Die neue “Bargeldstrategie” der EZB – eine Pontius-Pilatus-Strategie

Übernommen aus dem Blog von Norbert Häring

Hören | Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in aller Stille eine “Bargeldstrategie” des Eurosystems veröffentlicht, die der EZB-Rat bereits Anfang September verabschiedet hatte. Das Bekenntnis zum Bargeld erscheint bestenfalls halbherzig und deutet auf einen internen Richtungskampf hin.

Die “Bargeldstrategie” des Eurosystems, die am 2. Dezember veröffentlicht wurde, besteht nur aus einigen kurzen Absätzen auf der Website. Die Einführung klingt vielversprechend:

Euro-Banknoten und -Münzen sind das einzige gesetzliche Zahlungsmittel im Euroraum, und Bargeld ist die einzige Form von Zentralbankgeld, die von allen Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar genutzt werden kann und dadurch Autonomie, den Schutz der Privatsphäre und gesellschaftliche Inklusion gewährleistet. Der EZB und den nationalen Zentralbanken – auch als Eurosystem bezeichnet – kommt die wichtige Aufgabe zu, eine reibungslose Bargeldversorgung sicherzustellen und zu ermöglichen, dass Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen mit Bargeld bezahlen können. Wir sorgen auf verschiedene Arten dafür, dass die Zukunft des Bargeldes gesichert ist.

Die EZB betont, dass “das Eurosystem dafür sorgt, dass die Euro-Banknoten und -Münzen der Öffentlichkeit jederzeit zur Verfügung stehen”, und fügt hinzu:

Selbst wenn es in Zukunft zur Einführung eines digitalen Euro kommen sollte, würde dieser parallel zum Bargeld verwendet.

In meiner Interpretation ist dieser Satz der Schlüssel zum Verständnis des seltsamen Verfahrens. Es scheint, dass die bargeldfreundlichen Mitglieder des EZB-Rates auf einer solchen Selbstverpflichtung bestanden haben, bevor sie zugestimmt haben, die EZB auf dem Weg zu einem digitalen Euro voranschreiten zu lassen.

Unter der Überschrift “Wir fördern den allgemeinen Zugang zu Bargelddienstleistungen” erklärt die EZB:

Kreditinstitute (haben) eine gesellschaftliche Verantwortung, Bargelddienstleistungen für Menschen und Unternehmen, etwa Barabhebungen, kostenlos oder nur gegen vertretbare Gebühren anzubieten.

Es gibt sogar die Zwischenüberschrift:

Wir stellen sicher, dass Bargeld überall akzeptiert wird.

 

All dies klingt recht gut, außer dass die Umstände der Veröffentlichung dieser “Strategie” und ein Blick auf den genauen Wortlaut den starken Eindruck erwecken, dass die Bargeldverteidiger innerhalb der EZB mit einem eher lauwarmen Bekenntnis zum Erhalt des Bargelds abgespeist wurden.

Minimale Publizität

Wenn es sich um eine ernsthafte und feste Verpflichtung handeln würde, hätte man erwartet, dass die EZB sie an prominenter Stelle bekannt macht. Das Gegenteil war der Fall. Es dauerte drei Monate, bis die EZB die Bargeldstrategie still und leise auf einer untergeordneten Seite ihres Internetauftritts veröffentlichte, ohne eine Pressemitteilung. Die Entscheidung des EZB-Rats von September, die Bargeldstrategie zu verabschieden, wurde im Gegensatz zu anderen Ratsbeschlüssen derselben Art aus diesem Zeitraum nicht veröffentlicht.





Die Vorteile von Bargeld werden anerkannt

Positiv zu vermerken ist, dass die Bargeldstrategie bereits in den ersten Sätzen und ausführlicher auf einer gesonderten Webseite alle wesentlichen Vorteile der Verwendung von Bargeld anerkennt, nämlich dass “Bargeld die einzige Form von Zentralbankgeld ist, die von allen Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar genutzt werden kann und dadurch Autonomie, den Schutz der Privatsphäre und gesellschaftliche Inklusion gewährleistet” und dass Bargeld ein sicheres Wertaufbewahrungsmittel ohne Ausfallrisiko ist und eine einfache Kontrolle der Ausgaben ermöglicht.

