Besinnliches zum Tag des Mauerfalls

von Heinz Sauren (freigeistblog)

Der 9. November ist ein Schicksalstag der deutschen Geschichte. Kein anderer Tag markiert die wechselvolle Geschichte der letzten hundert Jahre, wie dieser. Es war der 9. November 1918, an dem Philipp Scheidemann die Republik ausrief, die Geburtsstunde der Weimarer Republik und der Demokratie in Deutschland. Am 9. November 1923 putschte Hitler in München.

Auch wenn dieser Putsch erfolglos war, begründete er doch Hitlers politischen Anspruch, dessen ideologischer Inhalt dann am 9. November 1938, in der Reichskristallnacht oder politisch korrekter Reichsprogomnacht, letztlich öffentlich offenbar wurde. Drei 9. November fanden ihren Weg in die Geschichtsbücher. Jedes 9 November Ereignis begründete einen Feiertag, und verschwand mit dem nachfolgenden 9. November-Ereignis aus dem Fokus der Öffentlichkeit. So gingen die 9. November 1918, 1923 und 1938 dem öffentlichen Bewußtsein, an ihren Gedenktagen im Jahr 1989 verloren, obwohl zumindest der des Jahres 1918, der von mindest gleichrangiger Bedeutung ist. In den Schatten gestellt vom jüngsten Großereignis der deutschen Geschichte, dem Mauerfall.

Der Mauerfall war die Konsequenz des nach 1953, zweiten Volksaufstandes in der DDR und die direkte Folge einer Kommunikationspanne des Politbüros der SED. Den Mauerfall an diesem 9. November ermöglichten weder die Oppositionellen der DDR noch die Menschenmassen einer Demonstration, sondern ein falsch informiertes Mitglied des Politbüros der SED, das die Maueröffnung auf einer Pressekonferenz irrtümlicher Weise verkündete und dadurch so viele Menschen an die Grenzübergangsstellen lockte, das ein Oberst Leutnant der Grenztruppen damit völlig überforderte war und keine andere Möglichkeit mehr sah, als den Schlagbaum zu öffnen. Es war keine Kapitulation der DDR vor ihren Oppositionellen, sondern eine peinliche, aus heutiger Sicht historische Verkettung unvorhersehbarer Umstände.

Der Mauerfall wäre als grenzpolitisches Malheur, eine makabere Anekdote der Geschichte geworden, wenn wie beim ersten Volksaufstand in der DDR 1953, die sowjetische Armee eingegriffen hätte. Doch sie tat es nicht, weder mittels Weisungen noch durch den Einsatz von Truppen. So kapitulierten die weisungsgewohnten DDR-Grenztruppen in dieser Nacht an ihrem Befehlsvakuum. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, der offenen Grenze, innerhalb weniger Stunden in Berlin und die Menschen strömten zu den Grenzübergängen, die Tausende ungehindert überquerten. Der 9. November 1989 war nicht der Tag der Wiedervereinigung, aber er wurde zum Symbol für sie.

Es ist ein Tag der Freude, da er das Ende der unnatürlichen Spaltung innerhalb eines Volkes symbolisierte und das Gedenken an ihn wird mit Freude begangen, weil er für viele Menschen die Befreiung aus ihrem persönlich erlebten Unrecht bedeutet. Dem Ende des Leids und des Todes, den die Mauer vielen brachte wird gemeinsam mit dem Unrecht und der Willkür der DDR an ihren Bürgern gedacht.

Keine Zeitung, kein Fernsehsender und kein Politiker versäumt es in diesen Tagen, seine Freude über die Wiedervereinigung und sein Mitgefühl für die damals unterdrückten zu bekunden. Die Freude ist politisch verordnet und blendet aus, das es auch Verlierer der Wiedervereinigung gab. Noch überwiegt die Zahlderer, die zumindest gefühlt von ihr profitieren. Die wenigen, die ihre kritischen Stimmen erheben sind noch unerwünscht. Kritik vor dem Hintergrund dieser völkischen Großtat wird von den gesellschaftlichen Antreibern der Jubelfraktion als blasphemische Verunglimpfung der Volksseele gebrandmarkt.
Doch 25 Jahre nach dem Mauerfall ist der Blick vieler Bürger, nicht mehr uneingeschränkt emotional verklärt und die Sicht wird frei, auf das, was der Mauerfall in seiner Konsequenz der Wiedervereinigung auch noch brachte.

Unbestritten wäre das Leben vieler, wie sie es heute führen, ohne den Mauerfall nicht denkbar. Ohne Zweifel hat die Wiedervereinigung ein Regime stalinistischer Betonköpfe und deren verbohrte Ideologie, gepaart mit einem Polizeistaat in deutschester Gründlichkeit, hinweggefegt und viele von ihrer Unterdrückung befreit.

