Demonstration gegen CETA und TTIP

von Gert Flegelskamp (flegel-g)

Der 10. Oktober 2015 war ein denkwürdiger Tag. In Berlin fand eine Demonstration statt, die diesen Namen wirklich verdient. Die Teilnehmerzahlen schwanken zwischen 100.000 und 250.000, je nach Presseorgan. Wann hat es zuletzt eine Demonstration in einer solchen Größenordnung gegeben?

Nun ist es natürlich eine berechtigte Frage, ob ich an dieser Demo teilgenommen habe. Nein, habe ich nicht. Sieht man mal davon ab, dass ich derzeit genug private Probleme habe, habe ich von wenigen Ausnahmen abgesehen Demonstrationen eher gemieden. Es ist eine Art Klaustrophobie, eingezwängt in eine größere Menge Menschen bekomme ich Panikattacken.

Außerdem bin ich inzwischen miserabler Fußgänger, wie miserabel, das habe ich in der letzten Woche feststellen müssen, weil man mir vor einer Woche mein Motorrad geklaut hat und ich nun schmerzhaft feststellen musste, welche Dienste mir mein Bike geleistet hat. Hinzu kommt (gerichtlicher) Zoff mit meinem Vermieter, dem ich (meine Sicht) auch den Diebstahl meines Bikes zu verdanken habe, weil er mir mit nicht zutreffender Argumentation meinen Garagenstellplatz gekündigt hat.

Doch das ist Nebensache, denn ich will ja etwas zu TTIP und CETA und dieser Demonstration schreiben. Ich habe also die Presseberichte zum Thema gelesen. Weniger die Berichte, als die Kommentare in den Zeitungen, die überhaupt noch Kommentare zulassen. Ich verzichte dabei weitgehend auf Links, aber nicht ganz, denn in der Zeit (1) gibt es aus meiner Sicht teilweise interessante Argumentationen beider Seiten, also seitens der Befürworter, die sich zumeist auf die Argumentation der Politik und interessierten Wirtschaft beschränken und Gegnern, die (ebenfalls meine Sicht, sehr gute Gegenargumente bringen.

Nun, ich denke, dass ich in vergangenen Berichten schon geäußert habe, dass ich in diesen so genannten Freihandelsabkommen die Übernahme noch verbliebener demokratischer Werte durch die so genannten „Märkte“ sehe. Märkte, das ist ein Terminus, wenn uns durch Politik, Wirtschaft und sich als Ökonomen bezeichnende Wirtschaftsberater suggerieren wollen, dass es keine eigentlichen Schuldigen für Fehlleistungen gibt, sondern dass das regulative Folgen der Märkte entspräche. So war die Bankenkrise auch nur Folge der überhitzten Märkte. Diese Marktideologie wird als Liberalismus bezeichnet und folgt der Grundidee von Adam Smith, der Ende des 18. Jahrhunderts die wirtschaftliche These der „regulatorischen unsichtbaren Hand“ aufbrachte. In der nachfolgenden Zeit fanden sich dann begeisterte Anhänger dieser These, die allerdings unterschiedliche Vorstellungen des Liberalismus hatten, was diesen zu einer Kommode werden ließ, mit verschiedenen Schubladen. in denen man die unterschiedlichen Vorstellungen der liberalen Wirtschaftsideen unterbrachte. Dazu zählen der als klassischer Liberalismus bekannte Laissez-faire, der Ordo-Liberalismus und weitere Formen, zu denen auch der Neoliberalismus gezählt wird. Ich würde diese „Kommode“ hingegen als Neoliberalismus bezeichnen wollen, weil immer die gerade existierende Variante aktuell und neu aus der entsprechenden Schublade geholt wird. Eine liberale Variante wird allerdings als nicht zum Liberalismus gehörend genannt, der Marktradikalismus, obwohl gerade das die unausweichliche Folge ist, wenn man von sich selbst regulierenden Märkten spricht.

