Brisante Russland-Dokumente veröffentlicht – wenige schauen hin

Fein recherchiert und vielen Dank an

Ramona Wakil (infosperber)

Unter Bill Clinton hatten die USA in den russischen Wahlkampf eingegriffen. Nato-Osterweiterung und Putin waren Gesprächsthema.

Red. Ramona Wakil, 19, studiert Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bern.

Bisher als «geheim» eingestufte Transkripte von Gesprächen zwischen den Präsidenten Bill Clinton und Boris Jelzin aus den Jahren 1996 bis 1999 hat die «Clinton Presidential Library» dieses Jahr der Öffentlichkeit freigegeben. Sie zeigen dass

  • Boris Jelzin die USA vor einer Osterweiterung der Nato warnte;
  • die USA sich in den Wahlkampf in Russland einmischten;
  • Boris Jelzin als seinen Nachfolger Waldimir Putin wärmstens empfahl.

Solche Dokumente mit Originalgesprächen erlauben einen seltenen Einblick in den wirklichen Ablauf von Ereignissen. Häufig werden die wahren Absichten durch die öffentlichen Verlautbarungen, durch Ablenkungsmanöver und Geheimhaltung verschleiert und verfälscht.

«Spektakulär genug»

Umso mehr müssten grosse Medien die Öffentlichkeit über den Inhalt solcher Originaldokumente ausgiebig informieren.

Gemäss Mediendatenbank informierte unter den Schweizer Zeitungen lediglich der «Bund» und der «Tages-Anzeiger» über die 74 Ausschnitte von Gesprächen zwischen Jelzin und Clinton. In Deutschland schrieb der «Spiegel»: «Die Dialoge zeigen den freundschaftlichen Umgang der beiden. Aber auch, wie sie, manchmal fast flapsig, manchmal hart, um die Neuordnung der Welt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gerungen haben … Clinton und Jelzin trafen sich während der gemeinsamen Regierungszeit zwischen 1993 und 1999 insgesamt 18-mal, sie telefonierten regelmässig, manchmal täglich, dazu kommen Briefe. Vieles davon bleibt geheim. Doch das vorliegende Material ist spektakulär genug.»

«Bund» und «Tages-Anzeiger» schrieben im Untertitel: «Neu veröffentlichte Gesprächsprotokolle zeigen, wie US-Präsident Bill Clinton alles darangesetzt hat, seinen Freund Boris Jelzin im Kreml zu halten. Und sich dabei nicht um die Zukunft der jungen russischen Demokratie scherte.»

Alle 74 Gesprächsausschnitte sind auf der Webseite der Clinton Library nachzulesen. Im Folgenden einige auf deutsch übersetzte Passagen.

Geld für den Wahlkampf

• 7. Mai 1996 Telefongespräch

Es wird über Geld gesprochen. Jelzin braucht finanzielle Unterstützung beim Wahlkampf. Ansonsten droht ihm die Niederlage gegen den kommunistischen Kandidaten Gennadi Sjuganow. Im Juli gewinnt Jelzin zur Überraschung Russlands und der ganzen Welt die Präsidentschaftswahlen. Mehr muss man dazu wohl auch nicht sagen. Die Geldnot wurde geregelt.

Präsident Jelzin: (…) Ich habe noch eine weitere Frage, Bill. Bitte versteh mich richtig. Bill, es geht um den Wahlkampf. Ich brauche dringend einen Kredit von 2.5 Milliarden US-Dollar.

Präsident Clinton: Kann ich Dir eine Frage stellen: Habe ich Dir nicht bereits geholfen, als der Pariser Club Russlands Verpflichtungen umgeschuldet hat? Ich habe gedacht, so seien einige Milliarden Dollar nach Russland geflossen.

Jelzin: Nein. Das kommt in der zweiten Hälfte des Jahres. In der ersten Hälfte des Jahres werden wir, aufgrund der aufgestellten Bedingungen des IMF, lediglich 300 Millionen US-Dollar erhalten. Weisst Du, als Mr. Camdessus hier war, habe ich mit ihm darüber gesprochen. Aber er sagte 300 Millionen US-Dollar in der ersten Hälfe und 1 Milliarde in der zweiten Hälfte. Falls dieses Problem nicht gelöst wird, wird es sehr schwer für mich, den Wahlkampf zu führen, da Renten und Löhne anfallen. (…)

Clinton: Ich werde mir die Möglichkeiten mit der IMF und einiger unserer Freunde anschauen und sehen, was ich tun kann. Ich denke, dass ist die einzige Art, wie wir das lösen können, aber lass mich das abklären. Ich habe gedacht, Du würdest die 1 Milliarde US-Dollar vor dem Wahlkampf von der IMF erhalten.

Jelzin: Nein, nein, nur 300 Millionen US-Dollar.

Clinton: Ich werde das überprüfen.

Jelzin: Okay.





«Nato-Erweiterung wäre ein Regelverstoss»

• 21. März 1997 Meeting in Helsinki

Präsident Jelzin möchte sich bezüglich der NATO äussern. Er hält daran fest, dass die NATO Osterweiterung eine nicht zu duldende Aktion für Russland wäre. Viel konnte er aber nicht bewirken.