Zwei Dekaden danach darf aber auch festgestellt werden, dass jene, denen die Wiedervereinigung im Grunde geschuldet ist, nicht jene waren, die sie wollten. Die berühmten Montags-Demonstrationen zu denen ein Volk seine Stimme erhob, die kurzfristig die Anarchie in der DDR brachten und die all ihre Teilnehmer nach geltendem Recht zu Terroristen machten, waren das eigentliche Wunder, die wirkliche geschichtliche Großtat. Der Ruf dieser Zeit war: „Wir sind das Volk.“

Der 9. November ist der Tag der Anarchisten, der Aufrührer und der Volksverhetzer, denn das waren die Demonstranten damals im Sinne des geltenden DDR Rechts und als solche sollten sie geehrt werden. Das sind die wahren Ehrentitel der Geschichte und ein wenig dieser Anarchie stünde dem deutschen Volk auch heute gut zu Gesicht.

Das Volk der DDR erhob sich gegen sein Regime, das es ersetzen wollte, aber es forderte nicht die Einheit. Der Gedanke der Einheit wurde in Bonn geboren. Herr Kohl als gelernter Historiker sah eine Hintertür aus seiner verkorksten Kanzlerschaft und tauschte die absehbar kommende Bundestags-Wahlniederlage gegen einen Eintrag ins Geschichtsbuch. Als die Mauer fiel, stürmten die Menschen ein menschenverachteter Bauwerk, welches sie einsperrte, als Beweis ihrer gewünschten Freiheit und man musste die Geschichtsbücher schon selber schreiben, um darin später darin lesen zu können, dass dies ein völkerrechtlicher Wiedervereinigungswille war.

Der Wille zur Einheit kam auf, als die Bundesregierung jeden DDR Bürger mit Begrüßungsgeld lockte und die DM für alle versprach. Dies mündete in einem zur Einheit angepriesenen völlig unrealistischen Umtauschkurs von Ost zur West Mark. Der Mauerfall war das Symbol der Freiheit, welches durch die DM als Symbol der Einheit korumpiert wurde. Die DDR wurde mit einem Blanko-Scheck gekauft. Völkerrechtlich lassen sich die Ereignisse von damals nicht als Wiedervereinigung beschreiben, sondern waren die bedingungslose Kapitulation der DDR vor der Wirtschaftsmacht der BRD. Es folgte auch kein Zusammenschluss zweier Staaten, wie das Wort Wiedervereinigung vermuten lassen würde und die eine verfassungsrechtliche Grundlage zu einem vereinten Deutschland hätte bilden können, sondern die Selbstauflösung der DDR mit anschließender völliger Assimilation durch die BRD.
Deutlich wird das auch durch den zwingenden Auftrag im Grundgesetz, dem Volk im Falle einer Wiedervereinigung eine neue Verfassung zu geben, der durch die Benennung als Beitritt und nicht als Verneinung, eine Wiedervereinigung ausschließt. Seitens der Bundesregierung somit das deutsche Volk somit um eine freibestimmte Verfassung betrogen, die, so war die Angst der Regierung Kohl, ja auch von den DDR Bürgern mitbestimmt worden wäre.
Weder das Völkerrecht noch der Wille eines Volkes führten zur Wiedervereinigung, da sich keine Staaten vereinigten, sondern ein Staat von einem anderen geschluckt wurde, mit der Folge, dass der eine verschwand, während der andere größer wurde. Eine Vereinigung sieht anders aus.
Heute, 25 Jahre und viele Billionen Euro Hilfszahlungen später ist es wieder das Geld, das die Gewinner und Verlierer der Einheit bestimmt. Viele erinnern sich noch an die große Einheits-Lüge des ebenso großen Einheits-Kanzlers, dass die Einheit niemanden auch nur einen Pfennig kosten und in wenigen Jahren zu blühenden Landschaften führen werde.
Doch die Einheit führte zur Treuhand, dem wohl fatalsten Wirtschaftskonstrukt, welches in diesem Lande je erdacht wurde. Eine gesamte Volkswirtschaft wurde nach einer Art Auktionsregelwerk meistbietend verhökert. Frei nach dem Motto: “Alles muss raus.” Leider hatte dieser scheinbar geniale Entwurf der staatlichen Ausbeutung nach den Regeln des Raubtierkapitalismus niemanden erdacht, der seinerseits die Treuhand kontrollieren konnte oder auch nur wollte. Während die Filetstücke der ehemals “Volkseigenen Betriebe” und Immobilien innerhalb eines handverlesenen Kreises in AG`s umgewandelte wurden, zu Kursen und Bedingungen, die auch dem gierigsten Erz-Kapitalisten die Schamesröte ins Gesicht trieb, wurde der größte Teil nach westlichem Standards für Ramsch befunden und mit Bausch und Bogen abgewickelt.

