Deutschland 2016 – Das Land braucht den Rechtsstaat und nicht den Ausnahmezustand

«‹Das Jahr 2015 wird als ein Jahr des Rechtsbruchs in die Geschichte eingehen, eines Rechtsbruchs, der deswegen dramatisch ist, weil er von Staaten begangen wurde, die eigentlich für den Schutz des Rechts verantwortlich sind. Was ist der Rechtsstaat wert, wenn die Staaten sich ihm nicht mehr unterordnen? Woran sollen wir uns halten, wenn wir uns auf das Recht nicht mehr verlassen können?›»
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 20.12.2015

von Karl Müller (zeit-fragen)

Wenn man bei Google unter der Rubrik «News» die Begriffe «Angela Merkel Frau des Jahres» und «Armut in Deutschland» eingibt, halten sich die Einträge in etwa die Waage. Google hat ungefähr 239 000 Ergebnisse für den ersten und ungefähr 247 000 Ergebnisse für den zweiten Begriff registriert.

«Angela Merkel Frau des Jahres» ist für die Propagandaabteilungen eines speziellen Teils der deutschen «Eliten» ganz wunderbar: Glanz und Gloria, Deutschland ist wieder wer in der Welt – mit einer weltweit anerkannten Kanzlerin, die vom US-Magazin Time sogar auf den Thron gesetzt wurde; mit einer export-, umsatz- und gewinnstarken Wirtschaft wie in kaum einem anderen Land Europas; mit einer für Europa einmaligen «Willkommenskultur» für Millionen von Flüchtlingen aus aller Welt; mit einem Kanzlerinnen-Mantra des «Wir schaffen das» … und ausserdem noch: der «sanfte» Hegemon Europas, der die EU aus der Not «gerettet» habe und nun den Ton angeben will; an vielen Orten mit dabei, wo heute Krieg geführt wird.

«Armut in Deutschland», das passt auf den ersten Blick nicht so gut in die schöne neue deutsche Scheinwelt. Aber sie ist eine bittere Wirklichkeit, wie das Interview mit Norbert Wohlfahrt (siehe unten) zeigt.

Bitter vor allem auch deshalb, weil es nicht so sein müsste. Aber es wird billigend in Kauf genommen – als Ergebnis einer Politik mit falschen Theorien und handfesten Interessen.
Das Resultat ist die Spaltung des Landes. Die einen lesen lieber, dass Frau Merkel zur Frau des Jahres gekürt wurde, und die anderen lesen mit Sorge oder erfahren am eigenen Leibe, dass es Millionen von Menschen in Deutschland gar nicht gutgeht, weil in immer mehr Daseinsbereichen nur noch eines zählt: Kosten, vor allem Personalkosten senken und Gewinne machen so viel wie möglich.
Und viel zu wenig wird darüber nachgedacht, was Recht und was Unrecht ist.

Dabei wäre gerade dies auch für ein Land wie Deutschland mittlerweile dringend nötig. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schrieb am 20. Dezember 2015, wenige Tage vor Weihnachten, auch mit Blick auf Deutschland: «Das Jahr 2015 wird als ein Jahr des Rechtsbruchs in die Geschichte eingehen, eines Rechtsbruchs, der deswegen dramatisch ist, weil er von Staaten begangen wurde, die eigentlich für den Schutz des Rechts verantwortlich sind. Was ist der Rechtsstaat wert, wenn die Staaten sich ihm nicht mehr unterordnen? Woran sollen wir uns halten, wenn wir uns auf das Recht nicht mehr verlassen können?»

Im selben Artikel steht auch ein Zitat des Kölner Staatsrechtsprofessors Otto Depenheuer: «Wir machen den Ausnahmezustand zum Regelfall.» Und weiter unten: «Das Volk wird im übrigen nicht gut behandelt: Weder zu den Euro-Milliarden noch zur Flüchtlingshilfe wagte man, es zu befragen, gilt das Volk doch hierzulande als unberechenbar. Am Ende ist das eingetreten, was der Paternalismus der Eliten verhindern wollte: Teile des Volkes fühlen sich heimatlos oder marginalisiert.»
Haben diese «Eliten» wirklich alles getan, um dies zu verhindern? Konnte wirklich keiner absehen, dass die bittere Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen im Land und deren Konfrontation mit dem schönen Schein, mit dem Unrecht und den Lügen der Politik einen gewaltigen sozialen Sprengstoff birgt? …
Vielleicht ist der «Ausnahmezustand», der schon jetzt der «Regelfall» ist, das für manche passende Gegenstück, die passende Vorbereitung auf weitere staatliche Durchgriffe jenseits des Rechts – Durchgriffe, die im Abgrund enden können.
Vor über 80 Jahren, am 1. August 1934, lieferte der Ideologe des «Ausnahmezustands» Carl Schmitt kurze Zeit nach dem staatlich organisierten Mord an 150 bis 200 Menschen (während des sogenannten Röhm-Putsches am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934) die formaljuristische Rechtfertigung für staatliche Morde und staatlichen Rechtsbruch in einem Aufsatz mit dem Titel «Der Führer schützt das Recht».
So weit sind wir noch nicht im heutigen Deutschland. Aber wie wird der deutsche Staat reagieren, wenn sich sozialer Sprengstoff mehr und mehr entladen sollte?

Manch einer wird nun rufen: Halt, «Verschwörungstheorie»! Besser aber wäre es, wieder zu dem zu kommen, was Recht ist: «Dem deutschen Volke» das zukommen zu lassen, was ihm zusteht – materiell und politisch – denn genau das verlangt das deutsche Grundgesetz. Und endlich damit aufzuhören, ständig neue «Ausnahmezustände» und «Alternativlosigkeiten» zu inszenieren, die das Recht übergehen und die Menschen mürbe machen. Politiker, die für solch eine Politik verantwortlich sind, missbrauchen ihr Amt, müssen zurücktreten oder gehören sonst abgesetzt oder abgewählt.    •

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