Die Freigeld-Zinstheorie nach Silvio Gesell – Teil 3

Teil 1:
http://krisenfrei.wordpress.com/2011/03/31/die-freigeld-zinstheorie-nach-silvio-gesell-%E2%80%93-teil-1/

Teil 2:
http://krisenfrei.wordpress.com/2011/04/01/die-freigeld-zinstheorie-nach-silvio-gesell-%E2%80%93-teil-2/

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Und hier nun die dritte Leseprobe zur Freigeld-Zinstheorie von Silvio Gesell

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erstattet werden. In der Hoffnung auf diese Erstattung baut er das Mietshaus. Er will

als Sterblicher vor seinem Tode die Früchte seines Fleißes selber genießen und kann

deshalb nur Arbeiten unternehmen, die sich in Abschreibungen wieder auflösen. Wenn

er und sein Werk in der Auflösung Schritt halten, dann hat er richtig, d. h. privatwirtschaftlich

richtig gerechnet. Arbeiten von Ewigkeitswert sind nicht Sache des Sterblichen,

sondern des Ewigen, des Volkes. Das Volk, das ewig lebt, rechnet mit der Ewigkeit

und sprengt die Felsen weg, obschon diese Arbeit keinen Zins abwirft und sich

auch nicht in Abschreibungen auflöst. Im Tode noch entwirft der alte Staatsförster

den Plan für das Aufforsten einer Einöde. Diese Dinge sind Staatsangelegenheiten.

Der Staat aber wird solche Arbeiten immer nur in dem Umfange unternehmen, wie

ihm dazu Geld zinsfrei zur Verfügung gestellt wird. Solche Unternehmungen stehen

infolgedessen der Zinsfreiheit nicht im Wege, sondern liegen in ihrem Rücken.

Wer jenen Einwand erhebt, vergißt auch, daß, wenn es sich um eine einfach Erweiterung

des Unternehmens handelt (10 Drehbänke anstelle von 5, 10 Ziegelmaschinen,

wo bisher 5 arbeiteten, usw.), diese nicht ohne entsprechend vermehrte

Arbeiterzahl ausgenutzt werden kann. Die Nachfrage nach Geld für die Vergrößerung

einer Fabrik bedeutet also auch gleichzeitig eine entsprechend vergrößerte

Nachfrage nach Arbeitern, die durch erhöhe Lohnforderungen den vom Unternehmer

von der Erweiterung seines Unternehmens erwarteten Vorteil wieder zunichte machen.

Durch einfaches Vergrößern seiner Fabrik kann also ein Unternehmer keinen besonderen

Vorteil von den zinsfreien Darlehen erwarten, und darum wird die Zinsfreiheit

ihn nicht reizen, eine grenzenlose Nachfrage nach zinsfreien Darlehen zu halten.

Diese Grenze ist durch die Lohnforderungen der Arbeiter gezogen, denen ganz allein

die Zinsfreiheit zugute kommt. Und das ist ja auch ganz natürlich, denn das

Verhältnis des Unternehmers zum Arbeiter unterscheidet sich im Grunde in nichts

von dem Verhältnis, das zwischen Pfandleihern* und Pfandborgern besteht, wobei

ein Herabgehen des Zinses auch den Borgern zugutekommt.

Der Unternehmer kauft nicht die Arbeit oder die Arbeitszeit, auch nicht die Arbeitskraft,

denn er verkauft auch keine Arbeitskraft. Was er kauft und verkauft, das ist das

Arbeitserzeugnis, und der Preis, den er dafür bezahlt, richtet sich nicht nach den Kosten

der Aufzucht, Ausbildung und Unterhaltung eines Arbeiters und seiner Nachkommenschaft

(der Unternehmer kümmert sich um dergleichen nicht; das erkennt man doch

klar genug am Arbeiter selber), sondern einfach nach dem, was der Verbraucher dafür

bezahlt. Von diesem Preis zieht der Unternehmer den Zins der Betriebsanlagen, die Kosten

der Rohstoffe zuzüglich Zins, und dem Lohn seiner eigenen Arbeit ab. Der Zins entspricht

regelmäßig dem Urzins; der Lohn des Unternehmers unterliegt, wie jeder Arbeitslohn,

dem Gesetz des Wettbewerbs, und mit dem Rohstoff, den der Unternehmer verarbeiten

läßt, handelt der Unternehmer so, wie jeder Krämer mit seinen Waren handelt.

