Die Rumsfeld/Cebrowski Doktrin

von Thierry Meyssan (voltairenet)

Seit zwei Jahrzehnten wendet das Pentagon die „Rumsfeld/Cebrowski-Doktrin“ im „Erweiterten Mittleren Osten“ an. Mehrmals dachte es, sie auf das „Karibische Becken“ auszudehnen, aber hat darauf verzichtet, und seine Macht auf sein erstes Ziel konzentriert. Das Pentagon fungiert als autonomes Entscheidungszentrum, das sich der Macht des Präsidenten entzieht. Es ist eine zivil-militärische Verwaltung, die anderen Militärs ihre Ziele auferlegt.

Die Karten des US-Generalstabschefs des Jahres 2001, veröffentlicht von Oberst Ralph Peters im Jahr 2005, leiten noch immer das Vorgehen der US-Armee im Jahr 2021.

In meinem Buch “ L’Effroyable imposture” (Der inszenierte Terrorismus) [1] [2] schrieb ich im März 2002, dass die Anschläge vom 11. September darauf abzielten, die Zustimmung der US-Amerikaner zu gewinnen:
 Im Innland ein Massenüberwachungssystem (Patriot Act);
 Und im Ausland eine Wiederaufnahme der imperialen Politik, über die es damals keine Dokumente gab.

Erst 2005, als Oberst Ralph Peters – damals Kommentator von Fox News – die berühmte Karte des Generalstabschefs der „Umgestaltung“ des „Mittleren Ostens“ [3] veröffentlichte, wurde alles klarer. Es war damals ein Schock in allen Kanzleien: Das Pentagon plante, die Grenzen der französisch-britischen Kolonialherrschaft (Sykes-Picot-Sazonov Abkommen von 1916) ohne Rücksicht auf irgendeinen Staat, auch wenn er ein Verbündeter war, neu zu zeichnen.

Jeder Staat in der Region hat von da an alles in seiner Macht Stehende getan, um zu verhindern, dass der Sturm über sein Volk hereinbricht. Anstatt sich mit den Nachbarländern gegen den gemeinsamen Feind zu vereinigen, versuchte jeder, die Hand des Pentagons auf seine Nachbarn umzuleiten. Der symbolträchtigste Fall ist der der Türkei, die mehrmals ihren Kurs wechselte und den wirbeligen Eindruck eines tollwütigen Hundes erweckte.

Zwei Weltbilder stehen einander gegenüber. Für das Pentagon ist seit 2001 die Stabilität der strategische Feind der USA, während diese für Russland die Voraussetzung für Frieden ist.

Aber die Karte, die Oberst Peters enthüllte — welcher den Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hasste — erlaubte nicht, das ganze Projekt zu verstehen. Bereits bei den Anschlägen vom 11. September hatte er einen Artikel in der Zeitschrift der US-Armee, Parameters [4] veröffentlicht. Er bezog sich auf die Karte, die er erst vier Jahre später veröffentlichte, und schlug vor, dass das Komitee der Stabschefs sie mittels grausamer Verbrechen durch Subunternehmer durchführen lassen sollte, um sich nicht die Hände schmutzig zu machen. Man konnte denken, er bezöge sich auf private Armeen, aber die Geschichte zeigte, dass sie sich auch nicht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit einlassen konnten.

Das letzte Wort des Projekts fiel im „Office of Force Transformation„, das Donald Rumsfeld in den Tagen nach den Anschlägen vom 11. September im Pentagon gründete. Dieses Büro war von Admiral Arthur Cebrowski besetzt. Dieser berühmte Stratege war der Designer der Computerisierung der Armeen [5]. Man konnte glauben, dass dieses Büro ein Mittel war, um seine Arbeit zu vollenden. Aber niemand stellte diese Reorganisation mehr in Frage. Nein, er war da, um die Mission der US-Armeen umzuwandeln, wie die wenigen Aufnahmen seiner Vorträge in Militärakademien bezeugen.

