von Norbert Haering
Am 21. Oktober berichtete die Tagesschau über einen neuen Stützpunkt der Nato zur Ostseeüberwachung in Rostock. Dann gab es eine größere Diskussion darüber, dass das dem Zwei-plus-Vier-Vertrag widerspreche. Was der zuständige ARD-Sender NDR daraufhin tat, wirkt wie direkt aus George Orwells „1984“ abgeschaut.
Im Roman „1984“ von George Orwell übt eine Einheitspartei die totale Herrschaft über Ozeanien aus und kontrolliert ihre Bürger vollständig. Die Vergangenheit und die Gegenwart wird beständig umgeschrieben. Mal ist man mit Eurasien im Krieg und mit Ostasien verbündet, mal umgekehrt. Immer wenn sich das ändert, werden die Zeitungen und Archive umgeschrieben, sodass es immer schon so war. Das Gleiche passiert, wenn Personen des öffentlichen Lebens in Ungnade fallen, sodass sie entweder getilgt oder ihre Geschichten umgeschrieben werden müssen. An dieser Vorlage scheint sich die ARD zunehmend ein Bespiel zu nehmen.
Am 21. Oktober wurde in Rostock ein Militärstützpunkt zur Überwachung der Ostsee eröffnet. Tagesschau.de berichtete um 13.55 Uhr, die Fernseh-Tagesschau in der 14-Uhr-Ausgabe. Auf Tagesschau.de war zu lesen,
- „Die Deutsche Marine übernimmt in der Ostsee eine Führungsrolle im Auftrag der NATO.“
- „Mit der neuen Zentrale will die NATO die Verteidigungsbereitschaft in der Ostsee-Region stärken“
Und in den 14 Uhr-Nachrichten, laut beigefügtem Audio-Player:
- „Schon 2017 hatte die Nato beschlossen, ständige maritime Hauptquartiere in verschiedenen Regionen der Welt einzurichten.“
In einem Vorbericht des ARD-Senders MDR vom 20.10. heißt es sogar in der Überschrift: „Neues taktisches Hauptquartier für NATO wird in Rostock eingeweiht“. Und im Vorspann: „Von Rostock aus sollen künftig die Marineaktivitäten der NATO auf der Ostsee koordiniert werden.“ Der frühe Bericht der Tagesschau und der Vorbericht des MDR basieren erkennbar auf einer Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums vom 15. Oktober, in der der Termin angekündigt und Informationen darüber gegeben werden.
Darin schreibt das Ministerium, Pistorius weihe ein „neues maritimes taktisches Hauptquartier für die NATO ein“. Die Deutsche Marine habe „für die Nato“ eine Führungsrolle übernommen. Außerdem gibt es den Redaktionen den Hinweis, dass die Nato „in der Anpassung ihrer Führungsstruktur seit 2017 unter anderem auch die Aufstellung von ständigen maritimen Hauptquartieren auf der sogenannten obersten taktischen Ebene entschieden“ habe.
Doch dann begab es sich in Ozeanien, dass die fünfte Kolonne Eurasiens, die sogenannten Putinfreunde, auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den Siegermächten und den beiden deutschen Staaten hinwiesen, der die Stationierung ausländischer Truppen in Ostdeutschland ausdrücklich verbietet, sodass ein Nato-Stützpunkt in Rostock völkerrechtswidrig wäre.
(Nato-)Kommando zurück
In der Tagesschau um 20 Uhr, die nachträglich in den Artikel per Video-Player eingebettet wurde, hatte man schon eine Antwort darauf: Dort heißt es zwar zu Beginn noch, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius aus Berlin anreise, um die „neue Kommando-Einheit der Nato in Rostock zu eröffnen.“ Dann kommt aber gleich der Nebensatz: „Wobei er sofort eines klarstellt: (O-Ton Pistorius) „Keine Nato-Truppen werden hier stationiert. Es ist ein multinationales Task Commander und nicht mehr und nicht weniger, und wir arbeiten mit der Nato zusammen, das ist aber auch schon alles.“ Man lernt dann noch, dass die Führung alle vier Jahre rotieren werde. Auch Schweden und Polen würden sie künftig übernehmen. Nur die ersten vier Jahre ist demnach ein deutscher Offizier Kommandant des Stützpunkts.
Jetzt passte aber die Berichterstattung vom frühen Nachmittag nicht mehr zum abendlichen Bericht und zur bevorzugten neuen Sprachregelung des Verteidigungsministers, dessen Presseleuten die Zwei-plus-Vier-Problematik zuvor offenkundig entgangen war. Eine transparente „Korrektur“ des Tagesschau-Berichts schied aus, weil die Begründungen dafür, warum man zuerst von Nato-Stützpunkt in vielen Facetten geschrieben hatte, und das dann tilgte, hochnotpeinlich für den Sender und die Regierung wären. Schließlich hatte man sich ja eng an der Pressemitteilung der Regierung orientiert. Mit heimlichen nachträglichen Änderungen von Artikeln war man in letzter Zeit ein paar Mal aufgeflogen und hatte dabei eine schlechte Figur gemacht. Und so bediente sich der Sender im Instrumentenkasten aus „1984“. Der alte Artikel wurde ins Nirwana der tiefen ARD-Seiten verschoben und durch einen neuen ersetzt, der am nächsten Tag, dem 22. Oktober, um 6.33 Uhr online ging.
Der Video-Player mit der Tagesschau von 20 Uhr wurde auch in den neuen Bericht eingebettet, der Audio-Player mit der Tagesschau von 14 Uhr nicht. Im neuen Beitrag, der von exakt dem gleichen Ereignis handelt wie der Vortagesbericht, spielt die Nato keine aktive Rolle mehr, nur noch Nato-Staaten und Nato-Partner. Aus „Im Auftrag der Nato“ im Vorspann des Artikels wurde „Im Austausch mit Nato-Partnern“. Aus dem „Schutz der Nato-Interessen“ als Aufgabe wurde die „Überwachung des Ostseeraums“.
Fakten werden weggecheckt
Damit nicht genug, schickte der für die Tagesschau zuständige ARD-Sender NDR am Folgetag, dem 23. Oktober noch einen sogenannten Faktencheck hinterher, der die Umschreibung der Geschichte in die neue Sprachregelung vervollständigte. Zwischenzeitlich hatte sich auch Moskau lautstark über einen mutmaßlichen Vertragsbruch beschwert. Die Überschrift lautete: „Maritimes Hauptquartier in Rostock: Experten weisen Kritik aus Russland zurück“. Ein Auszug:
„Der Standort verstoße gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der eine Stationierung von NATO-Truppen in Ostdeutschland verbiete, hieß es aus Moskau. (…) Tatsächlich handelt es sich bei der Einrichtung jedoch nicht um ein NATO-Hauptquartier. Laut Sebastian Bruns, Experte für maritime Sicherheit und Strategie an der Universität Kiel, wird dieses häufig missverstanden: „Es handelt sich eben nicht um ein NATO-Kommando oder gar ein NATO-Hauptquartier, sondern es ist ein Stab der Deutschen Marine, dessen Ergebnisse der NATO angeboten werden.“ Bruns betont im Gespräch mit NDR MV, dass internationale Offiziere – etwa aus Polen, Schweden und Finnland – zwar dort tätig seien, aber keine NATO-Streitkräfte in Rostock stationiert werden.“
Der frühe Tagesschau-Bericht und der MDR-Bericht wären demzufolge falsch. Auch der Ausdruck „Kommando-Einheit der Nato“ in der 20-Uhr-Tagesschau wäre falsch. Korrekturen sucht man auf der einschlägigen Seite der Tagesschau aber vergebens. Erstaunlich an der neuen Wahrheit ist, dass ein Stab der Deutschen Marine in Deutschland nur zwischenzeitlich von einem deutschen Offizier geleitet werden soll, danach von Offizieren aus anderen Nato-Staaten. Dass „internationale Offiziere“ aus (ausschließlich) Nato-Staaten keine Nato-Streitkräfte sind, kann man behaupten, muss das aber wohl nicht ernst meinen.
Der sogenannte Faktencheck des NDR wartet aber nicht nur mit eigenwilligen Interpretationen auf, sondern auch mit sehr eigenen „Fakten“. Dort wird behauptet:
„In Artikel 5 des Vertrags heißt es, dass bis zum Abzug der sowjetischen Truppen keine ausländischen Streitkräfte in Ostdeutschland stationiert werden dürfen. Dieser Abzug war jedoch bereits 1994 abgeschlossen, und der Vertrag sieht nach dieser Frist keine dauerhafte Beschränkung vor. „Ich empfehle allen, den Zwei-plus-Vier-Vertrag selbst zu lesen“, so Bruns zu NDR MV. „Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen gibt es keine Verpflichtung mehr, die Stationierung ausländischer Kräfte grundsätzlich zu verbieten. Deutschland hat sich aus Rücksicht auf Russland viele Jahre daran gehalten, aber rechtlich ist dieses Verbot nach 30 Jahren nicht mehr bindend.““
Alles also ein großer Irrtum, und diejenigen, die eine Verletzung des Zwei-plus-Vier-Vertrags für denkbar halten, ziemlich blöd? Ganz und gar nicht. Folgt man nämlich Bruns Empfehlung, den Vertrag zu lesen, findet man, was nach korrekter Wiedergabe von Absatz 1 des Artikel 5 unterschlagen wird, nämlich dessen Absatz 3 über die Zeit nach Abzug der russischen Truppen. Dort heißt es:
„Ausländische Streitkräfte und Atomwaffen oder deren Träger werden in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin verlegt.“
Der Herr Experte Bruns und der NDR müssen uns für ganz schön blöd halten und sich ganz schön sicher fühlen. Wir sind aber (noch) nicht in Ozeanien von 1984, auch wenn es sich zunehmend so anfühlt. Noch kann man in Archiven so etwas wie die historische Wahrheit und die Originaltexte der Vergangenheit finden. Es wird aber noch sonderbarer: Im eingebetteten Video des NDR-Interviews mit dem Experten Bruns erklärt der Moderator erst:
„Also, sinngemäß steht in diesem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 drin, dass auf dem Gebiet der ehemaligen DDR keine Nato-Truppen stationiert werden, und zwar bis 1994, also bis zum Abzug der Sowjettruppen.“ Dann fragt er treudoof: „Verstößt diese Einrichtung in Rostock jetzt gegen diesen Vertrag?“
Obwohl sich nach der Vorrede des Moderators die Antwort mehr als aufdrängt, dass ein Verbot, das nur bis 1994 galt, 2024 nichts mehr verbieten kann, nimmt Bruns diesen Aspekt nicht auf, sondern bemüht Spitzfindigkeiten: Es sei ein Hauptquartier der deutschen Marine und es seien so wenige (ausländische) Soldaten dort, dass man das nicht als Truppenstationierung bezeichnen könne. Das Interview geht weiter, aber das Bruns im geschriebenen Bericht zugeschriebene Zitat, wonach es nach 1994 kein Stationierungsverbot mehr gebe, fehlt. Hat Bruns diese Aussage vielleicht zurückgenommen und man hat sie den Moderator treffen lassen, um nicht darauf verzichten zu müssen? War die entsprechende Passage aus einem anderen Grund nicht sendefähig und die entsprechende Aussage wurde nachträglich in die Vorrede gepackt? Etwas ist faul: Wenn Bruns so gefragt worden wäre, wie es sich den Zuschauern der NDR-Sendung darstellt, und er gleichzeitig die These von der Gültigkeit des Verbots nur bis 1994 vertreten würde, hätte er anders geantwortet.
