Das unsichtbare Bail-Out der EZB geht weiter voran

Bernat Jozsa (STIMME RUSSLANDS)

Es wird immer wieder über weitere Hilfspakete für europäische Krisenstaaten spekuliert. Dabei gibt es einen verschleierten Rettungsmechanismus, über den weniger berichtet wird. Die Rede ist von dem europäischen Zahlungsverkehrssystem Target 2. Unser Korrespondent Bernat Jozsa hat Philipp König vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zu den mit diesem System verbundenen Chancen und Risiken befragt.

In Fachkreisen heftig umstritten, der Öffentlichkeit relativ unbekannt. Über das sogenannte Target-System wird der gesamte grenzüberschreitende Zahlungsverkehr innerhalb des Euroraums abgewickelt. Grob vereinfacht finden darüber im Moment 85 Prozent der kompletten Geldschöpfung der Euro-Zone in den Krisenländern statt. Das Geld wird in den Zentralbanken der Südländer generiert und über die dortigen Geschäftsbanken den lokalen Unternehmen zu Verfügung gestellt. Da die Firmen mit Deutschland handeln, kommt so auch Bargeld in den deutschen Umlauf, ohne dass die Bundesbank Geld schöpfen würde. Dies ist ein Resultat der Krise, sagt Philipp König vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung:
„Was passiert ist, ist, dass wir eine sehr tarke Kapitalflucht aus den Krisenländern haben, das heißt Investoren ziehen dort ihr Geld ab und überweisen es im Prinzip in die sicheren Häfen der Euro-Zone. Das sind im Augenblick die Niederlande, Luxemburg und insbesondere Deutschland. Das bedeutet, dass die Banken in diesen Krisenländern einen höheren Bedarf an Zentralbankgeld haben, und der wird dadurch gedeckt, dass sie eben zur Zentralbank gehen, um da mehr Kredite aufzunehmen. Das führt dann zum Aufbau dieser Target-Positionen.“

Vor der Krise schwankten die Target-Forderungen der Bundesbank gegenüber der EZB häufig um Null herum. Seit 2008 haben sie rasch zugenommen. Nach dem Höhepunkt im Juli 2012 mit über 750 Milliarden betragen diese Forderungen zurzeit rund 570 Milliarden Euro. Auf der Schuldnerseite stehen vorwiegend die Südländer. Das ist praktisch eine indirekte Haftung Deutschlands, zusätzlich zu denen der Rettungspakete:

„Das in dem Fall, in dem ein Land aus dem Euroraum austritt. Solange das Risiko eines Austritts besteht, besteht für die Länder mit Target-Forderungen ein höheres Risiko, das über die Risiken herausgeht, die in den sonstigen Rettungspaketen vereinbart wurden.“

Beim Austritt eines Landes aus der Eurozone könnten für Deutschland enorme Verluste entstehen:

„Es könnte zu Verlusten führen. Es ist ein mögliches Szenario, dass das alles ausfällt. Beispielweise falls Spanien austritt und im Augenblick 250 Milliarden Target-Verbindlichkeiten hat, dann könnte es sein, dass diese 250 Milliarden im Extremfall vollständig ausfallen würden. Dann hätte Deutschland einen Verlust in Höhe des Anteils der Bundesbank an dem dann neu zu berechnenden Kapitalschlüssel der EZB. Das wäre dann wahrscheinlich um die 35 Prozent.“

Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, hat die Target-Salden als das unsichtbare Bail-Out der EZB bezeichnet und fordert ein Ende dieser Kreditersatzpolitik. Als Lösung hat er die Anwendung amerikanischer Regeln vorgeschlagen. Danach müssen die Salden einmal im Jahr mit goldgedeckten Wertpapieren oder ähnlich sicheren handelbaren Wertpapieren ausgeglichen werden. Dies wäre aber laut Philipp König im Euroraum wegen der unterschiedlichen Systeme so nicht möglich:

„Man kann nicht fordern, dass das Target-System beendet werden soll in irgendeiner Form. Das ist das Zahlungssystem, das sozusagen das Skelett der Währungsunion darstellt. Das heißt, wenn Sie das Zahlungssystem beenden wollen, dann beenden Sie faktisch die Währungsunion. Nun kann man sich natürlich überlegen, wie man sich gegen dieses Austrittsrisiko absichern könnte. Herr Sinn hat nach Amerika geguckt, und wenn Sie diese Prozedere auf die Eurozone übertragen wollen, haben Sie ein Problem, weil die nationale Zentralbanken überhaupt nicht die entsprechenden Sicherheiten besitzen, mit denen dieser Ausgleich in Amerika durchgeführt werden kann.“

Deshalb hat Professor Sinn vorgeschlagen, ein neues Wertpapier einzuführen, das als Ausgleich dienen kann. Dabei gäbe es aber auch technische und rechtliche Hürden, kontert der Experte vom DIW:

„Dieses Wertpapier müssten die nationalen Zentralbanken überhaupt erst einmal von ihren Staaten erwerben. Dieser Vorgang könnte, wenn sie es direkt kaufen, als monetäre Staatsfinanzierung interpretiert werden, die verboten ist im Euroraum. Darüber hinaus ist überhaupt nicht klar, warum dieses Wertpapier risikoloser sein sollte als irgendwelche anderen Staatsschuldtitel. Und schließlich ist das Problem, das in dem Moment, in dem Sie eine Bankenkrise in einem Land haben, Sie automatisch eine Verknüpfung schaffen zwischen den Risiken der Banken und den Risiken des Staates. Das ist etwas, was wir in der jetzigen Krise bereits erlebt haben, und es ist sehr problematisch.“

Wobei das Target-System für die Zahlungsabwicklung des Euroraums nötig sei, könnten die Salden  durch etwas anderes ersetzt werden, meint der Experte:

„Man kann sich andere institutionelle Lösungen überlegen, wie man dieses Austrittsrisiko mindern könnte. Eine Sache, die wir vom DIW vorgeschlagen haben, ist dass Sie beispielweise sagen, die Geldpolitik wird nicht dezentral bei den nationalen Zentralbanken implementiert. Wenn Sie dieses zentralisieren würden, dann würden Sie gleichzeitig erlauben, dass eine zentrale Stelle, in diesem Fall beispielweise die EZB, Zugriff auf die Sicherheiten bekommt, die die Banken hinterlegen, wenn sie Kredite aufnehmen. Das würde zumindest zum Teil das Austrittsrisiko eines Landes reduzieren können.“

Zurzeit sieht es eher danach aus, dass die Salden bleiben, wie sie sind. Falls die Krise einmal zu einem Ende kommt, könnte die Summe zurückgehen. Jedoch scheinen die als relativ sicher geltenden Nullsummenzeiten des Target-Systems zu Ende zu sein.

Bernat Jozsa

 

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