Es ist wichtig, dass die EZB all diese Vorteile aufzählt, denn der EU-Generalanwalt hat, der Linie der EU-Kommission folgend, seine eigene Liste wichtiger Vorteile des Bargeldes für die Bürger im Hinblick auf die Ausübung ihrer Rechte auf nur einen beschränkt: die soziale und wirtschaftliche Integration von Menschen ohne Bankkonto.

Unverbindliche Formulierungen

Der Absatz über das Sicherstellen, dass Bargeld überall akzeptiert wird, gibt lediglich die einschlägigen Rechtsvorschriften wieder, ohne zu erwähnen, was die EZB in diesem Bereich tatsächlich tut oder zu tun gedenkt. Schlimmer noch, der letzte Satz scheint zu implizieren, dass die EZB damit einverstanden ist, dass Regierungen die Verwendung von Bargeld gesetzlich einschränken:

Anbieter öffentlicher Dienste, Handels- und andere Unternehmen dürfen Bargeldzahlungen nicht ablehnen, es sei denn, dies ist ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben oder alle Parteien haben zuvor ein anderes Zahlungsmittel vereinbart.

Auf Anfrage erläuterte die EZB etwas genauer, was sie in dieser Hinsicht zu tun gedenkt. Ton Roos, Direktor für Banknoten, sagte mir:

Als Teil unserer Bargeldstrategie wollen wir sicherstellen, dass Barzahlungen auch 2030 noch eine weit verbreitete Option sein werden. Wir werden mit der Europäischen Kommission zusammenarbeiten, um den Status der Euro-Banknoten als gesetzliches Zahlungsmittel zu klären, (und) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission werden wir die Möglichkeit und Notwendigkeit verbindlicher Regeln für die verpflichtende Annahme von Bargeld im Handel untersuchen.
(Meine Übersetzung.)

Das erste Ziel scheint nicht allzu ehrgeizig zu sein. Selbst ohne große Anstrengungen der EZB würde man voraussagen, dass die Möglichkeit, an vielen Orten innerhalb der Eurozone mit Bargeld zu bezahlen, auch in zehn Jahren noch bestehen wird. Schließlich scheint auch die Vorhersage des Chefs der Deutschen Bank, John Cryan, von Anfang 2016, dass in zehn Jahren kein Bargeld mehr vorhanden sein werde, nach Ablauf von fast fünf Jahren weit vom Eintritt entfernt zu sein. Bargeld mag an Boden verlieren, aber es ist ein sehr langsamer Prozess.

Die beiden anderen Aktionspläne, die Roos erwähnt, erwecken nicht viel Optimismus. Während meines Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof bezüglich meiner Forderung, meinen Rundfunkbeitrag mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel bezahlen zu dürfen, habe ich viel über die entschieden bargeldfeindliche Haltung der EU-Kommission gelernt.

Die Kommission ist der Meinung, dass fast jedes “öffentliche Interesse” ausreicht, um einer nationalen Regierung oder der Kommission das Recht zu geben, ein Gesetz zu erlassen, das die Verpflichtung öffentlicher Einrichtungen zur Annahme des gesetzlichen Zahlungsmittels einschränkt oder Privaten die Verwendung oder Annahme des gesetzlichen Zahlungsmittels verbietet. Nach Meinung der Kommission und des Generalanwalt haben nur Personen ohne Bankkonto ein weitreichendes Recht darauf, dass ihr Bargeld zur Zahlung angenommen wird.

Dass die EU-Kommission die Notwendigkeit von Regeln akzeptieren würde, die alle Unternehmen zur Annahme von Bargeld verpflichten würden, erscheint höchst unwahrscheinlich. Es würde gegen alles gehen, was sie bisher getan und wie sie bisher argumentiert hat. Ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn mir das Gegenteil bewiesen würde.





Schöne Worte, keine Taten

Die Bundesbank ist Teil des Eurosystems und war – über Präsident Weidmann – an der Verabschiedung der Bargeldstrategie beteiligt. Die Bundesbank weiß jedoch offenbar nichts von der “gesellschaftlichen Verantwortung der Kreditinstitute, Bargelddienstleistungen für Bürger und Unternehmen zu erbringen”, und kümmert sich auch nicht darum. Als ich vor kurzem die Bundesbank nach ihrer Meinung zu der Weigerung von Banken fragte, ihren Kunden die Einzahlung von Münzgeld zu gestatten, antwortete die Bundesbank lediglich, dass diese Weigerung rechtlich in Ordnung sei und dass die Kunden die Möglichkeit hätten, eine andere Bank zu wählen.