Jedenfalls ist die These falsch und der Moderator baut noch den weiteren Fehler ein, dass er von einem Verbot von „Nato-Truppen“ spricht. Tatsächlich bezieht sich das Verbot jedoch auf alle ausländischen Streitkräfte, was den spitzfindigen Verweis darauf, es handele sich nur um internationale Offiziere, nicht um solche der Nato, ins Leere laufen lässt.
Für den Fall, dass all diese Argumente nicht schlagen, hat man noch eines mit ganz viel Chuzpe im Ärmel. Historiker Bernhard Blumenau von der Universität St. Andrews darf darauf hinweisen, dass der Vertrag im historischen Kontext gesehen werden müsse: „Damals ging es um Sicherheitsgarantien für die UdSSR. Heute verläuft die NATO-Grenze viel weiter östlich.“ Die Tatsache, dass die Nato das damalige Versprechen an die Sowjetunion gebrochen hat, sich nicht nach Osten auszudehnen, gibt nun die Rechtfertigung dafür ab, den völkerrechtlich verbindlichen Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht einzuhalten.
In Fragen-und-Antworten zum Zwei-plus-Vier-Vertrag wiederholt der Sender noch einmal ohne Quelle die irreführende Behauptung, ausländische „Truppen“ (im Vertrag „Streitkräfte“) dürften nur bis 1994 nicht in Ostdeutschland stationiert werden. Dann wird festgestellt, die internationalen Marineoffiziere arbeiteten zwar in Rostock, seien dort aber „nicht als dauerhafte Streitkräfte stationiert“. Das verstehe wer will. Der Vertrag verbiete nur die Stationierung ausländischer Streitkräfte (also doch?!), nicht die Zusammenarbeit mit internationalen Offizieren.
Mit Journalismus hat diese unhinterfragte Darstellung von Spitzfindigkeiten der Regierung als „Fakten“ nicht mehr das Geringste zu tun. Das ist Pressearbeit für die Regierung.
Fazit
Dies ist ein Musterbeispiel von extremer Staatsnähe und journalistischer Prinzipienlosigkeit der ARD. Zuerst wird eng entlang der Verlautbarung der Regierung berichtet. Als diese dann wegen des Vorwurfs der Vertragsverletzung ihre Sprachregelung ändert, wird der alte Bericht ohne Offenlegung oder Korrektur durch einen neuen ersetzt, der sich aufs Engste an der neuen Sprachregelung der Regierung orientiert. Und schließlich werden auch noch die letzten historischen Fakten weggecheckt, bis hin zur Beleidigung des gesunden Menschenverstands der Zuschauer.
Anhang
Weil mindestens einer der Beiträge irgendwann verschwinden dürfte, dokumentiere ich hier die vollständigen Texte:
Erster Text, abgerufen am 24.10.2024, 14 Uhr von https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundeswehr-hauptquartier-rostock-100.html
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Kommando in Rostock
Neues Hauptquartier als Signal an Russland
Stand: 21.10.2024 13:55 Uhr
Die Deutsche Marine übernimmt in der Ostsee eine Führungsrolle im Auftrag der NATO. Dazu eröffnete Verteidigungsminister Pistorius in Rostock ein neues Hauptquartier. Es ist auch ein Signal Richtung Russland.Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat in Rostock das neue taktische Hauptquartier der Bundeswehr für die Überwachung des Ostseeraums eingeweiht. Mit der neuen Zentrale will die die NATO die Verteidigungsbereitschaft in der Ostsee-Region stärken. Deutschland, das in der NATO die größte Marine in der Ostsee stellt, übernahm die regionale Führungsrolle bereits zum 1. Oktober.
Player: video 2 Min
Hauptquartier zur Überwachung des Ostseeraums in Rostock eingeweiht
Michaela May, NDR, tagesschau, 21.10.2024 20:00 Uhr
Das regionale Hauptquartier trägt den Namen CTF Baltic, was für „Commander Task Force Baltic“ steht. Von dem Standort aus sollen die Seestreitkräfte der NATO-Staaten sowohl in Friedenszeiten als auch in einem möglichen Krisen- und Konfliktfall geführt sowie maritime Operationen und Übungsvorhaben geplant werden. Des Weiteren soll von dem Hauptquartier aus rund um die Uhr ein Lagebild über den militärischen und zivilen Schiffsverkehr auf der Ostsee erstellt werden.Neben Deutschland sind noch elf weitere Nationen personell an CTF Baltic beteiligt: Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Niederlande, Polen und Schweden. In Friedenszeiten sind in dem Quartier 60 Dienstposten zu besetzen, bei einer möglichen Krise kann der Stab auf bis zu 240 Dienstposten aufgestockt werden. Das Hauptquartier wird durch einen deutschen Admiral geführt, dem ein polnischer Admiral als Stellvertreter zur Seite steht.
Pistorius warnt vor russischer Bedrohung
Obwohl das neue taktische Hauptquartier keine direkte Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist, bezog sich Verteidigungsminister Pistorius bei der Eröffnung klar auf eine mögliche Bedrohung durch Russland. CTF Baltic werde eine „entscheidende Rolle beim Schutz der Interessen der NATO-Staaten gegen Aggressionen spielen – insbesondere angesichts der Nähe zu Russland“, sagte der SPD-Politiker.Es seien mittlerweile fast 1.000 Tage seit der russischen Invasion in der Ukraine vergangen, und es sei klar, dass sich der Krieg für den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht nur gegen die Ukraine richte. „Sein wirklicher Feind ist unsere freie, unabhängige und demokratische Lebensweise“, betonte Pistorius weiter.
Ostsee von acht NATO-Ländern umgeben
Im Ostseeraum stehen sich die NATO und Russland unmittelbar gegenüber. Regelmäßig kommt es hier zu Zwischenfällen, etwa durch den Überflug russischer Flugzeuge, die ohne Transponder-Kennung oder Flugplan-Anmeldung über der Ostsee unterwegs sind. Seit dem NATO-Beitritt Finnlands und Schwedens haben die Spannungen noch zugenommen. Nun ist die Ostsee von acht NATO-Ländern umschlossen.Die Sicherheit im baltischen Raum sei untrennbar mit der Sicherheit des gesamten Europas verbunden, sagte Pistorius. Gleichzeitig hob er hervor, dass sich die „russische Aggression“ unterschiedlich manifestiere, etwa in Form von hybriden oder Cyberangriffen. Derartige Attacken sollten „die Trennlinie zwischen Krieg und Frieden verwischen“, sagte er. „Sie zielen darauf ab, die europäische Sicherheit zu destabilisieren, das Vertrauen zu untergraben und Einfluss zu gewinnen.“ Pistorius forderte: „Wir müssen sicherstellen, dass Putin damit nicht durchkommt. Wir müssen uns verteidigen und alles tun, um unsere Partner an der Ostflanke der NATO zu unterstützen.“
Player: audio
Taktisches HQ CTF-Baltic wird in Rostock eröffnet
Bernd Kalauch, NDR, tagesschau, 21.10.2024 14:06 Uhr
„Schon 2017 hatte die Nato beschlossen, ständige maritime Hauptquartiere in verschiedenen Regionen der Welt einzurichten. Sie sollen das maritime Lagebild überwachen und die maritimen Aktivitäten der Verbündeten im Seegebiet koordinieren. Im neuen CTF Baltic sind neben Deutschland auch Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, die Niederlande, Polen und Schweden vertreten, die Führung der Soldatinnen und Soldaten aus 12 Nationen übernimmt zunächst ein deutscher Admiral, so das Bundesverteidigungsministerium. Rostocks Oberbürgermeisterin …“
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Text des Folgetags, abgerufen am 24.10.2024, 14 Uhr von https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/marinehauptquartier-rostock-nato-100.html
Neues Marinehauptquartier
Deutschlands Führungsrolle im Ostseeraum
Stand: 22.10.2024 06:33 Uhr
In Rostock wurde das neue taktische Marinehauptquartier eingeweiht: Die „Commander Task Force Baltic“ soll im Austausch mit NATO-Partnern den Ostseeraum überwachen. Das ist herausfordernd, aber enorm wichtig.
Von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat das neue taktische Hauptquartier der Marine in Rostock eingeweiht: die „Commander Task Force Baltic“. Das Kommando ist für die Überwachung des Ostseeraums zuständig und soll Informationen mit den NATO-Partnern austauschen. Die bis zu 180 Soldatinnen und Soldaten erstellen ein Lagebild für eine Fläche von mehr als 400.000 Quadratkilometern.Als eine Blaskapelle der Marine spielt, stellt der Minister fest: „With a little help from my friends. I think this song couldn’t have been chosen better.“ Für Pistorius hätte es kein passenderes Lied gegeben: „Mit ein wenig Hilfe von meinen Freunden.“
Player: video 2 Min
Hauptquartier zur Überwachung des Ostseeraums in Rostock eingeweiht
Michaela May, NDR, tagesschau, 21.10.2024 20:00 Uhr
Ostsee ist von zentraler Bedeutung
Elf Freunde Deutschlands sind es, die bei der „Commander Task Force Baltic“ mitmachen, zusammen zwölf NATO-Partner. Vom taktischen Hauptquartier in Rostock aus beobachtet das Kommando die Ostsee. Ein Gewässer von zentraler Bedeutung, wie der Verteidigungsminister betont:
Hier verlaufen maritime Lebensadern, die Wachstum und Wohlstand sichern. Kommunikation und Energie. Hier wird Seehandel betrieben, von dessen Dynamik unsere Volkswirtschaften in hohem Maße abhängig sind.“
Ein Beispiel sind die Nord-Stream-Pipelines, die durch die Ostsee verlaufen. Bei einem Anschlag im September 2022 wurden drei der vier Stränge zerstört, was enorme Auswirkungen auf die Energieversorgung in Deutschland und letztlich auch auf die Wirtschaftskraft hatte.
Beobachtungen über und unter WasserPipelines gehören daher zu der Infrastruktur, die die „Commander Task Force Baltic“ besonders im Blick hat. Ebenso Unterseekabel: Internetverbindungen laufen zu einem großen Teil über Glasfaserleitungen, die am Meeresboden liegen.Die Kommandozentrale in Rostock beobachtet deshalb die Ostsee sowohl über als auch unter Wasser, erklärt Johannes Peters vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel: „Deutschland verfügt über die Mittel, vor allen Dingen ein sehr gutes Lagebild zu erstellen – mit den U-Booten, die wir haben, mit den Flottendienstbooten, die wir haben“, sagt Peters. Deutschland habe schon immer maßgeblich das Unterwasser-, aber auch das Überwasserlagebild in der Ostsee quasi für die NATO bereitgestellt.
