Die Euro-Atlantische Populistenwelle

von Andrew Spannaus (theblogcat)

The Euro-Atlantic Populist Wave

2016 begann sich die Welt (Anm.d.Ü.: das Springer-Klopapier ist hier nicht gemeint) zu verändern, mit dem Brexit-Referendum in UK und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. In beiden Fällen hat ein Aufstand der „normalen Leute“ gegen die Struktur der politischen und medialen Macht die politische Balance zweier führender Länder der westlichen Welt durcheinander gebracht.

Und die Revolte war damit nicht zu Ende. Sie ging 2017 und 2018 mit einer Reihe von Wahlen quer durch den europäischen Kontinent weiter, mit wachsenden Protestbewegungen und Kandidaten, die willens sind, das System der Globalisierung herauszufordern, das bis vor kurzem noch unausweichlich schien.

Die Anti-Establishment-Rebellion, die sich in der gesamten westlichen Welt ausgebreitet hat, ist eng mit der schrittweisen Transformation der wirtschaftlichen Strukturen auf beiden Seiten des Atlantiks verbunden. Das geschieht seit Jahrzehnten, weg von einem grundsätzlichen Fokus auf Produktion hin zu einem System, das zunehmend auf Finanzen basiert.

„Wall Street Bubbles – Immer dasselbe.“ Cartoon von 1901 mit J.P.Morgan als Bullen mit gierigen Investoren

Finanzen haben immer eine Rolle gespielt, natürlich, und spekulative Blasen haben in verschiedenen Zeitperioden oft zu Crashes und Depressionen geführt. Das Merkmal der Veränderungen im letzten halben Jahrhundert ist ein struktureller Wandel, der trotz der damit verbundenen Folge an Krisen nicht wirksam angegangen wurde. Die Konsequenz ist für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung eine umfassende Zunahme der Ungleichheit, verbunden mit einer Stagnation oder gar einer Abnahme der Kaufkraft und der Lebensstandards. Das bedeutet nicht, dass die Menschen heute weniger „Zeug“ haben. Aufgrund der digitalen Technologie zum Beispiel haben sie mehr. Aber die meisten müssen jetzt mehr arbeiten, mit mehr Unsicherheit, um ein ordentliches Leben zu haben.

Spekulative Finanzattacken

Die Mechanismen der globalisierten Finanzwirtschaft haben auch tiefgreifende Veränderungen in der internationalen politischen Landschaft verursacht. Spekulative Strömungen sind zu einer Form von Druck geworden, unter dem Länder in die Knie gezwungen werden können. Denn nationale Regierungen sind nicht mehr in der Lage, angesichts der Finanzattacken an die Interessen ihrer eigenen Bürger zu denken. Manche mögen behaupten, dass auf lange Sicht die Märkte allgemein richtig liegen, d.h. dass die Bewegungen des Kapitals dazu neigen, Länder aufgrund ihrer Qualität der Wirtschaftspolitik entweder zu belohnen oder zu bestrafen. Diese ideologische, tautologische Einstellung lässt sich leicht demaskieren, wenn man auf die spekulativen Blasen hinweist, die der „Asiatischen Tiger“ in den 1990ern bis hin zu den Schuldenblasen Argentiniens und Russlands in den 2000ern; die Jagd nach sofortigen Profiten im Namen des Shareholder-Values bedeutet oft das Ignorieren ökonomischer Fundamentaldaten und eine Ausbeutung falscher Wahrnehmungen, trotz eines Mangels an Begründung. Das ist für jeden vernünftigen Beobachter ziemlich offensichtlich.

Das Problem ist nicht die Existenz der Finanzmärkte an sich, sondern eher die Bedeutung, die man ihnen bei der Bestimmung der Wirtschaftspolitik verliehen hat. Im Grunde hat sich dadurch das Ziel der Politiker vom Streben nach allgemeinem Wohlstand hin zu einer Besänftigung der Investoren verlagert. In einem Modell, dessen Ziele grundsätzlich nicht mit den langfristigen Bedürfnissen der Bevölkerung einhergehen. (Anm.d.Ü.: der Autor hat aber eine hohe Meinung von den „Politikern“.)

