Die Grenzen der närrischen Meinungsfreiheit scheinen unerschöpflich

Geschunkelter Unmut

 von Andreas Bangemann

Die Grenzen der närrischen Meinungsfreiheit scheinen unerschöpflich.

Da gibt es die nackte Kanzlerin oder den mit der Mafia kopulierenden Berlusconi. Die Besucher der Umzüge rufen fröhlich in die Mikrofone der Reporter, wie klasse es sei, dass man hier die nackte Wahrheit über die Politik präsentieren dürfe. „Die Politiker müssen einfach die Wahrheit aushalten können, sich gefälligst am Riemen reißen und es demnächst besser machen“, so der Tenor vieler Aussagen am Rande der Straßen in den närrischen Hochburgen.

Köln; Rosenmontagsumzug 2009: Mottowagen für Fr. Merkel
Mottowagen für Fr. Merkel

Eine Million Menschen säumen in Köln und nahezu die gleiche Zahl in Düsseldorf die Straßen in eisiger Winterkälte. Auf der Suche nach Spaß und Abwechslung gelten äußere Umstände nicht als Hinderungsgrund. Wie sehr würde man sich das wünschen, wenn es um die „echten“ politischen Anliegen ginge, die ja eigentlich schon in den Mottowagen der Narren genannt werden. Würden die Menschen den Wagen auch folgen, wenn der Weg auf die Regierungsgebäude zuginge und echte Forderungen zum Ausdruck gebracht werden würden?

Die Karnevalsumzüge transportieren in ihren realen Veranschaulichungen der politischen Fehler das Alibi für die Untätigkeit der Zuschauer -im Hinblick auf das „reale“ Engagement – gleich mit. Wir überbringen die Meinung des Volkes im närrischen Kostüm unseren Herrschern. Diese Herrscher können sich eigentlich nichts sehnlicher wünschen, als eine große Zahl derlei närrischer Umzüge. Das Volk findet sein Ventil für den aufgestauten Unmut und bleibt dennoch fröhlich und ruhig.

Außerhalb der närrischen Zeiten schlüpfen verstärkt die politischen Kabarettisten in die Rolle der Organisatoren des zu ventilierenden Bürgerunmutes. Man ist zuweilen verzückt und gleichermaßen verwirrt über die Klarheit, mit der manche höchst intelligente Könner der Zunft des politischen Kabaretts die Fakten treffend analysieren und kommentieren. Selbst wenn das Gehörte einem vor Schrecken über dessen Wahrheitsgehalt den Mund offen stehen lässt, empfindet man beim Zuhören und Zusehen ein wohliges Gefühl geschützter Unterhaltung. Es ist wie die Schärfe der Chilischote, die auf das Süße der Schokolade trifft. Ein befriedigendes und zugleich sinnliches Erlebnis. Mit vorhersehbaren Nebenwirkungen. Sorgenfrei.

Da sitzt ein ansehnlicher junger Mann im piekfeinen Anzug mit gepflegtem langem Haar zum Zopf gebunden am hochglanzpolierten schwarzen Flügel wie Antonio Banderas auf dem nackten Rücken eines Pferdes und spricht ruhig, mit gelassen ausgesprochenen Worten, seine zutiefst empfundene Abneigung über das Handeln politischer Entscheider – aber auch über die dekadenten Konsumenten dieser Politik – aus, als schmisse er gelangweilt schmutzige Wäsche in einen Korb. Und die Zuschauer empfinden mit ihm, fühlen sich bestätigt und danken ihm mit einem donnernden Applaus dafür, dass er ihre Rolle einnimmt und „denen da oben“ in ihrem Namen einmal so richtig die Meinung „klaviert“.

Oder jene rheinländische Frohnatur, die wie kein anderer, bedrohliche Sachverhalte auf gedankliche Spitzen, und den Zuschauern die Tränen vor Lachen in die Augen treibt. Man wünscht sich solche Leute in den Bundestag und würde sie für ihre glänzend vorgetragene Analyse in der Hoffnung wählen, dass sie es besser als die tatsächlich Verantwortlichen machen würden. Doch sie stehen nicht zur Wahl. Vielmehr sind sie auserwählt. Auserwählt uns die Fehler der Politik  darzureichen. Die „Mahlzeit“ wird dadurch nicht schmackhafter, doch erkennen wir, dass wir auf der Suche nach Nahrung zwar schelten, aber nicht wählerisch sein können.

Es ist fatal. Der Karneval und die Kabarettisten sagen die unverblümte Wahrheit. In dem sie das tun und diese Wahrheit zur Unterhaltung machen, tragen sie  mehr zur Verhinderung der Veränderungen bei, als ihnen lieb sein dürfte.

Die Narretei ist das Wasser, das den Zement der Politik zu jenem Beton macht, der dann die Füße der Bürger umschließt. Und wann immer der „Pate Staat“ den Zeitpunkt für richtig hält, weil er nicht mehr anders kann, wird er uns im Meer des wirtschaftlichen Chaos versenken.

Am Aschermittwoch kommt dann die „närrische“ Retourkutsche der Politiker. Man schüttet dem politischen Gegner bild- und wortreich so richtig eins ein. Aber auch das ist nicht mehr, als Unterhaltung der Massen.

Ändern wird sich erst dann etwas, wenn die Massen sich bewegen wie am Rosenmontag und die gleichen Forderungen stellen wie am Rosenmontag, es aber ernst meinen und erst nach Hause gehen, wenn sich etwas ändert. Die politische Kultur der Zukunft braucht den verantwortlichen Bürger. Sie braucht Partizipation und den Willen zur Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes.

Wenn es eines bestimmten Tages dazu braucht, eines Tages an dem das alles beginnen soll, dann böte sich der Donnerstag an. Der Donnerstag nach Aschermittwoch.

Quelle: humane-wirtschaft

 

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