Präsident Jelzin: (…) Unsere Position hat sich nicht geändert. Wir halten daran fest, dass die NATO Osterweiterung ein Regelverstoss wäre. (…)

Noch ein wichtiger Punkt: Die Erweiterung sollte ebenfalls nicht für die ehemalig sowjetischen Länder in Frage kommen. Ich kann eine Vereinbarung ohne solch eine Haltung nicht unterschreiben. Das gilt vor allem für die Ukraine. (…)

Ich schlage vor, dass wir im Statement festhalten, dass Russland keine Ansprüche auf weitere Länder hat. Vielmehr sollten wir aufgrund der ehemalig sowjetischen Länder eine mündliche «Gentlemen Vereinbarung» treffen, (wir würden es im Statement nicht niederschreiben). Kein ehemalig sowjetisches Land sollte in die NATO aufgenommen werden.

Präsident Clinton: Lass mich mit Folgendem beginnen. Ich akzeptiere das neue Russland, welches kein Interesse hat, andere Länder zu übernehmen. An unserem letzten Treffen habe ich Dir gesagt, ich würde versuchen, eine neue NATO aufzubauen, welches keine Gefahr für Russland darstellen würde, sondern es den USA und Kanada ermöglicht, in Europa zu bleiben und mit Russland und anderen Ländern daran zu arbeiten, ein vereintes und offenes Europa zu erschaffen. Es wäre bereit, sich um andere Probleme zu kümmern. (…)

Wenn wir aber vereinbaren, keine ehemalig sowjetischen Länder in die NATO aufzunehmen, wäre das sowohl für den Versuch, eine neue NATO aufzubauen, als auch für den Versuch, ein neues Russland aufzubauen, schlecht. Ich bin nicht naiv. Ich kann Dein Interesse, wer wann in die NATO eintritt, nachvollziehen. (…)

Aber vergiss nicht in Betracht zu ziehen, was für eine schreckliche Botschaft es wäre, wenn wir solch eine Art eines vermeintlichen geheimen Deals vereinbaren würden. Erstens gibt es auf dieser Welt keine Geheimnisse. Zweitens wäre die Botschaft «wir sind immer noch gegen Russland organisiert — aber es gibt eine Linie, die wir nicht überschreiten werden». (…)

Jelzin: Die Duma wird zwei Entscheidungen treffen. Erst wird es dem Dokument zustimmen, dann werden Bedingungen angefügt. Falls die NATO auch nur ein ehemalig sowjetisches Land aufnimmt, wird Russland aus der Vereinbarung austreten und sie als belanglos betrachten. Das wird passieren, wenn Du mir heute nicht bestätigst, dass Ihr keine neuen Länder aufnehmen werdet; ich muss, das von Dir hören. Ich verstehe, dass sich die Situation vielleicht in 10 Jahren verändern wird. Heute tut sie es aber nicht. Vielleicht wird es eine Entwicklung diesbezüglich geben. Aber ich brauche diese Zusicherung. Es darf in naher Zukunft nicht dazu kommen. (…)

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Jelzin empfiehlt Wladimir Putin als seinen Nachfolger

• 8. September 1999, Telefongespräch

Jelzin gibt seinem Amtskollegen Clinton Ratschläge für dessen baldiges Treffen mit Putin: «Ich recherchierte seinen Lebenslauf, seine Interessen, seine Freunde usw. … Ich bin sicher, dass Du in Putin einem qualifizierten Partner begegnest.» Quelle: Clinton Presidential Library.

Transkript eines Gesprächs. Jelzin empfiehlt Putin als seinen Nachfolger: «Er ist ein Demokrat und kennt den Westen … Er hat die Energie und ist schlau genug, um Erfolg zu haben.» Quelle: Clinton Presidential Library.

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Brisante Russland-Dokumente veröffentlicht – wenige schauen hin
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5 Kommentare

  1. Lieber Jürgen,

    ich komme gerade von meiner Nachbarin Anne, wo die Anne vom Staatsrundfunk auch schon mal läuft. Wir haben herzhaft gelacht!

    AKK = Angie 2.0 (nichtssagend, nur Worthülsen)

    Und der Scharfmacher (zutreffende Bezeichnung) erinnert mich an den Atlantiker C.K. Wusste gar nicht, dass der einen Bruder hat.

    • Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, Generalsekretärin und Kandidatin für den Parteivorsitz)
    • Katarina Barley (SPD, Bundesjustizministerin und Spitzenkandidatin für die Europawahl)
    • Dietmar Bartsch (Die Linke, Fraktionsvorsitzender im Bundestag)
    • Herfried Münkler (Politikwissenschaftler und Autor)
    • Christoph von Marschall (Diplomatischer Korrespondent der "Tagesspiegel"-Chefredaktion)

     

    Der letztgenannte mimt den Scharfmacher …

  2. Dafür wird immer noch kräftig Rußland bashing betrieben:

    "Eskalation im Ukraine-Konflikt – Wie umgehen mit Präsident Putin?"

    Anne will nicht nachlassen …

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