Danke, Griechenland

Brief von Ögmundur Jónasson* an die griechische Bevölkerung (zeit-fragen)

Als Pandora ihre Büchse öffnete, entwichen Übel aller Art in die Welt. Hell entsetzt schnappte sie den Deckel gerade noch rechtzeitig, um Elpis einzuschliessen, was, wie uns Nicht-Griechisch-Sprechenden gesagt wird, «Hoffnung» bedeutet.
Die griechische Frage betrifft viele Angelegenheiten. Es geht um Souveränität. Es geht um Demokratie. Es geht um kollektive Verantwortung. Es geht um kollektive Bestrafung. Es geht um die Grenzen von privatem Eigentum.

Das Überraschendste an den Rettungsmärchen ist der schier unfehlbare Konsens der Experten. Die Mehrheit der mächtigen europäischen Politiker sprechen im Gleichklang. Plötzlich gibt es keine Meinungsverschiedenheiten mehr über Wirtschaft oder Politik. Unterschiede werden beiseite geschoben und eine gespenstische Ruhe herrscht vor: eine Menschenmenge, die am Ort der Hinrichtung verstummt.
Von den 19 Staaten der Eurozone haben 16 rechts orientierte Regierungen. Erklärt das irgend etwas? Jedermann stimmt zu, dass Sparmassnahmen fatale Konsequenzen für die griechische Nation haben werden. Und es ist auch allgemein anerkannt, dass kollektive Bestrafungen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Bewirkt das etwas? Oder nicht?

Fehler wurden gemacht. Die frühere griechische Regierung traf eine fragwürdige Entscheidung, als sie Goldman Sachs als ihren Berater für die Haushaltsführung anwarb, als Griechenland in die Eurozone aufgenommen wurde. Europäische Banken mögen der griechischen Regierung und den griechischen Banken zu viel Geld geliehen haben. Und die griechische Regierung mag zu viele militärische Rüstungsgüter von Deutschland und Frankreich gekauft haben. Und Kumpane der Regierung sind wohl ungestraft mit einigen Steuerumgehungen davongekommen.

Die Steuerzahler Europas, die Regierungen Europas, die Wirtschaftstheoretiker Europas, die Architekten der Eurozone, alle mögen Fehler gemacht haben bei der Strukturierung, Finanzierung und dem Betrieb der Eurozone.

Aber anstatt die Fehler zuzugeben und anstatt die Kosten auf sich zu nehmen, suchten die Führer Europas nach Sündenböcken. Sie zeigen Appetit auf eine Hinrichtung. «Einer muss büssen», denken sie, und also haben sie den Verwundbarsten unter ihnen bestraft. Das ist fast eine biblische Geschichte.
Würde man alle Schulden Griechenlands abschreiben, hätte das nicht den desaströsen Effekt, den man uns verkauft hat. Die Sorge bezieht sich eher auf das Beispiel, das damit gegeben wird. Die Wichtigkeit der Bestrafung Griechenlands ergibt sich aus der Macht des Beispielhaften, das darin besteht, dass es ein Beispiel für andere verwundbare Mitglieder der Eurozone abgibt.

Das ist des Pudels Kern: die Lektionen, die gelernt werden sollen, die Beispiele,  die gegeben werden. Es geht um Verbrechen und Strafe und um die Macht über die Definition des Verbrechens, um die Identität dessen, der verantwortlich ist, und um die Art angemessener Bestrafung.

Als die Griechen aufriefen, Demokratie herrschen zu lassen, sagte Juncker, er fühle sich «betrogen». Das Erstaunliche an dieser Antwort war, dass sie grundlegende Konflikte an der Wurzel der Politik in den Vordergrund rückte: und zwar den Konflikt zwischen direkter Demokratie und Regierung durch Delegation und die Konflikte rund um die Grenzen der Eigentumsrechte – die Frage, wie weit ein Gläubiger bei der Verfolgung seiner Schuldner gehen kann, bevor man ihn amoralisch nennt.
Die Vielfalt der Kräfte, die in diesem Konflikt am Werk sind, hat einen Spielraum für die Auseinandersetzung um Fragen von ­Politik, Wirtschaft, Ethik und Probleme der westlichen Plutokratie eröffnet.

Ein entscheidender Moment in diesem Kampf war die Entscheidung der Griechen, Zuflucht zur direkten Demokratie als der ultimativen Quelle des politischen Mandates zu nehmen. Dies war auch die Waffe, die Island eingesetzt hat, um die Angriffe der Londoner City und der Zentralbank der Niederlande abzuwehren. Ein weiteres inspirierendes Moment ist Tsipras’ Sprache: eine Rhetorik, die reich ist an Bezügen zum ewigen Kampf des Normalbürgers für Menschenrechte. Der sich daraus ergebende vorherrschende Begriff ist schlicht «Hoffnung».

Es hat mich gar nicht überrascht, dass die institutionelle Welt so reagiert hat, wie sie es getan hat, als die griechische Regierung beschloss, sich mit einem demokratischen Referendum an die Bevölkerung zu wenden. Ich applaudiere den Griechen für diese Entscheidung, und ich schliesse mich den Millionen an, welche die undemokratischen und abscheulichen Reaktionen der Hüter des Kapitalismus verurteilen – sie erinnern unangenehm an die koloniale Vergangenheit Europas.

Nachdem Island im Jahre 2008 den Finanzcrash erlitt, sahen wir dem Sturm ins Auge. Als Regierungsmitglied zu dem Zeitpunkt, als unser Land dem Angriff grosser europäischer Banken und Geierfonds, unterstützt durch die Regierungen von Grossbritannien und den Niederlanden, ausgesetzt war, war ich ob der Boshaftigkeit dieser Regierungen schockiert. Das war Krieg. Das hatte nichts Zivilisiertes mehr.

Wir legten dem Volk die Streitfrage in einem Referendum vor, und das erwies sich als die entscheidende Waffe. Die politische Überlegenheit der direkten Demokratie ist nicht so einfach in Frage zu stellen.
All das enthält in diesem Falle eine epische Dimension: Wieder sind es die Griechen mit ihrer Demokratie. Wieder!

Es gibt Millionen von Menschen, die dem entschlossenen griechischen Volk Beifall zollen. Und hier in Island sind wir mit euch im Geiste.
Danke dafür, dass ihr uns allen Hoffnung gebt – Hoffnung auf eine bessere Welt.

Ögmundur Jónasson

Quelle: www.analyzegreece.gr, 3. Juli 2015
(Übersetzung Robert Schenk und Zeit-Fragen)

* Ögmundur Jónasson war isländischer Gesundheits-­ und später Innenminister, als Island vor einer ähnlich dramatischen Situation stand wie heute ­Griechenland.

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