Ich bin auch gespannt, wie lange es dauert, bis Bundesbank/Eurosystem etwas dagegen unternehmen, dass große Geschäftsbanken von ihren Geschäftskunden 7,50 Euro pro Bargeldabhebung am eigenen Automaten verlangen. Mit der Forderung “Barabhebungen kostenlos oder nur gegen vertretbare Gebühren” anzubieten, lässt sich das nur schwer in Einklang bringen.

In Italien, wo die Bank von Italien als Teil des Eurosystems und unabhängiger Zweig der Regierung dafür zuständig wäre, sicherzustellen, dass die “Bargeldstrategie” beachtet wird, führt die Regierung derzeit ein groß angelegtes Geld-zurück-Programm für Käufe im Einzelhandel durch, die bargeldlos bezahlt werden. Dieses Programm soll im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Mir sind keine Proteste der Bank von Italien oder der EZB gegen diese eklatante Anti-Bargeld-Maßnahme bekannt.

Im Zusammenhang mit einem möglichen zukünftigen e-Euro erwägt die EZB offenbar sehr ernsthaft die Option, ein Gerät zur Verfügung zu stellen, mit dem der e-Euro in einer analogen face-to-face-Situation verwendet werden kann, was die wichtigste verbleibende Hochburg der Bargeldnutzung ist. Wollte man sicherstellen, dass Bargeld auch in Zukunft weiter verwendet wird, würde man kaum in Erwägung ziehen, einen solchen direkten Konkurrenten zum Bargeld aufzubauen.

Zusammenfassung

Die Bargeldstrategie des Eurosystems scheint ein halbherziges Zugeständnis an die Bargeldverteidiger innerhalb und außerhalb der EZB zu sein, das gemacht wurde, um weiter dabei zuschauen zu können, wie die Bargeldnutzbarkeit schwindet, und um diesen Prozess durch Förderung digitaler Zahlungstechnologien und möglicherweise eines digitalen Euro unterstützen zu können – während man sich die Hände in Unschuld wäscht wie Pontius Pilatus.

Englische Version

Dossier zum Krieg gegen das Bargeld

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Die neue “Bargeldstrategie” der EZB – eine Pontius-Pilatus-Strategie
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1 Kommentar

  1. Die EU-Geld-Richtlinie 2009/110/EG. Darin ist exakt festgezurrt, wie der Geldverkehr künftig abzulaufen hat. Nämlich mittels …… „elektronischer Geldbörse“: Bankkarten, Kreditkarten, auch Mobiltelefone dienen als Zahlungsmittel und Speichermedium für E-Geld.

    Bargeld wird unattraktiv gemacht. Mittels Gebühren. Wollen Sie eine Rechnung bar überweisen, kostet Sie das in der Bank als Nichtkunde bis zu 15 Euro. Hart für die 670.000 Zeitgenossen, die kein Konto haben, oder nicht haben wollen. Daher forderte unlängst die SPD, dass jeder Deutsche in den Genuss eines Konto kommen MÜSSE, um billig zu überweisen. Auf die nahliegende Idee, einfach die unverschämt hohen Gebühren zu verbieten, kommen die Genossen offenbar nicht.

    Die EU-Geld-Richtlinie 2009/110/EG. Darin ist exakt festgezurrt, wie der Geldverkehr künftig abzulaufen hat. Nämlich mittels …… „elektronischer Geldbörse“: Bankkarten, Kreditkarten, auch Mobiltelefone dienen als Zahlungsmittel und Speichermedium für E-Geld.

    Bargeld wird unattraktiv gemacht. Mittels Gebühren. Wollen Sie eine Rechnung bar überweisen, kostet Sie das in der Bank als Nichtkunde bis zu 15 Euro. Hart für die 670.000 Zeitgenossen, die kein Konto haben, oder nicht haben wollen. Daher forderte unlängst die SPD, dass jeder Deutsche in den Genuss eines Konto kommen MÜSSE, um billig zu überweisen. Auf die nahliegende Idee, einfach die unverschämt hohen Gebühren zu verbieten, kommen die Genossen offenbar nicht.

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