Die Corona-Dramatisierer spalten die Gesellschaft

Urs P. Gasche (infosperber)

Behörden und Medien wollen zur Disziplin aufrufen. Doch mit Halbwahrheiten fördern sie Misstrauen und Phantasien.

Normalerweise führt ein gemeinsamer Feind die Menschen zusammen  und überwindet gesellschaftliche Gräben. Anders jedoch das Virus Sars-Cov-2. Es spaltet die Gesellschaft in zwei Lager, die sich zunehmend feindlich gegenüberstehen. Das eine Lager ruft nach Massnahmen, welche die Bewegungsfreiheit noch mehr einschränken. Das andere Lager empfindet die getroffenen Massnahmen als unverhältnismässige Schikanen.

Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft wäre zu vermeiden, wenn Regierung und Experten die Entwicklung und die Risiken der Pandemie mit allen Unsicherheiten, welche sie mit sich bringt, unaufgeregt und sachlich darlegen würden. Die Kriterien für einschneidende Massnahmen müssten klar und nachvollziehbar sein. Je stärker Massnahmen persönliche Freiheiten einschränken, desto gründlicher müsste man über den wahrscheinlichen Nutzen und über die unerwünschten, aber wahrscheinlichen Folgen informieren.

Die Realität sieht anders aus. Selbst ein Jahr, nachdem die Pandemie die Schweiz erreichte, verwenden Behörden und Experten weiterhin eine missverständliche, teilweise irreführende Sprache. Nach wie vor bezeichnen sie positiv Getestete als «Infizierte» oder «Angesteckte», obwohl die meisten von ihnen weder krank noch ansteckend sind. Sie sprechen von «Genesenen», obwohl sehr viele von ihnen nie krank waren.

Regierung und Medien verbreiten auch angreifbare Statistiken wie beispielsweise «tägliche Neuinfektionen» oder «7-Tages-Werte», ohne diese Zahlen mit der stark schwankenden Zahl der Tests und wechselnden Testkriterien in Verbindung zu setzen.

Über die Entwicklung der Dunkelziffer gibt es nur Spekulationen, weil die Behörden bis heute noch keine nationale Kohortenstudie in Auftrag gaben, um zu erfahren, wie sich das Virus wirklich ausbreitet und wie viele Virustragende es im Land wirklich gibt.

«Schockwirkung erzielen» statt Daten erfassen

Über die Zahl der «Long-Covid»-Fälle, also der Erkrankten, die noch ein halbes Jahr oder länger an gesundheitlichen Problemen leiden, kann noch heute nur wild spekuliert werden. Denn der Gesundheitszustand von Covid-Kranken wird statistisch nicht erfasst, nachdem die Patienten ein Spital verlassen haben. Bei Covid-Erkrankten, die in keinem Spital waren, sowieso nicht.

Das ist erstaunlich, weil bereits im März 2020 vor schweren Folgeschäden gewarnt wurde. Doch weder in der Schweiz noch in Deutschland verlangten Behörden oder Experten, dass Folgeschäden erfasst werden. Offensichtlich wollte man in erster Linie die Öffentlichkeit schockieren und erst in dritter Linie belastbare Daten erfassen.

Tatsächlich hiess es damals in einem Strategiepapier des deutschen Bundesinnenministeriums, man solle gegenüber der Öffentlichkeit den «worst case verdeutlichen», zum Beispiel eben schwere Folgeschäden, mit dem Ziel «die gewünschte Schockwirkung zu erzielen».

Dieses Strategiepapier wurde mit dem Ziel erarbeitet, unterschiedliche Szenarien der Ausbreitung des Coronavirus zu analysieren – «unabhängig von der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts». Die deutsche Behörde von Innenminister Horst Seehofer hatte Wissenschaftler, unter anderem auch des Robert Koch-Instituts, gebeten, «ein Modell zu erarbeiten, auf dessen Basis «Massnahmen präventiver und repressiver Natur» geplant werden könnten». Das deckte die «Welt am Sonntag» am 7. Februar 2021 auf.[i]





Der «Zusammenhang mit Corona» geht schnell vergessen

Gestorben wird «an und mit» oder «in Zusammenhang mit Corona». Aber am Schluss präsentieren Statistiken alle als «Corona-Tote». Nicht diese aufaddierten und fragwürdigen Todeszahlen gehören zuvorderst in die Schlagzeilen, sondern die festgestellte Übersterblichkeit.