Der Unternehmer schießt dem Arbeiter Maschinen und Rohstoffe vor und zieht den

darauf ruhenden Zins von Erzeugnis des Arbeiters ab; der Rest ist der sogenannte Lohn,

der im Grunde nichts anderes ist, als der Preis der vom Arbeiter gelieferten Ware.

Die Fabriken sind somit nichts anderes als Pfandhäuser. Zwischen einem Pfandhausbesitzer

und Krupp ist kein Wert-, sondern nur ein Größenunterschied. Diese Wesens-

*) So sagte schon Eugen Dühring irgendwo vor langer Zeit: der Unternehmer vermietet gleichsam die Produktionsanstalten an das Arbeitertum gegen eine Gebühr. Dühring nennt diese Vermietungsgebühr Profit, Marx nennt sie Mehrwert, wir nennen sie schlechthin Zins, Kapitalzins.

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art des Betriebs kommt beim Stücklohn ganz nackt zum Vorschein. Stücklohn ist aber

im Grunde aller Lohn, denn der Lohn richtet sich nach den Stücken, die der Unternehmer

sich vom einzelnen Arbeiter verspricht.

Aber neben der einfachen Vergrößerung der Unternehmung, die die Nachfrage

nach Arbeitern vermehrt, gibt es noch eine eigentliche Verbesserung der Arbeitsmittel,

die es gestattet, mit der gleichen Anzahl Arbeiter mehr Ware zu erzeugen.

Ein Bauer z. B. kann die Zahl seiner Pflüge verdoppeln, aber dann muß er auch

die Zahl der Knechte verdoppeln. Kauft er aber einen Dampfpflug, so bebaut er eine

doppelte Fläche, ohne die Zahl der Knechte zu verdoppeln.

Solche Verbesserungen der Arbeitsmittel (die immer scharf von der einfachen Vermehrung

der Arbeitsmittel zu scheiden sind) werden immer angestrebt. Denn den

Unternehmern kommt es ganz allein auf den Reinertrag* an, und dieser ist um so

größer, je besser die eigenen Arbeitsmittel sind, verglichen mit denen der Wettbewerber.

Daher der Wettlauf der Unternehmer bei der Verbesserung der Arbeitsmittel,

daher die Nachfrage nach Darlehensgeldern von Seiten der Unternehmer, die die

veraltete Fabrik niederreißen möchten, aber für den Bau der besser ausgestatteten

Fabrik nicht genügend eigene Mittel haben.

Dennoch kann man hieraus nicht folgern, daß die Nachfrage nach zinsfreien

Darlehen für die Verbesserung der Arbeitsmittel zu jeder Zeit unbegrenzt sein muß,

daß also das Angebot niemals die Nachfrage erreichen kann, die sich bei Zinsfreiheit

einstellt, und zwar kann man dies deshalb nicht folgern, weil für solche Verbesserungen

der Arbeitsmittel das zu ihrer Beschaffung nötige Geld überhaupt erst

in zweiter Linie in Betracht kommt.

Jeder, der gelernt hat, einen Besen zu binden, kann auch deren hundert binden.

Verlangt man aber von ihm, indem man ihm zinsfreies Geld anbietet, eine Verbesserung

seiner Arbeitsmittel, um mehr oder bessere Ware mit gleicher Arbeit zu erzielen,

so wird er die Antwort schuldig bleiben. Jede Verbesserung der Arbeitsmittel ist

eine Frucht geistiger Arbeit, die man nicht wie Kartoffeln den Zentner zu so und

so viel kaufen kann. Man kann sie nicht einfach bestellen, auch mit noch so „billigem“

Geld nicht. Ungezählte Millionen könnten die Bürger jederzeit durch Ersinnen

patentfähiger Neuerungen einstecken, jedoch fehlt ihnen dazu der Witz.

Es mag sein, daß in 10 oder 100 Jahren die Arbeitsmittel derart verbessert sein

werden, daß die Arbeiter durchweg das Doppelte, das Fünf- oder Zehnfache leisten

werden. Und jeder Unternehmer hat es dann eilig, sich diese Verbesserungen zuzulegen.

Aber heute müssen die Unternehmer die Maschinen gebrauchen, die ihnen

unsere rückständige heutige Technik liefert.