Arthur Cebrowski verweilte drei Jahre damit, allen höheren US-Offizieren, also allen heutigen Generalstabsoffizieren Unterricht zu geben.

Admiral Cebrowskis Ziel ist nicht nur der „Erweiterte Nahe Osten“, sondern alle Regionen, die nicht in die globalisierte Wirtschaft integriert sind.

Was er lehrte, war ziemlich einfach. Die Weltwirtschaft wurde mehr und mehr global. Um die führende Macht der Welt zu bleiben, mussten sich die USA dem Finanzkapitalismus anpassen. Der beste Weg war, den entwickelten Ländern zu garantieren, dass sie die natürlichen Ressourcen der armen Länder ohne politische Hindernisse ausbeuten könnten. Daher gliederte er die Welt in zwei Teile: auf der einen Seite die globalisierten Volkswirtschaften (einschließlich Russland und China), die als stabile Märkte dienen sollten, und auf der anderen Seite alle anderen, die ihren staatlichen Strukturen beraubt und dem Chaos ausgeliefert werden müssten, damit die transnationalen Unternehmen deren Reichtum ohne Widerstand ausbeuten könnten. Um dies zu erreichen, müssen nicht-globalisierte Völker nach ethnischen Kriterien aufgeteilt und ideologisch beherrscht werden.

Die erste Region sollte die arabisch-muslimische Zone von Marokko bis Pakistan sein, mit Ausnahme von Israel und zwei benachbarten Kleinststaaten, die die Ausbreitung des Brandes verhindern sollten, Jordanien und Libanon. Das war, was das Außenministerium den „Erweiterten Mittleren Osten“ genannt hat. Dieses Gebiet wurde nicht nach den Erdölreserven definiert, sondern nach den Elementen der gemeinsamen Kultur seiner Bewohner.

Der Krieg, den sich Admiral Cebrowski vorstellte, sollte zunächst die gesamte Region abdecken. Er sollte die Spaltungen des Kalten Krieges nicht berücksichtigen. Die USA hatten dort keine Freunde oder Feinde mehr. Der Feind definierte sich auch nicht durch seine Ideologie (die Kommunisten), oder seine Religion (den „Kampf der Zivilisationen“), sondern ausschließlich durch seine Nichtintegration in die globalisierte Wirtschaft des Finanzkapitalismus. Nichts könnte diejenigen schützen, die das Unglück hatten, keine Mitläufer zu sein, d.h. unabhängig zu sein.

Dieser Krieg sollte nicht nur den USA allein erlauben, die natürlichen Ressourcen zu nutzen, wie es bei den früheren Kriegen der Fall war, sondern allen globalisierten Staaten. Die USA interessierten sich übrigens nicht mehr wirklich für die Rohstoffausbeute, sie wollten vor allem die Arbeit weltweit aufteilen und andere für sich arbeiten lassen.

All dies brachte taktische Veränderungen mit sich, in der Art und Weise Krieg zu führen, da es nicht mehr darum ging, den Sieg zu erringen, sondern um einen „endlosen Krieg“ zu führen, wie Präsident George W. Bush es ausdrückte. In der Tat, alle seit dem 11. September begonnenen Kriege werden noch an fünf verschiedenen Fronten fortgesetzt: Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen.

Es spielt keine Rolle, ob die alliierten Regierungen diese Kriege gemäß der Mitteilung der Vereinigten Staaten interpretieren: Es sind keine Bürgerkriege, sondern Schritte eines vom Pentagon vorgegebenen Plans.

Esquire Magazine, März 2003

Die „Cebrowski-Doktrin“ erschütterte die US-Armeen. Sein Assistent Thomas Barnett schrieb einen Artikel für Esquire Magazine [6] und veröffentlichte dann ein Buch, um sie der breiten Öffentlichkeit genauer vorzustellen: Die Neue Karte des Pentagon [7].

