Die gesellschaftlichen Kosten des Kapitalismus

Paul Craig Roberts

Als ich noch Doktorand der Wirtschaftswissenschaften war, genossen die gesellschaftlichen Kosten des Kapitalismus großes wirtschaftstheoretisches Interesse. In den Jahrzehnten seither sind die gesellschaftlichen Kosten des Kapitalismus explodiert, aber das Thema scheint den Berufsstand der Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftler nicht mehr zu kümmern.

Gesellschaftliche Kosten sind Produktions­kosten, die der Produzent nicht spürt und die daher im Preis des Produktes nicht zum Tragen kommen. Es gibt viele klassische Beispiele: Luft- und Wasserverschmutzung, Zerstörung der Landschaft durch Bergbau, Ölbohrungen, leckende Pipelines, chemische Keulen in Landwirtschaft, Radioaktivität von Atomunfällen und neuerdings das „Fracking“, aber auch die Verseuchung von Nahrungsmitteln durch Antibiotika und künstliche Hormone.

Manche Ökonomen glauben, dass man diese traditionellen gesellschaftlichen Kosten durch genau definierte Eigentumsrechte in den Griff bekommen kann. Andere denken, eine wohlwollende Regierung werde diese Kosten im Interesse der Gesellschaft schon kontrollieren. Heute bringt die Globalisierung neue soziale Kosten. Für entwickelte Länder bestehen diese aus Arbeitslosigkeit, Verlusten bei Konsumenteneinkommen, Steueraufkommen und Wachstum des Bruttoinlandprodukts, sowie aus steigenden Handels – und Handelsbilanzdefiziten, die die Auslagerung von Produktion und professioneller Dienstleistungen mit sich bringt. Die Handels- und Handelsbilanzdefizite können zu fallendem Kurs der Währung und durch die Importpreise bedingter steigender Inflation führen. Für unterentwickelte Länder bestehen die Kosten im Verlust von Eigenständigkeit und in der Transformation der Landwirtschaft in Monokulturen, um die Bedürfnisse der internationalen Konzerne zu befriedigen.  

Ökonomen übersehen diese epidemieartig wachsenden neuen gesellschaftlichen Kosten, weil sie irrtümlicherweise denken, Globalisierung bestehe aus freiem Handel, und die Freiheit des Handels sei immer nützlich.

Ebenso blind sind Wirtschaftsfachleute für die sozialen Kosten von Deregulierung. Die anhaltende Finanzkrise, zu deren Linderung öffentliche Gelder in massivstem Umfang in „systemrelevante Banken, die zu groß sind, um pleitegehen zu dürfen“ gepumpt werden, ruft immense gesellschaftliche Kosten hervor. Dies ist das Resultat eines Regierungshandelns, das sich dem Druck der Wall Street beugt, indem es das Glass-Steagall-Gesetz zur institutionellen Trennung zwischen dem Einlagen- und Kreditgeschäft und dem Wertpapiergeschäft aufhebt, die Position Limits für Spekulanten entfernt, die Bundesbehörde CFTC von der Regulierung von Derivaten abhält, das Antikartellgesetz in wertloses Papier verwandelt und damit eine massive Konzentration der Wirtschaftsmacht erlaubt. Die gesellschaftlichen Kosten für erfolgreiche Firmen-Lobbyarbeit sind gewaltig. Derweil Ökonomen glauben, dass diese Maßnahmen einen enormen Zugewinn an Effizienz gebracht hätten, sind die sozialen Kosten massiv angewachsen.

Um das deregulierte Finanzsystem am Laufen zu halten, hat die Federal Reserve, das Zentralbanksystem der USA, in den letzten Jahren einen Schuldenberg von Billionen Dollars aufgehäuft. Die realen Zinssätze wurden in den Minusbereich getrieben. Rentner bekommen nirgends mehr irgendeinen nennenswerten Zuwachs auf ihren Spareinlagen und müssen ihr Kapital angreifen, um schlicht ihre Lebenshaltungskosten zu decken.

Die Geldmenge, die durch die Politik des „Quantitative Easing“ (Linderung der Krise durch immer mehr Geld) der US-Zentralbank in den Finanzmarkt geschossen wurde, hat riesige Anleihen- und Börsenblasen hervorgerufen. Wenn diese Blasen platzen, wird in den USA noch mehr Wohlstand und werden noch mehr Arbeitsplätze ausradiert werden.

Betrachten wir nur ein Beispiel für die sozialen Kosten der Produktionsverlagerung ins Ausland: Wenn US-Konzerne die Waren und Dienstleistungen, die sie in den USA verkaufen, außerhalb im Ausland herstellen, handelt es sich dabei um Importe! So wächst das Außenhandelsdefizit Dollar um Dollar.

