Der Maulkorb

von Gert Flegelskamp (flegel-g)

Wir alle wollen CETA, TTIP und TISA. Nun werden eine Menge Leute aufschreien und behaupten, dass ich Unsinn rede. Aber wir haben doch alle (und ich meine ALLE) diese Parteien gewählt. Auch hier werden wieder Stimmen laut, die behaupten, sie hätten diese Parteien nicht gewählt, weil sie ihren Stimmzettel ungültig gemacht haben oder erst gar nicht zur Wahl gegangen sind. Das sind dann die Leute, die es einfach vermeiden, sich mit dem Wahlrecht auseinanderzusetzen. Jeder, der seinen Stimmzettel ungültig macht oder ganz auf die Wahlbeteiligung verzichtet, wählt genau die Parteien, die er mit seinem Wahlverzicht abstrafen will, denn die prozentuale Verteilung der Sitze auf die einzelnen Parteien erfolgt auf Basis der GÜLTIG ABGEGEBENEN Stimmen. Ausschließlich die Wahlbeteiligung ist entscheidend und die ungültig abgegeben Stimmen werden von der Wahlbeteiligung noch in Abzug gebracht.

Wenn Sie einen Kuchen backen und 16 Leute einladen, den Kuchen zu probieren, müssten Sie, wenn alle kommen, diesen Kuchen in 16 Teile aufteilen. Weil aber nur 12 Leute kommen, teilen Sie den Kuchen in 12 Teile und damit werden die einzelnen Stücke größer und das deshalb, weil 4 Leute nicht gekommen sind und damit der Kuchen auf weniger Leute aufgeteilt werden muss. Und wenn dann noch einer davon keinen Kuchen mag, wird dieses Stück wieder auf alle anderen verteilt und macht deren Kuchenstücke nochmals dicker. Der gleiche Effekt, wie beim Wahlverhalten. Weil jemand seinen Stimmzettel ungültig macht und etliche Leute gar nicht wählen, werden deren theoretische Stimmanteile auf die Parteien verteilt und erhöhen damit den Anteil der Sitze in den jeweils gewählten Gremien.

Da unser Staatssystem darauf ausgelegt ist, dass die von den Parteien ausgesuchten Mitglieder dann als Vertreter unserer Meinung in die jeweiligen Gremien einziehen, dann aber für fast den gesamten Zeitraum einer Legislaturperiode vergessen, dass sie eigentlich als unsere Vertreter in die einzelnen Gremien abgeordnet wurden (daher der Begriff „Abgeordneter“), wird eine Politik betrieben, die in der Bevölkerung eine unterschiedliche Resonanz erzeugt, wenn überhaupt. Das „wenn überhaupt“ bezieht ich auf den zumeist größten Teil der Bevölkerung, der innerhalb der Legislaturperiode zu den politischen Vorhaben keine Meinung hat oder deren Meinung von den Medien und den Politikern mehr oder minder geschickt in die gewünschte Richtung gedrängt wird. Der Witz an der Sache ist, dass gerade die Leute, die eine Meinung hatten und deshalb ungültig oder gar nicht gewählt haben, durch ihr Wahlverhalten darauf verzichtet haben, ihrer Meinung Präsenz zu verleihen.

Sehen Sie, deshalb meine anfängliche Behauptung, dass „WIR ALLE“ CETA. TTIP und TISA wollen, weil wir mit unserer Wahl genau an die Parteien unsere Vertretungsrechte gegeben haben, die nachweislich sein Jahrzehnten gegen die wirklichen Interessen der Bevölkerung arbeiten.

Nun ist allerdings eine Initiative entstanden, die Stadt- und Gemeinderäte darauf aufmerksam gemacht hat, dass diese so genannten Freihandelsabkommen (CETA und TTIP) und das Dienstleistungsabkommen (TISA) vor allem in ihrem Zuständigkeitsbereich die Wirkungen voll entfalten werden. Das hat dazu geführt, dass in den Kreisen die Räte über das Thema diskutiert und offenbar auch Unmut gegenüber dem Bund geäußert haben. Das wiederum gefällt einigen Leuten in der Regierung und/oder im Bundestag nicht und irgendwer hat dann dem wissenschaftlichen Rat der Bundesregierung den Auftrag erteilt, zu prüfen, ob die eher unbedeutenden Räte sich überhaupt in diese Thematik einmischen dürfen.

