Buchbesprechung: „Wir begehren nicht auf!“

Buchbesprechung: Heiner Hannappel, Wir begehrten nicht auf!

von Michael Obergfell (fortunanetz)

Heiner Hannappel versteht sich als „einfacher Bürger“. Als er in Rente ging, erforschte er neugierig jene Welt, die ihm zeitbedingt während der aktiven Jahre verschlossen blieb. Vor allem die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, sowie die nachfolgende Staatsschulden- und Eurokrise haben ihn erschüttert. Als Familienvater und Großvater sorgt er sich um die Zukunft seiner Kinder und Kindeskinder, um die Zukunft des Landes in dem er lebt und das er liebt. Manchmal sorgt er sich auch um seine eigene Zukunft als Rentner, denn 70 Jahre ist heute noch kein hohes Alter und es könnte gut sein, dass er die Folgen der Krise noch erlebt, die er in seinem Buch so akribisch beschreibt.

In den letzten Jahren recherchierte er im Internet und befragte Experten, die sich oft schon jahrelang ebenfalls mit dieser Materie beschäftigen. Er suchte nach Informationen und stellte sie zusammen, anfänglich in kleineren Artikeln, dann in einem Buch, dessen zweite und verbesserte Auflage nun vorliegt.

Im Jahr 1914, nach den Schüssen von Sarajevo, hörten die Leute nicht hin. Sie glaubten, alles sei harmlos. Viele glaubten an einen „kurzen Krieg“ und genossen einen damals einmaligen Jahrhundertsommer. Aber es kam, wie wir wissen, alles anders… 1929 wiederholte sich dieses Muster. Zuerst waren es nur Aktienverluste an der Börse, was im Wesentlichen bei den großen Investoren lange Gesichter erzeugte. Die damalige US-Regierung war der Meinung, dass Banken, Firmen und landwirtschaftliche Betriebe, die überschuldet waren, ruhig auch mal in Konkurs gehen könnten. Leider kam es auch da anders – wiederum zeitverzögert. Die gesamte Weltwirtschaft wurde in den Strudel der Großen Depression gerissen, die uns noch heute mit ihren schrecklichen Auswirkungen in Erinnerung geblieben ist. Und Heiner Hannappel stellte fest: Auch heute wehren sich die Leute nicht. Lieber möchten sie, dass die Party einfach weiter geht. Sie laufen sehenden Auges auf einen Abgrund zu und wollen dies nicht wahrhaben. Und aus diesem Grund heißt sein Buch: „Wir begehrten nicht auf!“ Womöglich wiederholt sich Geschichte ja?

Sein Buch ist auf sympathische Art anders als viele Bücher, die ich bisher gelesen habe. Schon zu Anfang wird man anstatt mit Daten und Fakten mit einem guten Gedicht empfangen, einem Gedicht über Europa wie er es sieht. Und diesem Gedicht folgen 10 Kapitel, in denen er die Aspekte der Krise zu erfassen und darzustellen sucht. Hierbei wird im ersten Kapitel die Historie der aktuellen Krise beleuchtet, gefolgt von einer Analyse der Tätigkeit der Banken, der Politik und der EU, sowie des Zusammenspiels all dieser Spieler, die die Krise verursacht, aber bis heute nicht gelöst, sondern die Lösung nur hinausgeschoben haben.

Der Leser wird wechselweise verwöhnt mit kleinen Gedichten, messerscharfen Analysen, sowie unterhalten mit Essays und Leserbriefen, die einzelne Aspekte der Krise herausgreifen, so wie sie dem Autor im Laufe der letzten Jahre jeweils aufgefallen sind. Er legt damit auch seine Denkwege und Erfahrungen für den Leser offen und nimmt ihn mit auf die eigene geistige Reise.

Auch der historisch interessierte Leser kommt dabei ab dem Kapitel 5 voll auf seine Kosten. Dort dokumentiert der Autor in leicht verständlicher und erzählerischer Form, dass die Kämpfe in Europa, der Egoismus und die Konkurrenz vieler Staaten gegen ein zu starkes Deutschland ein altes Thema sind und bis heute anhalten. Diese alte innere Verfassung Europas ist nicht nur eine Ursache für die mangelnde politische europäische Einheit bis heute, sie ist auch eine Ursache für die Fehlkonstruktion des Euro. Dass dem so ist, zeigt er an verschiedenen Beispielen aus der jüngsten Vergangenheit. So kommt in dem Buch der Rücktritt Horst Köhlers ebenso zur Sprache wie die Affäre Wulff, in der erstmalig in der Geschichte der BRD ein Bundespräsident wegen 700 Euro fraglicher Zahlungen von Freunden aus dem Amt gemobbt wurde. Die mutmaßlichen Hintergründe zeigt der Autor in ausführlicher Diskussion auf.

Weiterhin stellt der Autor aus seiner Sicht eine Chronologie der Ereignisse auf, die wir heute als Eurokrise kennen. Dadurch gewinnt der Leser einen guten Überblick über den Krisenverlauf. In diese Chronologie eingearbeitet sind sehr schöne Ausarbeitungen der geradezu absurden Euro-Rettungspolitik. Der Leser bekommt also nicht nur einen Eindruck über größere historische Hintergründe, sondern auch über die zum Teil wirklich bizarren Maßnahmen zur Rettung des Euro. Dabei ist der Autor sehr kenntnisreich und hat wirklich ungemein viel Material gesammelt, gesichtet und geordnet. Für jeden der sich mit diesem Thema beschäftigen will ist dieser Text vermutlich des öfteren elektrisierend. Für die meisten Leser ist gerade die Chronologie ein kleines Kompendium, gespickt mit überraschenden und vermutlich unbekannten Details.

In der Summe hält der Autor die vertrackte ökonomische Lage Westeuropas wie auch die der USA auf absehbare Zeit für unlösbar. Vielmehr rechnet er damit, dass speziell im Falle des Euro eine mögliche Währungsreform zuungunsten des Bürgers anstehen könnte, da bis heute kein klarer Plan existiert, die aufgetürmten Probleme in sinnvoller Weise zu lösen. Und aus diesem Grund endet das Buch mit Gedanken darüber, wie sich der Einzelne auf das möglicherweise Unabwendbare einstellen könnte. Naturgemäß sind diese Überlegungen im Großen und Ganzen eher allgemein gehalten, können aber durchaus als Handreichung für erste Schritte dienen. Ein solcher Ansatz, das Buch zu beenden ist sehr positiv, unterstreicht es doch die Meinung des Autors nachdrücklich, dass wir uns gegebenenfalls auf das Schlimmste werden einrichten müssen. Und auf diese Weise nimmt er seine Leser nicht nur auf unterhaltsame Weise mit auf die Reise durch die Krise, er weist auch auf die Notwendigkeit konkreter Schritte hin, die aber jeder Einzelne selbst in die Wege leiten muss und auch kann.

In der Summe ist das Buch „Wir begehrten nicht auf!“ leicht und flüssig zu lesen, lehrreich und informativ, geschrieben von einem Bürger für Bürger,

meint

Michael Obergfell

Wer möchte, kann es hier bestellen!

Heiner Hannapel, Wir begehrten nicht auf!
Sprache: Deutsch
ISBN: 9783844293500

 

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