Unzählige Existenzen wurden, ohne mit der Wimper zu zucken, vernichtet und ein ganzes Volk für dumm und rückständig erklärt. Nur die Rechtsbeugung der Ausserkraftsetzung beinahe aller Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten, konnte die Bundesregierung in den 90er Jahren eine gewaltige Flut von zivil- und strafrechtlichen Klagen gegeben sich abwenden. Die Einheit war auch, dass die Bundesrepublik, angeführt von ihrer Regierung, in Goldgräberstimmung nach Gottkönig-Manier durch den “wilden Osten” zog und jedes eigene, rechtliche oder wirtschaftliche Fehlverhalten mit strafbefreienden Gesetzeskorrekturen legitimierte. Es war die mittelalterliche Plünderung des Besiegten mit modernen Methoden unter einem Namen, der zum Synonym für Existenzen vernichtendes Missmanagement wurde. Die Treuhand als Betriebsleiterin der wirtschaftlichen Umsetzung der Einheit.

Die Einheit war der Grund für den ersten großen Sozialabbau in diesem Land. Sie kostete Billionen Euro, eine Summe die sich weiterhin erhöht, da voraussichtlich noch bis 2019 Monat für Monat Milliarden in die neuen Bundesländer transferiert werden. Sie war auch der Grund für die Zwangseinführung des Euro. Ohne das Versprechen seiner Einführung hätten Großbritannien und Frankreich, ihre damals als Siegermächte notwendige Zustimmung verweigert. Eine Folge der Einheit ist heute auch, dass verarmte westdeutsche Kommunen Kredite aufnehmen müssen, deren Zinsen sie nicht zahlen können, um schuldenfreien und wohlhabenden ostdeutschen Kommunen, Geld zu überweisen, obwohl diese zwischenzeitlich über Infrastrukturen verfügen, die manche westdeutsche Großstadt bräuchte, aber nicht hat, da ihre aufgrund des Geldmangels zusammengebrochen ist.

Der Gedenktag des Mauerfalls ist auch ein Gedenken an die immer noch vorhandene Teilung, zwischen Ost und West. Ein Umstand, der gerade durch die Politik aufrechterhalten wird, da in den neuen Bundesländern auch heute noch nicht und das per Gesetz genehmigt, gleiche Löhne oder gleiche Renten wie in den Westlichen Bundesländern gezahlt werden. Die Neuen Bundesländer sind heute das Armenhaus der Republik und werden von den westlichen Bundesländern alimentiert.

Der Mauerfall steht auch für die Dämagogisierung alles „sozialistischen“ in diesem Land, die immer noch verhindert, dass den politisch „linken” Fraktionen der Einfluss gewährt wird, der ihnen im Mehrheitsverhältnis zustehen würde. Die Politik manifestierte ein Feindbild, anstatt sich mit ihm inhaltlich auseinander zu setzen. Dieses Land hatte die Chance neutral zu werden und mit Schweden und der Schweiz eine neutrale Achse in Europa zu bilden, die sicher um vieles Friedenserhaltender gewesen wäre als das Bekenntnis zum militärischen Bündnis der NATO, welche als das kriegerischste dieser Welt gesehen werden kann . Auch diese vergebene Chance wird durch den Mauerfall symbolisiert.

Die Wiedervereinigung begann in einem bewundernswerten Aufstand der Bürger der DDR und wurde von westdeutschen Politikern zum Zwecke der Mehrung von Macht und Ruhm instrumentalisiert, auf Kosten eines ganzen Volkes und insbesondere derer, die sie einst ermöglichten. Die Wiedervereinigung war nicht der Wille des deutschen Volkes, wurde es aber durch Täuschung, List und Lüge. Die Wiedervereinigung war in vielen Teilen kein Ruhmesblatt und wird es auch wohl nicht werden, solange sie Teil einer Selbstbeweihräucherung der Vita machtpolitischer Größen ist.

Der 9. November ist ein Tag der Freude, aber er sollte auch ein Tag des Gedenkens an die vielen Chancen sein, die die Wiedervereinigung mit sich brachte und die in bemerkenswerter politischer Kurzsichtigkeit ungenutzt blieben. Letztendlich sollte dieser Tag auch ein Tag der Besinnung sein, in Gedenken an das viele Unrecht welches der Mauerfall in seinen Konsequenzen vielen Menschen brachte, die heute vergessen sind.

Letztendlich wird heute der Untergang eines Staates gefeiert, dessen Willkür und Unrecht, auf seinem perfiden Spitzel- und Überwachungsapparat aufbaute. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, das wir heute in einem Staat leben, der nicht nur jeden vermeintlichen Oppositionellen, sondern ohne Anlass jeden seiner Bürger, in Art und Umfang überwacht, von dem das Ministerium für Staatssicherheit nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

Ich verbleibe in diesem Sinne

Heinz Sauren

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