Von Rainer Hank am 17. März 2012
Nach jedem Skandal – ob Vetternwirtschaft bei Wulff, Korruption bei Siemens oder Abzockerei bei den Banken – ertönt der Ruf nach mehr Transparenz. Transparenz gilt inzwischen als Allheilmittel einer verunsicherten Gesellschaft. Ist es das wirklich? Wohl kaum. Eher ist das Gegenteil wahr.
Es grassiere heute allenthalben eine „Transparenz-Hysterie“, schreibt der koreanische, in Karlsruhe lehrende Philosoph Byung-Chul Han in einer gerade erschienenen vorzüglichen kleinen Schrift mit dem Titel „Transparenzgesellschaft“ (http://www.matthes-seitz-berlin.de/scripts/start.php). Transparenz ist das Gegenteil von Vertrauen: Vertrauen greift, wo das Wissen über andere nur beschränkt möglich ist. Vertrauen, sagt Han, heißt: trotz Nichtwissen zu einem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufbauen. So gesehen ist das Lob der Transparenz in Wirklichkeit ein Krisenphänomen. Denn es ist das Eingeständnis, dass das Vertrauen dahin ist. Gleichzeitig ist es auch das resignative Bekenntnis, dass die Gesellschaft nicht mehr zum Vertrauen zurück will oder kann. Denn die Transparenz-Hysterie mündet in eine totalitären Kontrollgesellschaft; da kommt kein Vertrauen mehr auf. Der nächste Bundespräsident muss jetzt schon sein ganzes früheres Leben entblättern – als scheinbar moralisches Gebot der Transparenz. Han vergleicht mit guten Argumenten unsere Transparenzgesellschaft mit atavistischen Stammesgesellschaften, in der jeder über jeden Bescheid weiß. Ein Horror. Intimitäten werden ausgestellt und konsumiert. In vielen Dorfgesellschaften ist das bis heute ähnlich. Distanzlosigkeit ist gewollt. „Die Welt wird dadurch schamloser und nackter“ (Han). Der größte Vorwurf an Wulff war, dass er Transparenz nur scheibchenweise hergestellt habe. Intransparenz wird plötzlich zum moralischen Versagen. Alles muss auf den Tisch!
Zugleich lügt der Mythos der Transparenz sich permanent in die eigene Tasche. Transparenz der Managervergütung (Einzelausweis der CEO-Kompensation) wurde als Instrument der Mäßigung verkauft und gesetzlich eingeführt. Seit börsennotierte Unternehmen daran gebunden sind, hat sich keine dämpfende Wirkung eingestellt. Ein weiteres Beispiel: Die Auflagen zur Ad-Hoc-Publikation sollten dafür sorgen, dass alle Anleger stets zeitgleich alle kursrelevanten Informationen zur Hand haben. Inzwischen sorgt eine große outgesourcte PR-Industrie dafür, das Gesetz erfolgreich zu unterlaufen (das könnte man Transparenz-Arbitrage nennen). Schließlich: Transparenz in der Anleger-Aufklärung führt kurioserweise zu erhöhter Intransparenz, weil kein Mensch die hundertseitigen Aufklärungsschreiben liest, die der Berater seinem Kunden jetzt aushändigen muss. Und Transparenz als Korruptionsverhinderer in Unternehmen (im Anschluss an den Siemens-Skandal) hat zwar eine ganze, neue Compliance-Industrie hervor gebracht und Scharen von Anwälten zu Mandaten verholten. Ob es dadurch weniger Korruption gibt, wurde noch nicht untersucht.
Hayek wusste bekanntlich, dass Informationen unterschiedlich und asymmetrisch verteilt sind (http://www.econlib.org/library/Essays/hykKnw1.html) und dass es zum Prozess des Wettbewerbs gehört, dass jeder mit den Informationen agiert, die ihm zu Verfügung stehen. Eine Welt, in der allen alle Informationen bekannt sind, ist weder möglich noch wünschenswert. In Vergessenheit geraten ist auch, dass das Recht auf Privatheit und Intimität ein klassisch liberaler Grundsatz ist, der sich zwingend aus dem Schutz des Eigentums ergibt. Privatheit und Intimität gehören zu den Grundfesten eines menschlichen Miteinanders, d.h. einer humanen Gesellschaft. Menschen können ihre Rolle, die sie in der Gesellschaft übernehmen wollen, nur dann selbstbestimmt wählen, wenn ihre Privatheit geschützt wird. Den Satz „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten“, hat der große Liberale Otto Graf Lambsdorff stets, da so verführerisch, als besonders töricht bezeichnet, weil ein willkommenes Einfallsstor für eine „totalitär anmutenden Allverfügbarkeit des Staates über selbst die intimsten Lebensbereiche der Menschen“.
Quelle: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=8868