Autokrise

Gastbeitrag von Gerd Held (gerdheld.de)

Werte Leser, Kollegen und Freunde,

Dies ist die Juli-Ausgabe meines Rundbriefs, der Sie auf aktuelle Texte von mir, publiziert oder im Werkstatt-Format, aufmerksam machen möchte. Sie finden die aktuellen Texte auf meiner Webseite (www.gerdheld.de) in der Rubrik „Der Monat“.

Wer hätte das noch vor wenigen Wochen gedacht: Über Deutschland ist eine „Autokrise“ hereingebrochen. Und wie wenig war nötig, um eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, an deren Ende das Automobil als Massenverkehrsmittel nicht mehr haltbar ist. Ein (willkürlich gesetzter) Grenzwert wird zur Frage von Sein oder Nicht-Sein erklärt und bringt einen ganzen Industriezweig auf die Anklagebank. Weil niemand den Mumm hatte, einer unerfüllbaren und gar nicht lebensnotwendigen Norm zu widersprechen, ist nun eine Dynamik in Gang gesetzt, in der ein „Sachzwang“ zum nächsten führt: Die Belastungen, die man jetzt dem Dieselmotor vorwirft, lassen sich auch bei anderen Formen des Verbrennungsmotors finden. Da zugleich die Alternative „E-Auto“ auf absehbare Zeit weder sozial bezahlbar noch ökologisch verträglich ist, läuft der Schlag gegen den Diesel auf einen Schlag gegen das Automobil selber hinaus. So wird am Ende dieser Kettenreaktion das Auto nur noch als exklusives Gut vorhanden sein. Der motorisierte Individualverkehr wird zum Privileg werden. Das aber würde die räumliche Organisation der Gesamtwirtschaft und der gesamten Lebensweise der Bevölkerung treffen. Die Alternativen und Ausweichmöglichkeiten, die es heute für das private, wirtschaftliche und politische Dasein gibt, würden fundamental eingeschränkt. Das wäre eine Einschränkung unserer Freiheit, wie wir sie uns heute noch kaum vorstellen können.

Ja, hier steht viel auf dem Spiel. Deshalb ist die Diskussion viel zu eng, wenn es nur zwischen Grenzwerten und Arbeitsplätzen geht. Das sind zweifellos wichtige Größen, aber sie sind keineswegs so zentral, dass man auf ihrer Grundlage jetzt schnelle Entscheidungen treffen darf. Wirklich zentral ist die Frage nach der spezifischen Verkehrsleistung des Trägers, der in der Fachsprache als „motorisierter Individualverkehr“ (MIV) bezeichnet wird. Er muss überhaupt erst richtig begriffen werden, um dann zu prüfen, welche echten Alternativen zur Verfügung stehen.

Es gibt ja den Präzedenzfall der deutschen „Fukushima“-Energiewende, wo die Regierenden – in einer Kombination aus Hysterie und Opportunismus – mit der Kernenergie eine tragende Säule der deutschen Energieversorgung gekippt haben, die obendrein für das angebliche Weltproblem „CO2“ gar nicht verantwortlich war. Die Folgekosten und -belastungen dieser Wende sind weiterhin völlig außer Kontrolle. Eine weitere Wende von diesem Typ kann sich Deutschland nicht leisten.

Erschreckend an diesem Vorgang sind nicht allein die einschneidenden Konsequenzen, sondern viel mehr noch die fehlende Gegenwehr in Politik und Wirtschaft. Der erbärmliche Opportunismus und die schnöde Gleichgültigkeit, mit der sie zusieht (oder aktiv mithilft), wie ein starker Industriezweig des Landes abgewickelt wird. Wie müssen diese Eliten gestrickt sein, wenn sie ernsthaft ein „Ende des Verbrennungsmotors“ verkünden und auf 20 Jahre im Voraus datieren – während der E-Mobil-Spekulationsliebling „Tesla“ im ersten Halbjahr 2017 gerade einmal 47.000 Fahrzeuge verkauft hat (der VW-Konzern setzte im gleichen Zeitraum 4.809.000 Fahrzeuge ab)? Ist es also wirklich der Grenzwert-Betrug, den man dem Management der deutschen Automobilindustrie vorhalten muss – womit man bei der blödsinnigen Forderung landet, dass die absurden Grenzwerte „unbedingt erfüllt“ werden müssen? Muss man nicht vielmehr dem Management vorhalten, dass es die tödliche Gefahr nicht gesehen hat, die von der Willkürherrschaft der Grenzwerte ausgeht? Und dass es den Kampf nicht gewagt hat? Wenn man freilich liest, was in manchen Führungsetagen über die Zukunft des Automobils gedacht wird, fragt man sich, ob hier überhaupt noch Autofahrer sitzen. Neben dem E-Mobil setzt man ja beträchtliche Entwicklungsmittel auf das „autonome Fahrzeug“ (eine Art selbstfahrendes Sofa) oder das „kommunizierende Fahrzeug“ (eine Art selbstfahrende Sprechpuppe).

Am 22. Juli hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Ergebnisse ihres „Elite-Panels“ publiziert – einer Umfrage unter 521 Führungskräften aus Politik, Wirtschaft und Behörden, die das Meinungsforschungsinstitut Allensbach gemacht hat. Interessant ist hier nicht so sehr, wie hoch Merkel gegen Schulz gewinnt (87:12), sondern wie sehr unsere „Entscheider“ auf wichtigen Handlungsfeldern keinen Entscheidungsbedarf sehen, sondern dem Weiter-So frönen. Nach der Umfrage gibt es auf den meisten Politikfeldern starke Mehrheiten, die sich für eine Fortsetzung des bisherigen Kurses oder „begrenzte Korrekturen“ aussprechen:

In der Haushaltspolitik: 87 Prozent

In der Flüchtlingspolitik: 83 Prozent

In der Klimapolitik: 78 Prozent

In der Rentenpolitik: 70 Prozent

Bei der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität: 67 Prozent

In der Energiepolitik: 66 Prozent

In der Steuerpolitik: 62 Prozent.

Eine deutliche Mehrheit für einen Kurswechsel gab es nur bei der „Digitalisierung“ und dem Ausbau des schnellen Internets. Welch erschreckender Realitätsverlust in der Führungsetage Deutschlands in diesem Sommer 2017.

Die Juli-Ausgabe von „Der Monat“ enthält zwei Artikel, die sich vertiefend mit den Ereignissen beim G20-Gipfel in Hamburg befassen.

  • Was in Hamburg droht (21.Juli 2017)
  • Die Parallel-Mächte (4.August 2017)

Ebenso finden Sie zwei Texte zur „Autokrise“: Der eine Text versucht, ausgehend von Verkehrsmessungen und -prognosen für den Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg, die Leistungen des Automobils als Massenverkehrsmittel stärker ins Blickfeld zu rücken. Der andere Text ist eine ältere Reportage, die ich im Jahr 2012 unter dem Titel „Das schnelle Berlin“ veröffentlicht habe (in der Tageszeitung „Die Welt“) und die veranschaulicht, wie stark der Betrieb einer weiträumigen Metropole von motorisierter Mobilität abhängt.

  • Die Leistung des Automobils (8. August 2017)
  • Das schnelle Berlin (Aus dem Archiv, November 2012)

Mit besten Grüßen aus Berlin

Gerd Held

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