Asylsuchende aus Syrien: Der Merkel-Effekt jetzt auch in den Zahlen

von Joachim Jahnke

 1. Die Entscheidung

Es war eine einsame Entscheidung, ohne Anhörung des Parlaments und ohne Rücksicht auf die in der deutschen Bevölkerung nach einem Stimmungswechsel zu erwartenden Ängste. Es war auch eine Entscheidung ohne Rücksicht auf alle Informationen von der labilen Lage in den syrischen Flüchtlingslagern jenseits des Landes mit vier Millionen Menschen und unter den sieben Millionen an andere Orte innerhalb Syriens Geflüchteten. Am 25. August 2015 erklärte das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration:

„Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt. Die noch nicht abgeschlossenen Verfahren werden in Deutschland bearbeitet. Die Entscheidung hat humanitäre Gründe, zudem können dadurch die Verfahren schneller bearbeitet werden.“

Ungarn reagierte prompt und schickte von nun an syrische und dann auch andere Flüchtlinge direkt nach Österreich und Deutschland weiter. Andere Durchgangsländer schlossen sich an. Wenig später wurden Züge und Busse eingesetzt, um die Menschen möglichst rasch aus dem Lande zu befördern. Die überraschende Meldung aus Deutschland ging um die Welt und bewog immer mehr Flüchtlinge aus Syrien und solche, die sich nun paßlos als Syrer ausgaben, zum langen, oft gefahrenvollen Marsch in das gelobte Land. Flüchtlinge aus anderen Ländern und mit anderen Pässen glaubten auf eine gleiche Behandlung pochen zu können, da ihre Lage nicht viel anders war.

Mehrere Flüchtlinge in Jordanien sagten in Telefoninterviews mit SPIEGEL ONLINE, die Ankündigung Deutschlands zur unbürokratischen Anerkennung von syrischen Asylsuchenden habe sich unter ihren Landsleuten wie ein Lauffeuer verbreitet. Auch die große Sympathie für Merkel, die von den Syrern in sozialen Netzwerken teilweise fast wie eine Heilige verehrt wird, bewegt offenbar viele der Flüchtlinge, über eine Reise nach Deutschland nachzudenken oder sie bereits zu planen.

2. Gewinner und Verlierer

Man weiß nicht, was Merkels wahre Motive waren. Hat sie einfach nur die Masse der zu erwartenden Flüchtlinge unterschätzt? Glaubte Sie, sich selbst entgegen ihrem Profil als eiserne Kanzlerin in ein humaneres Licht setzen zu können? Ahnte Sie bereits, daß die SPD am Ende die größeren Probleme bekommen würde, weil ihr Wählerpotenzial die größeren Lasten der Flüchtlingskrise würde schultern müssen? Oder war es einfach ihre christliche Überzeugung, die sie an den Folgen ihres Handels für sehr viele Deutsche vorbeisehen ließ?

Klar ist jedenfalls, wer auf deutscher Seite die Gewinner und wer die Verlierer der Flüchtlingskrise sein werden. Zu den Gewinnern gehören die Arbeitgeber, die sich einen enormen Nachschub an billigsten Arbeitskräften, entsprechenden Druck auf das gesamte Lohnniveau und am Ende ein Scheitern des gegen ihren Willen beschlossenen Mindestlohns erhoffen dürfen. Auf der Sonnenseite stehen ebenso diejenigen, die von den Gewinnen der Unternehmen besonders profitieren, wie Aktionäre, leitende Angestellte, aber auch die Hersteller von Wohnraum und Betreiber von Flüchtlingsheimen und viele schmarotzende Krisengewinnler. Zu den Gewinnern werden sich schließlich die zählen wollen, die unbedingt aus den Resten des Nationalstaats heraus in eine immer globalere und gleichzeitig neoliberalere Welt wollen. Typisch sind hier zwei Zitate aus der ZEIT vom Sonntag aus der Feder verschiedener Autoren, einer davon der Feuilleton-Redakteur der Zeitung. Das eine Zitat lautet allen Ernstes (als seien wir ewige Nazis):

„Diese irrsinnige Utopie, ein für alle Mal nur unter sich zu sein, kann nicht aufgehen. Wer nach nationaler Reinheit strebt, hat sich noch stets mit Blut besudelt. Wer die deutsche Geschichte betrachtet, weiß das.“