JHU 2,1 Mio Tote
Weltweit an Covid-19 Verstorbene: Die Zahl des Schreckens steigt täglich. © Johns Hopkins University JHU

Deutschland Ziel von 35 Fällen/100‘000 Einwohner/Woche

In Deutschland sind nicht nur Geschäfte einschliesslich Coiffeure (Frisöre oder Friseure), sondern auch Schulen bereits seit Mitte Dezember geschlossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte als Bedingung für eine erste Lockerung, dass die Zahl der neu positiv Getesteten auf 50 Fälle pro 100‘000 Einwohner und Woche fällt. Dieses Ziel kritisierte der Epidemiologe und Virologe Klaus Stöhr im Januar als «vollkommen realitätsfern».
Wegen der neuen Virusvarianten liegt die Schwelle für eine erste Lockerung neustens bei 35 Fällen pro Woche und 100‘000 Einwohnern. Für jeden weiteren Lockerungsschritt soll dann laut Merkel abgewartet werden, ob die Lockerung nicht dazu führt, dass der Wert von 35 Fällen während 14 Tagen wieder überschritten wird.
Das Ziel von 35/100‘000/Woche wäre einfach zu erreichen, falls auch an Werktagen so wenig getestet würde wie an Wochenenden. Mehr Tests führen wegen der Dunkelziffer von Virustragenden zu mehr «Fällen». Wenn wie angestrebt noch viel mehr getestet wird als heute an Werktagen, ist das angestrebte Ziel bis zur wärmeren Jahreszeit oder bis zu einem durchschlagenden Impferfolg illusorisch.

Wechselnde Kriterien für drastische Eingriffe

Einschneidende Massnahmen begründen Regierung und Experten mit Kriterien, die den Eindruck hinterlassen, opportunistisch angepasst zu werden. Geschäftsschliessungen und Reisebeschränkungen haben Behörden im Frühjahr nachvollziehbar damit begründet, es dürfe wegen der extrem raschen Verbreitung des Virus zu keinen Engpässen auf Intensivstationen kommen. Die Massnahmen und/oder der warme Frühling zeigten Erfolg: Dank Aufstockung der Intensivbetten blieben gesamtschweizerisch stets mindestens zwanzig Prozent dieser Betten leer. Vorsichtshalber wurden an einigen Orten Wahloperationen verschoben.

Intensivstationen Schweiz
Patienten und leere Betten in allen Schweizer Intensivstationen in der Zeit vom 21. März 2020 bis 4. Februar 2021. © ICU Monitoring / BAG

Zu Beginn der zweiten Welle kündigten Regierung und Experten Lockerungen an, sobald keine Überlastung der Intensivstationen mehr drohe und der R-Wert unter 1 sinke. Beides war schon ab Anfang Dezember der Fall.

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R-Wert = 1: Eine Person überträgt das Virus an eine anderen Person. © BAG

Doch dann nannten Behörden und Experten einen neuen Grund, um Lockerungen aufzuschieben: Es drohe eine Ansteckungswelle an Weihnachten und Neujahr. Task-Force-Mitglied Marcel Tanner rief zum «Feiern im Freien» auf. Medien waren voller Spekulationen, ob Feiern an Weihnachten und Sylvester zu einer exponentiellen Verbreitung des Virus führe. Nur dank viel Druck auf den Bundesrat, liess dieser – im Gegensatz zu Deutschland – von einem Verbot des Skifahrens ab und liess auch die Schulen offen.