Laut ZEIT ist der wissenschaftliche Rat zu dem Schluss gekommen, dass die unteren Ebenen das gar nicht dürfen, weil sich verfassungsrechtlich ihre offizielle Arbeit ausschließlich auf die Arbeit beschränken müsste, für die sie gewählt wurden. Anders gesagt, die Stadt- und Gemeinderäte haben nicht das Recht, in ihre Debatten Themen der Bundespolitik einfließen zu lassen.

In den nachfolgenden Kommentaren der ZEIT wird darüber recht erregt diskutiert und offenbar geht einigen Leuten auf, dass unsere Demokratie es doch manches Mal an demokratischen Prozessen mangeln lässt.

Dennoch ist die Aussage des wissenschaftlichen Rates richtig. Öffentliche Debatten in den Stadt- und Gemeinderäten haben sich auf die Aktivitäten in ihrem jeweiligen Einflussbereich zu beschränken. Wenn ich es trotzdem als vages Licht am Ende des Tunnels ansehe, liegt das daran, dass die Damen und Herren im Bundes- und auch im Landtag die Macht der politischen Gremien in den untersten Gremien aus den Augen verloren haben, denn niemand kann diese Gremien daran hindern, außerhalb ihre offiziellen Sitzungen diese Thematik weiter zu diskutieren. Auch das ist Verfassungsrecht, denn die Meinungsfreiheit ist nach wie vor gegeben.

Die Damen und Herren der Bundes- und Landtage haben dabei wohl vergessen, dass ihre Nominierung in diesen untersten politischen Gremien erfolgt, denn Wahlen erfolgen immer auf die einzelnen Wahlkreise bezogen und wenn dann in diesen Wahlkreisen, in denen auch die Stadt- und Landräte aktiv mitwirken, die Leute, die bisher immer in vorderster Position aufgestellt wurden, plötzlich nicht mehr das Vertrauen derer besitzen, die sie bisher immer unterstützt haben, kann das so manche politische Karriere platzen lassen. Und ich glaube, dass diesen Mitgliedern in den Parteien der verpasste Maulkorb nicht schmecken wird. Es könnte dazu führen, dass auch der in jedem Landesparteitag für jede Partei agierende Vorsitz und Beirat in die Bredouille kommen kann, was die Wiederwahl betrifft, weil bisher aktive und obrigkeitshörige Delegierte gegen kritische Personen aus den Kreisen ausgetauscht werden.

Wenn also alle Parteimitglieder, die diesen Maulkorb, den ihnen die Regierung und ihre Partei verpassen will, an die aus ihrem Wahlkreis von ihnen nominierten Parteimitglieder, die ein Mandat erhalten haben, ein Schreiben verfassen, in dem sie den oder die Abgeordneten ihres Wahlkreises darauf hinweisen, dass sie im Falle einer Abstimmung pro der verhandelten Abkommen bei künftigen Wahlen nicht mehr auf ihre Stimme bei der Aufstellung für ein Land- oder Bundestagsmandat zählen können, wird sich sicherlich so mancher Mandatsträger überlegen, ob er in diesem Fall wie sonst üblich dem Fraktionszwang folgt und damit seine politische Karriere aufs Spiel setzt. Denn jede poltische Karriere beginnt in den Wahlkreisen. Dort erfolgt die Aufstellung und Positionierung der Leute, die man im Landtag oder im Bundestag sehen möchte. Das gilt auch für Leute wie Merkel, Gabriel, Nahles, Kauder usw.