Vermehrte Sichtung russischer ForschungsschiffeVom neuen taktischen Hauptquartier in Rostock überwachen Soldatinnen und Soldaten über große Bildschirme auch alle Flugbewegungen über der Ostsee und die Position der Schiffe.Die Ostsee gehört zu den meistbefahrenen Seewegen in Nordeuropa. Kommt ein Schiff vom geplanten Kurs ab, sorgt das für Aufmerksamkeit im Lagezentrum. Zuletzt hatte die Marine vermehrt russische Forschungsschiffe im Bereich von kritischer Infrastruktur gesichtet, was den Verdacht von möglicher Sabotage hat größer werden lassen.Für Marine-Experte Peters ist die Arbeit des neuen Hauptquartiers daher elementar wichtig: „Je besser das eigene Lagebild ist, umso größer ist für einen Akteur die Wahrscheinlichkeit, dass er nicht unentdeckt bleibt mit dem, was er tut.“ Und umso höher sei die Hemmschwelle, etwas zu tun.
GSG-9-Spezialkräfte fahren zu Demonstrationszwecken auf einem Schlauchboot nahe Warnemünde. (Aufnahme vom 19. August 2024)
Von Deutschland wird Führung erwartetDass Deutschland die Ostsee-Überwachung leitet, hatten mehrere Anrainerstaaten seit Längerem schon eingefordert – weil die deutsche Marine die größte und schlagkräftigste im Ostseeraum ist. Gerade die NATO-Partner im baltischen Raum rufen Deutschland auf, auch bei der Ukraine-Unterstützung stark zu bleiben.Die Zeitenwende müsse weitergehen, sagt die finnische Außenministerin Elina Valtonen im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Sie stellt klar „dass wir eben auch eine Führungsrolle Deutschlands in diesen Sachen wünschen. In Sachen gemeinsame Verteidigung, gemeinsame Abschreckung. Da müssen wir als Europa so viel mehr machen. Und da hoffen wir, dass Deutschland ganz vorne steht.“ Bei der Überwachung der Ostsee hat Deutschland diese Führungsrolle nun eingenommen. Und sie soll bestmöglich gelingen mit ein wenig Hilfe der NATO-Freunde.
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NDR-Faktencheck vom 23.10.2024, abgerufen am 24.10.2024 um 13 Uhr https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Maritimes-Hauptquartier-in-Rostock-Experten-weisen-Kritik-aus-Russland-zurueck,russischepropaganda102.html
Maritimes Hauptquartier in Rostock: Experten weisen Kritik aus Russland zurück
Stand: 23.10.2024 14:30 Uhr
In Rostock entsteht ein neues maritimes Hauptquartier zur Sicherung der Ostseeregion. Experten weisen die russische Kritik zurück, es verstoße gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der NATO-Truppen in Ostdeutschland verbiete. NDR MV mit einem Faktencheck.
Aus Russland kommt scharfe Kritik am neuen maritimen Hauptquartier, das in Rostock entstehen und die Ostseesicherheit stärken soll: Der Standort verstoße gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der eine Stationierung von NATO-Truppen in Ostdeutschland verbiete, hieß es aus Moskau. Die Kritik aus Russland wurde unter anderem von Juri Hempel geäußert, einem Abgeordneten im Staatsrat der von Russland annektierten Krim und Mitglied der Putin-Partei „Einiges Russland“. Tatsächlich handelt es sich bei der Einrichtung jedoch nicht um ein NATO-Hauptquartier. Laut Sebastian Bruns, Experte für maritime Sicherheit und Strategie an der Universität Kiel, wird dieses häufig missverstanden: „Es handelt sich eben nicht um ein NATO-Kommando oder gar ein NATO-Hauptquartier, sondern es ist ein Stab der Deutschen Marine, dessen Ergebnisse der NATO angeboten werden.“ Bruns betont im Gespräch mit NDR MV, dass internationale Offiziere – etwa aus Polen, Schweden und Finnland – zwar dort tätig seien, aber keine NATO-Streitkräfte in Rostock stationiert werden.
Russische Vorwürfe und die Rolle des Zwei-plus-Vier-Vertrags
Russlands Kritik stützt sich auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, der die Souveränität Deutschlands nach der Wiedervereinigung regelte.In Artikel 5 des Vertrags heißt es, dass bis zum Abzug der sowjetischen Truppen keine ausländischen Streitkräfte in Ostdeutschland stationiert werden dürfen. Dieser Abzug war jedoch bereits 1994 abgeschlossen, und der Vertrag sieht nach dieser Frist keine dauerhafte Beschränkung vor. „Ich empfehle allen, den Zwei-plus-Vier-Vertrag selbst zu lesen“, so Bruns zu NDR MV. „Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen gibt es keine Verpflichtung mehr, die Stationierung ausländischer Kräfte grundsätzlich zu verbieten. Deutschland hat sich aus Rücksicht auf Russland viele Jahre daran gehalten, aber rechtlich ist dieses Verbot nach 30 Jahren nicht mehr bindend.“
Zusammenarbeit statt Stationierung
Das neue Hauptquartier in Rostock, offiziell „Commander Task Force Baltic“ genannt, ist eine deutsche Initiative, die auf internationaler Zusammenarbeit beruht. Es ermöglicht der Deutschen Marine, gemeinsam mit Partnern wie Schweden, Polen und den baltischen Staaten Daten zu sammeln und diese der NATO zur Verfügung zu stellen. Das bestätigt auch das deutsche Verteidigungsministerium: Es handelt sich nicht um die Stationierung von NATO-Truppen, sondern um die Zusammenarbeit von Offizieren aus verschiedenen Ländern. Politikwissenschaftler Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr betont: „Es werden dort also neben den deutschen auch ein paar Stabsoffiziere aus NATO-Ländern Dienst tun. Das ist keine Stationierung von Streitkräften.“
Verstößt das Rostocker Hauptquartier gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag?
Die Experten sind sich einig: Das neue Marine-Hauptquartier in Rostock verstößt nicht gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Laut Bruns ist die Einrichtung eine rein deutsche Initiative: „Es handelt sich um einen Stab der Deutschen Marine, keine NATO-Truppen. Der Vertrag bezieht sich klar auf die Zeit vor 1994.“ Auch Historiker Bernhard Blumenau von der Universität St. Andrews weist darauf hin, dass der Vertrag im historischen Kontext gesehen werden muss: „Damals ging es um Sicherheitsgarantien für die UdSSR. Heute verläuft die NATO-Grenze viel weiter östlich.“
FAQ zum Zwei-plus-Vier-Vertrag
Was ist der Zwei-plus-Vier-Vertrag?
Der Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten (BRD und DDR) sowie den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs (USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich) geschlossen. Er regelte die volle Souveränität des wiedervereinigten Deutschlands und legte Themen wie den Abzug der alliierten Truppen, die Grenzen Deutschlands und den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen fest. Zudem schrieb er vor, dass bis zum Abzug der sowjetischen Truppen 1994 keine ausländischen Streitkräfte in Ostdeutschland stationiert werden durften.
Verbietet der Vertrag NATO-Streitkräfte in Ostdeutschland?
Ja, aber nur bis zum Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1994. In dieser Übergangsphase war es verboten, ausländische Streitkräfte – also auch NATO-Truppen – in Ostdeutschland zu stationieren oder militärische Aktivitäten durchzuführen. Nach 1994 endete diese Beschränkung. Seither dürfen deutsche Truppen in Ostdeutschland stationiert werden, auch solche, die NATO-Strukturen angehören. Ein generelles Verbot für NATO-Streitkräfte in diesem Gebiet gibt es nach 1994 nicht mehr.
Verstößt das neue Hauptquartier in Rostock gegen den Vertrag?
Nein, das Hauptquartier in Rostock verstößt nicht gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag. Es handelt sich nicht um eine Stationierung von NATO-Truppen, sondern um ein nationales deutsches Hauptquartier der Marine mit multinationaler Zusammenarbeit. Internationale Marineoffiziere aus verschiedenen NATO-Ländern arbeiten dort, aber sie sind nicht als dauerhafte Streitkräfte stationiert. Der Vertrag verbietet lediglich die Stationierung ausländischer Streitkräfte, nicht die Zusammenarbeit mit internationalen Offizieren.
Wie reagiert die Bundesregierung auf die russischen Vorwürfe?
Deutschland widerspricht der russischen Kritik und weist darauf hin, dass das neue Hauptquartier in Rostock die Bestimmungen des Zwei-plus-Vier-Vertrags nicht verletzt. Laut dem Verteidigungsministerium handelt es sich um eine deutsche Initiative, bei der internationale Offiziere unter deutscher Führung arbeiten. Experten bestätigen, dass die Stationierung von NATO-Truppen nicht stattfindet und die russischen Vorwürfe unbegründet sind.
Presseerklärungen der Außenminister nach deren Zusammenkunft
PARIS — Dies ist die Niederschrift der Pressekonferenz vom 17.Juli, gehalten vom Außenminister der USA, James Baker III, dem Außenminister von Frankreich, Roland Dumas, dem Außenminister von Westdeutschland, Hans Dietrich Genscher, dem Außenminister von Ostdeutschland, Markus Meckel, dem Außenminister von Polen, Krzysztof Kubiszewski, dem Außenminister von Großbritannien, Douglas Hurd, und dem Außenminister der Sowjetunion, Eduard Shevardnadze nach deren Zwei-plus-Vier Gesprächen in Paris:
Dumas: Meine Damen und Herren, wir werden nun eine Erklärung zu den heute durchgeführten Arbeitsschritten abgeben. Es gab drei Gesprächsrunden, um genau zu sein. Am Morgen trafen wir uns zu den ersten Gesprächen, bei dieser ersten Runde waren alle Zwei-plus-Vier Mitglieder anwesend: die Minister der Bundesrepublik und der Demokratischen Republik Deutschland, der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs, von Frankreich und der UDSSR. Während der zweiten Gesprächsrunde, die als Arbeitsessen stattfand, war auch der polnische Außenminister anwesend. An der dritten Gesprächsrunde am Nachmittag schließlich waren alle sieben Außenminister beteiligt. Während dieser letzten Gesprächsrunde behandelten wir auch ausschließlich polnische Angelegenheiten und Fragen.