JPEG - 32.2 kBDie Tatsache, dass in seinem nach dem Tod von Admiral Cebrowski veröffentlichtem Buch, Barnett sich selbst die Vaterschaft von dessen Lehre zuschreibt, darf nicht zu einer Illusion führen. Das ist nur ein Mittel für das Pentagon, keine Verantwortung zu übernehmen. Das gleiche Phänomen war zum Beispiel beim „Kampf der Kulturen“ zu beobachten. Ursprünglich war dies die „Lewis-Doktrin“, ein Kommunikationsargument, das im Nationalen Sicherheitsrat entwickelt wurde, um der Öffentlichkeit neue Kriege zu verkaufen. Sie wurde der breiten Öffentlichkeit von Bernard Lewis‘ Assistent, Samuel Huntington, präsentiert, der sie als akademische Beschreibung einer unausweichlichen Realität vorstellte.

Die Umsetzung der Rumsfeld/Cebrowski-Doktrin hat viele Überraschungen erlebt. Einige kamen aus dem Pentagon selbst, andere von den Völkern, die man zermalmte. So wurde der Rücktritt des Kommandanten des Central Command, Admiral William Fallon, organisiert, weil er aus eigener Initiative einen vernünftigen Frieden mit dem Iran von Mahmud Ahmadinedschad ausgehandelt hatte. Sein Rücktritt wurde von… Barnett selbst organisiert, der einen Artikel veröffentlichte, in dem Fallon wegen beleidigenden Äußerungen gegen Präsident Bush angeklagt wurde. Oder aber das Scheitern der Desorganisation Syriens ist auf den Widerstand seines Volkes und den Eintritt der russischen Armee zurückzuführen. Das Pentagon hat dann die Ernte niedergebrannt und eine Blockade des Landes organisiert, um es auszuhungern; Racheakte, die seine Unfähigkeit zur Zerstörung staatlicher Strukturen belegen.

Während seines Wahlkampfes hatte Donald Trump gegen den endlosen Krieg gekämpft und für die Rückkehr der GI‘s. Es gelang ihm, keine neuen Fronten zu öffnen und ein paar Männer zurückzubringen, aber er konnte das Pentagon nicht zähmen. Letzteres hat seine „ohne Unterschrift“ angeheuerten Spezialeinheiten entwickelt und den libanesischen Staat ohne sichtbaren Einsatz von Soldaten zerstört. Diese Strategie setzt es nun in Israel selbst um, indem es im Zuge der Konfrontation zwischen Hamas und Israel anti-arabische und antijüdische Pogrome organisiert.

Das Pentagon hat mehrmals versucht, die „Rumsfeld/Cebrowski-Doktrin“ auf das Karibische Becken auszudehnen. Es plante einen Umsturz, nicht des Regimes von Nicolás Maduro, sondern der Bolivarischen Republik Venezuela. Es hat den Sturz schließlich aufgeschoben.

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Die acht Führungs-Mitglieder des Generalstabes.

Es ist zu beachten, dass das Pentagon eine autonome Macht geworden ist. Es verfügt über ein gigantisches Budget das etwa dem Doppelten des gesamten französischen jährlichen Staatshaushaltes entspricht (ohne Gebietskörperschaften und Sozialversicherung). In der Praxis geht seine Macht weit darüber hinaus, da es alle Mitgliedstaaten des Atlantischen Bündnisses kontrolliert. Es soll dem Präsidenten der Vereinigten Staaten Bericht erstatten, aber die Erfahrungen von Präsident Barack Obama und Donald Trump zeigen uns genau das Gegenteil. Ersterer konnte General John Allen seine Politik gegenüber Daesh nicht aufzwingen, der andere wurde vom Central Command irregeführt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es mit Präsident Joe Biden anders sein wird.

Der jüngste offene Brief der ehemaligen US-Offiziere [8] zeigt, dass niemand mehr weiß, wer die US-Armeen anführt. Wie auch immer ihre eines Kalten Krieges würdige politische Analyse ist, sie widerlegt nicht deren Feststellung im Brief: Die Bundesverwaltung und die Generalstabsoffiziere sind absolut nicht mehr auf derselben Wellenlänge.