Dieses Handelsdefizit besagt, dass die USA mehr Güter einführen, als sie in fremden Währungen durch den Export eingenommen haben. Das wäre für die meisten Länder ein Problem; nicht so für die Vereinigten Staaten. Denn der US-Dollar ist die Währung, in der die Weltwährungsreserven angelegt sind. Das bedeutet, er ist das internationale Zahlungsmittel, weswegen die Zentralbanken anderer Länder US-Dollar-Reserven halten, um den Wert ihrer eigenen Währung abzusichern.

Dies ist ein Vorteil; doch mit der Zeit verwandelt er sich in einen Nachteil, weil Ausländer die durch ihren Außenhandelsüberschuss zusätzlich eingenommenen Dollars dazu benutzen, in den USA Vermögenswerte zu kaufen, die weitere Einkünfte generieren. Sie kaufen US-Treasury Bonds (Schatzbriefe) und US-Firmenanteile – mit der Folge, dass die Zinserträge das Land verlassen. Sie kaufen US-Unternehmen, und deren Gewinne, Dividenden und Kapitalzuwächse gehen ins Ausland. Sie leasen Parkplätze in Chicago und amerikanische Mautstraßen, und die Einnahmen fließen außer Landes.

Dieser enorme Abfluss der Einkommensströme ruft in den USA ein riesiges Außenhandelsdefizit hervor – was auch bedeutet, dass die Ausländer noch mehr US-Dollars verdienen und sie wiederum in den USA anlegen. Anders gesagt, ein chronisches Handelsdefizit spielt nach und nach einen Großteil des Vermögens eines Landes in fremde Hände.

Auf diese Weise gelangt das Eigentum eines Staates aus der Hand der Bewohner in die Hand von Fremden. Nach Reuters gehörten 1971 lediglich 1,3 Prozent aller US-Vermögenswerte Ausländern.

2008 waren es bereits 14,2 Prozent der gesamten US-Industrie – einschließlich 21,5 Prozent des Bergbaus, 25 Prozent der Warenfertigung, 30,2 Prozent des Großhandels, 12 Prozent der Informationstechnologie, 12 Prozent des Grundbesitzes, 15 Prozent des Finanz- und Versicherungswesens, 25 Prozent aller gewerblichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, 11 Prozent der Unterhaltungs- und Erholungsbranche und 11 Prozent des Hotel- und Gastronomiegewerbes.

Zahlreiche berühmte US-Markennamen sind inzwischen im Besitz von Ausländern. „Budweiser“ gehört einem niederländischen Konzern, „Alka Seltzer“ einem deutschen, „Fire­stone“ einem japanischen. Die Zeitschriften „Car and Driver“ und „Woman’s Day“ sind im Besitz eines französischen Unternehmens. „Gerber Baby Food“ und „Purina“ Hundefutter gehören Schweizer, „Hellman’s“ Mayonnaise und „Ben & Jerry’s“ Eis britischen Firmen. Viele Tausende früherer US-Unternehmen befinden sich heute unter ausländischer Kontrolle – und das alles wegen des US-Außenhandelsdefizits, das angeschwollen ist durch die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland.

Die Strategie, in fremden Ländern den niedrigsten Arbeitskosten hinterherzujagen, also den absoluten Vorteil ergattern zu wollen, anstatt sich im Gegenteil mit dem relativen Vorteil zufriedenzugeben, der die Grundlage des freien Handels bildet, führt US-Gewinne, Kapitalzuwächse, Mieten, Zinsen, Park- und Mautgebühren geradewegs fremden Händen zu.

Das Streben nach schnellen und möglichst hohen Renditen und damit Erfolgsprämien bringt hohe gesellschaftliche Kosten mit sich. Was man durch die Verlagerung der Produktion ins Ausland einspart, führt keineswegs zu wirtschaftlicher Effizienz und sozialer Wohlfahrt. Sehr wahrscheinlich sind die Kosten der Produktionsverlagerung ins Ausland größer als die erzielten Gewinne; Arbeitsplätze auszulagern bringt der US-Wirtschaft einen Nettoverlust. Es kann kaum einen Zweifel daran geben, dass die gesellschaftlichen Kosten des gentechnisch veränderten Saatguts der Firma „Monsanto“ den Profit übersteigen.

Man sollte nun aber nicht erwarten, dass Mainstream-Ökonomen dem irgendwie Aufmerksamkeit schenken. Sie schwafeln und schwärmen weiterhin von den Vorteilen der New Economy, dieses Kindes der Globalisierung; und diese seien wichtiger als hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne, Finanzkrise und der Wertverfall des US-Dollars.

Übersetzt von Hanno Herzler, veröffentlicht am 31. Mai 2013 von politropolis.de

Quelle: antikrieg

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