Die japanischen Lehren für die Europäische Krise

Von Gunther Schnabl am 8. April 2012

Japan ist nicht nur bei vielen Technologien Vorreiter, auch hinsichtlich der Erfahrung mit Krisen und Krisentherapien. Das Land der aufgehenden Sonne hat nicht nur 15 Jahre vor Europa einen großen Boom-und-Krisen-Zyklus erlebt, sondern auch wichtige Erfahrungen mit monetärer Lockerung, expansiver Finanzpolitik und der Rekapitalisierung von Finanzinstituten als Krisentherapien gemacht. Obwohl die (Nahe-)Nullzinsgrenze schon eine Dekade früher als in Europa erreicht wurde und die Staatsverschuldung auf Weltrekordniveau geklettert ist, stagniert das Wachstum. Können Japans Erfahrungen Europa helfen, ein ähnliches Schicksal zu umschiffen? Zur Beantwortung dieser Frage werden Krisenursachen, Krisenverlauf, Krisentherapien und (mögliche) Folgen der Krisentherapien verglichen.

Krisenursachen:
Die Übertreibungen auf den japanischen Vermögensmärkten wurden Mitte der 80er Jahre durch eine expansive Geldpolitik der Bank of Japan ausgelöst. Die Zinssenkungen sollten die durch das Plaza-Abkommen (Sept. 1985) angestoßene drastische Aufwertung des japanischen Yen ausbremsen. Der durch das billige Geld befeuerte Spekulationsboom auf den Aktien- und Immobilienmärkten (siehe Abb.) wurde nach dem Louvre-Akkord (Feb. 1987) durch eine expansive Finanzpolitik – die ebenso wie die gezielte Yenaufwertung Japans Handelsüberschuss zu reduzieren suchte – verstärkt.

Auch in der Europäischen Währungsunion sind die Wurzeln der europäischen Schuldenkrise in einer Kombination aus expansiver Geld- und Finanzpolitik in Teilen der Europäischen Währungsunion zu sehen. Nach dem Eintritt in die Eurozone lockerten einige Länder an der Peripherie der Währungsunion ihre Finanzpolitik, während Deutschland in Reaktion auf die hohen Kosten des Wiedervereinigungsbooms nach Konsolidierung des Staatshaushaltes strebte. Die Kombination aus restriktiver Finanzpolitik in Deutschland und expansiver Finanzpolitik in den Peripherieländern begünstigte Kapitalzuflüsse in die Peripherie.

Die Kapitalzuflüsse wurden durch die starken Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank in Reaktion auf das Platzen der Dotdom-Blase weiter angeheizt. Die Zinssenkungen komprimierten auch die Risikoprämien für die internationale Kreditvergabe. Die Folge waren Blasen bei den Staatsausgaben (insbesondere Griechenland), auf lokalen Immobilienmärkten (Irland, Spanien), beim Konsumverhalten (Griechenland, Portugal), bei Leistungsbilanzsalden (GIIPS-Länder, Deutschland) und in Finanzsektoren (Irland, Österreich, Luxemburg).

Krisenverlauf:
In Japan erkannte die Zentralbank, dass der Aktien- und Immobilienboom, der über Vermögenseffekte Konsum und Inflation anheizte, nicht nachhaltig war. Ab 1988 erhöhte die Bank of Japan die Zinsen deutlich, um Luft aus der Blase zu nehmen. Immobilientransaktionen wurden durch Regulierungen und höhere Steuern erschwert. Im Dezember 1989 platzte die Blase auf den Aktienmärkten (siehe Abb.), 1991 auf den Immobilienmärkten. Die japanische Zentralbank hielt das Zinsniveau für längere Zeit hoch, um eine Konsolidierung des Kreditvolumens zu gewährleisten. Sowohl die restriktive Geldpolitik in Reaktion auf die Blase als auch die restriktive Geldpolitik in der frühen Rezession nach dem Platzen der Blase wurden später als geldpolitischer Fehler gesehen (Bernanke 2000).
Boom and Bust in Japan

In Europa wurde die Krise von der geldpolitischen Straffung ab Ende 2005 und dem Platzen der Blase auf dem US-Hypothekenmarkt ausgelöst, die eine Änderung der Risikoeinschätzung der Auslandskredite nach sich zog. Inflationsgefahren waren im gemeinsamen europäischen Währungsraum aufgrund der deutschen Austerität bei Staatsausgaben und Lohnerhöhungen im Durchschnitt nicht deutlich geworden, obwohl in den Boomländern die 2%-Inflations-Zielmarke weit überschritten wurde. Im Gegensatz zu Japan ist der Krisenverlauf heterogen. Während die Länder an der Peripherie der Währungsunion eine tiefe Rezession durchlaufen, geht Deutschland gestärkt aus den Turbulenzen hervor.