Nun werden Sie sich fragen, was denn der Liberalismus mit TTIP und CETA zu tun hat. Ich finde, sehr viel. Die liberale These will als Grundsubstanz jegliche Regulierung durch den Staat aushebeln. Das hat Adam Smith mit seiner „unsichtbaren Hand“ zur Vorbedingung gemacht. Sie regelt die Märkte automatisch zum Nutzen der Menschen. Dabei haben aber alle liberalen Heilsverkünder offenbar vergessen, dass Märkte von Menschen geführt werden und die unsichtbare Hand vor allem den einen in die Taschen greift und den anderen die Taschen füllt. Die liberalen Heilsverkünder haben auch stets geäußert, dass Monopole und Oligopole Gift für die Märkte sind. Ein Widerspruch in sich, denn wenn man die staatliche Eingriffsmöglichkeit verhindert, gibt es nichts, was Monopole und Oligopole verhindern kann. Dann nämlich reguliert das Marktgeschehen nicht die unsichtbare Hand, sondern die Macht des Stärkeren. Und in der Wirtschaft ist der Stärkere in der Regel der finanziell besser Gestellte. Schaut man sich die heutigen internationalen Konzerne an, gewinnt man den Eindruck, dass diese Vorbedingung der unsichtbaren Hand nicht nur erfüllt wurde, sondern sie (bei den meisten Konzernen ist gar nicht mehr erkennbar, wer alles dahinter steckt) inzwischen nicht nur die Märkte, sondern auch die Politik kontrolliert. Und die Monopole, aber vor allem die Oligopole, verbreiten sich derzeit wie ein Krebsgeschwür immer schneller. Wer’s nicht glaubt, sollte mal die Forbes-Listen lesen.

Doch zurück zu der Demonstration in Berlin. Ich bin begeistert darüber, dass so viele Menschen an der Demo in Berlin teilgenommen haben.

Richtig ist, dass über CETA und TTIP großes Unwissen herrscht. Wie könnte es auch anders sein, denn aus den Brosamen, die man uns zur Beschwichtigung hinwirft, ist nicht einmal Unwesentliches erkennbar. Und natürlich, wenn man unterschwellige Diffamierung unterbringen will, darf der Terminus „Verschwörungstheorie“ nicht fehlen, so wie das manche Befürworter machen.

Ich nehme als Grundlage für meine Kritik das, was seit dem 2. WK alles ins Leben gerufen wurde. Da war zunächst einmal GATT, mit dem Zölle gesenkt oder aufgehoben wurden und die damit verbundenen Heilsversprechen, vor allen gegenüber der Dritten Welt, dass sie dann auf den internationalen Märkten mitspielen könnten. Konnten sie aber nicht, weil sie gegen die Industrienationen keine Chance hatten. Und die Industrienationen liefern heute Schlachtabfälle, die im eigenen Land nicht mehr verkäuflich sind, in diese Länder und unterminieren damit auch die letzten Reste der bäuerlichen Kultur. Große Konzerne nutzen dann die billigen Arbeitskräfte für Monokulturen (z. B. Kakao in Afrika, Palmöl in Indonesien usw.).

Wer GATT gelesen hat, hat eine Vorstellung davon, mit welchen juristischen Verklauselierungen dieses Vertragswerk aufgestellt wurde. Mit diesem Papier haben selbst gute Juristen Interpretationsschwierigkeiten. Und bei GATT dominieren natürlich die US-Amerikaner. Ohne ihre Zustimmung geht nichts.

Aber das war eigentlich nur das Vorspiel, denn dann wurde die WTO gegründet. Ein ebenso nur Top-Juristen verständliches Werk, aber nicht mehr als Vertrag, sondern als überstaatliches supranationales Gebilde geschaffen. Einmal drin, kommt man kaum mehr raus. Und hier wurden die Schiedsgerichte eingebunden, die abseits staatlichen Rechts urteilen. Es ist hilfreich, sich mal solche WTO-Urteile anzusehen. Volk spielt da keine Rolle, sondern nur das rein gewinnorientierte Interesse der Wirtschaft. Das Volk hat folgsam zu sein. Das schreibt man im Sinne der Transatlantiker „Folg-Sam“

Mit der WTO kam GATS, ein vergleichsweise kleines Vertragswerk, mehr eine Wunschliste der Wirtschaft, was alles zu privatisieren sei und es wird nichts ausgelassen, außer den als hoheitlich benannten Staatseinrichtungen (Militär, Polizei). Hier lohnt ein Blick zurück. Die WTO wurde 1995 gegründet. Lesen Sie die GATS-Wunschliste und dann vergleichen Sie es mit dem, was danach in Deutschland passiert ist. Die Post und die Telekom wurden privatisiert, die meisten Altenheime wurden privatisiert, im Gesundheitswesen wurden Kliniken privatisiert und mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz wurde und wird noch heute Gesundheit so verteuert, das man getrost schon von einer Teilprivatisierung sprechen kann. Arbeit wurde zum Luxus und Arbeitslosigkeit zum Stigma. Die Renten wurden massiv gekürzt, völlig losgelöst davon, dass sich der Staat seit Einführung des Umlageverfahrens aus den Beitragseinnahmen der Arbeitnehmer stets kräftig bedient hat, indem er Lasten, die als gesamtgesellschaftliche Anlagen aus Steuermitteln zu bezahlen gewesen wären, ausschließlich der gesetzlichen Rentenversicherung und damit ausschließlich den Beitragszahlern der GRV aufbürdete und noch immer aufbürdet (z. B. die Mütterrente).

