Das Euro-Abenteuer geht zu Ende

Das Euro-Abenteuer geht zu Ende
Mit der Einheitswährung zerstört sich Europa selbst

Von Prof. Dr. Wilhelm Hankel, Königswinter (D)

Staat und Währung lassen sich nicht trennen. Weil die EU bei der Schaffung des Euro diese fundamentale Tatsache glaubte übergehen zu können, steht die Europäische Einheitswährung vor dem Scheitern. Der Währungs-Spezialist Dr. Wilhelm Hankel beurteilt auch die angekündigten «Rettungsmassnahmen» als untauglich.

So, wie der Euro «gerettet» werden soll (was ohnehin zum Scheitern verurteilt ist), werden den dafür kräftig zur Kasse gebetenen Euro-Staaten essenzielle «Königsrechte» der Parlamentsdemokratie entzogen, während die Staaten, denen damit geholfen werden soll – in Wahrheit werden nur ihre Geldgeber, die Banken, entschuldet –, unter das Finanzdiktat der EU und des in dieses Programm mit eingebundenen Internationalen Währungs-fonds (IWF) gestellt, im Klartext: Politisch entmündigt werden. Demokratie in Europa sollte anders aussehen!

Bevölkerung wehrt sich
In der Bevölkerung wachsen Skepsis, Besorgnis und Widerstand gegen diese Europa-Politik. Man demonstriert auf der Strasse und stimmt mit dem Geldschein gegen den Euro und seine «Rettung» auf Kosten des Steuerzahlers ab. Man fragt zu recht: Was ist das für ein Europa, das seinen Staaten zwar die Aufgaben belässt, aber die Instrumente und Mittel nimmt, diese zu lösen? Die Instrumente werden auf die EU-Ebene verlagert, doch dort besteht weder die Verpflichtung noch die Bereitschaft, an der Lösung der den Nationalstaaten belassenen Aufgaben – wie der gegenwärtigen Krisenbekämpfung – mitzuwirken. Die EU, ein Nicht-Staat, der gerne ein echter werden möchte, zerstört Europas traditionelle Staatenwelt und Kultur, ohne das Vakuum, das er schafft, zu füllen.

Worin liegt der Nutzen eines EU-Apparates, der sich ungehemmt und mit steigender Tendenz aufbläht (denn kein Parlament kontrolliert ihn), aber nichts weiter leistet, als immer neue Kompetenzen an sich zu ziehen und Geld umzuverteilen? Dieses Europa ist kein Vorbild für einen modernen schlanken, transparenten, effizienten und sparsamen Staat – nicht einmal einen «neoliberalen» Staat!

Inflationsgefahr
Die akutesten Gefahren drohen Europas Bürger-Gesellschaft von der diffusen «Gefechtslage» an der Währungsfront. Mit der statutenwidrigen Einbeziehung der Europäischen Zentralbank (EZB) in das Management der Euro-Rettung – die Bank kauft seit Ausbruch der Griechenland-Krise (Frühjahr 2010) ungehemmt und in Milliardenumfang (genaue Zahlen werden verweigert) die am Markt nur noch unter extrem hohen Kursverlusten verwertbaren «Schrott»-Anleihen der Problemländer, längst auch anderer als jener Griechenlands. Mit dem dadurch kontinuierlich anschwellenden Geld- und Liquiditätsspiegel wächst fortlaufend das Inflationspotenzial der gesamten Eurozone.

Die Europäische Zentralbank verschleiert vor der Öffentlichkeit systematisch die davon ausgehenden Gefahren für die innere Stabilität des Euro. Dafür wendet sie drei technische Kunstgriffe (allesamt Verharmlosungstaktiken) an. Eine unkritische Fachpresse und Medienwelt nimmt sie ihr ab.

Der erste «Kunstgriff» besteht darin, den Inflationsbegriff möglichst eng zu fassen. Für die Europäische Zentralbank und die ihr angeschlossenen Zentralbanken der Euroländer besteht Inflation lediglich in der Verteuerung der Lebenshaltung, also im Anstieg der Konsumgüterpreise. Was gleichzeitig an den Vermögensmärkten (an den Börsen, im Immobiliensektor, an den Rohstoffmärkten bei Mineralöl, Nutz- wie Edelmetallen und im Agrarsektor) geschieht, bleibt ausser Betracht.

Dabei gehen von dieser «asset inflation» höchst gefährliche Zweit-Rundeneffekte (Lohn- und Preissteigerungsspiralen) sowie sozial explosive Verzerrungen aus: Die Gewinne (besonders im Finanzsektor) steigen stärker als die Arbeitseinkommen. Sie verwandeln die Arbeitsgesellschaft in ein Spielkasino: Warum noch hart und diszipliniert arbeiten, wenn man ohne Arbeit an der Börse ein Vielfaches verdienen kann?

Die Währungshüter beklagen zwar die damit einhergehende Spekulation und Blasenbildung an den Vermögensmärkten, aber sie verdrängen, dass sie mit ihrer die Inflation treibenden Geldexpansion und monetären Verflüssigungspolitik («quantitative Easing» und «Monetisierung der Staatsschulden») den Grund und die Mittel dafür liefern.

Statistisches Doping
Das zweite Verfahren zum Herunterspielen der Inflationstendenzen und -gefahren besteht im statistischen Doping. Die Europäische Zentralbank nimmt als Messlatte der Inflation in der Eurozone den von ihr harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI). Er verrechnet die beträchtlichen Inflationsdiskrepanzen innerhalb der Europäischen Zentralbank (seit Einführung des Euro allein in Griechenland bis zu 40 Prozent) zu einem auf das ganze Euroland umgerechneten Durchschnittswert, in dem niemand lebt!