Krisentherapien:
In Japan wurden im Verlauf der Krise die Leitzinsen zunächst nur zögerlich, dann radikal gesenkt. Sie erreichten den Nullpunkt in Reaktion auf die japanische Finanzmarktkrise im Jahr 1999, fast zehn Jahre nach dem Platzen der Blase. Als die Nullzinspolitik nicht die erhofften Wachstumseffekte erzeugte, folgten unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen, um die notleidenden Banken, Klein- und Mittelunternehmen zu stützen. Die japanische Geldpolitik betrat damals geldpolitisches Neuland abseits aller Lehrbücher. Der Ausstieg aus der sehr expansiven Geldpolitik wurde vereinzelt angegangen, aber immer wieder wegen der Fragilität von Banken und wirtschaftlicher Entwicklung abgebrochen. Die geldpolitische Expansion bewirkte in den 90er Jahren statt wirtschaftlicher Belebung im Inland spekulative Übertreibungen in Japans südostasiatischen Nachbarländern. Die resultierende Asienkrise (1997/98) wirkte auf Japan in Form der japanischen Finanzmarktkrise zurück, weil Japans Banken neue Verluste im Ausland erlitten.

In Europa reagierte die Europäische Zentralbank nicht zuletzt auf Grund der japanischen Erfahrungen schneller mit Zinssenkungen auf die Krise, so dass früher nach Ausbruch der Krise ein Zinsniveau nahe Null erreicht wurde. Die Krise wurde rasch evident, da der drohende Staatsbankrott in mindestens fünf potentiellen Krisenländern (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien) die Risikoprämien nach oben trieb. Die auf die Krisenländer ausgerichtete expansive Geldpolitik wirkt prozyklisch auf die Konjunktur in Deutschland, wo es zu einem neuen Spekulationsboom, nach dem Muster der japanischen oder südostasiatischen Blasen kommen könnte.

Die Bereinigung der faulen Kredite in den Bilanzen von japanischen „Zombiebanken“ wurde bis 1999 verschleppt. Dies ging mit einer Kreditklemme einher, von der bis heute nicht geklärt ist, ob sie von einer Konsolidierung des Kreditportfolios der Banken oder sinkender Kreditnachfrage des Unternehmenssektors getrieben wurde. In den Bilanzen der Banken wurden – begünstigt durch die Baselregulierungen, die für Staatspapiere keine Risikorücklagen vorsehen – Kredite an private Unternehmen durch den Kauf von Staatspapieren ersetzt. Die Eigenkapitalquoten von Banken sind nur ausreichend, weil die unkonventionelle Geldpolitik die Banken indirekt subventioniert. Bei einem höheren Zinsniveau dürften viele japanische Banken wieder in Schieflage sein.

Im Lichte der japanischen Erfahrungen wurde in Europa schnell die Bereitschaft zur Rekapitalisierung maroder Banken signalisiert. Die in Japan beobachtete private Kreditklemme fokussiert sich in Europa auf die Krisenländer, wo aber über das TARGET2-Zahlungssystem notleidenden Banken Zentralbankliquidität zugeführt wird (Abad et al. 2012). In Deutschland ist hingegen ein Liquiditätsüberschuss im Bankensystem zu beobachten. Wie in Japan werden die Stresstests für europäische Banken durch liquiditätszuführende Maßnahmen der Europäischen Zentralbank geschönt.

Die japanische Regierung legte zur Stabilisierung der Volkswirtschaft eine lange Reihe von keynesianischen Konjunkturprogrammen auf, vor allem in der Bauindustrie. Im Ergebnis ist die Staatsverschuldung auf Rekordniveau (ca. 230% des BIP) gestiegen. Das graduelle Absinken des Zinsniveaus erlaubte eine stetig wachsende Staatsverschuldung, ohne dass die Zinslasten der Regierung (als Anteil an den Staatsausgaben) deutlich gewachsen sind. Bei anhaltendem schwachem Konsum und träger Investitionstätigkeit kommen die Wachstumsimpulse immer mehr vom Staat.

In Europa sind keynesianischen Konjunkturprogrammen durch hohe Schuldenstände und den verschärften Stabilitäts- und Wachstumspakt Grenzen gesetzt. Doch ist die Glaubwürdigkeit des Paktes gering, da riesige Hilfspakete die (implizite) Verschuldung der Retterländer nach oben treiben. Zudem zeichnet sich ab, dass eine mögliche Konsolidierung der öffentlichen Finanzen über eine weitere geldpolitische Lockerung finanziert wird. Je stärker die Konsolidierung der Staatsfinanzen, desto größer ist aufgrund der negativen Wachstumseffekte der politische Druck zur geldpolitischen Expansion.