Die Unzufriedenheit, die durch diesen Prozess produziert wurde, ist jetzt übergekocht. Und wie zu erwarten, sind die Ziele des Protests nicht nur die Vorstände, die die Drehtür zwischen Finanz und Politik ausnutzen (es gibt davon viele). Es hat sich eine breitere Opposition entwickelt, eine kulturelle Rebellion, die mehrere Faktoren vermischt, die mit dem gleichen Vorgang verbunden sind. Im Fall der Globalisierung kann man nicht leugnen, dass viele Veränderungen nicht auf einen unvermeidlichen Prozess der Umwälzungen zurückzuführen sind, was letztlich zu Fortschritten geführt hat. Vielmehr wurden zahlreiche westliche Industrien entwurzelt, um schwache Arbeits- und Umweltvorschriften in jenen Ländern auszunutzen, die verzweifelt nach Investoren suchten. Um diesen Prozess voranzutreiben, wurden politische Entscheidungen getroffen, die im Wesentlichen die langfristigen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in den entwickelten Ländern unberücksichtigt ließen. (Anm.d.Ü.: Eine Politik, die Paul Craig Roberts seit Jahren anprangert: Die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland.)

Die Verteidiger der Globalisierung sagen, dass die Menschen bereit sein müssten, sich diesem Prozess anzupassen. Wenn jedoch Anpassung bedeutet, dass man eine Verschlechterung seines Lebensstandards erlebt, verbunden mit einem Verlust an sozialem Zusammenhalt, dann ist es kein Wunder, dass die Frustration und die Unzufriedenheit mit der Zeit wächst.

Einwanderung

Ein weiteres großes Thema, das in diesem Zusammenhang entstanden ist, ist natürlich die Einwanderung. Vor allem unter den Konservativen ist eine heftige Reaktion entstanden, aber es hat sich zu einer größeren Sache entwickelt, die über das hinausgeht, was man normalerweise als fremdenfeindlich oder rassistisch bezeichnen würde. In vielen Ländern haben Rechtspopulisten die Einwanderung als eines ihrer Hauptthemen bei der Kritik an der Globalisierung benutzt. Die Vorstellung, dass das Verschwinden von Grenzen bedeutet, dass die Menschen dorthin gehen können, wo sie wollen, hat die Befürchtung eines raschen Identitätswandels insbesondere der westeuropäischen Länder, sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht, verstärkt.





Es ist nicht zu leugnen, dass das Thema Einwanderung von zentraler Bedeutung ist, aber es ist ein politisches Fehlverhalten, nicht zu erkennen, wie es mit der allgemeinen Reaktion auf die Globalisierung zusammenhängt, angefangen im wirtschaftlichen Bereich. Die Unsicherheit, die die Menschen aufgrund erschwerter Lebensbedingungen empfinden, schürt die Angst vor Immigranten, die als Bedrohung für das wirtschaftliche Wohlergehen angesehen werden. Wenn Einwanderer bereit sind, niedrigere Löhne und weniger komfortable Lebensbedingungen zu akzeptieren, ist es nicht schwer zu erkennen, wie dies den Lebensstandard anderer nach unten drücken kann.

Katastrophale Kriege

Ein dritter Schwerpunkt ist die Außenpolitik. Während der Begriff der freien Märkte zur Förderung der neoliberalen Wirtschaftspolitik genutzt wurde, wurde die Verteidigung der Menschenrechte als Rechtfertigung für eine Reihe von verheerenden Kriegen proklamiert. Präsident Barack Obama nutzte Hillary Clintons Kriegslüsternheit, um die Vorwahlen der Demokraten 2008 zu gewinnen, nur um einige Jahre später in einen weiteren Regimewechselkrieg in Libyen gedrängt zu werden. Donald Trump ging noch weiter und verurteilte die „6 Billionen Dollar, die im Nahen Osten verschwendet wurden“, die für den „Wiederaufbau unseres Landes“ hätten verwendet werden können. Dieser Angriff auf die so genannten gemeinsamen Werte der internationalen liberalen Ordnung traf bei den von endlosen Konflikten geplagten US-Bürgern auf Gehör und stellte eine Verbindung zwischen einer gescheiterten Außenpolitik und dem wirtschaftlichen Niedergang her. Die Auswirkungen waren auch in Europa zu spüren, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Verschiebung der westlichen Haltung gegenüber Russland

