Bundesverfassungsgericht beschädigt Interessen des Finanzkapitals: das ist nicht schlecht, aber noch nicht gut

Conrad Schuhler (isw)

Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gegen die Europäische Zentralbank (EZB) bringt die staatstragenden Medien Deutschlands in Rage. Das BVerfG hat das Anleiheprogramm der EZB (PSPP) für in Teilen verfassungswidrig erklärt. Die EZB habe sich bei ihren Käufen von Staatsanleihen nicht am Prinzip der Verhältnismäßigkeit orientiert. Sie habe, sagt Karlsruhe, nur das Ziel einer Inflation von 2% im Auge gehabt. Aber nicht „ökonomische und soziale Auswirkungen auf nahezu alle Bürgerinnen und Bürger“ bedacht, die „als Aktionäre, Mieter, Eigentümer von Immobilien, Sparer und Versicherungsnehmer jedenfalls mittelbar betroffen sind“. Das Urteil, wertet der Spiegel unisono mit Handelsblatt und Süddeutscher Zeitung, sei „weltfremd und anmaßend“, es handle sich um ein „Attentat auf Europa“.

Was entfacht den Zorn der Medien so außerordentlich? Dem Karlsruher Urteil ist zwar zuzustimmen, dass das EZB-Programm ein ökonomischer und sozialer Skandal ist, was die Auswirkungen auf die große Masse der Gesellschaft anlangt. Das Programm sieht den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB in Höhe von 60 Milliarden Euro pro Monat vor. Die Staaten können sich diese Kredite aber nicht direkt bei der EZB besorgen, sondern sie müssen sie sich auf dem „Sekundärmarkt“ beschaffen. Auf deutsch: Sie müssen sogenannte Transaktionskosten bei den Banken bezahlen. Bei 720 Milliarden Euro pro Jahr sind das bei 0,5 bis 1% Transaktionskosten bis zu 7,2 Milliarden Euro, die die Banken kassieren. Fast so viel wie die Lufthansa jetzt gerne als Einmalpaket vom Staat erhalten will, streichen die Banken jedes Jahr unter dem Vorwand der Staatsfinanzierung mit dem PSPP ein.

Das ist der eine Skandal, den die Verfassungsrichter natürlich nicht im Blick hatten. Der zweite liegt in der Nullzinspolitik der EZB. Die Zinsen nahe an die Null zu treiben, ist eine fundamentale Politik für die Vermögenden. Der Kapitalwert eines Vermögensobjekts bestimmt sich nach dem Jahreserlös des Objekts geteilt durch den Zins. Ein Haus, das pro Jahr einen Mieterlös von einer Million Euro abwirft, hat bei einem Kalkulationszins von 1% (=1/100) einen Kapitalwert von 100 Millionen (1.000.000 mal 100). Bei einem Kalkulationszins von 2% halbiert sich der Vermögenswert, bei 5% landen wir schon bei einem Fünftel des Werts. Es kann den Besitzenden also nichts Besseres passieren als eine „Nullzins-Politik“ des Staates und der Zentralbank. Beides zusammen, die ständige Geldzufuhr durch die EZB-Anleihekäufe sowie die Nullzins-Strategie haben dafür gesorgt, dass die Wertpapiere und die Immobilien mitsamt der Mieten um ein Vielfaches gestiegen sind, während die Wirtschaft stagnierte und die Armut wuchs.

Das alles ist verheerend, und die EZB ist ein wichtiges Instrument für die Durchsetzung dieser Politik. Davon aber hat das BVerfG mit keinem Wort gesprochen. Und auch die Kritik der Medien hat das keineswegs im Sinn, wenn sie sich nun so außerordentlich aufregen muss über diese Dilettanten in Karlsruhe. Das Motiv der staatstragendenden Medien, der Grund für die Anklage „Attentat auf Europa“ liegt in der Sorge, dass das neue Anleiheprogramm der EZB durch das Karlsruher Urteil bei vielen Menschen in Misskredit gerät. Karlsruhe hat gesagt, EZB-Programme müssen den deutschen Interessen entsprechen. Das, so die Befürchtung, wird den Widerstand der Südeuropäer gegen Kreditpakete anfachen, die schon einmal für den sozio-ökonomischen Rückwärtsgang für diese Länder gesorgt haben. Coronabonds, die gemeinsame Haftung aller Euro-Länder und damit ein gemeinsamer Niedrigzins für alle Teilnehmer, wäre für die Länder des Südens eine bessere Lösung.

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