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Covid-Taskforce-Mitglied Marcel Tanner am 7. Dezember 2020 im Tages-Anzeiger © tamedia

Angst vor Virus-Mutationen 

Die bisher angeführten Begründungen, mit denen man Geschäfte schloss, Kulturangebote verbot und gesellige Kontakte auf fünf Personen beschränkte, fallen schon seit längerem dahin. Doch jetzt muss man laut Behörden und Experten verhindern, dass sich mutierte Viren rasch verbreiten. Diese seien ungleich ansteckender. Taskforce-Präsident Martin Ackermann prophezeit, dass die Fallzahlen Anfang März wieder stark steigen werden.

Klaus Stöhr, der von 2000 bis 2006 Leiter des globalen Grippe-Programms bei der WHO war, erklärte in einem Interview mit SRF, die britische Virusvariante sei zwar tatsächlich ansteckender, doch gebe es bisher keine Anzeichen dafür, dass sie gefährlicher sei als das bisherige Coronavirus.

Deshalb kann das Starren auf die Fallzahlen keine freiheitsbeschränkende Massnahmen rechtfertigen. Entscheidend muss sein, ob es sich abzeichnet, dass die neuen Virusvarianten auch zu mehr schweren Krankheitsverläufen führen, und ob deren raschere Verbreitung unser Gesundheitssystem zu überlasten droht.

Behörden (und Medien) sollten deshalb an erster Stelle darüber informieren, wie sich wegen der Verbreitung der neuen Virusvarianten die Auslastung der Intensivstationen sowie die Sterblichkeit entwickeln. Und zwar vor allem dort, wo sich die mutierten Viren zuerst am stärksten verbreiten, sei dies in der Schweiz im Kanton Genf, oder in Stadtregionen vergleichbarer Länder wie Schweden, Norwegen, Dänemark oder Holland. Erst an zweiter Stelle ist die Zahl der positiv Getesteten in Abhängigkeit der Zahl der insgesamt Getesteten und der Testkriterien zu berücksichtigen.

Im Kanton Genf, wo bereits 75 Prozent der positiv Getesteten ein mutiertes Virus erwischt haben, sind die Fallzahlen bisher nicht gestiegen. Und es sind dort gegenwärtig nur zwei Drittel aller bereitgestellten Intensivbetten besetzt.

Im Kanton Genf sind gegenwärtig 66 Prozent der aller bereiten Intensivbetten besetzt.
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Am 9. Februar 2021 lagen noch zehn Covid-19-Patienten auf Genfer Intensivstationen. Insgesamt standen im Kanton Genf Anfang Februar 59 Intensivbetten zur Verfügung. © ICU Monitoring / BAG

Anders als im Kanton Genf deuten erste Ergebnisse provisorischer Studien in England darauf hin, dass die britische Virus-Variante B.1.1.7 zu mehr Todesfällen führt als die bisherige Variante. Für die nächsten Monate wird es entscheidend sein, ob die neuen Varianten tatsächlich zu mehr schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen führen. Die Verbreitung der mutierten Viren wird in europäischen Ländern trotz deutscher Grenzkontrollen nicht zu verhindern sein.

Dramatisierung verdrängt die Sachlichkeit

Mit ihrer missverständlichen und teilweise irreführenden Sprache, mit angreifbaren und fehlenden Statistiken und auch mit Massnahmen-Kriterien, die sich häufig ändern, wird die Öffentlichkeit verunsichert und verängstigt.

Medien schielen auf Klicks und Einschaltquoten, anstatt ihre Aufgabe als vierte Gewalt im Staat wahrzunehmen. Mit emotionalen Berichten über oft wenig repräsentative Einzelschicksale tragen sie zu einer Verängstigung bei. Einordnungen und Relativierungen von Zahlen, Ereignissen und Studienergebnissen finden zu wenig Platz. «Mit ihrer Berichterstattung haben Medien überzogene Massnahmen begünstigt», stellte Stephan Russ-Mohl, emeritierter Professor für Journalistik, in der NZZ fest. Statt Statistiken einzuordnen, würden Medien uns tagtäglich mit Zahlen zu Corona-Infizierten und -Toten bombardieren.

