Das große Experiment mit unserem Geld

Das große Experiment mit unserem Geld

Manfred Gburek, 7. September 2012

Wie nicht anders zu erwarten, hat die EZB am Donnerstag entschieden, unbegrenzt Anleihen hoch verschuldeter Euroländer aufzukaufen. Damit erweitert sie ihr Mandat auf die Staatsfinanzierung, wodurch eine neue Ära der europäischen Geldpolitik beginnt, die im Lauf der kommenden Jahre mit größter Wahrscheinlichkeit zu höheren Inflationsraten führen wird. Doch bis es so weit kommt, gilt es, um nahezu jeden Preis die Deflation zu verhindern.

Um Vorwürfe von vornherein abzuwürgen, betont die EZB, nur Anleihen mit Laufzeiten bis zu drei Jahren zu kaufen und das Geld, das sie in Anleihen investiert, anderswo wieder wegzuschnappen – gleich zwei Feigenblätter. Hinzu kommen zwei weitere: die Verpflichtung hilfsbedürftiger Euroländer zu Reformen und die mögliche Einbindung des Internationalen Währungsfonds in die Rettungsmaßnahmen. Zu welchen Reformen? Diese Frage bleibt ebenso unbeantwortet wie manch andere. Was die EZB uns jetzt zur Beruhigung verabreicht hat, ist also in Wahrheit beunruhigend. Das wird sich an den Börsen in starken Schwankungen auswirken, für Besitzer von Aktien und Edelmetallen zum Glück im Zuge eines langfristigen Aufwärtstrends.

Falls Sie sich für ganz kurze Zeit gewundert haben sollten, dass im Gefolge der EZB-Entscheidung die Preise von Gold und Silber nach dem vorangegangenen Anstieg etwas zurückgekommen sind, ist hier die einfache Erklärung: Börsianer hatten diese Entscheidung mit dem Hochtreiben der Preise vorweggenommen, weil 1. EZB-Chef Mario Draghi sich schon vor einiger Zeit entsprechend geäußert hatte und weil 2. das Insiderwissen von 22 Entscheidern aus EZB-Rat und -Direktorium bei deren Treffen am Mittwochabend irgendwie den Weg nach draußen gefunden hat. Die Folge: vorzeitiger Jubel – ein klassischer Fall dafür, dass an Börsen die Zukunft vorweggenommen wird. Am Freitagabend mitteleuropäischer Zeit war der Spuk wieder vorbei; Gold und Silber schossen geradezu in die Höhe.

Lassen Sie sich jetzt von den Preisschwankungen der Edelmetalle und der Aktien nicht ins Bockshorn jagen. Mal tendieren beide gemeinsam nach oben, um danach eine Pause oder eine sogenannte technische Reaktion nach unten einzulegen, mal wechseln sie sich ab. Das Einzige, was nun für Sie als Richtschnur gelten sollte, ist der wieder aufgenommene Aufwärtstrend beider Anlagekategorien.

Warum es im Zuge dieses Trends überhaupt zu Schwankungen kommt, liegt auf der Hand: Draghi und seine EZB-Mannschaft sowie Europas Politiker unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel müssen jetzt Taten sprechen lassen, haben aber außer Absichtserklärungen vorerst nur wenig zu bieten. So eine Konstellation hat Börsianer immer schon nervös gemacht.

Dazu hier noch ein paar Details: Die extrem hohen Schulden der meisten Euroländer verhindern, dass es dort in absehbarer Zeit überhaupt zum Wirtschaftswachstum kommen kann. Schlimmer noch, vielfach schrumpft die Wirtschaft derart, dass bereits soziale Unruhen an der Tagesordnung sind. Die zum Teil dramatische Entwicklung trifft mittelbar auch deutsche Unternehmen, die ihre Güter und Dienstleistungen in die Euroländer exportieren. Zum Glück haben sie immer mehr Aktivitäten rechtzeitig in die USA, nach China und in das übrige Asien verlagert. Dennoch ist die eingangs erwähnte Gefahr der Deflation nicht gebannt, solange in mehreren europäischen Ländern die Konjunktur rückläufig ist und die Zahl der Arbeitslosen weiter steigt.

