CETA soll EU-Abkommen werden

von Gert Flegelskamp (flegel-g)

Das Thema „Brexit“ ist noch nicht völlig aus den Schlagzeilen verschwunden, da gibt es bereits neue Schlagzeilen, dieses Mal geht es um CETA und dieses Thema ist wesentlich wichtiger als der Brexit. Eigentlich wurde bereits Anfang Juni darüber berichtet, dass die EU-Kommissarin Malmström das Freihandelsabkommen CETA an den nationalen Parlamenten vorbei als EU-Abkommen den Nationalstaaten aufs Auge drücken will. Als Ursache wurde gesagt, bei der Abstimmung habe sich Italien auf die Seite der EU gestellt.

Was man dann nicht in der Presse findet, ist eine Erklärung über das wieso und warum. Beim Brexit, ja da erklärte z. B. die Frankfurter Rundschau(1) die Umstände. Es waren nicht die „Briten“, es waren die Alten. Es stimmt offenbar doch, dass man im Alter weiser wird, oder lag es vielleicht doch daran, dass die Wahlbeteiligung der Alten erheblich höher war als die der Jungen?

Nun braucht die Presse aber neue Schlagzeilen und da kam Ihnen der Kommissionspräsident Juncker gerade recht. Er verkündete zunächst, dass die Parlamente der EU-Mitglieder nicht in die Abstimmung über CETA einbezogen werden sollen. Doch bereits kurze Zeit später meldete Merkel sich zu dem Thema. Die Zeit(2) verkündete:

Merkel will Bundestag bei Ceta-Abkommen einbinden
„Der Bundestag soll sich nun doch mit Ceta befassen. EU-Kommissionschef Juncker war zunächst gegen das Einbeziehen nationaler Parlamente – denkt darüber aber nochmal nach.“

Ein wenig Vorsicht ist bei der Aussage der Merkel schon angebracht. Sie sagte: „Wir werden den Bundestag um Meinungsbildung bitten“.

Diese Aussage impliziert keineswegs, dass Merkel den Bundestag über CETA abstimmen lassen will, sondern lässt allenfalls die Option offen.

Was ich dazu meine, wenn „Jucker nochmal darüber nachdenkt“, ist leider nicht druckreif.

Besser ist, man wirft einen Blick auf die die Hintergründe und das dazu erforderliche Verfahren lt. Vertrag von Lissabon. Dazu muss man beim Thema Abstimmungen im Vertrag von Lissabon wissen, wann die EU alleine über politische Vorhaben abstimmt und wann die Parlamente der Mitgliedsländer eingebunden werden müssen. Wenn die Parlamente der EU-Mitgliedsländer eingebunden werden müssen, wird das als ein gemischtes Abkommen bezeichnet. Aber warum?

Auch wenn viele Leute das anders sehen, ist die EU kein Staat, sondern eine supranationale Einrichtung mit völkerrechtlichem Charakter. Vor dem Lissabonvertrag waren die Europäischen Gemeinschaften nichts anderes, als ein Bündnis von Staaten, die sich in bestimmten politischen Feldern zu einem gemeinsamen Handeln (besonders in den wirtschaftlichen Bereichen) verbunden hatten. Ich weiß nicht, ob die ursprünglich vorgesehene aber gescheiterte EU-Verfassung aus diesen Ländern einen Staatenbund „Vereinigte Staaten von Europa“ gemacht hätte, der völkerrechtlich den USA gleichgestellt gewesen wäre, doch das ist jetzt eher unwichtig, denn diese Verfassung wurde zum Glück abgelehnt, so wie auch mein damaliger Versuch, nach der Ratifizierung der EU-Verfassung durch den Bundestag die Regierung und die Abgeordneten zu verklagen (nach Artikel 20 GG Abs. 4).

Das heißt, der Status der EU hat sich nicht geändert. Sie ist nach wie vor lediglich eine supranationale Organisation und die Mitgliedsländer sind weiterhin autarke Nationen, die allerdings bereits etliche Hoheitsrechte an diese Organisation abgegeben haben. In der Folge muss bei politischen Vorhaben der EU (und TTIP und CETA sind solche EU-Vorhaben) eine Abwägung erfolgen, ob das Vorhaben in dem in den Ländern bestehenden Rechtssystem gravierende Änderungen bedingt. Ist das nicht der Fall (so wie die Krümmung der Gurken oder die Glühbirnen-Regelung), kann die EU alleine entscheiden. Andernfalls müssen die Mitgliedsstaaten durch den Rat darüber abstimmen, ob der EU die Entscheidungsgewalt alleine überlassen wird, oder ob die Parlamente der Mitgliedsländer eingebunden werden müssen und der Rat muss darüber abstimmen, ob er das Vorhaben der EU billigt oder ob die nationalen Parlamente darüber entscheiden müssen. Normalerweise erfolgen Beschlüsse des Rates mit qualifizierter Mehrheit, aber in besonderen Fällen kommt Art. 218 zur Anwendung und dann muss der Beschluss des Rates einstimmig erfolgen. Aber der Vertrag von Lissabon wurde ja nicht gemacht, um Vorhaben der Konzerne (das steckt wirklich hinter dem Terminus „Liberalisierung) zu stoppen, sondern soll entsprechende Hintertürchen offen lassen, um Vorhaben ganz oder zumindest teilweise auch gegen den Willen der Bevölkerungen durchzusetzen.