Ein strategisches Ziel wird damit zwar erreicht: Angst bringt weite Teile der Bevölkerung dazu, sich verordnete Massnahmen diszipliniert einzuhalten und Empfehlungen aus Solidarität zu respektieren. Doch den nötigen Respekt vor dem Virus hätte wohl auch eine glaubhafte, unaufgeregte Information erreicht. Es ist besser, Respekt vor Gefahren zu haben als Angst.





Nicht zu spassen

Angst ist auch längerfristig ein schlechter Ratgeber. Wenn Angst zudem von Behörden, Experten und Medien unnötig geschürt wird, provoziert sie eine Gegenreaktion kritischer Bürgerinnen und Bürger. Zudem greifen Verschwörungsphantasierer und Staatsverdrossene das irreführende Wording, die unseriösen statistischen Angaben und die wechselnden Kriterien für Massnahmen gierig auf. Sie versuchen damit Behörden, Regierungsexperten und «Leitmedien» bei einer breiteren Öffentlichkeit zu diskreditieren.

Ihre sektenartige Fundamentalkritik bauen sie auf der unsachlichen Informationspolitik der Behörden auf und finden damit auch bei Leuten Anklang, welche diese Widersprüche erkennen, sonst aber Behörden, Experten und Medien weitgehend vertrauen.

Mit dem Virus Sars-Cov-2 ist nicht zu spassen. Mit oder an diesem Virus sterben viele vorzeitig, vor allem bereits kranke, meist ältere Menschen, mehr als die Hälfte von ihnen in Alters- und Pflegeheimen. Zu einem Promillesatz trifft das Virus auch Junge. Einige brauchen sehr lange, bis sie wieder gesund sind. Wie gefährlich neue Mutationen des Virus sind, wissen wir noch nicht. Mindestens bis zur wärmeren Jahreszeit, oder bis die meisten älteren Personen geimpft sind, bleiben Vorsichtsmassnahmen angezeigt.

Wo man sich am ehesten anstecken kann

upg. Zu den häufigsten Ansteckungen kommt es, wenn sich viele Menschen in geschlossenen Räumen nahekommen, vor allem wenn noch viel geredet, gesungen oder gejubelt wird. Der unterschiedliche Nutzen verschiedener Klima- und Lüftungsanlagen ist noch wenig erforscht.
Weiter kommt es darauf an, wie lange man sich und wie nahe man sich in der Nähe von Ansteckenden aufhält. Das gilt auch für längere Bahnfahrten oder in Büros, sofern fremde Personen näher als zwei Meter entfernt sitzen.
Häufiges Lüften reduziert das Risiko in solchen Innenräumen. Auch Masken reduzieren das Risiko. In Freien ist es das Risiko, sich anzustecken, sehr gering.

[i] Unter dem Punkt «offene Kommunikation» hiess es dort: «Auch wenn wir bisher nur Berichte über einzelne Fälle haben, zeichnen sie doch ein alarmierendes Bild. Selbst anscheinend Geheilte nach einem milden Verlauf können anscheinend jederzeit Rückfälle erleben, die dann ganz plötzlich tödlich enden, durch Herzinfarkt oder Lungenversagen, weil das Virus unbemerkt den Weg in die Lunge oder das Herz gefunden hat. Dies mögen Einzelfälle sein, werden aber ständig wie ein Damoklesschwert über denjenigen schweben, die einmal infiziert waren. Eine viel häufigere Folge ist monate- und wahrscheinlich jahrelang anhaltende Müdigkeit und reduzierte Lungenkapazität, wie dies schon oft von SARS-Überlebenden berichtet wurde und auch jetzt bei COVID-19 der Fall ist, obwohl die Dauer natürlich noch nicht abgeschätzt werden kann.»

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Die Corona-Dramatisierer spalten die Gesellschaft
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2 Kommentare

    • Apropos grüner Geldsegen:
      Fahren ohne Maske: 100€
      Fahren mit Maske, Mütze & Sonnenbrille: 60€
      Man kann schließlich nicht erkannt werden wenn´s blitzt.
      Querdenker eben…

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