Die Supermacht und das Kalifat

Glen Ford (antikrieg)

„Das Drehbuch, das 2011 für Libyen, Syrien, Irak – für die gesamte Region – vorbereitet wurde, ist kaputt.”

ISIS hat sein Kalifat ausgerufen, und die Welt wird nie mehr die gleiche sein. Obwohl das territoriale Ausmaß der jihadistischen politischen Einheit sich nach dem Kriegserfolg richten wird, oder vielleicht sogar verschwinden wird, das Auftauchen des „Islamischen Staates“ ist das Signal für den endgültigen Zusammenbruch der imperialen Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika in der muslimischen Welt – ganz sicher in den arabischen Regionen des Islam.

„Die rechtmäßige Existenz aller Emirate, Gruppierungen, Staaten und Organisationen wird ungültig durch die Ausweitung der Herrschaft des Kalifen und das Eintreffen seiner Soldaten in ihren Gebieten,“ sagte Abu Mohamed al-Adnani, Sprecher für die Kämpfer, die davor bekannt waren als der Islamische Staat von Irak und Syrien. „Hört auf euren Kalifen und gehorcht ihm. Unterstützt euren Staat, der jeden Tag größer wird.“

Betrachten Sie das als eine salafistische Unabhängigkeitserklärung – nicht von al-Qaida, deren geringe Bedeutung in der Region zum Ausdruck kam, als ihr designierter Verbündeter in Syrien al-Nusra ISIS die Treue schwor – sondern von den arabischen Monarchien und westlichen Geheimdiensten, die das internationale jihadistische Netzwerk seit fast zwei Generationen aufgepäppelt haben. Das Kalifat droht nicht nur seinen unmittelbaren Gegnern in den von Schiiten dominierten Regierungen Syriens und des Irak, sondern den Potentaten der arabischen Emirate, Qatar, Kuwait und der Mutter der allgemeinen monarchistischen Korruption im arabisch sunnitischen Kernland, der saudischen königlichen Familie. Die Drohung richtet sich nicht schlussfolgernd, sondern buchstäblich gegen „alle Emirate, Gruppierungen, Staaten und Organisationen,“ die nicht anerkennen, dass ISIS in seiner neuen Inkarnation die Verkörperung des Islam im Krieg ist.

Der jihadistische Würfel ist gefallen, die Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika, die Ausweitung der imperialen Macht in der Region durch bewaffnete islamistische fundamentalistische Surrogate zu betreiben, hat ausgedient. Das internationale jihadistische Netzwerk, das nicht existierte, ehe die CIA, Saudiarabien und Pakistan es schufen, um die linke säkulare Regierung Afghanistans Mitte 1979 zu unterminieren, ist zu einer Bewegung geworden, die nicht länger kontrolliert werden kann.

Die physischen Konturen des ISIS-Kalifats, der dynamische neue Schwerpunkt der Bewegung könnten sich als unbesiegbar erweisen, überhaupt wenn die Amerikaner beschließen, dass sie um einen Großangriff um ihre ehemaligen Partner nicht herumkommen. Aber ungeachtet der militärischen Reaktion der Vereinigten Staaten von Amerika ist der strategische Plan, den sie sich 2011 für Libyen, Syrien und den Irak – für die gesamte Region – ausgedacht haben, in die Hose gegangen, so wie er vom verlässlichen Einsatz von Jihadisten anstelle von NATO und arabischen Monarchien ausgeht.

Schlimmer noch, die arabischen Erdölpotentaten verstehen ganz genau, dass ihren eigenen Regimes große Gefahr droht von dem einheimischen Ungeheuer, das sie geschaffen haben. Besonders die Saudis rechtfertigen die Monopolisierung des großen Reichtums der arabischen Halbinsel durch ihre Familie als Belohnung für ihre Absicherung der heiligen Stätten des Islam. Es besteht kein Zweifel daran, dass der „Islamische Staat“ mit seinen beweglichen Grenzen und der sich rasch ausbreitenden pan-arabischen und sogar pan-muslimischen Anhängerschaft gerne bereit wäre, diese Verantwortung zu übernehmen – über die Leichen der Saudiprinzen, die sich nicht nach London, Paris und New York abgesetzt haben. Das Gleiche gilt für alle die Königshäuser, die mit dem Westen unter einer Decke stecken und de facto mit Israel.

„Die politischen Entscheidungsträger der Vereinigten Staaten von Amerika haben keine Ahnung, wie sie sich in der Region neu aufstellen sollen.”

Es stimmt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nahezu unbeschränkte Macht beibehalten, Chaos in der Region zu stiften. Chaos ist nützlich, um übliche Regierungen und zivile Gesellschaften daran zu hindern, nationale Ziele zu erreichen, die dem Imperialismus zuwiderlaufen. Das Chaos ist aber nicht inhaltsleer, es ist ein Hexenkessel, in dem die Widersprüche auf explosive Weise akut werden können. Die Jihadisten sind im Grunde genommen Antiimperialisten – unweigerlich dagegen, von den „Kreuzfahrern“ des Westens und Zionisten beherrscht zu werden. Wie wir bereits versichert haben, verhält sich der fundamentalistische Jihad, obwohl reaktionär bis ins Mark, unweigerlich wie eine Art von Nationalismus – für einige füllt er eine Lücke, die durch den Niedergang des gestrigen säkularen panarabischen Nationalismus hinterlassen wurde. ISIS behauptet jetzt, der Ausdruck dieser nationalismusähnlichen Sehnsucht zu sein, nämlich als der „Islamische Staat.“

Wenn Sie denken, dass das alles das Werk der CIA ist, dann bedanken Sie sich bei denen für die Beschleunigung der epischen Auflösung der imperialen Strategie der Vereinigten Staaten von Amerika in der muslimischen Welt. Wie in den Tagen, als Amerikas ägyptischer Handlanger Mubarak von Thron gestoßen wurde und ein „arabischer Frühling“ drohte, der die Erdölmonarchien stürzen hätte können, haben die politischen Entscheidungsträger der Vereinigten Staaten von Amerika keine Vorstellung, wie sich sich in der Region neu positionieren können. Die Amerikaner können nicht die Jihadisten als Fußsoldaten des Imperialismus ersetzen. Es beginnt daher eine Periode des Improvisierens, zu der sicher großtuerische Zurschaustellungen militärischen Heldentums der Vereinigten Staaten von Amerika gehören werden, mit denen die Amerikaner sich selbst und alle anderen daran erinnern, dass eine Supermacht sich von einem Kalifat nichts gefallen lässt.

 

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