Artikel 218(4) des Vertrags über die Arbeitsweise Europäischen Union hat mit Absatz 5 ein solches Hintertürchen eingebaut. Die so genannte „vorläufige Anwendung“ würde CETA bis zum endgültigen Beschluss aktivieren und Klagen von Konzernen gegen die Staaten eine „Rechtsgrundlage nach CETA-Kriterien“ ermöglichen.

Man sollte sich auch darüber im Klaren sein, dass diese Verträge, sind sie erst einmal abgeschlossen, nicht einmal dann unwirksam werden, wenn ein Staat die EU verlässt, denn die Strukturen dieser Verträge werden dann in das staatliche Rechtssystem eingebunden und deren völkerrechtliche Struktur macht sie unkündbar. Sicher, auch die Charta der Menschenrechte hat eine völkerrechtliche Struktur und dennoch werden die Menschenrechte weltweit mit Füßen getreten. Aber die Menschenrechte sind immer gut als Argument, doch für die Praxis setzt sich von allen elitären Zirkeln niemand wirklich ein. Das ist bei diesen Verträgen anders. Einmal abgeschlossen, werden sie eisenhart durchgesetzt, notfalls auch militärisch.

Einstimmige Beschlussfassungen des Rates sind nicht die Regel, sondern werden nur bei Neuaufnahmen (neue EU-Mitglieder) oder bei anderen völkerrechtlich verbindlichen Verträgen erforderlich. Ansonsten gilt für Ratsbeschlüsse die Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit.

Gerüchten zufolge (ZEIT) hat Italien sich in dieser Frage auf die Seite der EU-Kommission gestellt und damit die geforderte Einstimmigkeit blockiert.

Wenn das zutrifft, tritt wieder die Rechtsnorm in Kraft, in welcher der Rat mit qualifizierter Mehrheit abstimmen muss. Käme bei einer solchen Abstimmung keine qualifizierte Mehrheit zustande (die noch verbliebene Möglichkeit der Mitglieder des Rates), gibt es zum Thema keinen Beschluss und damit wäre das Abkommen (CETA) vom Tisch.

Ich werte die Aussagen von Juncker und Merkel eigentlich nur als Beschwichtigungsversuche, weil die Sorge, auch andere Staaten der EU könnten dem Beispiel der Briten folgen, nicht völlig unbegründet ist.

Wenn Merkel nun sagt: „Wir werden den Bundestag um Meinungsbildung bitten“ bedeutet das nicht zwangsläufig, dass sie darüber auch abstimmen lassen will. Es kann auch nur der Sand sein, den sie den Wählern in die Augen streut. Doch selbst, wenn sie eine Abstimmung im Parlament und Bundesrat veranlassen würde, wäre das weniger als eine Meinungsbildung, denn dank Fraktionszwang findet die Meinung der Abgeordneten bei Abstimmungen im Bundestag keinen Widerhall. Man stimmt ab, wie die Parteispitze es will und sowohl Merkel als auch Gabriel haben oft genug geäußert, dass sie diese Abkommen wollen.

Befasst man sich mit diesen Abkommen, dann werden zumeist Nebensächlichkeiten angeführt, um den Vertrag in ein positives Licht zu stellen. Angeführt werden vor allem einheitliche Standards, doch dafür braucht man weder TTIP noch CETA und ob die Vereinheitlichung der Standards in jedem Falle wirklich von Nutzen ist, mag auch dahingestellt sein. Ein Beispiel. Autos werden heute punktuell auf die Wünsche des Käufers zusammengebaut und da soll es Schwierigkeiten geben, weil die USA andere Farben der Gläser für die Blinker fordert? Oder ob ein Werkstück hier mit 5 und dort mit 4 Schauben gefertigt wird? All diese Dinge werden doch in Serie gefertigt und da werden einfach die entsprechenden Bohrköpfe oder was auch immer ausgetauscht. dafür braucht man keine zusätzlichen Maschinen. Das alles ist nichts als Polemik, um den Blick auf Nebensächlichkeiten zu lenken, die vom eigentlichen Inhalt ablenken und das ist eindeutig ISDS. Man kann Staaten dann verklagen, wenn sie Standards hat, die den Konzernen nicht passen, z. B. der Schutz vor Privatisierung. Wenn z. B. die EU Standards hat, die die Privatisierung von Wasser verbietet, kann der Konzern (z. B. Nestle) dagegen klagen, weil dieses Verbot ein Handelshemmnis ist. Man findet im Netz einiges darüber, wie Nestle in der Vergangenheit bzgl. der Wasserrechte agiert hat. Auch die Unumkehrbarkeit von Privatisierungen ist Bestandteil der Verträge. Der Mensch wird dann zum Sklaven der Konzerne, denn aus diesen Verträgen erzielt er keinerlei Nutzen.