Nun, meine Damen und Herren, der Prozess der Deutschen Wiedervereinigung setzt diesem leidvollen Zeitraum des Kalten Krieges, der Aufspaltung des deutschen Volkes und damit der des europäischen Kontinents endlich ein Ende. Natürlich ist die Wiedervereinigung Deutschlands eine Angelegenheit, die das deutsche Volk selbst bewältigen muss und wir sind sehr glücklich darüber, dass alles so gut vonstatten geht. Betrachten wir aber auch die Tatsache, dass die Teilung Deutschlands nur sehr schwierig zu handhaben war und die gesetzliche Situation nach dem Zweiten Weltkrieg eine ganz andere war als vorher, so ist uns allen klar, dass wir natürlich auch die externen Umstände, die Auswirkungen, die eine solche Wiedervereinigung mit sich bringen würde, in Betracht ziehen mussten. Darauf hat uns der Präsident der französischen Republik während der Konferenz des Europarats in Strassburg im Dezember des vergangenen Jahres auch deutlich hingewiesen. Es wurde erwähnt, dass die Problematik der Grenzverläufe geklärt werden müsse. Aus diesem Grund wurde die Gruppe der Sechs eingerichtet. Diese Sechs, die Zwei-plus-Vier, sind auch schon zu Gesprächen in Bonn und Berlin zusammengetroffen und die zu klärenden Themen wurden festgestellt. In Berlin wurde beispielsweise vereinbart, dass unser gemeinsames Ziel darin bestehen soll, gleichzeitig zur Wiedervereinigung Deutschlands auch die Möglichkeit der Wiederherstellung der staatlichen Souveränität zu schaffen. Außerdem wurde vereinbart, dass die Gruppe der Sechs bis zum CSCE-Gipfeltreffen am 19. November in Paris ihre Arbeit beendet haben sollte.
((Seite 2))
Seit unserem letzten Zusammentreffen sind, und darüber sollten wir uns freuen, schon einige Entscheidungen auf verschiedenen Instanzen getroffen worden. Ganz speziell beziehe ich mich hierbei auf das Gipfeltreffen der Länder des Atlantikpaktes am 5. und 6. Juli, welches der Ära des Kalten Krieges definitiv ein Ende gesetzt und einer neuen Art von Beziehungen und Sicherheit in Europa den Weg bereitet hat. Der Anfang wurde in London gemacht und die erst kürzlich stattgefundenen Treffen zwischen den Herren Gorbachev und Genscher in Moskau haben zu einem enormen Fortschritt in den Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Deutschland geführt.
Die Außenminister, die heute in Paris zusammentrafen, haben der gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler Kohl und Herrn Gorbachev ihre größte Zustimmung gezollt. Im Namen meines Landes kann ich Ihnen versichern, dass es unserer Meinung nach weder ein Hindernis zu einem Vereinten Deutschland noch zur Wiederherstellung dessen Souveränität bis Ende des Jahres gibt. Dies entspricht in vollem Umfang den Forderungen Frankreichs, für deren Annahme unser Land nun schon so lange verhandelt. Dies ist ein äußerst wichtiger Schritt in Richtung eines stabilen und freien Europas, eines Europas, das die Konflikte der Vergangenheit endgültig überwunden hat.
Nun zu unserem heutigen Treffen. Nur einige Worte dazu. Dieses Treffen fand im generellen Gesprächsrahmen statt und hat es uns ermöglicht, einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen und so einen weiteren, möglicherweise entscheidenden Schritt in Richtung einer definitiven Lösung zu gehen. Wir stimmen darin überein, dass Deutschland selbst bestimmen soll, welche Rolle es im militärischen und politischen System, festzulegen im endgültigen Akt von Helsinki, einnehmen möchte. Die Frage der Sowjettruppen im gegenwärtigen DDR-Gebiet soll anhand einer bilateralen Vereinbarung zwischen der UdSSR und dem Vereinigten Deutschland geklärt werden. Unsere politischen Vorgesetzten haben uns aufgetragen, diese finale Vereinbarung, die ich eben angesprochen habe, zu skizzieren. Ihnen allen ist das sicherlich schon bewusst. Der Hauptteil unserer Gespräche handelte sich um die Problematik der Grenzen, insbesondere der Oder-Neiße-Grenze. An diesem Arbeitsteil nahm auch der polnische Außenminister teil. Ich spreche sicherlich für alle meine Kollegen, wenn ich zum Ausdruck bringe, wie sehr uns die Teilnahme des polnischen Außenministers gefreut hat. Es war eine sehr fruchtbare und äußerst positive Gesprächsrunde.
Während unseres Gesprächs wurde klar, dass wir generell bei der Lösung der Grenzfrage Polen — Deutschland in Bezug auf Art und Weise, Mittel und Wege, Datum der Umsetzung, übereinstimmten.
Auf Einladung des sowjetischen Außenministers wird unser nächstes Treffen am 12. September in Moskau stattfinden. So endet die heutige Gesprächsrunde zu unserer gemeinsamen vollständigen Zufriedenheit. Sehr glücklich macht mich vor allem, dass Polen heute mit am Tisch saß und dass eine allgemeine Übereinstimmung herrschte. Es freut mich außerdem außerordentlich, dass das Treffen hier in Paris stattfinden konnte. Nun gebe ich das Wort an den Außenminister von Polen.
((Seite 3))
Skubiszewski: Vielen Dank, Herr Vorsitzender, Ich möchte den Dank und die Freude der polnischen Regierung darüber zum Ausdruck bringen, dass unser Land während dieser Konferenz präsent sein und an der Debatte teilnehmen durfte. Besonders glücklich bin ich über die Tatsache, dass das Treffen hier in Paris stattgefunden hat und wir zu wirklichen Ergebnissen gekommen sind. Und ich denke, dass das Problem der Grenze zwischen Deutschland und Polen für beide Seiten zur vollsten Zufriedenheit gelöst werden konnte. Hauptzweck war es ja eigentlich, die Grenzproblematik aufzuzeigen, die bestehenden Grenzen zu bestätigen. Die getroffenen Entscheidungen, die Sprache, die im Treffen gesprochen wurde, war auf das Äußerste zufriedenstellend.
Wie Sie wissen hat Polen vor einiger Zeit vorgeschlagen, einen Vertrag zwischen einem Vereinigten Deutschland und Polen abzuschließen, und zwar auf Basis eines von uns vorgelegten Entwurfs mit Grenzbedingungen und anderen Merkmalen. Um die Dinge zu vereinfachen, konzentrierten wir uns jetzt lediglich auf die Frage der Grenzen, allerdings im Rahmen der Gesetzestexte und Verfassungen, internationaler Gesetzgebung und der nationalen Gesetze von Deutschland und Polen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir — und da sind wir uns mit unseren deutschen Freunden einig — so schnell wie möglich einen anderen Vertrag abschließen sollten, um so alle Fragen bezüglich einer guten Nachbarschaft zwischen Polen und dem Vereinten Deutschrand zu einer Lösung zu bringen, Um diese Angelegenheit werden wir uns jedoch zu einem späteren Zeitpunkt kümmern.
Die Grenze wurde, wie schon gesagt, bestätigt. Sie alle wissen, dass wir, das heißt beide Seiten, seit dem Potsdamer Abkommen von 1945 immer wieder betont haben, wie wichtig es vor allem auch vom polnischen Standpunkt aus sei, einen Friedensvertrag abzuschließen und damit die Grenze zu skizzieren und festzulegen. Nach der heutigen Entscheidung ist ein solcher Vertrag nun nicht mehr notwendig, denn wir haben ein erstgültiges Resultat erzielt.
In meinem Beitrag zu diesem Treffen brachte ich auch andere Probleme, die Polen Sorgen bereiten, zur Sprache, vor allem was die Frage der Wirtschaftslage betrifft. Ich freue mich deshalb um so mehr, Ihnen mitteilen zu können, dass wir auch hier auf das volle Verständnis seitens Deutschlands getroffen sind. Herr Genscher hat vorgeschlagen, diesen Sommer ein Gespräch zwischen Deutschland und Polen stattfinden zu lassen und die äußerst schwerwiegenden wirtschaftlichen Probleme, die sich für Polen aufgrund der Situation in der Vergangenheit ergeben haben, zu diskutieren. Falls Sie hierzu irgendwelche Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Dumas: Das Wort geht nun an Mr. Baker.
Baker: Meine Damen und Herren, vor etwa sechs Monaten starteten wir in Ottawa diesen Zwei-plus-Vier Prozess. Es war ein völlig neuer Prozess, konstruiert für neue Zeiten. Es ist nur gerecht zuzugeben, dass unser Ziel ein sehr ehrgeiziges war ¬allerdings nicht zu ehrgeizig für diese Zeit der Hoffnung und der Freiheit in Europa.
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Unser Ziel war es natürlich, den Weg zu einer friedvollen und demokratischen Wiedervereinigung von Deutschland und damit einer Wiedervereinigung Europas frei zu machen, und heute, so meine ich, sind wir diesem Ziel um einiges nähergekommen. Und im selben schnellen Tempo möchten wir auch weiterarbeiten, unsere Arbeit ausführen und unser Ziel erreichen: Nämlich die übrigbleibenden Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Mächte erlöschen zu lassen und Deutschland seine vollständige Souveränität zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung im Jahre 1990 zurückzugeben.
Erst vor sechs Wochen legte Präsident Bush im Zuge des Gipfeltreffens in Washington dem sowjetischen Präsidenten Gorbachev neun Punkte vor, die der Sowjetunion unsere feste Absicht, die legitimen politischen, sicherheitsrelevanten und wirtschaftlichen Interessen der Sowjetunion nicht außer Acht zu lassen, versichern sollten.
Vor gerade einmal zwei Wochen erließen die NATO-Länder in London eine Erklärung, die aus dieser Absicht eine Weisung macht, eine Verpflichtung, dem Osten unsere Hand entgegenzustrecken, die Doktrin und Strategien der NATO zur Verteidigung zu modifizieren, unsere Verpflichtung auch auf die Kontrolle der Waffen auszuweiten, allmählich neue CSC-Institutionen einzurichten, und zwar für ein gesamtes, in Freiheit und Frieden lebendes Europa.
Erst gestern einigten sich die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion in Stavropol auf acht Punkte, die es uns erlauben, die Rechte der vier Mächte am Tag der Wiedervereinigung zu beenden, Deutschlands volle Souveränität und volle Vorrechte unter dem Schlussakt von Helsinki wiederaufzubauen und so eine gesunde Basis für Europas Sicherheit und Stabilität zu schaffen.
Heute treffen wir uns mit unserem polnischen Kollegen, Minister Skubiszewski, unter Anerkennung des ganz speziellen Interesses, das wir alle daran haben, den endgültigen Charakter der polnisch-deutschen Grenze deutlich zu machen. Wir sind uns alle darüber einig, dass ein Vereinigtes Deutschland aus der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin bestehen wird. Nicht weniger und nicht mehr. Wir haben uns nach einer Diskussion mit und Änderung durch unseren polnischen Kollegen darauf geeinigt, generelle Richtlinien zur endgültigen Lösung des Grenzthemas festzulegen. Und wir waren natürlich sehr erfreut, dass sich Deutschland in seiner Erklärung dazu verpflichtet hat, so schnell wie möglich nach der deutschen Wiedervereinigung Schritte in Richtung eines Grenzvertrags zu unternehmen und so den durch die deutschen Parlamente eingegangenen Verpflichtungen gerecht zu werden. Als nächstes werden unsere Behörden damit beginnen, mit Hilfe der von ihnen zusammengetragenen Liste externer Themen ein erstgültiges Vertragsdokument zu entwerfen.