Also, liebe Parteimitglieder und Stadt- und Gemeinderäte, diskutiert in den Treffen der Parteigremien über die Abkommen und wenn ihr zu dem erkennbaren Schluss kommt, dass diese Abkommen eure Arbeit in den Räten obsolet werden lassen, dann tut was und begehrt auf. Es geht auch um Ihre Haut. Diese Abkommen werden Eure Rechte massiv beschneiden, genau so massiv, wie die Rechte der Bürger, von deren Wohlwollen auch jeder Bürgermeister, jeder Stadt- und Gemeinderat abhängig ist. Und macht denen klar, die Euch nun einen Maulkorb verpassen wollen, dass Ihr in der Realität am längeren Hebel sitzt und diesen Hebel benützen werdet, wenn man gegen Eure Interessen verstößt. Ihr habt es in der Hand, zu beweisen, dass ihr nicht bloßes Stimmvieh seid. Sorgt dafür, dass bei den Sitzungen die Abkommen immer ganz vorne auf der Agenda stehen, damit sie auch diskutiert werden. Und wer bisher als Parteimitglied eher passiv war, sollte nun aktiv werden und regelmäßig an den Parteiabenden teilnehmen.

Um es noch einmal deutlich zu machen, diese Abkommen richten sich gegen die Bürger und dienen ausschließlich der Ausweitung der Macht der Konzerne. Es geht nicht um Hormonfleisch, nicht um Chlorhähnchen, sondern um den Abbau vor Rechten zum Schutz der Bürger. „Investitionsschutz“ ist ein gerne vorgetragenes Argument und stößt leider oft auf offene Ohren. Was ist eine Investition? Es ist nichts anderes als eine Spekulation auf Profit und wohin ein solcher Spekulationsschutz führt, hat die letzte Bankenkrise gezeigt. Konzerne wollen Profite machen, je höher, umso besser und wenn es nicht klappt, sollen die Bürger haften, Staatlicher Rechtsschutz für die Bürger soll einem Schiedsrecht der Konzerne Platz und Privatisierungsrechte durch Konzerne einklagbar machen.

Konzerne interessieren sich nicht für Menschen, sondern ausschließlich für Konsumenten und jede Wahrheit darüber wird in einem Netz aus Lügen, Propaganda und Korruption gefangen. Die Medien sind nichts anderes als multinationale Konzerne und finanzieren sich hauptsächlich aus Werbung, so wie die privaten TV-Kanäle und die nehmen ihre Aufgabe, für eine möglichst effiziente Verblödung weiter Teile der Bevölkerung zu sorgen, ebenso ernst, wir die Springer-Presse.

Wie von den tatsächlichen Schwerpunkten dieser Abkommen abgelenkt wird, zeigt der Artikel „Sieben Mythen über TTIP“ in der Wirtschaftswoche. Versprechungen über wirtschaftliche Vorteile und neue Arbeitsplätze werden gemacht, weil auf solche Versprechungen die Bevölkerungen besonders abfahren. Und man soll TTIP um Gotteswillen nicht mit NAFTA (Freihandelsabkommen USA, Kanada und Mexiko) vergleichen, weil ja Mexiko ein viel schwächerer Wirtschaftsraum als Europa ist. Eigentlich ist das ein Eingeständnis, dass TTIP für schwache Wirtschaftsräume negative Konsequenzen hat. Aber wie steht es um den Wirtschaftsraum der EU? Sind Frankreich, Portugal, Spanien, Italien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland nicht ebenfalls mehr oder minder schwache Wirtschaftsräume? Werden diese Länder durch TTIP wie NAFTA negative Konsequenzen zu tragen haben, die dann wieder durch die wirtschaftlich stärkeren Wirtschaftsräume (vor allem Deutschland) abgefedert werden müssen?

Die Presse versucht, von den wirklichen Problemen bei diesen Abkommen abzulenken. Der Handel mit Kanada und den USA unterliegt nur da Einschränkungen, wo es bei uns oder im europäischen Raum noch Schutzräume für die Bürger gibt und die sind den Konzernen ein Dorn im Auge. Der normale Bürger wird nur Nachteile haben, wenn diese Abkommen erst mal ratifiziert sind und die ersten Schiedsgerichtsurteile durchgesetzt werden und die Kinder und Enkel der Jüngeren werden dann in 20 bis 30 Jahren fragen, warum die derzeitigen Generationen das nicht verhindert haben, vorausgesetzt, die freie Meinungsäußerung wurde nicht auch als Handelshemmnis eingestuft und abgeschafft.

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