Richtig ist, dass Deutschland der Erfinder solcher Verträge war. Sie haben sie mit „unsicheren Staaten“ abgeschlossen, um die Investitionen der Konzerne zu schützen. Tatsächlich hat man damit Drittweltstaaten über den Tisch gezogen, die moderne Form der Kolonisierung und die Kolonialherren sind längst keine Staaten mehr, sondern multinationale Konzerne, deren Gier beständig wächst.

Oft wird von den „sozial Schwachen“ schwadroniert. Doch woran macht man die „soziale Schwäche“ eigentlich fest? An den Lebensumständen? Das ist falsch, denn soziale Schwäche ist eine Geisteshaltung und damit bei den so genannten Eliten angesiedelt, die alles daran setzen, soziale Grundstrukturen zu unterlaufen. TTIP und CETA sind Vorhaben, diese soziale Schwäche der Eliten zu verfestigen. Nehmen Sie als Beispiel die Tafeln. Fast alle sehen in den Tafeln Werkzeuge, die Not zu lindern, doch sie dienen in Wirklichkeit dazu, Aufstände zu unterbinden. Sie sind ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert, als man das Gleiche in Form von Suppenküchen praktizierte. Aber Not entsteht immer nur auf Basis ungleicher Verteilung, die die Eliten zu verantworten haben. Gewissenlosigkeit und Gier sind soziale Schwächen und alle Intelligenz nutzt da nichts, sie sind dennoch die wirklich Primitiven.

Campact (3) hat zu dem Thema eine Unterschriftenkampagne gestartet. Normalerweise halte ich nicht besonders viel von solchen Aktionen, habe jedoch dieses Mal ebenfalls unterschrieben. Schließlich sind im nächsten Jahr Wahlen und damit hat die Zeit, in der Abgeordnete, aber auch die Mitglieder der Regierung was dafür tun müssen, ihre Pfründe zu sichern und die Ablehnung von CETA und TTIP seitens vieler Bürger könnte dazu führen, dass einige Abgeordnete vielleicht doch zwischen Diäten und Fraktionszwang abwägen und eine eigene Meinung entgegen dem Fraktionszwang äußern. Man soll ja die Hoffnung nie aufgeben.

Eigentlich kann es mir egal sein, denn in meinem Alter tangiert mich das nicht mehr wirklich. Ich schreibe das als Mahnung an die Jugend, endlich mal in die Puschen zu kommen. Ihr jedoch attackiert lediglich die Alten, die Euch einen Berg Schulden hinterlassen, die Schuld sind, dass Eure Renten nicht mehr ausreichen werden und noch so manches mehr.

Euch sei gesagt, die heute Alten waren auch mal jung, aber sie hatten nicht mal 20% Eurer Möglichkeiten. Sie hatten nicht die Informationsbasis, die Euch heute zur Verfügung steht. Sie hatten kein Handy, kein Internet und damit auch nicht die Informationsmöglichkeiten, die Ihr heute habt, sie haben länger gearbeitet als Ihr und manche von den Alten strampeln sich auch heute noch ab, politische Entscheidungen zu analysieren, um Euch über das Netz zu informieren. Nicht die Alten ruinieren Eure Zukunft, sondern die Politik und vor allem die EU, denn der Terminus „liberal“ im Neusprech bedeutet in Wahrheit eine Umverteilung von unten nach oben. Ihr seid nun gefragt! Wehrt Euch gegen das Diktat der Politik. Es waren und sind Politiker, die den Schuldenberg aufgebaut haben und weiterhin aufbauen. Es sind Politiker, die Rentensysteme zerstören, weil sie seitens der WTO gedrängt werden, alle sozialen Systeme zu privatisieren. Macht Euch klar, dass die Privaten nichts besser machen werden, denn etwas besser zu machen, schmälert die Profite und dagegen sind die Privaten allergisch. Ihr habt noch die Kraft, in Demonstrationen auch über Stunden mitzulaufen, die Alten nicht mehr.

CETA oder TTIP, die EU und die regierenden Parteien ruinieren Eure Zukunft, nicht die Alten. Es liegt an Euch, Euch zu wehren und den Parteien, der EU und vor allem der Wirtschaft ihre Grenzen aufzuzeigen. Es ist inzwischen ein abgedroschener Spruch, aber Ihr seid das Volk.

Fußnoten

(1) Es waren nicht „die Briten“, es waren die Alten Frankfurter Rundschau
(2) Merkel will Bundestag bei Ceta-Abkommen einbinden ZEIT
(3) CETA und TTIP: Keine Entmachtung des Bundestags! Campact
(4) vorläufige Anwendung von Verträgen (Abs.5) Artikel 218

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