Die Existenz des Euro – Hauptursache für die «Gelbwesten»

von Guy Berger, Hélène Clément-Pitiot, Daniel Fedou, Jean-Pierre Gerard, Christian Gomez, Jean-Luc Greau, Laurent Herblay, Jean Hernandez, Roland Hureaux, Gérard Lafay, Jean-Louis Masson, Philippe Murr, Pascal Pecquet, Claude Rochet, Jean-Jacques Rosa, Jacques Sapir, Henri Temple, Jean-Claude Werrebrouk, Emmanuel Todd (zeit-fragen)

Fast zwanzig Jahre nach der Einführung des Euro am 1. Januar 1999 ist die Situation der europäischen Einheitswährung paradox. Einerseits ist das Scheitern dieses Projekts offensichtlich, und von den meisten kompetenten Ökonomen, darunter mehreren Nobelpreisträgern, ist dies anerkannt. Andererseits ist dieses Thema in Frankreich jetzt tabu, so dass kein Politiker es wagt, es direkt anzugehen. Wie lässt sich diese Situation erklären?

Niemand verbindet die aktuelle Entwicklung der «Gelbwesten» mit dem Scheitern des Euro. Die Verarmung der grossen Mehrheit, dessen offensichtlichstes Zeichen, ist jedoch die direkte Folge der Politik, die ergriffen wurde, um die europäische Einheitswährung um jeden Preis zu retten. Es geht dabei nicht so sehr um die quantitative Lockerung der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank, die im übrigen für die Produktionssteigerung wenig effektiv ist, sondern um die Haushaltspolitik der Steuer­erhöhungen und der Kürzung der öffentlichen Investitionen, die von der Brüsseler Kommission überall gefordert werden. Sie haben zwar dazu geführt, dass die Aussenhandelsbilanz einiger Defizitländer wiederhergestellt wurde. Dies war jedoch nur möglich auf Kosten einer «inneren Abwertung», das heisst einer drastischen Einkommenssenkung, verbunden mit einer massiven Reduktion der Inlandsnachfrage. Sie haben somit zu einem dramatischen Produktionseinbruch in den meisten südeuropäischen Ländern und einer sehr hohen Arbeitslosigkeit geführt, trotz eines massiven Exodus der dynamischen Kräfte dieser Länder.
Die Euro-Zone ist heute diejenige mit der niedrigsten Wirtschaftswachstumsrate der Welt. Die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten haben sich keineswegs verringert, sondern erheblich vergrössert. Anstatt die Entstehung eines europäischen Kapitalmarktes zu fördern, ging die «Einheitswährung» mit der Zunahme der öffentlichen und privaten Verschuldung der meisten Länder einher. Die blosse Existenz des Euro, deren Auswirkungen früher noch diskutiert werden konnten, ist heute zu einem absolut tabuisierten Thema geworden. Obwohl der Zusammenhang mit der aktuellen Unzufriedenheit offensichtlich ist, gaukeln die Anhänger des Euro den Franzosen weitgehend illusorische Vorteile vor (Ausnahme: Erleichterung für Reisen in Europa). Sie zeichnen ein apokalyptisches Bild der wirtschaftlichen Situation, die vorherrschen würde, wenn man aus der «Einheitswährung» aussteigen würde, um die Franzosen, die sich nicht eingehend mit diesem Thema beschäftigt haben, in Panik zu versetzen.





Angesichts solcher Argumente muss heute aufgezeigt werden, was Frankreich im Bereich Wirtschaftswachstum auf Grund des Euro alles verloren hat (Zusammenbruch seines Marktanteils in Europa und der Welt, dramatische Schwächung seiner Industrie). Die Franzosen erleiden bereits Rückschritte in bezug auf Kaufkraft, Beschäftigung, Ruhestand, Qualität der öffentlichen Dienstleistungen usw. Die Politik der «inneren Abwertung», die für den Erhalt des Euro unerlässlich ist, wurde in unserem Land, im Gegensatz zu anderen südeuropäischen Ländern, noch nicht vollständig umgesetzt, löst aber bereits ablehnende Reaktionen aus. Die Bewegung der «Gelbwesten» ist eine direkte Folge davon.
Wir müssen daher unseren Landsleuten erklären, dass der grösste Nachteil des Euro für Frankreich ein zu hoher Wechselkurs ist, der zwangsläufig zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft führt, indem er die französischen Preise und Lohnkosten gegenüber den meisten anderen Ländern erhöht. Vermeiden wir es, den Verstand der Menschen mit dem Vorschlag der Koexistenz eines wiederhergestellten Franc mit einer «gemeinsamen Währung Nr. 2», die mit all ihren Eigenschaften ausgestattet wäre, zu verwirren, denn er führt in ein Sackgasse: Eine solche Währung könnte nur sinnvoll als eine einfache «Rechnungseinheit» konzipiert werden, ähnlich dem alten Ecu. Was den Verlust der Souveränität durch den Euro betrifft, so ist er, obwohl unbestreitbar, ein rein theoretischer Aspekt, weit entfernt von den Sorgen der Franzosen, die sich vor allem von ihrer konkreten Situation betroffen fühlen.

Aus Mangel an Verständnis für die wahren Probleme befürchten viele unserer Landsleute zurzeit vor allem eine Umwälzung des Status quo, währenddem die Anhänger des Euro immer laut aufschreien, wenn ihr Fetisch in Frage gestellt wird. Was ist unter diesen Bedingungen zu tun? Angesichts der Unzufriedenheit der Franzosen ist es offensichtlich, dass keine Konsolidierungspolitik für Frankreich möglich ist, wenn es nicht gelingt, wieder eine nationale Währung einzuführen, deren Wechselkurs unserem Land angepasst ist. Aber es ist auch klar, dass diese Änderung unter Bedingungen erfolgen muss, die für das französische Volk sowohl tragbar als auch akzeptabel sind.

Die erste dieser Bedingungen wäre die Vorbereitung eines harmonischen Übergangs in die Zeit nach dem Euro, wenn möglich durch Gespräche mit unseren Partnern über die Organisation eines konzertierten Abbaus, ansonsten aber durch ein einseitiges Vorgehen nach Einführung geeigneter vorsorglicher Massnahmen. Die zweite wäre, unseren Landsleuten die Vorteile einer «monetären Abwertung» des wiedergewonnenen Franc verständlich zu machen, begleitet von einer kohärenten Wirtschaftspolitik, die die Inflation kontrolliert, wie es 1958 mit General de Gaulle, und 1969 mit Georges Pompidou der Fall war. Und die Inflation wäre heute wegen der ungenügenden Auslastung unserer Produktionskapazitäten noch weniger zu befürchten. Der unvermeidliche Kaufkraftverlust auf Grund der Verteuerung bestimmter Einfuhren wäre bescheiden und vorübergehend, da er sehr schnell durch die Erholung der Inlandsproduktion ausgeglichen würde. Die Staatsverschuldung unseres Landes würde nicht steigen, weil sie automatisch in Franc umgerechnet würde (nach der sogenannten Lex-monetae-Regel, die im internationalen Finanzwesen vorherrscht). Frankreich und die Franzosen würden damit die glänzenden Zukunftsaussichten wiedererlangen, die der Euro bisher ständig unterdrückt hat.    •

Quelle: https://www.les-crises.fr/lexistence-de-leuro-cause-premiere-des-gilets-jaunes-tribune-de-todd-sapir-gomez-rosa-hureaux-werrebrouck

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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