Die von der Washington Post veröffentlichten Arbeiten von William Arkin zeigten, dass der Bundesstaat nach den Anschlägen vom 11. September einen Schwarm von Agenturen, die von der Abteilung für Sicherheit des Vaterlandes überwacht wurden, organisiert hatte [9]. Unter größter Geheimhaltung fangen sie die Kommunikation aller Menschen in den USA ab und archivieren sie. Arkin hat gerade in Newsweek enthüllt, dass das Verteidigungsministerium seinerseits geheime Spezialeinheiten geschaffen hatte, die sich von den in Uniform unterscheiden [10]. Sie sind heute für die Rumsfeld/Cebrowski-Doktrin zuständig, egal, wer das Weiße Haus und seine Außenpolitik betreibt.

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Das Pentagon hat eine 60.000 Mann starke Geheimtruppe. Sie erscheint nicht auf einem offiziellen Dokument und arbeitet ohne Uniform. Angeblich gegen den Terrorismus eingesetzt, sind sie es, die ihn in Wirklichkeit praktizieren. Die klassischen Armeen sind dem Kampf gegen die russischen und chinesischen Rivalen gewidmet.

Als das Pentagon 2001 Afghanistan und dann Irak angriff, nahm es seine klassischen Armeen – es hatte keine anderen – und die seines britischen Verbündeten. Während des „endlosen Krieges“ im Irak stellte es jedoch irakische, sunnitische und schiitische Dschihadisten auf, um das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen [11]. Eine Gruppe von ihnen, die von Al-Qaida stammt, wurde 2011 in Libyen eingesetzt, eine weitere im Irak 2014 unter dem Namen Daesch. Allmählich haben diese Gruppen die Rolle der US-Armeen eingenommen, um die Drecksarbeit zu erledigen, die Oberst Ralph Peters 2001 beschrieben hatte.

Heute hat niemand im Jemen, im Libanon und in Israel Soldaten in Uniform gesehen. Das Pentagon hat selbst für deren Rückzug Werbung gemacht. Aber es gibt 60.000 geheime US-Spezialeinheiten, also ohne Uniform, die in diesen Ländern durch Bürgerkrieg Chaos fabrizieren.

Thierry Meyssan
Übersetzung

Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser<

[1] 11. September. Der inszenierte Terrorismus: ’Kein Flugzeug traf das Pentagon, Thierry Meyssan, De facto (2002).

[2] Entgegen einer landläufigen Meinung, handelt dieses Buch nicht von den Anschlägen des 11. September. Nur der erste Teil („Blutige Inszenierung“) zeigt die materielle Unmöglichkeit der offiziellen Version. Die anderen beiden Teile befassen sich mit der Politik der Massenüberwachung („Tod der Demokratie in Amerika“) und dem bevorstehenden imperialen Projekt („Das Imperium attackiert“).

[3] “Blood borders. How a better Middle East would look”, Ralph Peters, Armed Forces Journal, June 1, 2006.

[4] “Stability. America’s ennemy”, Ralph Peters, Parameters, #31-4, Winter 2001.

[5] Transforming Military Force. The Legacy of Arthur Cebrowski and Network Centric Warfare, James R. Blaker, Praeger Security International (2007).

[6] “Why the Pentagon Changes Its Maps. And why we’ll keep going to war”, Thomas Barnett, Esquire Magazine, March 2003.

[7] The Pentagon’s New Map: War and Peace in the Twenty-first Century, Thomas P. M. Barnett, Paw Prints (2004).

[8] “Open Letter from Retired Generals and Admirals”, Voltaire Network, 9 May 2021.

[9] Top Secret America: The Rise of the New American Security State, William M. Arkin & Dana Priest, Back Bay Books (2012).

[10] “Exclusive: Inside the Military’s Secret Undercover Army”, William M. Arkin, Newsweek, May 17, 2021.

[11] Sous nos yeux, Kapitel: „Die Verschmelzung der beiden Gladios und die Vorbereitung von Daesch“, S. 122 ff., Thierry Meyssan, Demi-Lune éd. (2017)

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