Die Oma liegt im Sterben und Kommunion fällt aus

Von Maria Schneider

Im Dezember 2019 ließ uns meine Schwester Anna – die seit unserer Kindheit auch auf den Spitznamen „Feldwebel“ hört – ihre neueste Befehlsausgabe zukommen: „Am 11. April 2020 hat Heidi Kommunion. Tragt das in Euren Kalender ein und kommt!!“

Meine Schwester Anna hat vier Kinder und ist überzeugte Profi-Hausfrau. An den Kindern sieht man das Resultat ihrer strengen und liebevollen Erziehung. Sie sind wohlerzogen, gebildet, ehrgeizig und höflich.

Zeitgleich mit dem Befehl zur Kommunionteilnahme wurde Annas Schwiegermutter Elsa mit Krebs diagnostiziert. Sie ist 90 Jahre alt und trägt ihr langsames Sterben mit Fassung. Ganz anders ihr einziger Sohn – mein Schwager. Als Mediziner versuchte er alles, um seine Mutter am Leben zu halten. Die weigerte sich aber. Lediglich ein paar Bestrahlungen stimmte sie widerwillig zu. Ihr einziger Wunsch war es, die Kommunion meiner Nichte Heidi am 11. April mitzuerleben und dann in Ruhe zu sterben.

Dann brach Corona über uns herein. Seitdem ist nichts mehr wie es war. Meine Schwester unterrichtet nun seit Wochen ihre vier Kinder zu Hause, kocht, bügelt, wäscht und koordiniert. Über Nacht musste sich die Familie mit Zoom, Gotomeeting und sonstigen virtuellen Meetingapps vertraut machen.

Die Oma wohnt nur ein paar Straßen weiter. Zusätzlich zur Hausaufgabenkoordination und -kontrolle, den regelmäßigen, virtuellen Elternmeetings, dem täglichen Ausdrucken der Hausaufgaben und den Erläuterungen der Übungen für die beiden Grundschulkinder kam für Anna nun die Betreuung von Oma Elsa dazu.

In den ersten Wochen mußte meine Schwester Anna „mit Abstand“ die Einkäufe vor Omas Tür abstellen. Nach den ersten Lockerungen holte sie die Oma Elsa jeden Tag zu sich, wo sie zusehends schwächer wurde. Mein Schwager brachte sie abends nach Hause und übernachtete bei ihr.

Dann kam der Erlaß, dass die Kommunion ausfallen würde. Für meine Schwester und meine Nichte brach eine Welt zusammen. Diesmal lautete Annas Nachricht, „Unsere Kommunion ist verschoben!!“, garniert mit entsetzten Smileys. Im April hätte die Oma daran teilnehmen können. Bis September – dem neuen Datum – wird sie wohl nicht mehr leben.

Anfang Mai – nach Wochen das Hausarrests – setzte ich mich zweieinhalb Stunden mit Maulkorb in die S-Bahn und fuhr zur Geburtstagsfeier meiner Nichte Heidi. Dort traf ich auch wieder die Oma.

Oma Elsa hatte gemeinsam mit ihrer Mutter meinen Schwager alleine großgezogen. Als veritable WDR-Umweltsäue kamen sie in der Nachkriegszeit wochenlang ohne Geld aus und versorgten sich alleine aus dem Garten. Omas Saure Gurken sind Legende und ihre Kirschmarmelade ein Traum. Auch an diesem Geburtstag hatte sie es sich nicht nehmen lassen und gemeinsam mit der 15-jährigen, ältesten Nichte ein letzten Mal ihren wunderbaren Apfelkuchen gebacken.

Wir alle wußten, dass dies eines der letzten Male sein würde, an denen wir sie im Kreise der erweiterten Familie sehen würden und ließen sie erzählen. Als junges Mädchen war sie in ein katholisches Seniorenheim beordert worden, um dort mitzuhelfen. Als ich nach den Gründen fragte, erklärte sie, dass sie die ideale Kandidatin gewesen sei: Groß, blond und blauäugig.





Sie erklärte auch, dass sie es nicht ertragen könne, dass nun sogar die Enkel wegen des 2. Weltkriegs gegen ihre Großeltern aufgehetzt würden, wo sie doch selbst damals noch Kinder oder viele von ihnen noch gar nicht geboren waren.