Zusammenfassend sei gesagt, dass die Vereinigten Staaten hoch erfreut sind, dass wir uns auf dem Weg zu einem souveränen und vereinigten Deutschland befinden, auf dem Weg in ein stabiles und sicheres Europa. Wir ersetzen die historischen nationalen Interessen, die uns getrennt hatten, durch gemeinsame europäische und atlantische Interessen, die uns vereinen. Das Ziel, das so lange am Horizont verschwunden war, ist nun fast erreicht.
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Am Jahrestag des Ottawa Meetings werden die Vereinigten Staaten und die anderen vier Mächte ein vereintes, souveränes und demokratisches Deutschland willkommen heißen, ein Deutschland, das einen wertvollen Beitrag leisten wird zur Gründung und zum Erhalt eines ganzheitlichen, eines freien Europas.
Dumas: Vielen Dank. Es hat nun das Wort Herr Genscher, Außenminister der Bundesrepublik Deutschland
Genscher: Meine Damen und Herren, lassen sie mich zuerst unserem Gastgeber, Herrn Dumas, für die exzellente Art und Weise, auf die er unserem heutigen Treffen den Vorsitz geführt hat, danken. Darüber hinaus möchte ich meine ganz besondere Freude über die Anwesenheit unseres polnischen Kollegen, des Außenministers Skubiszewski, der seit vielen Jahren an einer besseren Verständnisstruktur zwischen Polen und Deutschland arbeitet, ausdrücken. Während der heutigen Sitzungen, an denen er teilnahm, haben wir die Prinzipien, die eine Resolution zum Grenzthema unterstreichen sollen, genau betrachtet. Natürlich hat keiner von uns die dunkelsten Zeiten der historischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen vergessen.
Heute konnten wir zu diesen grundsätzlichen Prinzipien eine Einigung finden. Eine Einigung nicht nur zwischen den Teilnehmern an den Zwei-plus-Vier Verhandlungen, sondern auch mit unserem polnischen Kollegen. Und dieses nehme ich nun als Gelegenheit zu erklären, dass es die Absicht der Bundesregierung ist, in kürzester Zeit nach der Wiedervereinigung und dem Erhalt der Souveränität einen Grenzvertrag mit Polen aufzusetzen, der dann dem Parlament des Vereinigten Deutschland zur Ratifizierung vorgelegt wird.
In unseren heutigen Gesprächen diskutierten wir auch die Ergebnisse unserer Zusammenkunft mit der sowjetischen Führung erst kürzlich in der Sowjetunion. Diese Diskussionen und deren Ergebnisse wurden heute von allen Teilnehmern begrüßt. Wir sind der Meinung, dass diese Resultate als Erfolg für Europa als Ganzes, für das neue Europa gesehen werden müssen und dass diese Resultate unsere Erwartungen, die Zwei-plus-Vier Gespräche vor dem CSCE Gipfeltreffen im November in Paris zu einem guten Ende bringen zu können, bestätigt haben. Es sollte uns möglich sein, dies vor dem CSCE Gipfeltreffen zu erreichen. Damit erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass wir das endgültige Dokument noch dieses Jahr unterzeichnen können und dass damit auch die deutsche Wiedervereinigung und Rückgabe der Souveränität an Deutschland noch in diesem Jahr vonstatten geht.
Angesichts dieser Entwicklung, die begleitet wurde von erfolgreichen Vorarbeiten für das CSE-Gipfeltreffen und den Ergebnissen der NATO-Konferenz in London, diesen neuen Beziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten der verschiedenen Allianzen, der zwei Allianzen können wir klar erkennen, dass es sich bei der Wiedervereinigung Deutschlands um einen dynamischen Prozess handelt, der sicherlich einen positiven Einfluss auf Europa insgesamt haben wird. Die Vereinigung Deutschlands als Beitrag zur Sicherung der Einheit, der Stabilität Europas. Als Beitrag zur Aufrechterhaltung des Friedens in Europa.
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Wir Deutsche sind uns natürlich vollkommen der Verantwortung bewusst, die uns diese Entwicklung auferlegt, und begrüßen die Tatsache, dass es nach den heutigen Gesprächen eindeutig noch zum Ende dieses Jahres zur Wiedervereinigung Deutschlands kommen wird. Ich möchte allen meinen Kollegen aufs Herzlichste Dank sagen für ihre konstruktive Annäherung.
Dumas: Vielen Dank, Herr Genscher. Hiermit gebe ich nun das Wort an den Außenminister der Sowjetunion.
Shevardnadze: Meine Damen und Herren, ich teile die Meinung meiner Kollegen zu den Gesprächen der Außenminister, die gerade stattgefunden haben. Zum Zeitpunkt des Treffens in Paris gab es wesentliche Neuigkeiten, die unser Vertrauen darin bestärken, dass ein endgültiger Beschluss zu den externen Aspekten einer Deutschen Einheit erreicht werden und mit dem Prozess der Deutschen Wiedervereinigung verbunden werden kann,
Während der ersten beiden Gesprächsrunden — und ebenso bei den vielen ministeriellen Kontakten auf bilateraler Ebene — haben wir ein wichtiges Stück Arbeit erfolgreich hinter uns gebracht. Gerade auf bilateraler Ebene ist es uns gelungen, eine Einigung über die Bedingungen und die Art der politischen Evolution zu erzielen, die einen Punktebeschluss zum Thema Deutschland möglich machen.
Ganz besonders möchte ich die Tatsache hervorheben, dass während dieser letzten Monate die Regierenden der Länder miteinander in Verbindung standen und dadurch viel zum Zwei-plus-Vier Mechanismus beigetragen haben. Das Treffen zwischen dem Präsidenten der UdSSR, Mikhail Gorbachev, und dem Bundeskanzler Helmut Kohl vervollständigte schließlich die intensiven Verhandlungen auf Gipfelebene.
Vor uns liegen nun die gemeinsamen Entscheidungen, die sich während des breiten politischen Dialogs der vier Mächte und der beiden deutschen Staaten sowie aufgrund der weitreichenden Veränderungen, die bezüglich des Warschauer Vertrags, der NATO und des gesamten Europäischen Kontexts stattgefunden haben, ergaben.
Das zentrale Problem, das es während unserer Konferenz in Ottawa zu lösen galt, bezog sich auf die Rechte und Pflichten der vier Mächte und die Rückgabe der vollständigen Souveränität an das zukünftige Vereinte Deutschland sowie auf dessen politischen und militärischen Status.
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Von Anfang an war klar, dass die Einrichtung eines Vereinten Deutschlands auf demokratischer Basis stattfinden sollte, dass das deutsche Volk auf beiden Seiten unseres Vertrauens würdig war. Die deutsche Bevölkerung hat während all dieser Nachkriegsjahre ihre Verpflichtung zum Frieden immer wieder bewiesen, ebenso ihre Entschlossenheit, eine Gesellschaft, einen Staat zu gründen, der für niemanden eine Bedrohung darstellen und allen Ländern im Westen und im Osten ein verlässlicher Partner sein würde.
Leider standen uns bis vor kurzem noch gewisse Realitäten im Wege, weiche eine Lösung zum Thema Deutschland verhindert hatten.
Aus diesem Grunde verknüpften wir in unserer Zwei-plus-Vier Arbeit von Anfang an die Wiedervereinigung Deutschlands mit drei weiteren Prozessen: Der Verringerung der militärischen Konfrontationsgefahr in Europa und damit der Übergang der europäischen Staaten zu einer defensiven Effizienz; der Schaffung einer europäischen Struktur der Sicherheit und politischen Kooperation; der Umwandlung von militärischen Blöcken in politische Bündnisse und das Herstellen von Partnerschaftsbündnissen zwischen den Staaten, die den beiden Allianzen zugehören.
Nach der Konferenz des politischen Beratungsausschusses des Warschauer Abkommens in Moskau und der unserer Partner in Dublin und London hat sich eine dramatische Änderung abgezeichnet, eine dramatische Beschleunigung auf allen drei Gebieten. Wir können ohne Übertreibung feststellen, dass sich nun in Europa eine neue Qualität bezüglich der politisch-militärischen Situation einstellt. Und diese neue Lage erlaubt es uns, die Möglichkeit, die externen und internen Aspekte eines Geeinten Deutschlands und die Beendigung der Verantwortlichkeiten der vier Mächte zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und die Rückgabe der vollen Souveränität an das zukünftige Deutschland ins Auge zu fassen. Und dies bedeutet, dass Deutschland als souveräner Staat selbst entscheiden kann, welcher Allianz es angehören möchte. Die Wahl zugunsten der NATO war schwierig für uns, sehr schwierig angesichts der Situation, die sich in der Vergangenheit bot. Aber die anstehende Umwandlung dieser Allianz erlaubt es uns nun, die Rolle und Stellung der sich verändernden NATO in Europa mit anderen Augen zu betrachten.
Ich bin der Meinung, dass die politischen Statements der Regierenden der BRD und der DDR dem Interesse aller europäischen Länder dienen, dass das zukünftige Deutschland keine Massenvernichtungswaffen besitzen wird, dass die Größe der Bundeswehr beschränkt, sehr beschränkt sein wird, und dass sich die militärischen Strukturen der NATO nicht über das Gebiet der DDR erstrecken wird. Zusammen mit der Vereinbarung, noch einige Jahre lang sowjetische Truppen auf deutschem Gebiet zu stationieren, werten wir diese Einschränkungen als materielle Garantien zur Bewahrung der Stabilität innerhalb Europas Grenzen.
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Es wurde außerdem fest vereinbart, dass die Sowjetunion und das Vereinte Deutschland einen Vertrag abschließen würden, demzufolge keine der beiden Seiten die andere als Feind betrachten wird, keine Gewalt der anderen Seite gegenüber anwenden wird und beide Seiten auf politischen, wirtschaftlichen und weiteren Gebieten eng zusammenarbeiten werden. Wir erwarten, dass es in nur sehr kurzer Zeit neue europäische Sicherheitsstrukturen geben wird, wobei zuerst an ein Zentrum zur Vermeidung und Lösung von Krisen gedacht werden soll. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Sowjetunion während des ersten Zwei-plus-Vier Treffens in Bonn erklärt hat, dass eine veränderte politisch-militärische Lage in Europa die Möglichkeit schaffen würde, die Wiedervereinigung Deutschlands unter anderen, neuen, weniger problembehafteten Aspekten zu betrachten. Jetzt können wir das tun und auch gleichzeitig sagen, dass wir uns der Lösung dieser Themen auf konstruktive und positive Art und Weise angenähert haben.