Proteste in Minneapolis gegen US-Militärintervention, 2. April 2011

Wenig Fortschritte

Während sich die Experten auf den Ton der politisch/öffentlichen Debatte konzentrieren, da sie von Trumps Stil beeinflusst wird, gibt es in den Vereinigten Staaten wenig Fortschritte bei der Bewältigung des langfristigen Prozesses, der uns an diesen Punkt gebracht hat. Ja, es gab ein Wirtschaftswachstum und sogar einen Anstieg der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, aber die Mittel- und Unterschicht in den Vereinigten Staaten kämpft immer noch darum, über die Runden zu kommen, während vor allem jüngere Arbeitnehmer unter Unsicherheit über ihre Zukunft leiden. Diese Realität zu ignorieren und zu behaupten, dass derjenige, der noch immer eine Abneigung gegen die Mainstream-Narrative bezüglich der wirtschaftlichen und politischen Bedingungen des Landes verspürt, verstärkt nur die Trennung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Glücklicherweise entschieden sich die meisten Kandidaten der Demokratischen Partei in der Mitte des Jahres 2018, sich auf finanzielle Fragen zu konzentrieren, beginnend mit dem Gesundheitswesen, anstatt über die Ursachen des Widerstands gegen die „Bedauernswerten“ zu tönen, wie Hillary Clinton es 2016 nannte.

Die Ähnlichkeit mit der politischen Situation in Europa ist offensichtlich. Jahrelang brandmarkte das politische und mediale Establishment alle antieuropäischen Positionen als von Natur aus rassistisch und reaktionär und nährte lediglich die Wahrnehmung, dass die Institutionen nicht mehr mit den Anforderungen eines bedeutenden Teils der Bevölkerung in Kontakt standen. Von den Niederlanden bis Frankreich, von Deutschland bis Italien, haben populistische Parteien alle den Widerstand gegen Globalisierung und die Austerität genutzt, um ihre Unterstützung zu verstärken, oft – aber nicht immer – gemischt mit Kritik an der verstärkten Einwanderung. Trotz der unterschiedlichen politischen Systeme sind die Themen denjenigen in den Vereinigten Staaten so ähnlich, dass es schwer ist, eine Verbindung zu leugnen oder die Reaktion der Bevölkerung auf eine Verbindung zu reduzieren, die nur auf Rassismus oder der Angst vor anderen beruht.

Angesichts der Parallelen zwischen der Situation in Europa und den Vereinigten Staaten ist auch das einzig praktikable Mittel ganz offensichtlich: Entweder beginnen die politischen Institutionen, sich ernsthaft mit den grundlegenden wirtschaftlichen Veränderungen auseinanderzusetzen, die sich über einen Zeitraum von Jahrzehnten vollzogen haben. Ansonsten sollte niemand erwarten, dass der Aufstand der Wähler nachlässt, mit allen negativen Nebenwirkungen, die bisher aufgetreten sind. Und es besteht kein Zweifel, dass es noch schlimmer werden könnte, insbesondere in Europa, wo die letzten Fälle von Diktatur und die Zerstörung demokratischer Institutionen in der Vergangenheit nicht so weit zurückliegen.

*

Andrew Spannaus ist Journalist und Politologe mit Sitz in Mailand und gewählter Vorsitzender der Mailänder Vereinigung der ausländischen Presse. Sein neuestes Buch heißt „Original Sins. Globalisierung, Populismus und die sechs Widersprüche gegenüber der Europäischen Union“, veröffentlicht im Mai 2019.

(Visited 9 times, 1 visits today)
Die Euro-Atlantische Populistenwelle
2 Stimmen, 5.00 durchschnittliche Bewertung (99% Ergebnis)

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*