Marode Banken sind inzwischen kreuz und quer über ganz Europa verteilt. Leider gibt es von ihnen keine verlässlichen Zahlen zu den Schieflagen. Dadurch, dass sie in die Defensive gedrängt sind, mangelt es am Geld als Schmiermittel für das notwendige Wirtschaftswachstum. Wenn nun, wie gerade geschehen, die EZB in die Bresche zu springen versucht und indirekt neues Geld zur Verfügung zu stellen verspricht, zeugt das von dem Ernst der Lage.

Das EZB-Mandat beschränkt sich längst nicht mehr auf die Inflationsbekämpfung, es ist jetzt sogar primär darauf gerichtet, die Deflation mit allen Mitteln zu besiegen. Das bedeutet: Im Zweifel auf Teufel komm raus Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen. Um den Verdacht darauf erst gar nicht entstehen zu lassen, hat Draghi am Donnerstag mit einer spitzfindigen Bemerkung vorgebeugt: „Wir sind überzeugt, dass wir innerhalb unseres Mandats handeln.“

Das ist diplomatisch ausgedrückt und lässt offen, worin das Mandat im Einzelnen besteht. Es kann also durchaus darauf hinauslaufen, dass Spanier, Italiener und sogar Franzosen – im Gegenzug für großzügige Geldgeschenke in Form von Käufen ihrer Anleihen durch die EZB – jetzt tolle Reformen versprechen, aber nach zwei Jahren mit der Bitte kommen: Liebe EZB, unsere Reformen brauchen noch etwas Zeit, bis sie greifen. Wir können es doch nicht zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen lassen wie in Griechenland. Gib uns zwei weitere Jahre Zeit – „Club Med“-Mentalität eben. Die Folge: Fortsetzung der Anleihenkäufe durch die EZB.

Dieses denkbare, ja wahrscheinliche Szenario kann natürlich nicht losgelöst von der Politik kommen. Vielmehr werden 17 Regierungen einschließlich der EU-Bürokraten dazwischenfunken. Nicht zu vergessen das Bundesverfassungsgericht, das schon am kommenden Mittwoch über den Rettungsfonds ESM entscheiden muss. Das Ganze wird unter reger Teilnahme der Medien stattfinden, die im Zweifel alle Aktionen und Reaktionen verstärken.

So etwas gab es noch nie. Es handelt sich um ein riesiges Experiment mit unserem Geld, Ausgang offen. Dass Anleger sich bei solchen Zuständen auf Sachwerte stürzen, um ihre Ersparnisse in Sicherheit zu bringen, kann niemanden verwundern. Nur sei hier nochmals darauf hingewiesen, dass nicht alles, was gemeinhin als Sachwert gilt, am Ende tatsächlich einer ist.

Gold, Silber, Aktien und eine selbst genutzte, im Zweifel später wieder leicht veräußerbare Wohnimmobilie in guter Lage, dieses Quartett, ergänzt um den sprichwörtlichen Notgroschen auf dem Tagesgeldkonto, ist ok. Dagegen erfordern Antiquitäten, Kunstwerke, Edelsteine und Oldtimer so viel Sachverstand und Erfahrung, dass Laien im Zweifel einen Bogen um sie machen sollten. Und Käufer von einzelnen Zins- bzw. Mietshäusern dürften über kurz oder lang Probleme bekommen, weil sie in der Regel ein Klumpenrisiko eingehen, hin und wieder Ärger mit Mietern bekommen und in den kommenden Jahren stärker als bisher vom Finanzamt zur Kasse gebeten werden dürften.

Zu guter Letzt: Werden Sie Ihr eigener Finanzplaner und Vermögensverwalter, indem Sie möglichst viele relevante Informationen (aus Internetseiten, Zeitungen und Zeitschriften, Geschäftsberichten, Charts, Statistiken, Diskussionsrunden und -foren etc.) verarbeiten, sich dafür genug Zeit nehmen, die Entwicklung an den Börsen verfolgen, häufiger in andere Länder reisen, regelmäßig auf Ihre persönlichen Verhältnisse zugeschnittene Finanzpläne erstellen und Ihr Vermögen lieber selbst verwalten, als es anderen zu überlassen.

Quelle: gburek

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