist, ihr aufzuzeigen, wo ihr historischer Daseinszweck, ihr Überlebensimperativ zu verorten ist.
Am Sonntag würden sich die FDP-Reformer daher einen Tort antun, wenn sie ihr Scherflein beitrügen zu einem in messianischer Pose ausgekosteten Triumph ausgerechnet ihres größten innerparteilichen Widersachers. Man muß den eigenen Gegner nicht größer machen als er ist. Die anonyme Stimmabgabe für die „Partei der Vernunft“ kann einem ja keiner nachweisen und es würde helfen, gewisse innerparteiliche Diskussionsprozesse in Gang zu setzen die überfällig sind.

Solange die FDP noch nicht die libertär-populistische Partei ist, die sie werden muß, solange braucht sie das Drohpotenzial von Wettbewerbern. Die ausgeleierte Entschuldigung von vielen Freunden, die FDP sei die am wenigsten antiliberale Partei, die auf dem Zettel steht, gilt diesmal nicht. Eine Tatsache, der schon einige verduzte FDP-Wähler gewahr wurden beim Gebrauch des Wahl-o-Maten. Tatsächlich kann man ein Kreuz bei der Partei der Vernunft machen und damit seiner Entschiedenheit, einen fundamentalen Wandel der Freien Demokraten hin zu „Mehr Freiheit und weniger Staat“ zu wünschen sehr effektiv Nachdruck verleihen. Wenn man strategisch denken kann. Ob man es kann, wird sich am Sonntag abend zeigen. Zudem ist es auch eine Frage der Haltung, der Selbstachtung, der persönlichen Integrität. Wer sich anschickt der bis dato gepflegten blaugelben Prinzipienlosigkeit zu Leibe zu rücken, der sollte selbst nicht seine eigenen Prinzipien der niederrangigen Parteiloyalität zu opfern bereit sein.

Quelle: Freitum

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