Das andere Zitat klingt ähnlich:

„Derzeit beobachten wir wieder einmal den blutigen Zerfall von Vielvölkerstaaten: Syrien, Irak und Afghanistan versinken in Bürgerkriegen. Die Menschen machen sich auf den Weg nach Europa. Sie werden unser nationales Geschichtsbild zerstören. Dafür müssen wir ihnen dankbar sein. Wir werden die Gegenwart verlieren, wenn wir ihr Angebot ablehnen, ernst zu machen mit unity in diversity.“

In keinem anderen Land der Welt würden seriöse Zeitungen mit solchen Sprüchen aufwarten, während gerade viele internationale Modelle, wie die Eurozone, die EU insgesamt oder die Schengenzone unter dem Ansturm nationaler Interessen versinken und die neoliberale Globalisierung, wie beim transatlantischen Handelsabkommen TTIP, auf den Widerstand von Mehrheiten der Bevölkerungen stößt.

Die Verlierer sind ebenso eindeutig diejenigen, die ohnehin zu den sozial Benachteiligten zählen. Sie vor allem werden die Konkurrenz um Arbeitsplätze, Sozialleistungen, billigen Wohnraum, bei den Wartelisten der Kassenärzte und um geeignete Kindergarten- und Schulplätze für ihre Kinder zu spüren bekommen. Sie können weder in feinere Viertel umziehen, noch auf Privatschulen und Privatärzte ausweichen. Es ist wie bei allen der letzten schweren Krisen des neoliberal gewandelten Kapitalismus. Für sie gibt es in dieser Konkurrenz keine Rettungsnetze wie für die Banken und deren private Gläubiger und Aktionäre. Sie werden sich mit Straßenprotesten zu wehren versuchen und, wenn auch das nicht hilft, den Versprechungen rechtsnationaler Kräfte Glauben schenken. An den Wahlurnen wird die SPD den weitaus höchsten Preis zahlen und jedes Platzen der Koalition an Flüchtlingsfragen wäre für sie verheerend.

3. Der Merkel-Effekt

Inzwischen sind die Zahlen der Asylantragsteller aus Syrien für September veröffentlicht. Gegenüber dem Vormonat kam es zu einem riesigen Sprung um 64 % auf rund 17.000, gegenüber dem Vorjahresmonat fast eine Verdreifachung (Abb. 19018). Das ist umso dramatischer als bis zur Registrierung der Anträge immer Verzögerungen auftreten, der Effekt des Hereinwinkens der Syrer also nicht sofort komplett eintreten konnte, und erst recht viele Syrer nicht sofort aus der Türkei nach Deutschland aufbrechen konnten. Auch bei Schweden kam es zu einem, wenn auch nicht ganz so starken Anstieg, da viele Syrer über Deutschland sofort nach Schweden weiter reisten, wo ein großer Teil von ihnen bereits Verwandte hatte. Insgesamt kamen nach Angaben des bayerischen Innenministeriums allein im Oktober 318.000 Flüchtlinge und wurde damit die erwartete Jahreszahl von 800.000 bereits erreicht. Die Zahl vom Oktober lag damit noch einmal fast doppelt so hoch wie im September, so daß sich auch für die nachstehende Grafik zu den Syrern einen weiterer Knick nach oben ergeben hat.

 

Auf der Basis der UN-Daten ist abzulesen, wo bis September 2015 die Flüchtlinge herkamen, für die als Gesamtzahl der Asylanträge aus allen Ländern eine halbe Million angegeben wird (siehe dazu hier). Sie kamen auch bereits aus der Tiefe Afrikas. Inzwischen geht selbst Merkel von 1 Million neue Flüchtlinge allein in diesem Jahr aus.

Siehe dazu auch mein neues Buch „Die Zweite Völkerwanderung hat begonnen“ (84 Seiten, 55 farbige Schaubilder, Preis 6,60 Euro). Das Buch ist jetzt im Online-Buchhandel (z.B. bei Amazon) oder direkt beim Verlag zu bestellen. Im lokalen Buchhandel dauert es jedoch noch etwas bis eine Bestellung aufgegeben werden kann.

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