Schauen Sie auf Städte und Kommunen. Dort wurden Müllabfuhr und Stadtreinigung privatisiert und wo die Stadtoberen können, gründen sie Pseudo-Unternehmen, in denen sie 1-Euro-Jobber beschäftigen und mit Aufgaben betrauen, die zuvor Angelegenheit kommunaler oder städtischer Angestellter oder ortsansässiger Gartenbauunternehmen waren. Wo früher Arbeiter im Herbst mit Rechen das Laub von den Straßen und Grünanlagen zusammen fegten, machen das heute vermutlich 1-Eurojobber, ausgerüstet mit lauten und stinkenden und sicherlich erheblich teureren Gebläsen und kein Grüner sorgt sich um die damit einhergehende Luftverschmutzung.

Ich kann natürlich nicht beweisen, dass diese Privatisierungswelle und vor allem die Rot/Grüne Politik von Schröder und Fischer auf der Basis von GATS-Verpflichtungen passiert und passiert ist, die diese Regierungen eingegangen sind, denn zu welchen Maßnahmen sich Regierungen in der EU auf der Basis von GATS verpflichten, ist ebenso geheim wie TTIP und CETA.

Nun habe ich irgendwann gelesen, der CETA-Vertrag sei ca. 1.300 Seiten stark. Vergleichen wir ihn z. B. mit der (gescheiterten) EU-Verfassung. Die machte etwas über 500 Seiten aus, incl. der Erklärungen und Protokolle. Der Lissabonvertrag, die ein wenig abgespeckte Form der EU-Verfassung ist so um die 450 Seiten stark, incl. der Protokolle und Erklärungen. Damit wird das Zusammenspiel der EU-Staaten definiert und reglementiert, incl. der EZB, also des EU-Finanzsektors.

Nun frage ich mich, warum ein so genanntes Freihandelsabkommen 1.300 Seiten umfasst, also 800 Seiten mehr als die EU-Verfassung, die schließlich das Miteinander von allen EU-Staaten regeln sollte? Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie der Auffassung sind, dass sich die EU-Staaten ja nur an den Lissabonvertrag halten, wenn sie sich Vorteile davon versprechen, ansonsten aber tun und lassen, was sie wollen (prominentestes Beispiel ist die Bail out-Klausel und die der EZB zugestandene Handlungsvollmacht). Aber glauben Sie ernsthaft, multinationale Konzerne würden solche Verträge wie TTIP oder CETA grundsätzlich einhalten? Warum glauben Sie wohl, sind die Schiedsgerichte ein so wesentlicher Anteil der Verträge?

Ich gehe davon aus, dass in diesen 1.300 Seiten von CETA vor allem juristische Spezifikationen enthalten sind, die das Werk zu einer Art vierdimensionalen Zauberwürfel werden lassen, bei dem selbst die Juristen, die das alles ausgekungelt haben, den Überblick verlieren. Und diese Verträge werden so viele Schlupflöcher ausweisen, nicht für die Staaten, sondern für die Konzerne, dass dagegen unser Steuerrecht wie ein geschlossenes und von vorn bis hinten durchdachtes Regelwerk wirkt.

Ein regelrechtes Mysterium für mich ist das, was unter der Rubrik „Investitionsschutz“ anklingt. Anleger müssen Gewinn machen, mehr noch, der Gewinn muss ihren Erwartungen entsprechen. Geht das schief und sie können eine verantwortlichen des Landes benennen, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben können, können sie den Staat verklagen. Nun stelle ich mir vor, im Lottojackpot sind 30 Millionen. Die Lottogesellschaft wirbt dafür, zu tippen, um den Jackpot zu kassieren. Also investiere ich in einen Lottoschein und tippe 6 Zahlen. Aber ich gewinne nichts. Kann ich dann die Lottogesellschaft verklagen, weil der Gewinn nicht meinen Erwartungen entsprach? Schließlich habe ich 6 Zahlen getippt und gezielt einen Schein mit meiner Glückszahl als Endnummer ausgesucht. Es ist nicht mein Verschulden, dass die Lottogesellschaft andere Zahlen gezogen hat, als ich getippt habe.

