Das neue Inflationssignal

Manfred Gburek, 11. Mai 2012

Die „Bild“-Schlagzeile auf Seite 1 am Freitag war unmissverständlich: „Inflations-Alarm“. Was es damit auf sich hatte, war für die FAZ am selben Tag einen Leitkommentar ebenfalls auf Seite 1 wert. Hier eine Kostprobe: „Mit extrem lockerer Geldpolitik und vielen Notfallhilfen kauft die EZB Wackelbanken und Schuldenländern Zeit, allerdings auf Kosten ihrer Glaubwürdigkeit und unter Gefährdung ihres eigentlichen Auftrags, die Preisstabilität zu wahren.“ Dazu das Fazit, zur Finanzierung brauche Euroland „den Markt, der solide Staatsfinanzen und strukturelle Reformen verlangt. Wenn Euroland dazu nicht bereit ist, wird der Euro auch als Weichwährung keinen Bestand haben.“

Halten wir also fest: Die EZB macht sich unglaubwürdig, riskiert, dass die Preise steigen, und Euroland könnte eines Tages die Gemeinschaftswährung aufgeben. In so einem Umfeld und mit solchen Aussichten sind solide Staatsfinanzen und strukturelle Reformen bestenfalls ein frommer Wunsch. Und ganz nebenbei: Was ist Euroland? Die Brüsseler Bürokratie? Um Gottes willen. Die EZB? Im Prinzip ja, aber ohne politisches Mandat und damit machtlos. Oder etwa 17 Länder auf der verzweifelten Suche nach einem Konsens, den es wegen weit auseinandergehender Interessen jedoch nicht geben kann? Diese Interpretation kommt der Wahrheit am nächsten.

Daraus folgt: Euro hin, Euro her, jedes der 17 Länder wird weiter sein eigenes Süppchen kochen. Das erleben wir gerade wieder in Griechenland, Fortsetzung folgt. Das erleben wir auch in Spanien, wo der Staat das ehemals aus Sparkassen zusammengewürfelte Institut namens Bankia zu retten versucht, während immer größere Teile der Bevölkerung der Regierung in Madrid mit Protestmärschen die Hölle heiß machen. Da geht es nicht mehr um langfristig angelegte Reformen oder um den Euro, um solide Staatsfinanzen schon gar nicht, sondern in Anbetracht der extrem hohen Arbeitslosigkeit ums nackte Überleben.

Als wären diese – bisher von deutscher Seite fast ignorierten – Zustände, die neuerlichen Zweifel an der Solidität von Frankreichs Staatsfinanzen und die ständigen Querelen um den Euro nicht schon schlimm genug, da packt die EZB auf einmal ein heißes Eisen an, das es wie eingangs zitiert auf Seite 1 von „Bild“ geschafft hat: Inflation. Aber nicht etwa im Sinn von Geldmengenwachstum oder steigenden Lebensmittel- und Spritpreisen, sondern ganz anders: Deutschland soll höhere Inflationsraten verpasst bekommen.

Im Ernst, eine Fraktion im EZB-Rat plädiert dafür. Die Begründung ist so skurril wie bescheuert: Falls die Inflationsrate in wirtschaftlich angeschlagenen Ländern wie Spanien oder Portugal merklich unter dem für alle Euroländer vorgegebenen Ziel von fast oder nahe bei 2 Prozent liege, müsse sie zur Erreichung dieses Ziels in wirtschaftlich starken Ländern wie Deutschland eben höher sein. Als wenn die 2 Prozent in einer Währungsgemeinschaft von 17 Ländern, die alle ihr eigenes Süppchen kochen, überhaupt ein erstrebenswertes Ziel wären.

Abgesehen davon: Wie fummelt man den ganzen Datenwust, der in die Inflationsrate mündet, so hin, dass unter dem Strich die 2 steht? Volkswirte haben sich ja schon viel Unsinn ausgedacht und sind mit ihren theoretischen Modellen immer dann gescheitert, wenn es mal wirklich ernst wurde, wie zuletzt aus Anlass der Finanz- und Wirtschaftskrise. Doch dem aktuellen Euroland-Musterknaben willkürlich eine Inflationsrate über 2 Prozent aufzubrummen, das ist der Gipfel. So, als würde der Klassenbeste dafür bestraft, dass seine Schulnoten besser sind als die der schlechten Schüler.

Zitieren wir dazu noch einmal die FAZ vom Freitag: „Deutschland werde infolge der Schuldenkrise höchstens auf kurze bis mittlere Sicht unerwünscht hohe Preissteigerungen hinnehmen müssen, hieß es im Umfeld von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann.“ Die Bundesbank hatte dem Finanzausschuss des Bundestags nämlich mitgeteilt, Deutschland werde in den kommenden Jahren Teuerungsraten über dem Euroland-Durchschnitt erleben und so zum Abbau der Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen beitragen.

Das Weidmann-“Umfeld“ mag sich ja irgendetwas dabei gedacht haben, wenn es „höchstens auf kurze bis mittlere Sicht“ unerwünschte Preissteigerungen hinzunehmen bereit ist. Aber was? Dass die Preise nach ihrem kommenden Anstieg den Befehl erhalten, von heute auf morgen nicht mehr um 5 oder 6 Prozent zu steigen, sondern, nachdem die Leistungsbilanzen wieder im Gleichgewicht sind, nur noch um 2 Prozent? Oder dass Preissteigerungen nicht einem dynamischen Prozess folgen, der stark vom Verhalten und von Erwartungen der verschiedenen Wirtschaftssubjekte abhängt, sondern mathematischen Modellen? Kaum zu glauben, aber so etwas oder Ähnliches muss sich im Oberstübchen der Volkswirte abgespielt haben.

Fassen wir die Erkenntnisse und Ergebnisse der abgelaufenen Woche zusammen, kann man je nach Gusto ohne Übertreibung von einer Zäsur oder sogar von einer neuen Weichenstellung in der Euroland-Geldpolitik sprechen. Wird sie so durchgezogen, wie es die Indizien vermuten lassen, droht nicht nur der Euro weiter durchgeschüttelt zu werden, sondern auch so ziemlich alles, was an diversen Märkten gehandelt wird, von Verbrauchs- und Gebrauchsgütern bis zu Anleihen und Aktien, Edelmetallen und Rohstoffen.

Abgesehen von den Risiken, die so eine Entwicklung zwangsläufig mit sich bringt, entstehen durch sie auch neue Chancen. Diese bestehen ad hoc darin, dass man zunächst vor allem bei Aktien und Edelmetallen ein weiteres Mal die Chance bekommt, günstig zuzugreifen, um durch eine entsprechende Konzentration des Geldeinsatzes beim nächsten Kurs- bzw. Preisaufschwung möglichst hohe Gewinne herauszuholen. Insofern hat die zu Beginn zitierte „Bild“-Schlagzeile Signalwirkung.

Oder wer es mehr mit den Indikatoren der Anlageprofis hält: Der Bund Future, ein Terminkontrakt für Bundesanleihen, hat mit dem Anstieg über 142 Punkte ein Niveau erreicht, das man nur noch als völlig überhitzt bezeichnen kann. Das Inflationssignal von EZB und Bundesbank wird ihm über kurz oder lang den Garaus machen – und, in Euro gerechnet, Aktien wie auch Edelmetalle begünstigen.

Quelle: Manfred Gburek

 

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