Der harmonisierte Verbraucherpreisindex ist ein statistisches Konstrukt, das für kein einzelnes (und reales) Euroland repräsentativ und aussagekräftig ist. Es gibt keinen Euroland-Bürger und -Konsumenten, sondern nur deutsche, griechische oder portugiesische. Diese können mit diesem Durchschnittswert nicht allzu viel anfangen. Der Unterschied zwischen der amtlichen Inflation und der «gefühlten Inflation» der Bürger findet hierin seine Erklärung. Nur: Er stärkt nicht die Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank und ihren Anspruch, eine zweite Deutsche Bundesbank auf europäischer Ebene zu sein.

Das dritte Verfahren liegt in der Methode, die Inflation allein in nominalen Werten und Zuwachsraten zu publizieren und nicht in realer Kaufkraft, bezogen auf die Einkommenssituation der Menschen. Gestützt auf diese Methode kann der Europäische Zentralbank-Präsident landauf, landab behaupten, der Euro sei in den elf Jahren seit seiner Einführung stabiler gewesen als die gute alte D-Mark. Doch zu DM-Zeiten waren die Einkommenszuwächse Jahr für Jahr deutlich höher gewesen als der gleichzeitige Preisanstieg: Die reale Kaufkraft der D-Mark-Einkommensbezieher war Jahr für Jahr gestiegen, nicht gefallen oder günstigsten Falles gleichgeblieben. Profitiert vom Euro haben die arbeitenden Deutschen in keinem einzigen Jahr – es sei denn, sie spekulierten an der Börse, und sie hatten dabei auch Erfolg!

Deutschland hat nicht profitiert
Entsprechend hat auch die deutsche Volkswirtschaft nicht vom Euro profitiert. Die Kapitalabflüsse in die defizitären Euroländer (diese hatten deren Leistungsbilanz und weitgehend auch deren Budgetdefizite und damit deren Inflation zu finanzieren) haben in Deutschland das Zinsniveau – besonders für den auf Bankkredite angewiesenen Mittelstand – hochgehalten und das Investitionsniveau auf den niedrigsten Stand aller Euroländer gesenkt. Wenn gleichwohl Deutschlands Exportwirtschaft boomte, hat das andere Gründe als den Euro. Ludwig Erhards Prognose, dass Deutschlands «Feld die Welt(wirtschaft)» sei und nicht Europa, hat sich auch in der Euro-Zeit voll bestätigt: Der Anteil der deutschen Exporte in Euroländer ist (trotz der dort zu erzielenden Inflationsgewinne) annähernd konstant geblieben. Keine Euro-Lüge war offensichtlicher (und bis heute schändlicher) als die Behauptung, der Euro habe Deutschland genützt. Deutschland hat für den Euro bezahlt – und das nicht allzu knapp.

Bedrohte Demokratie
Die Wahrheit ist: Das Europa-Establishment hat mit dem Projekt der gemeinsamen Währung der Demokratie in Europa und seinen bürgerlichen Gesellschaften schweren Schaden zugefügt. Denn instabiles Geld zieht die Destabilisierung der Gesellschaft nach sich, weil es die Freiheit beschränkt, die Eigentumsrechte beschädigt und mit Krise, Kapitalflucht und dem Streik der Sparer und Investoren Grundlagen und Kräfte nationalen Wohlstands zerstört. Inflation ist weder ein Anreiz zum Sparen noch für sicheres Planen in die Zukunft. Und wird es auch niemals werden.

Beide Kardinalfehler der europäischen Integration – der Vorrang der undifferenzierten Erweiterung der EU vor ihrer inneren Stärkung («Vertiefung») sowie der Verzicht auf eine klare marktwirtschaftliche Ordnungspolitik à la Ludwig Erhard sowie jetzt, in der Krise, auf ein effizientes Krisenmanagement – erklären hinreichend, warum die EU mit ihren Zielen und mit ihren Repräsentanten in der Öffentlichkeit nicht ankommt. Die Bürger merken es; sie sind von diesem Europa und seinen Führern enttäuscht und wenden sich ab.

Tödliche Faktenblindheit
Die EU ist dabei, sich überflüssig zu machen. Sie überlässt es den Mitgliedstaaten, mit den Folgen und Kosten einer durch sie noch verschärften Krise, also mit Arbeitslosigkeit, Verarmung, Überschuldung, Bankensanierung, Euro-Rettung usw. fertig zu werden – all dies muss von den Staaten geleistet und bezahlt werden. Daher mutet es nicht bloss wie Hohn, vielmehr – weit schlimmer – wie Realitätsverlust an, wenn EU-Politiker linker wie rechter Couleur – einig, aber ratlos wie selten – gebetsmühlenartig erklären, ohne EU und Euro wäre alles noch weit schlimmer gekommen und nichts sei deshalb vordringlicher als eben die «Rettung» des Euro durch seine Benutzer, die Staaten, ihre Sparer und Steuerzahler.

Politiker und Ökonomen in den Nicht-Euro-Staaten (Schweiz, Skandinavien, USA) fragen sich, was angesichts von so viel Faktenblindheit und kollektiver Verdrängung zur Lösung der Krisenprobleme angemessener sei: Nur den Kopf zu schütteln oder die Weltöffentlichkeit eindringlich vor den Folgen der sich in Europa anbahnenden Sozialkatastrophe zu warnen.

Quelle: http://www.schweizerzeit.ch/

 

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