Während des aktuellen Treffens haben wir Minister uns darauf geeinigt, und meine Kollegen haben dies ja schon hervorgehoben, zur Praxis überzugehen und so sicherzustellen, dass zum Zeitpunkt der Konferenz in Moskau am 12. September ein Vertragsentwurf vorgelegt werden kann, der den Ministern als Basis dient. Diesen werden wir vervollständigen und beim europäischen Gipfeltreffen hier in Paris vorlegen.
Dieser heutige Tag wird sicher auch als der Tag in die Geschichte eingehen, der die deutsch-polnische Grenzfrage ein für alle Mal löst, und zwar zur vollen Zufriedenheit unserer polnischen Freunde. Sehr zu würdigen ist der Beitrag von Minister Skubiszewski zur Lösung dieses Themas und ich möchte ihm und Herrn Genscher, Herrn Meckel und den Delegationen dieser drei Länder meine Glückwünsche zu dieser wichtigen Entscheidung aussprechen.
Zu guter Letzt möchte ich auch meinem Freund Roland Dumas für seinen hervorragenden Vorsitz sowie für das herrliche und elegante Ambiente, in dem unsere Gespräche hier in Paris stattfinden konnten, danken,
Dumas: Vielen Dank. Nun geht das Wort and den Außenminister des Vereinigten Königreichs, Sir Douglas Hurd.
Hurd: Nun, Herr Vorsitzender, Sie haben Ihre Aufgabe als Vorsitzender exzellent verrichtet und es wird sich herausstellen, dass wir heute zwei Nüsse geknackt haben: Die Frage der polnischen Grenzen und die Form des endgültigen Übereinkommens. Aber wie jemand erst kürzlich gesagt hat — und er hatte Recht — wir haben eben harte Zähne. Noch vor einigen Wochen hatten wir alle Zweifel an einer möglichen Lösung; denn wir waren uns alles andere als sicher, dass wir die Lösung aller Probleme bis zum Jahresende schaffen würden. Diese Zweifel nehmen nun ständig ab. Herr Shevardnadze ermahnte uns heute Morgen zu geduldigen, ernsten Verhandlungen. Nun, genau dies wurde heute praktiziert, und eigentlich schon während der letzten Monate, und genau aus diesem Grund sind unsere Gespräche erfolgreich.
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Vor dem Einsatz des Zwei-plus-Vier Teams hatte mich Herr Shevardnadze darauf hingewiesen, dass ein Geeintes Deutschland nur schlecht in die Landschaft eines neuen Europas passen würde, wenn alles andere unverändert bliebe. Und er lenkte unsere Aufmerksamkeit schon frühzeitig auf die Wichtigkeit des NATO-Gipfels in London. Wir haben seine Worte von damals sehr ernst genommen und wie Sie heute vernommen haben hat ihn die Erklärung aus London auch nicht enttäuscht. Und dank der harten Arbeit der sowjetischen und bundesdeutschen Regierungen ist eine friedliche Versöhnung eines Vereinten Deutschlands nun in Sicht, eines Deutschlands, das sich seine eigenen Verbündeten, seinen eigenen Platz in Europa wählen kann und darf, eines Deutschlands, das auch die verständlichen Sorgen der Sowjetunion aus dem Weg räumen kann.
Während unseres Arbeitsessens und auch heute Nachmittag haben wir uns über die polnisch-deutsche Grenzfrage geeinigt Wir Briten hegen aus historischer und auch aus heutiger Sicht eine starke Sympathie gegenüber dem polnischen Volk und ich habe mich mit Herrn Skubiszewski lange und mit sichtlichem Erfolg über diese Thematik unterhalten, Zu meiner großer Erleichterung und zu unser aller Zufriedenheit kam es heute zu einer Einigung. Wir haben hier zwei Länder mit sehr bewegter Vergangenheit, zwei Länder, die nun geteilt werden, geteilt jedoch durch eine international vereinbarte Grenze mit der gegenseitigen Verpflichtung eines demokratischen, freien Europas, welches Differenzen auf friedliche Art zu lösen versteht. Und so sollte es auch sein.
Dumas: Vielen Dank. Ich erteile nun das Wort dem Außenminister der Deutschen Demokratischen Republik, Herrn Meckel.
Meckel: Auch ich möchte mich zuerst bei dem Außenminister von Frankreich für seinen hervorragenden Vorsitz des heutigen Treffens bedanken. Ich bin wie alle meine Kollegen der festen Ansicht, dass wir während der vergangenen Tage und Wochen seit unserem Treffen am 22. Juni in Berlin große Fortschritte erzielt, einen wichtigen Schritt vorwärts getan haben. Wir sind nun der Lösung der Probleme, die uns überhaupt zusammengebracht haben, viel näher. Vor allem möchte ich das kürzlich stattgefundene Gipfeltreffen in London erwähnen, ebenso das Treffen in Moskau vor wenigen Tagen. Auf dem Gebiet der Sicherheit haben wir einen großen Erfolg erzielt und ich meine, dass hier auch die sich entwickelnde Situation in Europa berücksichtigt wurde. Und diesen Punkt wollte ich auch hervorheben.
Die neue Beziehung zwischen den Mitgliedsstaaten der NATO und dem Warschauer Pakt und der Fortschritt, der sich bei der Institutionalisierung des CSCE-Prozesses eingestellt hat ist von größter Bedeutung für die Sicherheit und sollte auch sehr klar verdeutlicht werden: Das Konzept der Sicherheit darf heutzutage nicht länger nur unter einem militärischen Gesichtspunkt gesehen werden, sondern auf einer viel breiteren Basis. Es ist keine Frage der Bewaffnung gegen Feinde, sondern ein Zusammenarbeiten mit dem Ziel, Sicherheit zu schaffen und einen fruchtbaren wirtschaftlichen und politischen Boden zu erhalten.
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Was über die konventionellen Waffen unserer Heere gesagt wurde, ist ein sehr positiver Ausgangspunkt. Es freut uns auch sehr, dass die Bundesrepublik unseren Vorschlag übernommen hat, das heißt, dass beide deutschen Staaten den deutschen Streitkräften Grenzen setzen und diesen Vorschlag in Wien einbringen möchte. Auf dem Gebiet der konventionellen Streitkraft werden wir eine Lösung für das zentrale Europa vorschlagen.
Die Sowjetunion stimmt sowohl einer deutschen Wiedervereinigung als auch der Rückgabe der vollen Souveränität an das neue Land zu. Die Tatsache, dass beide Ereignisse zur selben Zeit entschieden wurden bedeutet für uns einen immensen Schritt vorwärts. Auch sind wir der Meinung, dass die internationalen Verträge, die diese alliierten Rechte und Pflichten betreffen, genau auf ihre Restriktionen und Grenzen bezüglich dieser Souveränität untersucht werden müssen. Nur so können wir sicherstellen, dass sie den Rechten und Verpflichtungen der Verbündeten entsprechen.
Es freut uns außerordentlich, dass sich die Sowjetunion bereit erklärt hat, ihre Truppen während der nächsten Jahre aus dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zurückzuziehen und halten dies für eine äußerst positive Entwicklung. Dies ist der Ausgangspunkt für einen Vertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion, der nicht nur die sicherheitsrelevanten Fragen klärt, sondern alle Themen, die unsere Beziehung betrifft und ich bin der Meinung, dass die Basis hierzu im beidseitigem Verzicht auf Gewalt besteht. Dies ist natürlich verbunden mit dem Rückzug von sowjetischen Nuklearwaffen aus deutschem Gebiet und der Vereinbarung, dass auf dem Gebiet der gegenwärtigen DDR auch in Zukunft keine nuklearen Waffen stationiert werden sollen. Unserer Meinung nach ist das ein wesentlicher Punkt. Es ist ein erster wichtiger Schritt in Richtung eines absolut atomwaffenfreien Deutschlands. In dem neuen Europa wird die Notwendigkeit der Stationierung nuklearer Waffen in Deutschland ganz einfach nicht mehr gegeben sein. Wir sind uns sicher, dass die Sicherheit auch ohne nukleare Waffen auf deutschem Gebiet gewahrt werden kann.
Und es freut mich sehr, dass unser heutiges Gespräch durch den Beitrag Herrn Skubiszewskis gewonnen hat. Zum Thema polnisch-deutsche Grenze wurde ein wichtiger Fortschritt erzielt und eine Lösung gefunden. Wir Deutsche sind uns unserer Verantwortung vollständig bewusst, denken wir nur an die Vergangenheit, die bewegte Geschichte unserer Beziehungen.
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In kürzester Zeit nach Kanzler Kohls Besuch in Moskau ist es uns gelungen, eine Vereinbarung zu treffen. Gestern betraf die Diskussion die deutsch-sowjetischen Beziehungen, heute kam es zu einer deutsch-polnischen Einigung, Die Aussichten für die Zukunft sind gut. Nie wieder möchten wir einer Situation gegenüberstehen, in der die Beziehung zwischen Deutschland und der Sowjetunion eine Gefahr für Polen darstellt.
Wir sind sehr glücklich, dass Polen nun in Bezug auf seine Grenzen abgesichert werden konnte. Die Sicherheit Polens basiert auf zwei Punkten: Der Unterzeichnung eines Grenzabkommens mit Deutschland sofort nach dessen Wiedervereinigung und der darauffolgenden Verhandlung bezüglich einer generellen Vereinbarung zu den Beziehungen beider Staaten zueinander. Unserer Meinung nach ist die deutsche Wiedervereinigung eng an diese Schlüsselfrage, also einer definitiven Grenze zwischen Deutschland und Polen, geknüpft. Heute ist unsere klare Aussage, dass wir dazu bereit sind, und zwar vor der Wiedervereinigung, trilaterale Gespräche mit Polen zu führen und diese Punkte, die unsere gemeinsamen Interessen betreffen, zu einer Lösung zu bringen.
Dumas: Vielen Dank. Stellen Sie nun den Ministern Ihre Fragen. Bitte stellen Sie fest, wem Ihre Frage gilt und für welches Blatt Sie arbeiten.
Frage: Ich habe eine Frage an Minister Skubiszewski. Würden Sie sagen, dass die heutigen Ereignisse die Möglichkeit, dass Polen ein Teil des vereinten Europas sein wird, einräumt?
Skubiszewski: Ein wichtiger Schritt in die von Ihnen angedeutete Richtung. Keine Frage, ein vereintes Europa ohne vereintes Deutschland und umgekehrt kann nicht sein. Die endgültige Lösung oder Bestätigung des Grenzthemas ist ein wichtiger Beitrag zur Stabilität des europäischen Kontinents.
Was nun Polens Rückkehr nach Europa betrifft, so muss man dies unter einem relativen Gesichtspunkt einordnen; denn Polen war immer, auch in den schlimmsten Nachkriegszeiten, präsent in Europa. Wir waren stets ein Teil des kulturellen Europas und Teil der Zivilisation Europas. Gegenwärtig unternehmen wir Schritte dahingehend, die Mitgliedschaft im Europarat in Straßburg zu erwerben und bereiten uns auf Verhandlungen vor, die eine Vereinbarung zum Beitritt in die Europäische Gemeinschaft zum Ziel haben. Dies sind zwei wichtige Schritte, welche in der polnischen Europapolitik zu behandeln sind.