Aber davon abgesehen: nehmen wir an, es erfände jemand eine kostspielige

Maschine, mit der jeder durchweg seine Leistung verdoppeln könnte, so würde

*) Reinertrag – Unternehmerlohn – Arbeitsertrag des Unternehmers usw. ist das, was nach Zahlung

aller Betriebsausgaben einschließlich Zins für die Leitung des Unternehmens übrigbleibt und als Profit

dieser Leitung anzusehen ist. Es hat mit Zins schlechthin nichts zu tun. Bei Aktiengesellschaften sind

es die Patentrechte der Erfinder oder die „unverschämten“ Gehalt- und Lohnforderungen besonders

tüchtiger und unersetzlicher Direktoren und Arbeiter, die diesen Reinertrag aufnehmen.

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eine solche Erfindung alsbald eine riesenhafte Nachfrage nach Darlehen zur Beschaffung

der neuen Maschine bewirken; jeder würde sie sich zulegen und die alte

beseitigen. Und wenn wir vorher zinsfreie Darlehen hatten, so würde diese neue,

gewaltige Nachfrage den Zins wieder zum Vorschein bringen. Der Zins könnte sogar

unter den hier angenommenen Verhältnissen (die die gesamten Betriebseinrichtungen

zum alten Eisen werfen) eine nie dagewesene Höhe erreichen. Aber das

würde nicht lange dauern, denn die durch das neue Arbeitsmittel jetzt um die

Hälfte billiger gewordenen Waren (billig nicht im Sinne eines Preisrückganges,

sondern billig, weil man mit der gleichen Arbeit jetzt die Warenmenge verdoppelt

und mit dieser doppelte Warenmengen eintauschen kann) würden den Bürgern

gestatten, außerordentliche Ersparnisse zu machen, deren Angebot die außerordentliche

Nachfrage nach Leihgeld bald ein- und überholen würde.

Man kann also sagen, daß jede Nachfrage nach Darlehen, die für die Verbesserung

der Arbeitsmittel aufgenommen werden, selber wieder das Angebot zur Deckung

dieser Nachfrage mit großem Überschuß herbeiführen muß.

Von welcher Seite wir auch die Deckung der Nachfrage nach Darlehen im Sinne

einer durch diese Deckung bewirkten Beseitigung des Zinses betrachten mögen,

Hindernisse natürlicher Ordnung stehen einer solchen Deckung nicht im Wege, weder

auf seiten der Nachfrage, noch auf seiten des Angebots. Sobald wir das herkömmliche

Geld aus dem Spiele lassen, ist die Bahn frei, sowohl für zinsfreie Darlehen, wie

für zinsfreie Wohnungen und Arbeitsmittel. Die Beseitigung des Zinses ist ein

natürliches Ergebnis der natürlichen Ordnung, wenn diese durch keine künstlichen

Eingriffe gestört wird. Alles in der Natur des Menschen, ebenso wie in der Natur

der Volkswirtschaft, drängt auf eine unaufhaltsame Vermehrung der sogenannten

Realkapitalien (Sachgüter) hin, eine Vermehrung, die nicht einmal beim völligen

Wegfall des Zinses innehält. Und als einzigen Störenfried in dieser Ordnung haben

wir das herkömmliche Tauschmittel erkannt, das infolge der ihm eigentümlichen,

eigenartigen Vorzüge die Möglichkeit bietet, die Nachfrage ohne unmittelbaren

Schaden für den Inhaber des Tauschmittels willkürlich hinauszuschieben, während

das Angebot durch körperliche Eigenschaften der Waren jedes Zögern mit Bußen

aller Art ahndet. Die Privat- wie auch die Volkswirtschaft haben auch heute

schon immer ihre Spitze gegen den Zins gerichtet; sie würden ihn auch überwinden,

wenn sie in der Entfaltung ihrer Kräfte nicht immer vom Geld gehemmt würden.

Wir haben diese neue Lehre vom Zins jetzt schon von so vielen Seiten kennen

gelernt, daß wir nun am Schlusse eine Frage aufwerfen und beantworten können,

die eigentlich in natürlicher Rangordnung an die Spitze der Erörterung zu stellen

gewesen wäre, die ich aber geflissentlich bisher zurücksetzte, weil zu ihrer richtigen

Erfassung Kenntnisse und Umsicht nötig sind, die wir hier am Schlusse natürlich

eher voraussetzen können als zu Anfang.

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Fortsetzung folgt.

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