Ich weiß, das ist ein bisschen weit hergeholt, aber im Prinzip das, was den Investitionsschutz ausmacht. Jede Art einer Investition ist ein Risiko. Wenn ich in etwas Geld investiere, gehe ich immer das Risiko ein, zu scheitern. Aber ich investiere ja nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um Geld zu verdienen und zwar möglichst schnell und möglichst viel. Man nennt sowas auch Spekulation. Speziell Banken und Versicherungen haben doch in der Vergangenheit mit solchen Versprechungen Kunden gelockt und ihnen später dann erklärt, dass sie da was falsch verstanden haben müssen (ich denke da z. B. an die Derivate vor der Finanzkrise) und ich fürchte, da werden im Vertrag eine Reihe von juristischen Spitzfindigkeiten vorhanden sein, um das in trockene Bücher zu bringen.

Die von Befürwortern angeführten Verbesserungen durch Angleichung der Standards sind pure Augenwischerei, weil dafür ganz sicher kein Freihandelsabkommen erforderlich ist. Außerdem sei die Frage erlaubt, ob man wirklich glaubt, dass sich die USA den metrischen Maßen Europas anschließt? Da ist wahrscheinlicher, dass uns die als Variante der „customary units“ (die auf einer historischen Form des britischen Maßsystems beruht) in den USA gebräuchlichen Maßeinheiten in Europa aufgehalst werden.

Und wenn die Befürworter auf TPP (Trans-Pacific Partnership) verweisen, dann sollten die Auswirkungen in den Pazifik-Staaten doch erst mal abgewartet werden. Beim NAFTA haben sich die negativen Auswirkungen des Abkommens für Mexiko auch noch nicht in den ersten Monaten gezeigt. Allmählich sollte allen klar sein, die USA schließen keine Abkommen auf Augenhöhe ab, das haben in der Geschichte Imperien noch nie getan, sondern sie haben nur ihre eigenen Interessen im Sinn und dafür gehen sie nicht nur sprichwörtlich über Leichen.

Ebenfalls weitestgehend unbeachtet bleibt derzeit noch das „Gepäck“ dieser Abkommen, denn TRIPS, ACTA, TISA sind dann verpflichtende zusätzliche Abkommen, die dann ratifiziert werden müssen.

Wenn ich mir dann vor Augen führe, dass kaum einer unserer Politiker den Lissabonvertrag wirklich aufmerksam studiert hat, bevor er oder sie darüber abgestimmt hat, dann gehe ich davon aus, dass das bei CETA und TTIP nicht anders sein wird. Auch wenn die Grünen bei der Demo dabei waren, sehe ich deren Mitwirkung bei der Demo nicht als echte Besorgnis, sondern als kostenlose Wahlpropaganda, haben sie doch in der Vergangenheit gezeigt, dass ihre Meinung davon abhängt, welche Position sie zum Zeitpunkt der Abstimmung in den politischen Gremien haben.

Ob sich Merkel oder Gabriel von der hohen Zahl der Demo-Teilnehmer beeindrucken lassen, halte ich auch eher für fraglich. Sicher, in künftigen Reden werden sie jede Menge Versprechungen machen, aber sicherlich nicht halten, wenn es ernst wird. Denn sie sind Transatlantiker, egal was sich die USA alles leisten.

Merkel, Gabriel, die EU-Kommission, die Mitglieder der transatlantischen Gruppierungen sind nur Marionetten der US-Regierung und die wieder sind Marionetten einer kleinen weitgehend unbekannten Gruppe der internationalen Hochfinanz und vermutlich auch des noch verbliebenen Hochadels. Deren Wirken zielt auf eine NWO ab, wie üblich mit allen erwartbaren Heilsversprechen (siehe Georgia Guidestones). Aber solche Heilsversprechen und die sich bei Verwirklichung daraus ergebende Realität werden in einem krassen Gegensatz zueinander stehen. Wer mit allen Mitteln absolute Macht anstrebt, will solche Macht auch ausleben.

Nun zum Schluss 2 mal Volker Pispers, der ein wenig über Wirtschaft plaudert. Nein, er spricht nicht über TTIP oder CETA. Aber mit ein wenig Phantasie können vor allem die Älteren sich vielleicht an all das erinnern, was früher war und darauf aufbauend eigene Schlüsse ziehen.

Fußnoten

(1) Bericht über die Demonstation am 10.11. 2015 in der ZEIT
(2) Volker Pispers über „der Russe, (Putin) steht schon wieder vor der Tür ?
(3) Volker Pispers DDR als Niedriglohnsektor der „Wessis“

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