Frage: Sie nehmen Bezug auf Wirtschaftsgespräche, die diesen Sommer mit Westdeutschland geführt werden sollen. Bitte nennen Sie uns Einzelheiten. Außerdem haben alle Minister Bezug auf die Lösung des Grenzthemas und die Bedingungen dazu genommen. Allerdings haben Sie keine dieser Bedingungen erläutert. Wir wissen nur, dass die Grenzen bleiben wo die Grenzen sind. Bitte nennen Sie uns einige der anderen Bedingungen.
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Skubiszewski: Was die Wirtschaftsgespräche betrifft, so kann ich Ihnen weder Einzelheiten zu den zukünftigen Treffen mit der Bundesrepublik noch zu denen mit der Demokratischen Republik nennen, da wir gerade mal ansatzweise daran denken, Auf alle Fälle befinden wir uns in Gesprächen mit der Deutschen Demokratischen Republik, um das Schicksal der bestehenden Verträge und Wirtschaftsübereinkommen zu bestimmen; denn einige müssen aufgrund der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geändert werden. Dies ist kein unbedeutendes Problem für Polen; denn die Deutsche Demokratische Republik war ein wichtiger Wirtschaftspartner für unser Land.
Zu Ihrer zweiten Frage: Ich kann Ihnen keine Details zu den Bestimmungen, die heute diskutiert wurden, nennen; denn dies sind vertrauliche Angelegenheiten. Nur eine Sache möchte ich klarstellen: Polen war immer etwas irritiert über die ständigen Bezugnahmen auf einen Friedensvertrag als endgültiges Element zur Anerkennung oder Bestätigung der Grenze. Diese Bedingung, oder Forderung nach einem Friedensvertrag, besteht nun aufgrund der in dieser Konferenz erzielten Ergebnisse zur Stabilität nicht mehr.
Frage: Eine Frage an Herrn Genscher. Es scheint von verschiedenen Seiten – den Sowjets, Polen – immer wieder die Frage aufgeworfen worden zu sein, ob sich Deutschland auch in Zukunft zu benehmen wisse. Wie haben Sie Ihren Gesprächspartnern diese Zukunftssorgen nehmen können?
Genscher: Ich würde sagen, dass Deutschlands Benehmen heute keine Diskussionsgrundlage war, Ich möchte hier noch einmal hervorheben, was der Außenminister der Sowjetunion in seiner Ansprache zum Vertrauen meinte. Das Vertrauen, das sein Land in beide deutsche Staaten und das Volk beider deutscher Staaten setzt. Ein Vertrauen, das von allen Teilnehmern dieser Konferenz geteilt wird.
Frage: Ich habe zwei Fragen an Herrn Genscher. In Verbindung mit der Äußerung Herrn Meckels möchte ich wissen, wie Sie über die Stationierung von Nuklearwaffen im Gebiet der DDR denken. Sagen Sie mir bitte, wie Sie die Zukunft sehen.
Meine nächste Frage richtet sich an Herrn Dumas. Gibt es Elemente, die nicht in generelle Form der Vereinbarung eingeschlossen wurden, die jedoch wichtig sind für die Wiedervereinigung Deutschlands? Elemente wirtschaftlicher, politischer oder militärischer Natur?
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Genscher: Während unserer gestrigen Gespräche mit der sowjetischen Führung konnten wir uns darauf einigen – und hier stimmten alle Teilnehmer zu – dass es allein die Entscheidung des Vereinten Deutschland sein kann, ob und welcher Allianz es zugehören möchte. Auch in den Gesprächen mit der sowjetischen Führung war man sich einig und es gilt, was unser Bundeskanzler in seiner Pressekonferenz in der Sowjetunion erklärte: Deutschland wird und will ein Mitglied der westlichen Allianz bleiben. Über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren wird die Sowjetunion ihre Truppen auf dem Gebiet der DDR belassen. Dieser Beschluss wird bekräftigt durch einen Vertrag, den das zukünftige vereinte und souveräne Deutschland mit der Sowjetunion abschließen wird. Zur selben Zeit werden auf dem Gebiet der dann ehemaligen DDR auch Militärkräfte des vereinten Deutschland stationiert, welche nicht dem Kommando der NATO unterstellt und für die Verteidigung des Gebiets zuständig sein werden.
Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen werden im Gebiet der DDR deutsche Armeekräfte, auch solche unter NATO-Kommando, stationiert. Die Armee wird allerdings nicht über nukleare Waffen verfügen. Dies ist also eine genaue Beschreibung der Situation, die unter Zustimmung der Sowjetunion und in Übereinstimmung mit den Artikeln 5 und 6 des NATO-Abkommens sofort nach der Wiedervereinigung für Deutschland Gültigkeit erlangt. Diese Bestimmungen (des Artikels 5 und 6 des NATO-Abkommens) gelten dann auch für die Gebiete der DDR.
Dumas: Zu Ihrer Frage an mich möchte ich sagen, dass die Ottawa-Gruppe eingesetzt wurde, um sich mit den externen Aspekten einer deutschen Wiedervereinigung zu befassen. Die inneren Themen, so der gemeinsame Beschluss, sollten von den beiden deutschen Staaten übernommen werden. Darunter fiel auch die Frage der Grenzen zwischen Polen und Deutschland und die Erörterung der auftretenden Probleme. Die Arbeitsgruppe legte uns fünf wesentliche Punkte vor, die wir heute diskutierten. Der Außenminister von Polen erhob eine Anzahl zusätzlicher Fragepunkte, die zwar nicht im finalen Dokument der Zwei-plus-¬Vier Konferenz enthalten sein werden, die jedoch im Verlauf unserer Gespräche beantwortet werden konnten. Einige dieser Antworten werden auch in das endgültige Abkommen übernommen. In anderen Fällen werden sie in Erklärungen wiederzufinden sein, die wir in diese Gespräche einarbeiten werden. Machen Sie sich also keine Sorgen, es wird keine Fragen geben, die wir nicht behandelt haben werden.
Frage: An die Minister Genscher, Meckel und Skubiszewski: Wurde in den heutigen Gesprächen auch Bezug auf die Frage einer deutschen Verfassung im Kontext mit den Grenzen genommen? Vielen Dank.
Genscher: Bereits zu Beginn der Zwei-plus-Vier Verhandlungen hat Deutschland darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen im Grundgesetz, welche sich auf die deutsche Wiedervereinigung beziehen, entweder gestrichen oder den geänderten Verhältnissen angepasst werden müssen. Ist Deutschland erst einmal wieder vereint, so hat sich der Sinn und Zweck, das Ziel des Grundgesetzes erfüllt.
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Skubiszewski: Es stimmt, wir haben heute über die verfassungsmäßigen Probleme gesprochen. Die Verfassung ist das höchste Gesetz im Land und wenn wir davon ausgehen, dass sie gewisse internationale Veränderungen wie die Wiedervereinigung Deutschlands und die Bestätigung der Grenzen berücksichtigen soll, so sind einige Gesetzesänderungen unumgänglich, vor allem dann, wenn auch internationale Bestimmungen davon betroffen sind. Andere wiederum unterliegen der Entscheidungsgewalt der entsprechenden Länder. Ich meine: dass dieser Teil unserer Debatte sehr Nutzen bringend war.
Meckel: Die Verfassung ist natürlich das höchste Gesetzesgut eines jeden Staates. Lebenswichtig für die Souveränität des Landes. Wie gesagt wird also nach der Wiedervereinigung Deutschlands eine gewisse Anpassung der Verfassung von Nöten sein. Hier wurde auch die Präambel erwähnt. Artikel 23, um genauer zu sein, wird in Zukunft nicht mehr im deutschen Grundgesetz zu finden sein. Wir haben heute diese Angelegenheit nicht im Einzelnen durchgesprochen, haben uns jedoch darauf geeinigt, dass die verfassungsrechtlichen Themen nicht Teil eines Vertrags mit einem anderen Land sein sollten. Es wurde auch darüber diskutiert, in welchem Maße andere gesetzliche Bestimmungen zur Sprache gebracht werden sollten.
Wir sind uns darin einig, dass die Inlandsgesetze selbstverständlich den internationalen Gesetzen und Verpflichtungen entsprechen müssen, es ist auch nicht notwendig, dieses in einem Vertrag ausdrücklich zu spezifizieren. Dies sage ich weil, und dieses weil möchte ich unterstreichen, ich selbst lange Jahre in einem Land gelebt habe, welches viele internationale Verträge unterzeichnet hat. Jedoch hat unsere nationale Gesetzgebung einfach nicht dazu gepasst, hat den internationalen Unternehmungen nicht entsprochen, und wir sind uns dieses Themas ganz besonders bewusst und gehen besonders darauf ein, um so zu verhindern, dass dies im zukünftigen Deutschland wiederholt wird.
Frage: Diese Frage richtet sich an die Herren Shevardnadze und Genscher. Herr Meckel hat gerade die Hoffnung geäußert, dass Deutschland frei von Nuklearwaffen bleiben soll. An Herrn Shevardnadze: Ist es noch Ziel der Sowjetunion, Deutschland nuklearfrei zu halten? Herr Genscher, wie denken Sie über dieses Thema?
Shevardnadze: Das wäre natürlich eine ideale Lösung. Gestern in Stavropol und auch in Moskau diskutierten wir die Frage des militärisch-politischen Status des heutigen DDR-Gebiets. Und wir waren uns alle darüber einig, dass auf diesem Gebiet keine Nuklearwaffen stationiert werden, solange dort Sowjettruppen präsent sind, und auch nicht nach deren Abzug. Was die anderen Punkte dieses Problems angeht, so werden wir uns nach den Gesprächen in Wien — der ersten Gesprächsrunde — daran machen, einen Dialog über die Reduzierung und eventuell völlige Eliminierung taktischer Nuklearwaffen innerhalb Europas zu führen.
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Genscher: Herr Shevardnadze, so meine ich, hat klar dargestellt, dass auf dem Gebiet der heutigen DDR während und auch nach dem Abzug der Sowjettruppen deutsche Militäreinheiten stationiert werden, allerdings werden diese nicht über Nuklearwaffen verfügen. Die restlichen Themen werden innerhalb der Allianz und auf internationaler Ebene diskutiert.
Frage: Außenminister Baker, bedeutet die Tatsache, dass die Übereinkommen zwischen der Sowjetunion und den Deutschen von diesen beiden, also nicht direkt in dieser Konferenz getroffen wurden, dass die Vereinigten Staaten nicht länger in der Lage sind, die Art von wirtschaftlichem Druck auszuüben, wie es früher der Fall war, dass Ihnen bis jetzt noch keine Frage von uns gestellt worden ist, bedeutet all dies, dass der amerikanische Einfluss in Europa nicht mehr der ist, der er einmal war oder wieder sein wird?