Folgen der Krisentherapien:
Obwohl die wirtschaftspolitische Entscheidungsfindung im heterogenen europäischen Währungsraum konfliktbehafteter ist als im homogenen Japan ist, zeichnen sich im Ergebnis ähnliche Trends ab. Gegen deutschen Widerstand tendiert in Europa das Zinsniveau wie in Japan gegen Null. Wie in Japan wird der Finanzsektor durch die unkonventionelle Geldpolitik quasi verstaatlicht, da bei einer Rückkehr zu einem höheren Zinsniveau viele Finanzinstitute bankrott wären. Wie in Japan verhindern die Instabilität der Finanzinstitute, die Fragilität der wirtschaftlichen Entwicklung sowie die hohe Staatsverschuldung den Exit aus der außerordentlichen geldpolitischen Expansion.

Wie die Bank of Japan muss die Europäische Zentralbank massive Kapitalverluste fürchten, wenn sie die Zinsen anhebt. Selbst bei der Interaktion von Geldpolitik und Wechselkurs sind Parallelen zu erkennen. In Japan konnten die Zinsen nicht erhöht werden, weil die resultierende Yen-Aufwertung den Export als wichtigsten verbleibenden japanischen Wachstumspfeiler ausgebremst hätte. In der Eurozone würde eine Aufwertung vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer weiter schädigen. Schließlich lässt in Japan wie in Europa die sehr expansive Geldpolitik neue Blasen und Krisen erwarten.

Lehren für Europa aus der japanischen Krise:
Die Bilanz der japanischen Krisentherapie ist ernüchternd. Statt geld- und finanzpolitische Impulse für eine wirtschaftliche Erholung zu geben, haben sich immer neue Rückschläge zu zwei verlorenen Dekaden akkumuliert. Der Aktienpreisindex Nikkei ist weit unter das Niveau vor Beginn der japanischen Blase im Jahr 1985 gefallen (siehe Abb.). Das durchschnittliche reale Einkommen sinkt. Zwar wird vielfach argumentiert, dass die japanische Krisentherapie zwar richtig, aber die Dosierung zu gering gewesen sei. Doch sind bei einem Zinsniveau von Null und einer Staatsverschuldung von 230% des BIP die Grenzen makroökonomischer Stabilisierung klar aufgezeigt.

Aus der Sicht von Friedrich August Hayek (1929) ist gerade die extreme monetäre und fiskalische Expansion die Ursache für die Stagnation. In Japan wurden die Risiken des privaten Finanzsektors durch expansive Geldpolitik, Rekapitalisierung der Banken und keynesianische Konjunkturprogramme sozialisiert. Der Anteil des öffentlichen Sektors an den Forderungen des Bankensektors ist kontinuierlich gestiegen. Die Allokations- und Signalfunktion der Zinsen wurde außer Kraft gesetzt. Private Investitionen wurden durch staatliche Nachfrage ersetzt. Eine immense Staatsverschuldung zwingt die Zentralbank die Zinsen niedrig zu halten. Mit dem Zinsniveau ist die Grenzleistungsfähigkeit der Investitionen gefallen.

Europa sollte deshalb aus Japans Erfahrungen und Hayek’s Werken lernen und früher den Wendepunkt finden. Ein zeitnaher Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik und fiskalische Konsolidierung würden wichtige Signale für wachstumstragende Investitionen statt Spekulation setzen. Die Folge wäre zwar ein schmerzhafter Anpassungsprozess vor allem in den europäischen Krisenländern, aber auch in Deutschland. Doch in Deutschland wäre die Gefahr einer Spekulationsblase nach japanischem und südostasiatischem Muster gebannt. Auf die lange Frist wäre dies der einzige Weg der europäischen Staatengemeinschaft zurück auf einen nachhaltigen Wachstumspfad. Andersfalls droht wie in Japan der graduelle Verfall des Wohlstandsniveaus.

Literatur:

Abad, J., Löffler, A., Schnabl, G., Zemanek, H. 2012: Fiscal Divergence, Current Account and TARGET2 Imblances in the EMU. University of Leipzig Working Paper No. 105.

Bernanke, B. (2000): Japanese Monetary Policy: A Case of Self-Induced Paralysis? In: Mikitani, Ryoichi and Posen, Adam (eds.): Japan’s Financial Crisis and Its Parallels to U.S. Experience, Institute for International Economics, Washington D.C., 149-166.

Hayek, F. v. (1929): Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Salzburg, Philosophia Verlag, Reprint 1976.

Danksagung:

Ich danke Osamu Ishikawa (Botschaft von Japan in Berlin und Japanisches Finanzministerium), für sehr hilfreiche Anmerkungen.

Quelle: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/

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