Ich schaute mir die Oma genauer an, wie sie da so gefaßt und aufrecht am Kaffeetisch saß. Sie war nur noch Haut und Knochen und mußte am Stock gehen. Ihre Knöchel waren dick geschwollen und sie hatte starke Schmerzen. Dennoch war ihr Verstand glasklar.

Ein paar Tage später rief ich meine Schwester an. Sie konnte vor Erschöpfung kaum sprechen, weil sie seit 6 Uhr wach war und folgendes Pensum erledigt hatte:

Kind zum Schulbus, Bäcker, Essen für Oma gemacht, Kind von der Schule geholt, Essen für Kinder gemacht, Pflegedienst für Oma koordiniert, mit der Krankenkasse diskutiert, regelmäßig mit Oma telefoniert, Kinder hin und her zu Oma geschickt, an letzter Kommunion und Krankensalbung teilgenommen, Abendessen gemacht, Kinder ins Bett gebracht usw. Dazu noch die tägliche Hausaufgabenkoordination.

Die Oma kann nun nicht mehr laufen. Sie ist bettlägerig und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie uns verläßt. Die Kinder wissen Bescheid. An einem Abend hat die Erkenntnis mein 10-jähriges Patenkind Fanny plötzlich überkommen und sie mußte schrecklich weinen. Seitdem kümmern sich alle noch rührender um Oma.

Die verschobene Kommunion wird die Oma nicht mehr erleben. War es das wert? Wog der Schutz vor Corona wirklich schwerer? Oma Elsa, die nie gefragt wurde, ob sie wegen ihres Alters isoliert werden wollte, würde „Nein“ sagen. Denn manche Dinge lassen sich weder verschieben, noch nachholen. Das Leben passiert einfach, genauso wie das Sterben.

Als ich mich vom Oma Elsa verabschiedete, sagte sie in ihrer sachlichen Art: „Das wird das letzte Mal sein, das wir uns sehen,“ und ließ sich von meiner Nichte an die Tür bringen. Ich schaute ihr nur hinterher und dachte mir: „Wie gut, dass ich gekommen bin. Von solchen Omas kann man vieles lernen. Im Leben wie im Sterben.“

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Die Oma liegt im Sterben und Kommunion fällt aus
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3 Kommentare

  1. Ich habe 45 Jahre im Gesundheitswesen gearbeitet. Deshalb kann ich getrost sagen, das ca.50% der über 80 jährigen, welche an Corona gestorben sind, sicherlich froh darüber waren! Nur es gibt hier in Deutschland die Über Gutmenschen welche die Alten und Gebrechlichen lieber in Siechenheimen sehen und mit diesen Menschen gar nicht in Kontakt kommen. Geschweige deren Meinungen hören wollen. Der einzige Grund solcher Dinge ist nicht Humanität, sondern pure Geldgier. In diesem Bereich werden hunderte von Milliarden Euro pro Jahr verdient und deshalb darf keiner vorher gehen, bis das Konto leer geräumt ist! 

  2. Ist die Oma nicht so etwas wie die Königin einer Familie. Ohne sie gäbe es uns alle gar nicht. Wenn sie geht, geht auch ein Teil von Dir? Ich weiß nicht, meine ist mir immer noch ganz nah. Den Moment am Sterbebett werde ich nie vergessen. Das Gesicht gelb vom Cortison, aber ein Lächeln voller Zufriedenheit aus tiefstem Herzen. Und das kam nicht vom Morphium: "Nicht weinen, Zulu. Mir geht es doch gut. Denn ich weiß, daß es Dir gut geht." Bis Zuletzt hat sie immer nur an andere gedacht.

    Noch viel schrecklicher muß es sein in dieser Schein-Plandemik nicht die letzte gemeinsame Zeit zusammen verbringen zu können, und gleichzeitig zu sehen, wie ein drogensüchtiger Schwerkrimineller im goldenen Sarg vor hunderten fremden Leuten politisch instrumentalisiert in einer weißen Kutsche stundenlang live im TV…Katastrophe.

    Viel Kraft, Maria. Und danke für Deine Erzählung.

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