Baker: Ich bin froh, dass Sie diese Frage gestellt haben. Wissen Sie, ich habe mich schon gewundert – nun, ich möchte Ihnen sagen, dass wir äußerst glücklich über die Erklärung sind, welche die Sowjetunion gestern abgegeben hat; denn wir haben sehr lange und sehr hart genau auf dieses Ziel hingearbeitet.
Die Vereinbarungen, die zwischen Kanzler Kohl und Präsident Gorbachev getroffen wurden, haben auch wir, die Vereinigten Staaten, seit wenigstens Dezember letzten Jahres, als wir ein vereintes Deutschland als Mitglied der NATO forderten, unterstützt und gewollt. Es ist also klar, dass wir mit den Bedingungen sehr zufrieden sind. Und lassen Sie mich Ihre Aufmerksamkeit bitte auf die neun Punkte lenken, die ich schon in meiner Eröffnungsrede erwähnt habe, und die wir mit all unseren Kollegen hier, vor allem mit Außenminister Shevardnadze und Präsident Gorbachev von der Sowjetunion, immer wieder diskutiert haben. Dieses Ergebnis freut uns deshalb ungemein. Dieses Ziel verfolgen wir nun schon lange, und es war ein Stück harte Arbeit, es zu erreichen.
Genscher: Ich kann dem, was Herr Baker geäußert hat, nur hinzufügen, dass Deutschland von Anfang an die Unterstützung der Vereinigten Staaten bei dessen Marsch in Richtung Wiedervereinigung sehr begrüßt hat und es war allein unsere Entscheidung, in der NATO zu verbleiben. Ebenso viel Unterstützung fanden wir im Prinzip der Nichtausweitung der NATO-Struktur bis ins Gebiet der DDR. Das heutige Ergebnis wurde gemeinsam erzielt, und wir sind den Vereinigten Staaten für ihre Unterstützung äußerst dankbar. Ich erinnere mich, was Präsident Gorbachev gestern während der Schlussphase der Konferenz mit unserem Bundeskanzler über die Wichtigkeit der Ergebnisse, die auf dem Londoner NATO-Gipfel erzielt wurden, gesagt hat: Dass sie der Ausgangspunkt für eine grundsätzliche Änderung in Europa bedeuteten, die es der Sowjetunion möglich gemacht hätten, mit der Bundesrepublik an diesem Tag eine Einigung zu finden.
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Und hier möchte ich noch die wichtigen Rollen, die der Präsident der Vereinigten Staaten und dessen Außenminister bei der Entscheidungsfindung während des NATO-Gipfels in London innehatten, herausstellen.
Frage: An Herrn Genscher. Wie hoch wird der Preis im Rahmen von Wirtschaftshilfe für die Zustimmung der Sowjetunion zu einer deutschen Wiedervereinigung sein? Bitte antworten Sie auf Englisch für unsere Zuschauer in Großbritannien.
Genscher: Tut mir leid, ich ziehe es vor, auf Deutsch zu antworten. Unsere Beziehung zu der Sowjetunion und ihrer Bevölkerung hat keinen Preis, die Zustimmung der Sowjetunion wird nicht bezahlt. Das ist keine Art die Dinge zu betrachten. Man kann Zustimmung nicht kaufen, man kann eine Vereinbarung nicht kaufen. Das wollen wir nicht und das könnten wir auch nicht.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Sowjetunion haben sich jedoch dahingehend verständigt, dass ein Vereintes Deutschland viel mehr zur Stärkung der Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten beitragen kann als zwei weiterhin getrennte Länder. Aus diesem Grund haben wir vereinbart, dass die zukünftigen Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion mittels eines Vertrags innerhalb der nächsten 12 Monate geregelt werden sollen. Wir sind davon überzeugt, dass unser Beitrag eine große Hilfe zur Sicherstellung einer erfolgreichen Wirtschaftsreformpolitik in der Sowjetunion sein wird — denn eine solche Reform ist nicht nur von Vorteil für die Sowjetunion selbst sondern auch für die Entwicklung von Gesamteuropa. Wir können uns dieser Angelegenheit nun auf eine andere Art und Weise annehmen und sind sicher, dass hiervon alle Länder in Europa profitieren werden und dass sich auch alle dessen bewusst sind. Wenn ich von „uns“ spreche, so meine ich nicht nur die Sowjetunion und die Bundesrepublik Deutschland, sondern beziehe mich auf alle an diesem Verhandlungstische vertretenen Länder und all die am CSDE-Prozess teilnehmenden Staaten.
Shevardnadze: Lassen Sie mich auch kurz was dazu sagen, auf Ihre Frage antworten. Wenn es um die Herstellung der Souveränität einer Nation geht, um nationale Einheit, um die eigene Entscheidungsfreiheit eines Landes, dann gibt es keinen Handel. Und wir werden nicht handeln. In diesem Punkt stimme ich Herrn Genscher voll und ganz zu.
Frage: An Außenminister Baker oder Skubiszewski. Herr Baker, sie bezogen sich auf Änderungen in Bezug auf die Grenzvertragsprinzipien durch den polnischen Minister. Könnten Sie uns bitte mehr über diese Änderungen berichten?
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Und zweitens, an Außenminister Shevardnadze, sie sprachen von „Partnern“, „unseren Partnern in Dublin und London“. Betrachten Sie nun die NATO-Staaten als Partner? Und um nochmals die in Bonn gestellte Frage zu wiederholen: Bereiten Sie eine formale Partnerschaft vor? Einen Beitrittsantrag? Was kommt als nächstes?
Baker: Diese Frage können Außenminister Shevardnadze und ich vielleicht gemeinsam beantworten. Fünf Punkte regeln die Frage der Grenzziehung in Bezug auf die externen Gesichtspunkte der deutschen Wiedervereinigung. Und der Herr Minister brachte mehrere Änderungsvorschläge zu diesen Punkten ein. Ich denke, ich darf Ihnen berichten, dass er unter anderem die Forderung stellte, dass ein Statement herausgegeben werden soll, welches bestätigt, dass definitive Grenzen zu Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Friedens in Europa darstellen. Diesen Vorschlag haben wir gerne aufgenommen und unseren fünf Punkten hinzugefügt. Es gab weitere Vorschläge, denen auch Folge geleistet wurde.
Dumas.. Als Vorsitzender dieses Treffens möchte ich bestätigen, dass dieser Zusatz angenommen wurde und in dem Schlusstext zu lesen sein wird. Außenminister Skubiszewski?
Skubiszewski: Herr Präsident, sie sprachen von Änderungen. Tatsache ist, dass es keine besonderen Anpassungen oder Änderungen gab, gewisse Punkte wurden nur ausführlicher behandelt, Es gab notwendige Klarstellungen von Sachverhalten, wie auch der Außenminister bereits erwähnt hat, einige von ihnen wurden in die fünf Hauptpunkte übernommen, andere wiederum unterlagen den Statements der einzelnen Nationen. Im Endergebnis stehen unter dem Strich dann bestätigte Grenzen.
Shevardnadze: Wenn wir von Partnerschaft sprechen, so sollte es keinem von Ihnen fremd sein, dass wir schon seit langem dabei sind, unsere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, Frankreich, der Bundesrepublik, Großbritannien und anderen Staaten zu verstärken. Was nun die Zukunft anbetrifft, nun, ich bin mir völlig sicher, dass wir wirkliche Partner sein werden; denn wir schaffen neue Beziehungen zwischen Ländern, die heute noch verschiedenen militärisch-politischen Allianzen angehören.
Viele Dinge ändern sich gerade. Wir stehen am Anfang einer Zeit des Friedens in der Entwicklung der Menschheit dieser Welt. In diesem Kontext haben wir neue Beziehungen aufgebaut und es überrascht nicht, dass die Feinde von gestern, Länder, die zu gegensätzlichen politisch-militärischen Allianzen gehören, echte Partner werden und auf Basis der Prinzipien von Gleichheit und gegenseitigem Vertrauen zusammenarbeiten.
((Seite 18))
Frage: Könnten Sie die Änderungen, die Sie beantragt haben, bitte etwas spezifizieren? Forderten Sie beispielsweise eine Änderung in der Präambel des westdeutschen Grundgesetzes? Wollten Sie, dass Artikel 23 aus dem Grundgesetz gestrichen wird? Haben Sie einen Zeltplan gefordert, der in die Zwei-plus-Vier Vereinbarung aufgenommen werden soll und damit die deutschen Staaten verpflichtet, die Grenzen so schnell wie möglich anzuerkennen?
Skubiszewski: Nein, ich habe keine Änderung in der Präambel oder in Artikel 23 gefordert; denn schon vor einiger Zeit wurde mir von unseren deutschen Partnern mitgeteilt, dass diese Änderungen sowieso vorgenommen würden. Also stand dies heute nicht zur Diskussion. Die Änderung der Konstitution obliegt dem Land, welches für diese verantwortlich ist. Es wurde uns versichert — und nicht nur uns — dass diese Angelegenheit vorrangig in den Zwei-plus-Vier Gesprächen erörtert würde. Was den Zeitplan betrifft, so gab es vor der heutigen Sitzung tatsächlich einige Gespräche zu diesem Thema, was heute auch zur Sprache kam. Es liegt in unserem Interesse, den bilateralen Vertrag zwischen Polen und dem Vereinten Deutschland so schnell wie möglich zu einem Abschluss zu bringen, und es wurde uns versichert, dass dieser Vertrag sobald wie möglich nach der Wiedervereinigung Deutschlands unterzeichnet würde. Das wiederum deckt sich mit der polnischen Position zu dieser Angelegenheit.
Wir haben uns oft gewünscht, dass die Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrags nach der Wiedervereinigung stattfinden würde. Trotzdem erschien es uns notwendig, vorbereitende Gespräche zum Vertragsthema zu führen, also vor der Wiedervereinigung; denn das kann eine Hilfe für spätere Geschehnisse sein. Das, so meine ich, ist eine pragmatische Annäherung an das Thema,
Dumas: Ihnen allen vielen Dank. Vielen Dank auch an meine sechs Kollegen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für Ihre Teilnahme an diesem Gedankenaustausch.
Anmerkung:
Bei dem vorstehenden Text handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen. Die Übersetzung wurde von einem staatlich anerkannten Übersetzungsbüro vorgenommen.
Für Schreib- und/oder Übertragungsfehler kann keine Gewähr übernommen werden. Die Quelle der Ausfertigung in englischer Sprache, nach welcher die Übersetzung in die deutsche Sprache vorgenommen wurde, ist bekannt.
Gibt es den LINK noch in Archive.org?
http://www.2plus4.de/USA/chronik.php3?date_value=18.07.90&sort=001-000 Presseerklärung der Außenminister am 18.07.1990
Gewalt in Münchens Innenstadt eskaliert: Selbstverteidigungskurse für Mitarbeiter von Hugendubel und McDonald’s: https://www.tz.de/muenchen/stadt/der-muenchner-city-angst-geht-um-banden-verbreiten-sich-in-93371333.html